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Titel: Der Umgang mit Griechenland zeigt: Die Bürgerlich-Rechtskonservativen haben Europa voll im Griff. Alternativen gibt’s nicht mehr …

Datum: 1. Juli 2015 um 15:15 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Neoliberalismus und Monetarismus, Parteien und Verbände
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… und soll es nie mehr geben. Der Umgang mit Griechenland ist so auch ein Beleg dafür, dass die Substanz der Demokratie, der politische Wechsel, hinfällig ist. – Unter den NachDenkSeiten-Leserinnen und -Lesern sind viele, die den Umgang der europäischen Regierungen und der sogenannten Institutionen mit Griechenland nicht mehr verstehen. Sehenden Auges Millionen Menschen ins weitere Unglück zu treiben, das empfinden viele Menschen immer noch unfair und unmenschlich. Aber es gibt in den Augen der tonangebenden politischen Kräfte in Europa gute Gründe für diese Haltung: die Machterhaltung für das konservative Lager in seiner neoliberalen Ausprägung. Um dies zu schaffen, haben sie die Sozialdemokraten und sogenannten Sozialisten Europas „umgedreht“ und die Medien in ihrer überwiegenden Mehrheit auf Linie gebracht. Das Volk bringen sie hinter sich, indem sie auf festsitzende und seit einem Jahrhundert gepflegte Vorurteile gegen alles Linke zugreifen. – Das klingt resignativ. Ich nenne es realistisch und will das erläutern. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Dazu zwölf Anmerkungen mit kurzen stichwortartigen Begründungen:

  1. Konservative haben die Politik im westlichen Teil Europas nach 1945 mehrheitlich bestimmt. Es gab sozialdemokratische, sozial staatlich gesonnene Regierungen mit einem starken öffentlichen Sektor in den skandinavischen Ländern und gelegentlich einen politischen Wechsel auch in den anderen Staaten – in Spanien, Frankreich, in Deutschland, in den Niederlanden usw.. Manchmal wurde dieser politische Wechsel, die Abkehr von der bürgerlich konservativen Vorherrschaft von konservativen Kreisen wie ein Betriebsunfall betrachtet, typisch dafür war der Wechsel in Deutschland 1969.
  2. Die bestimmenden konservativen wirtschaftsnahen Kreise haben nicht nur auf die Durchsetzung ihrer Linie durch Wahlen gesetzt. Die Veränderung ihrer eigenen Parteien wie auch die Veränderung ihrer Konkurrenten in Richtung konservativer, neoliberaler Programmatik gehört ebenfalls zum Repertoire. So wurde die CDU in Deutschland sehr schnell schon in den fünfziger Jahren durch Adenauer von Ideen der christlichen Soziallehre gereinigt. Auf die Sozialdemokraten in Deutschland wurde immer wieder ein ähnlicher Druck ausgeübt. Die Linke in der SPD war schlimm, die Rechte in der SPD war gut und hoffähig. So die gängige Betrachtung. Heute ist die SPD über weite Strecken beliebig. Wie man an den Äußerungen des Parteivorsitzenden Gabriel und am Verhalten der Sozialdemokraten gegenüber Griechenland sieht, unterscheiden sie sich nicht mehr gravierend von der CDU/CSU. Eine ähnliche Entwicklung haben die Sozialisten/Sozialdemokraten in Frankreich, Österreich, Holland, Italien, in Spanien, auch in Griechenland, durchgemacht. Und auch in Skandinavien, wo die Lage auch dadurch bestimmt war und ist, dass konservative Regierungen gewählt wurden.
  3. Hinzu kam dann nach der Wende des Jahres 1989, dass in den Ländern Ost-und Südosteuropas überwiegend konservative bis rechte Parteien an die Macht kamen, oder oft nur angepasste ehemalige kommunistische Parteien. Diese politische Ausrichtung in Ost- und Südosteuropa prägt und belastet die weitere gesellschaftspolitische Entwicklung Europas sehr stark.
  4. So haben wir heute die Konstellation, dass die konservativen, rechtsliberalen und rechtskonservativen Parteien in Europa überwiegend die Regierungen stellen und wegen der Bedeutung der Regierungen für die Politik der Europäischen Gemeinschaft auch dort das Sagen haben. Junker als Kommissionspräsident und Schulz als Präsident des europäischen Parlaments sind herausragende Belege für diese Entwicklung – diese Zweier-Konstellation ist symbolträchtig für die Entwicklung: konservative Mehrheit und zugleich inhaltliche Anpassung der Sozialdemokratie an die konservative Linie.
  5. Hinzu kommt politisch inhaltlich: Die neoliberale Ideologie setzte sich im Westen durch und bestimmt auch den Kern dessen, was politische Linie in Europa ist. Dafür gibt es verschiedene Belege: die Agenda 2010, die Um-Definition des Wortes Reform, die Abwertung der Sozialstaatlichkeit, die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche einschließlich des Fernsehens und des Hörfunks, die Privatisierung öffentlichen Eigentums, die Privatisierung der Versorgung mit öffentlichen Leistungen usw.
  6. Konservative Kräfte neigen anders als wirklich liberale und fortschrittliche Kreise dazu, dass sie die Machtausübung durch ihre politische Gruppierung für quasi Gott gegeben halten. Sie sind die besseren Chefs, sie wissen, wie man ein Land managt usw. Wer in einem solchen Milieu aufgewachsen ist, kennt diesen Geist des Monopolanspruchs. Wer die Zeit nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 bewusst erlebt und verfolgt hat, kennt diesen im Kern antidemokratischen Ungeist: Nur Konservative regieren vernünftig und gut.
  7. Auf diesem Hintergrund war es vorhersehbar, dass diese geballte Herrschaft eine Wahl wie jene des griechischen Volkes im Januar als eine Provokation betrachten musste. Die Konsequenz konnte man dann auch richtig einschätzen: Die neue griechische Regierung darf keinen Erfolg haben. Eine links bestimmte Regierung darf in Europa keinen Erfolg haben, um jegliche Lust auf eine ähnliche Entscheidung und Entwicklung in anderen Ländern von vornherein und rund um abzutöten. Deshalb haben wir im Januar auch schon prognostiziert, dass die damalige Troika alias Institutionen und die einzelnen Regierungen die neue Regierung Griechenlands und damit auch das ganze griechische Volk am ausgestreckten Arm verhungern lassen wird.
  8. Die rechtskonservativen Kräfte bedienen sich zur Mobilisierung der Völker Europas alter Denk- und Angsterzeugungsmuster. Typisch dafür ist die Polemik von Sigmar Gabriel gegen die Griechen wegen des Einflusses der Kommunisten. Typisch war eine Polemik des CDU Politikers Lamers im Deutschlandfunk. Polemik gegen Kommunisten und Marxisten – das kennen wir aus den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts und auch schon aus der Weimarer Zeit, aus der Nazizeit sowieso. Diese Polemik findet immer noch einen fruchtbaren Nährboden.
  9. Die gleichen Gefühlswelten werden übrigens auch in der Auseinandersetzung mit Russland eingesetzt. Insofern stützt sich die Polemik gegen Griechenland und die Polemik gegen Russland gegenseitig.
  10. Die Medien machen mehrheitlich die Kampagnen zur Stabilisierung des Herrschaftsanspruchs der Konservativen mit neoliberaler Prägung mit. Sie sind zum Teil – wie etwa Rolf Dietrich Krause von der ARD – zur Speerspitze der aggressiven Auseinandersetzung mit dem linken Pflänzchen von Athen geworden.
  11. Dass die Medien anders als wenigstens im Ansatz noch in den sechziger und siebziger Jahren den konservativen Kräften eng verbunden sind und zu Diensten sind, ist die Folge mehrerer Entwicklungen: die Folge des Konzentrationsprozesses bei den Medien, die Folge der Kommerzialisierung der elektronischen Medien, die Folge einer viel bewussteren Planung und Medienarbeit der konservativen Parteien und der Wirtschaft. Eine der in meinem Buch „Meinungsmache“ formulierten Grunderkenntnisse lautet so:
  12. Das bittere Fazit. Demokratie funktioniert in Europa nicht mehr. Es fehlt das Grundelement: die Chance zum politischen Wechsel.


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