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Titel: Unbeantwortete Fragen an die Gegner des Mindestlohns

Datum: 25. Oktober 2007 um 18:01 Uhr
Rubrik: Arbeitslosigkeit, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich:

Der Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Blum ist Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH). Das Institut war dieses Jahr neu am Gemeinschaftsgutachten der Konjunkturforschungsinstitute beteiligt. Dieses Gutachten spricht sich vehement gegen die Einführung von Mindestlöhnen aus. Blum hat in einem Editorial zu einer von seinem Institut herausgegebenen Broschüre „Wirtschaft im Wandel“ [PDF – 544 KB] seine ablehnende Haltung mit den in der vorherrschenden ökonomischen Lehre üblichen Behauptungen begründet.
Unser Leser Karl Mai stellt in einem Brief zu den dort aufgestellten Hypothesen ein paar kritische Fragen, die belegen, wie hohl bzw. ideologiebehaftet die „Begründungen“ des ökonomischen Mainstreams für die Ablehnung von Mindestlöhnen sind.

Werter IWH-Präsident Prof. Blum,

Ihre Ausführungen im letzten Editorial des IWH-Berichtsheftes sind mir dadurch aufgefallen, dass Sie ein Maximum an unbewiesenen Thesen oder Hypothesen mit völlig fehlenden Beweisen kombinieren und so ein gutes Beispiel liefern, wie Vertreter der vorherrschenden ökonomischen Lehre in Deutschland agieren.

Sie schreiben: „All diejenigen, die Mindestlöhne aus ökonomischer Sicht für unschädlich hal-ten, müssten zunächst den Beweis antreten, dass die Marktlöhne unterhalb der Grenzproduktivität liegen. Der hier verhandelte Mindestlohn oberhalb der Grenz-produktivität macht den Kapitaleinsatz unrentabel – die Arbeitslosigkeit steigt, das Kapital wandert ab und bringt im Ausland Gewinne. Die Arbeitseinkommen gehen zurück und die Lohnquote sinkt – ein verteilungspolitisches Desaster. Des-halb sehen Ökonomen (!) die Debatte über das Einführen von Mindestlöhnen sehr kritisch. Ebenso kritisch ist allerdings zu prüfen, wie der Wettbewerbsmecha-nismus wirkt, wenn aus übergeordneten Gründen die Flexibilität der beiden an-deren Produktionsfaktoren zunehmend eingeengt wird, wenn Knappheiten als weltweit vergleichbar definiert werden, obwohl es doch lokale Umwelt-, Kapi-tal- und insbesondere Kreditmärkte geben kann. Wenig qualifizierte, räumlich immobile Tätigkeiten geraten dann mit hohen sozialen und politischen Kosten schnell unter Druck, wenn Arbeit zum „letzten” flexiblen Produktionsfaktor wird.“

Gestatten Sie dazu folgende kritische Fragen und Bemerkungen:

  1. Die Mindestlohn-Regelungen gibt es bekanntlich in einer Reihe von Industrieländern, darunter auch in solchen mit anerkannter Arbeitsmarktflexibilität. Warum ist dann die Arbeitslosigkeit in diesen Ländern nicht generell weitaus größer als in der BRD?
  2. Ist für die Beurteilung der nationalen Lohnhöhe nicht der Koeffizient „Lohnstückkosten“ die ausschlaggebende Größe? Sind nicht weniger gestiegene Lohnstückkosten Deutschlands im Vergleich zu OECD-Ländern ursächlich für deutsche Exporterfolge?
  3. Wie hoch sind die nationalen Grenzkosten der Arbeitnehmer im internationalen Vergleich und im Verhältnis zu den betreffenden Lohnhöhen und zu den Lohnstückkosten?
  4. Wie ist das Verhältnis der deutschen Grenzkosten für Arbeit zu den deutschen Marktlöhnen und wie hoch sind die den Markt räumenden Gleichgewichtslöhne?
  5. Ist der deutsche Marktlohn von der Lohnsteuerhöhe determiniert, und wenn ja, in welcher Relation?
  6. Sind Sie der Meinung, dass die gesetzlichen Sozialabgaben innerhalb der Arbeitskosten in der BRD über dem Durchschnitt der EU-15 liegen und befürworten Sie eine Absenkung der deutschen gesetzlichen Sozialabgaben aus Gründen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit?
  7. Wie kann logisch ein Mindestlohn zur Senkung der Lohnquote führen, wenn er die Löhne hoch hält, und wie wirkt dieser Effekt im internationalen Vergleich der Lohnquotenentwicklung?
  8. Welche „übergeordneten Gründe“ engen die Flexibilität „der beiden anderen Produktionsfaktoren“ ein und wie verträgt sich dies mit der marktradikalen Wettbewerbsideologie?
  9. Wie kann die Arbeit dort „zum letzten“ flexiblen Produktionsfaktor werden, wo und sofern der Arbeitsmarkt durch Mindestlöhne reguliert wird?

Falls Sie Ihre Untersuchungsnachweise und empirischen Beweise für die oben zitierten Formulierungen zur Hand haben, so sollten Sie diese den Lesern nicht vorenthalten. Daneben müssten die von mir vorstehend formulierten Fragen eine überzeugende Antwort erfahren.

Viel Erfolg!

Mit freundlichen Grüßen,
Karl Mai.


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