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Titel: Unser täglich Gift

Datum: 10. Juli 2015 um 8:46 Uhr
Rubrik: Aufbau Gegenöffentlichkeit, Gesundheitspolitik, Interviews, Verbraucherschutz
Verantwortlich:

Ute Scheub

Durch die Ausklärungsarbeit der – inzwischen selbst zur Milliardenindustrie gewordenen und daher für Betrug zunehmend selbst auch anfälligen – Bio-Branche, aber auch durch Dokumentarfilme wie „We feed the world“, „Unser täglich Brot“ und „Food Inc. – Was essen wir wirklich?“ sowie Büchern wie „Die Ernährungslüge: Wie uns die Lebensmittelindustrie um den Verstand bringt“ [PDF] und „Die Essensfälscher: Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen“ sind die Themen Ernährungssicherheit, Manipulation und Betrug durch die Nahrungsmittelindustrie und nicht zuletzt auch Gesundheitsschäden durch Nahrungsmittel in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Bisher kaum thematisiert wurden hierbei jedoch die schädlichen Auswirkungen, die Pestizide auf unser aller Gesundheit haben. Jens Wernicke sprach hierzu mit der taz-Mitbegründein Ute Scheub, die sich in der Kampagne „Ackergifte? Nein, danke!“ engagiert.

Frau Scheub, in Ihrem aktuellen Buch widmen Sie sich dem Thema „Ackergifte“. Warum das – und was meinen Sie mit Ackergiften?

Pestizide wurden entwickelt, um Lebewesen aller Art zu töten. Die Chemieindustrie benutzt heute zwar den zuckersüßen Begriff der „Pflanzenschutzmittel“. Ich nenne diese Produkte aber Ackergifte, weil sie giftig bis tödlich sind – für Mikroorganismen, die die Bodenfruchtbarkeit erhalten, von der fast die gesamte Kaskade des Lebens auf Erden abhängt, für Pilze, Pflanzen, Tiere und letztlich auch Menschen.

Meinen Sie, dass unser aller Gesundheit durch die in der Landwirtschaft verwandten Pestizide in Gefahr sei? Ich meine: Da gibt’s es doch Grenzwerte und Studien und überhaupt. Von Gefahr spricht man in der Öffentlichkeit dabei aber eher nicht…

Die Chemiekonzerne machen seit Jahren der Öffentlichkeit weis, dass Ackergifte durchgetestet und harmlos seien, wenn man sie richtig anwendet. Aber viele Studien sind manipuliert und geschönt.

Welche Belege gibt es denn für Ihre Kritik? Ist es da, wie bei anderen Themen auch: Die meisten Studien sind halt von der Industrie selbst und eine Darstellung der realen und umfassenden Gegebenheiten und Gefahren sucht man daher vergebens hierin?

Wie Sie sagen: Die meisten Untersuchungen wurden von Konzernen selbst in Auftrag gegeben, und will man sie nachprüfen, bekommt man die Rohdaten nicht. Sie werden mit Verweis auf das Patentgeheimnis nicht offengelegt. Manipulationen werden so leicht gemacht. Monsanto etwa wurde dabei schon mehrfach erwischt. Eine österreichische Umfrage unter Forschern im Bereich „Lebenswissenschaften“ ergab, dass fast jeder zweite Wissenschaftler entweder selbst Studienergebnisse in die gewünschte Richtung gedreht hat oder von Manipulationen anderer weiß. Was ist denn das noch für eine „Wissenschaft“?

Zweitens: Viele vorgeschriebenen Tests sind wirklichkeitsfern. Was Gifte und Supergifte in einem Ökosystem anrichten, kann man niemals wissenschaftlich in allen Details nachvollziehen, weil es da nicht monokausal zugeht, sondern die Wirkungen in alle Richtungen gehen.

Drittens: Man bedenke, dass Pestizide ein Kind der Weltkriege und ein Abfallprodukt der Entwicklung chemischer Waffen sind.

Chemische Waffen, sagen Sie…?

Ja, die Sprengstoffgewinnung vor und im Ersten Weltkrieg bildete die Grundlage für die spätere Kunstdüngerindustrie, und aus der zeitgleichen Giftgasproduktion wurden später Pestizidfabriken.

Können Sie das bitte etwas genauer ausführen?

1910 meldeten Fritz Haber und Carl Bosch das nach ihnen benannte Haber-Bosch-Verfahren zum Patent an: die Gewinnung von Salpeter für die Herstellung von Schwarzpulver aus den Grundstoffen Luft, Kohle und Wasser; heute benutzt man es auch für die Kunstdüngerproduktion.

Der Chemieprofessor Haber war Berater im Kriegsministerium, schlug der Reichsregierung die Produktion der Giftgase Chlor und Phosgen vor und verherrlichte sie als “eine technisch höhere Form des Tötens”. Den Einsatz von Giftgas an der Westfront bei Ypern überwachte er 1915 persönlich. Den “vorher unüberwindlichen Widerstand” des Feindes habe man mit Chlorgas “im Augenblick zunichte” gemacht, vermeldete er geradezu stolz. Rund 5.000 Menschen starben bei diesem historisch ersten Einsatz von Massenvernichtungsmitteln. Insgesamt wurden in diesem Krieg rund 1,3 Millionen Menschen durch Gas vergiftet und gut 90.000 getötet.

Und nach Ende des Ersten Weltkriegs empfahl Haber dann, die entwickelten Gifte “gegen die Schädlinge unseres Feldbaus zur Anwendung“ zu bringen. Dass mit “Schädlingen” auch menschliche “Schädlinge” gemeint waren, demonstrierten die Nazis in Auschwitz: Der Chemiegigant IG Farben beutete KZ-Gefangene als Arbeitssklaven aus; gleichzeitig wurden dort “Volksschädlinge” und “Parasiten” mit dem Insektizid Zyklon B vergast, das die zum IG Farben-Konzern gehörende “Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung” – kurz: Degesch – hergestellt hatte. Und im Vietnamkrieg wurde das „Schädlingsbekämpfungsmittel“ Agent Orange gegen die kommunistischen Vietcong eingesetzt.

Das meistverwandte Pestizid, Glyphosat, wurde ja gerade als möglicherweise krebserregend eingestuft. Den Mega-Konzern Monsanto hat das alles andere als gefreut

Der US-Chemiekonzern Monsanto hat genmanipuliertes Soja und genmanipulierten Mais nur deshalb entwickelt, um einen Dauerabsatzmarkt für seine Ackergifte zu haben, auch wenn – wie im Fall Glyphosat bereits geschehen – das Patent dafür ausläuft.

Besprüht man Felder mit glyphosathaltigem „Round Up“, sterben alle Pflanzen außer den genmanipulierten ab. Mit dieser Technik zwingt man Landwirte, das Gift immer weiter zu kaufen. Deshalb ist es für alle Lebewesen gut und nur für Monsanto ärgerlich, wenn Glyphosat nun in Verruf gerät.


arte: Chronisch vergiftet: Monsanto und Glyphosat


Welche Rolle spielen derlei internationale Großkonzerne denn im Bereich der Landwirtschaft?

Agroindustrielle Konzerne wie Monsanto, Syngenta, Bayer & Co. versuchen, die gesamte Nahrungsmittelerzeugungskette, einschließlich Saatgut zu beherrschen und Menschen weltweit von ihren zweifelhaften Produkten abhängig zu machen.

Brasiliens und Paraguays Wälder werden abgeholzt, um genmanipuliertes Soja anzubauen, das hier an industriell gehaltene Kühe und arme Schweine verfüttert wird, die alsdann unsere Wohlstandsbäuche formen. Und wir wundern uns dann, dass überall die Krebsraten ansteigen. Übrigens besonders stark in den agroindustriellen Gebieten Deutschlands und bei den Bauern selbst. Der Einsatz von Ackergiften macht sie nicht nur abhängig von Chemiekonzernen, sondern sie bezahlen dafür auch oft mit ihrer Gesundheit.

Und die Landwirte – die machen da alle einfach mit und sagen oder merken nichts? Wieso?

Manche machen mit, weil sie in ihrer Ausbildung nichts anderes gelernt haben und den schönen bunten Werbebroschüren der Chemieindustrie vertrauen. Sich einzugestehen, dass man in der eigenen Biografie einem falschen System mit einer gefährlichen Ideologie aufsaß, ist nachvollziehbarerweise sehr schwer. Andere haben Angst, den Mund aufzumachen, weil in vielen Dörfern Schweigekartelle herrschen, um agroindustrielle Arbeitgeber nicht zu verärgern. Die Leute dort stehen unter enormem sozialem Druck. Also verschweigen sie das eigene Leiden – Pestizide können Allergien auslösen, Nervenleiden, Hormonstörungen, Krebs, Alzheimer und Demenz – und legen sich still ins Bett. Bei meinen Recherchen habe ich festgestellt, dass Pestizidopfer bundesweit und erst recht weltweit kaum eine Stimme haben. Ich wollte ihnen eine geben.

Und das liegt … woran genau? Ich meine: Derlei Vorgehen und Einfluss und Macht?

Chemiekonzerne sind gerade in Deutschland traditionell eng mit der Politik verbandelt. Politiker und Bauernverbände wollen es nicht mit ihnen verderben oder glauben immer noch, dass diese den „Fortschritt“ verkörpern.

Sie meinen aber, dass das auch anders möglich sei? Wie denn genau? Was täte not?

Eine Agrarwende täte not, bundesweit wie weltweit. 400 renommierte Wissenschaftler und Forscherinnen, die 2008 den Weltagrarbericht der UNO erstellten, haben festgestellt: Weitermachen wie bisher ist keine Option.

Die Weltbevölkerung kann auf die alte konventionelle Art nicht mehr ernährt werden, weil diese die Lebensgrundlagen zerstört. Die fossile gifthaltige Agroindustrie ist eine Sackgasse. Inzwischen gibt es zahlreiche Studien, die bestätigen: Die gesamte Welt könnte sich ökologisch ernähren, wenn global umgesteuert und die Macht der Agroindustrie beschränkt würde. Vor allem müssten die Kleinbäuerinnen unterstützt werden, die den größten Anteil der Lebensmittel produzieren, statt ihnen immer mehr Land wegzunehmen, wie es Großkonzerne und Agrospekulanten in Afrika und anderswo tun. Auch hierzulande sollten Familienhöfe statt Großbetriebe gestärkt werden. Und die Ökolandwirtschaft. Es ist doch ein Witz, dass Deutschland hier nicht einmal die Nachfrage der eigenen Bevölkerung befriedigen kann und „Bio“ aus dem Ausland importieren muss.


Ute Scheub: Ackergifte? Nein, danke!


Eine letzte Frage noch. Ein Bekannter erklärte mir neulich beim Wein, er halte ja von dem ganzen Bio-Murks nichts. Da würde zum einen auch gelogen und betrogen, dass sich die Balken biegen. Zum anderen meinte er aber, die ganzen Schädlinge, der Schmutz, die Bakterien und anderes seien allemal gefährlicher als die verwandten Spritzmittel. Er verstieg sich zu der These, gespritztes Obst und Gemüse sei, davon sei er felsenfest überzeugt, allemal besser für seine Gesundheit als Bio dies sei. Was erwiderten Sie ihm?

Entweder ist er denkfaul, oder er hat einen seltsamen masochistischen Spaß an der eigenen Vergiftung – bitte sehr. Ackergifte können auch Demenz verursachen – vielleicht hat die ja bereits eingesetzt.

Ich bedanke mich für das Gespräch.


Ute Scheub ist promovierte Politikwissenschaftlerin und Mitbegründerin der taz und deren Umweltredaktion. Von ihr sind inzwischen 15 Bücher sowie zahlreiche Aufsätze, Artikel, Reportagen und Essays zu umwelt-, friedens- und genderpolitischen Themen erschienen.


Weiterlesen:
Webseite: „Ackergifte? Nein, danke!“

Zeitschrift: „Unterm Acker liegt der Strand. Der Kampf für eine ökologische und soziale Landwirtschaft geht alle an“ [PDF]

Broschüre: „Wege aus der Hungerkrise Die Erkenntnisse des Weltagrarberichtes und seine Vorschläge für eine Landwirtschaft von morgen“ [PDF]

Artikel: „Aufnahme von Pestiziden über Nahrungsmittel“

Artikel: „Monsanto: Der Agent-Orange-Hersteller ist wieder im Land“

Artikel: „220.000 Menschen fordern: Glyphosat muss vom Tisch“

Artikel: „Länder-Minister wollen Glyphosat verbieten“

Artikel: „Pestizide in der Landwirtschaft: Parkinson gilt in Frankreich als Berufskrankheit“

Artikel: „Anerkennung von Berufskrankheiten: Josef K. kämpft gegen die Ohnmacht“

Artikel: „Es gibt so viele Beweise“


Weitere Veröffentlichungen von Jens Wernicke finden Sie auf seiner Homepage jenswernicke.de. Dort können Sie auch eine automatische E-Mail-Benachrichtigung über neue Texte bestellen.


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