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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 2. November 2007 um 10:38 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich:

(KR/WL)
Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.

Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind.
Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Klaus Zumwinkel: “Ganz sicher mehr als 50 Prozent”
    „Unsere Löhne liegen mit 11,43 Euro für Neueinsteiger und mit bis 16,63 Euro für langjährige Postboten deutlich über dem vereinbarten Mindestlohn, der sich ja zwischen 8 und 9,80 Euro bewegt. Ein Wettbewerber, der trotz eines solchen Lohnabstands zu uns nicht vernünftig kalkulieren kann, der sollte besser gleich die Finger vom Briefgeschäft lassen. … Die Frage ist doch, welche Arbeitswelt will die Politik, wollen wir alle in der Zukunft erleben? Soll wirklich der am Ende gewinnen, der die niedrigsten Löhne zahlt und seinen Wettbewerbsvorteil mit staatlichen Zuschüssen erkauft oder sollen Unternehmen wie die Deutsche Post eine Zukunft haben, die über auskömmliche Bezahlung eine gute Qualität sichern und dazu noch 2,3 Milliarden Euro jährlich in die Sozialkassen einzahlen?“
    Quelle: FR
  2. Fachkräftemangel in Baden-Württemberg?
    • Mal so:
      Baden-Württemberg: Fachkräfte händeringend gesucht
      Manager fahnden nach Personal, das Arbeitsamt sucht Fachkräfte in Frankreich: In Baden-Württemberg sind so wenige Menschen ohne Job wie seit fünfzehn Jahren nicht mehr. Nirgendwo sonst suchen die Unternehmen so händeringend nach Fachkräften – und versuchen mit Mitteln wie Kinderbetreuung ihr Personalproblem zu lindern.
      Quelle: TAZ

      Anmerkung WL: Der Beitrag unterstellt, dass es unter den 244.428 arbeitslos Gemeldeten in Baden-Württemberg nur Straßenkehrer, Putzhilfen oder Kellner gebe. Vielleicht sollte man im Ländle vom hohen Ross herabsteigen und Menschen einarbeiten oder qualifizieren. Wozu gibt es eigentlich Weiterbildungsangebote?

    • Mal so:
      “Die nächsten 30 Jahre werden super”
      Maschinenbaupräsident Manfred Wittenstein über Ingenieure und den guten Standort Deutschland: „Da wir seit 20 Jahren Personalmarketing machen, wissen wir, wie wir unseren Nachwuchs rekrutieren müssen. Deshalb haben wir gegenwärtig auch keine Probleme, Ingenieure und andere Fachkräfte zu bekommen.“
      Quelle: Tagesspiegel
  3. Gutachten: Lokführerstreiks sind rechtens
    Die Lokführerstreiks sind rechtmäßig – zu diesem Ergebnis kommt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung
  4. Steuergeheimnis von Arbeitslosen eingeschränkt
    Das Finanzamt darf Informationen über zusätzliche Einkünfte von Arbeitslosengeld-Empfängern an die Arbeitsagenturen weiterleiten. Das geht aus einem am Mittwoch bekanntgegebenen Beschluss des Bundesfinanzhofes in München hervor. Danach ist die Weitergabe von Informationen trotz des Steuergeheimnisses erlaubt, wenn die Arbeitsagentur prüfen muss, ob Arbeitslosengeld zu Unrecht gezahlt worden ist. (Az: VII B 110/07)
    Quelle: Netzeitung
  5. Götterdämmerung bei VW
    Die Elite-Autobauer von Porsche sichern ihre Position und ihre Prämien vorbeugend zu Lasten der VW-Belegschaft, die bis jetzt von Werksschließungen und Massenentlassungen verschont blieb. Das könnte sich nach der Machtübernahme durch die Porsche-Autodynastie ändern. Große Sektoren der acht Marken von VW gelten als unrentabel. Schon kursieren Gerüchte, dass der VW-Konzern unter dem Dach der neuen Holding in seine Einzelteile zerschlagen werden soll. Die Vision vom neuen Auto-Giganten ist unglaubwürdig, zumal gerade erst der Traum einer industriellen “Welt AG” bei DaimlerChrysler geplatzt ist. Porsche stellt in Wirklichkeit einen globalen “Hedgefonds mit Automobilproduktion” (Wirtschaftswoche) dar. Die horrenden Gewinne, mit denen VW gekauft wurde, stammen größtenteils aus Währungsspekulationen und Optionsgeschäften, während der Beitrag des eigentlichen Autogeschäfts stetig sinkt. Auf längere Sicht ist es eher wahrscheinlich, dass Porsche VW filetiert und stückweise auf den globalen Unternehmensmarkt wirft, während die Beschäftigung abgeschmolzen wird. Der Wolfsburger Weltuntergang hat gerade erst begonnen.
    Quelle: Freitag
  6. Das Ausmaß der Nichterfassung in der offiziellen Arbeitsmarktstatistik liegt inzwischen bei 29,5 Prozent der tatsächlich Arbeitslosen
    Leider wird aus der offiziellen Arbeitslosenzahl eine große Zahl von Menschen ausgeblendet, die ebenfalls ohne festen Arbeitsplatz sind. Sie werden versteckt “geparkt”, sei es in so genannten “arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen”, sei es in “Sonderregelungen.” Darunter fallen Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Vorruhestandsregellungen, Ich-AGs und Ein-Euro-Jobs. Im Monat Oktober waren dies 1,434 Millionen Arbeitslose.
    Quelle: stern

    Anmerkung WL: Welches Interesse allerdings gerade die „Stiftung Marktwirtschaft“ an der Veröffentlichung dieser Zahlen hat, wird im Beitrag ziemlich klar: Fortsetzung der sog. Arbeitsmarktreformen statt einer aktiven Konjunktur und Beschäftigungspolitik.

  7. Thomas Fricke: Niemand versteht uns
    Deutschlands Ökonomiedenker haben einen merkwürdigen Hang, sich mit unbeholfenen Querfeldein-Appellen zu Wächtern über die grundsätzliche Reformbereitschaft ihrer ökonomisch hilfsbedürftigen Mitmenschen zu machen und sich dann in Selbstmitleid zu ergehen, dass niemand auf sie hört. Statt nüchtern zu diagnostizieren, wie welche Reform wirkt. Selbst wenn sich dabei herausstellt, dass nicht alle Reformen so viel bewirkt haben.
    Quelle: FTD

    Anmerkung WL: Es ist immer wieder erfrischend, wie Thomas Fricke als Anhänger der sog. Reformpolitik den Kollegen seiner Zunft den Spiegel vorhält.

  8. Reiche bauen sich ihre eigenen Städte
    Es geht erst los in Deutschland mit der Segregation, der Aussonderung bestimmter Bevölkerungsgruppen, der Bildung von Ghettos, den großen sozialen Konflikten, wie sie in vielen Nachbarländern ausgebrochen sind. Das ist eine der Warnungen des großen „urban future”-Kongresses in Frankfurt/Main, der gestern zu Ende ging. Was sich in Ostdeutschland bereits in millionenfachen Wohnungsleerständen niederschlägt, werde in Westdeutschland schon bald zur Zuspitzung gesellschaftlicher Konflikte in „Quartieren mit schlechtem Ruf” führen.
    Quelle: WELT
  9. Stadt mietet Straßen
    In Harsewinkel wird im November die erste kommunale Straße im Rahmen eines Public-Private Partnership(PPP)-Projekts dem Verkehr übergeben.„Bis jetzt läuft alles nach Plan“, sagt der städtische Projektkoordinator Heinz Niebur. „Was die nächsten 29 Jahre betrifft, kann ich noch nichts sagen.“ So lange – genau 30 Jahre – dauert die öffentlich-private Partnerschaft zwischen Harsewinkel und einer Unternehmensgruppe aus der Region.
    Quelle: Ruhrnachrichten
  10. Merkels blinde Flecken
    Auch auf Auslandsreisen, jetzt in Indien wieder, zeigt sich das Manko der Kanzlerin. Sie macht einen guten Eindruck. Inhaltlich aber bewegt sie zu wenig, sendet weder soziale noch friedenspolitische Signale aus.
    Die Kanzlerin verdient wieder gute Haltungsnoten. Selbstbewusst, aber nicht unbescheiden ist sie in Indien aufgetreten. Die Wertschätzung der Gastgeber für sie war offenkundig. Die Frau aus Deutschland, der mächtige Männer fremder Länder so manches offene Wort nachsehen, die Neues gern aufsaugt und dabei von Amts wegen die Welt für sich entdeckt: Sie ist kein komplizierter Gast. Sie hat ihr Herzensthema Klimaschutz, das mittlerweile weltpolitisch die Marke Merkel definiert. Ein Goodwill-Thema letztlich. Da lassen sich die Mächtigen gern auch mal zu langfristigen Zielen drängen, an denen irgendwann die Nachfolger gemessen werden. Aber sonst? Viel echte Freundlichkeit, wenig echte Ambition. Das war auch in Indien so.
    Quelle: FR
  11. Volker Pispers zu Angela Merkel
    und zum Thema Mehrwertsteuererhöhung …
    Quelle: 2xFUN

    Anmerkung: Wunderbare Satire über gute Stimmung trotz Angela Merkel als Kanzlerin.
    Und der kleine Wirtschaftsexkurs am Ende ist auch nicht schlecht.

  12. Wie ein Pharmahersteller die Politik beeinflussen will
    Nach Angaben des renommierten Pharmakologen Ulrich Schwabe könnten alle 485 000 AMD-Patienten im Jahr für insgesamt 32 Millionen Euro mit Avistan versorgt werden. Eine Behandlung mit Lucentis würde dagegen mehrere Milliarden Euro kosten. Avastin, dosiert für eine Spritze in den Augapfel, kostet 50 Euro, während Novartis für eine Dosis Lucentis mehr als 1 500 Euro verlangt. Ein “ungeheuerlicher” Preis, wie Pharmaexperte Gerd Glaeske findet.
    Der Beobachter reibt sich nun verwundert die Augen. Warum beantragt Roche für sein Mittel Avastin nicht eine Zulassung für die AMD-Behandlung, sondern überlässt dem Konkurrenzprodukt das Feld? Denn eigentlich ist es üblich, dass ein Pharmahersteller eine möglichst breite Zulassung anstrebt, um viel zu verkaufen.
    Die Antwort ist einfach: Novartis und Roche sind durch Beteiligungen miteinander verbunden. Roche hat also gar kein Interesse daran, gegen das Novartis-Mittel Lucentis anzutreten.
    Quelle: Berliner Zeitung

    Anmerkung: Siehe die Hinweise unserer Leser vom 18. September 2007.

  13. Routensuche für die Ostseepipeline
    Schweden findet die umstrittene deutsch-russische Gasleitung “ökologisch problematisch” und fordert, die Route des Projekts zu verlagern. Dabei deutet einiges darauf hin, was bei einer Untersuchung herauskommen könnte: dass eine Landroute billiger wäre und einen geringeren Eingriff in die Umwelt bedeuten würde. Damit würde sich die Pipelineführung durch die Ostsee als eine ausschließlich politisch begründete erweisen. Ein solches Zusammenspiel mit Russland mit dem alleinigen Zweck, EU-Mitgliedsstaaten zu umgehen, dürfte für Deutschland wiederum schwer zu rechtfertigen sein.
    Quelle: TAZ
  14. London ist um das Elffache reicher als Nordost-Rumänien
    Eurostat-Report aus Brüssel: Die Weltwirtschaftsmacht EU hat ein ernsthaftes Armutsproblem
    Quelle: Freitag 44

    Anmerkung Orlando Pascheit: Ein wenig suggeriert der zusammenfassende Artikel, dass die zunehmenden Disparitäten sozusagen ein neues Armutsproblem abbilden. Dabei ergibt sich mit der Aufnahme weniger entwickelten Volkswirtschaften in die EU die Zunahme regionaler Disparitäten statistisch von selbst. Das war so bei der Süderweiterung wie eben auch bei der ersten und zweiten Osterweiterung.
    Den Durchschnittswerten für 1994-1996 zufolge reichte das Spektrum in den 208 NUT 2 Regionen der alten EU von Epirus (Griechenland) mit 43% des EU15-Durchschnitts bis zu Inner London mit 222%. Inner London lag damals erstmals mit deutlichem Abstand an der Spitze, was auf eine Neuklassifizierung in einigen Ländern zurückzuführen war. Zuvor befand sich die Region weiter unten auf der Liste unter der Bezeichnung ‘Greater London’. Ihr folgt Hamburg (194%), das zuvor die Spitzenposition eingenommen hatte. (Alles auf KKS-Basis)
    Die eigentlich interessante Frage ist, ob es seit der Süderweiterung bis zur Osterweiterung, sinnvoller Weise müßte man aus statistischen Gründen die Norderweiterung außen vor lassen, zu einer Abnahme der regionalen Disparitäten gekommen ist, wie es durch das Binnenmarktprojekt propagiert wurde. Grob geschätzt ist dies nicht der Fall. Das verheißt aber für Osteuropa, dass der Konvergenzprozeß über den gemeinsamen Binnenmarkt, vorsichtig formuliert, sehr lange dauern wird.
    Die im Artikel angenommene Verteilung der Armutsbevölkerung zwischen Ländern und Regionen hat in der alten EU nicht stattgefunden, trotz realer Personenfreizügigkeit.

  15. Studiengebühren-Gegner triumphieren erneut
    Hessen kassiert Studiengebühren von allen Studenten – aber verfassungsrechtlich ist das Gesetz fragwürdig. So sehen es auch Gießener Richter: Sie ordneten jetzt an, dass ein Medizin-Student bis zur endgültigen Klärung keine Campusmaut zahlen muss.
    Quelle: Spiegel Online
  16. Ein bedingungsloses Grundeinkommen kommt den Steuerzahler teuer zu stehen
    … und wird die Arbeitsmoral schwächen. Eine Alternative zu Hartz IV ist es daher nicht.
    Quelle: fr-online

    Anmerkung AM: Was die beiden Autoren schreiben, ist zwar nicht so besonders neu. Die meisten Argumente fanden Sie schon bei uns. Dennoch insgesamt ein lesenswerter Beitrag. Die Kritik der Autoren an den Berechnungen der Vertreter des Grundeinkommens ist mit dem folgenden Satz sehr gut zusammengefasst: „Von entscheidender Bedeutung ist bei diesen Berechnungen (gemeint sind jene von Wolfgang Strengmann-Kuhn und Michael Opielka) aber, dass die Simulationen statischer Natur sind – Verhaltensänderungen werden also nicht berücksichtigt.“

  17. Philippinische Arbeitsmigranten: Die Arroganz der Wohlhabenden
    Eine Kolumnistin des “Manila Bulletin” mokiert sich über Filipinos, die im Ausland schuften müssen, um daheim ihre Familie ernähren zu können. Die Redaktion des Manila Bulletin wurde nach diesem Artikel von wütender Leserpost überhäuft, aber die Autorin legte in ihrem Blog noch nach: “Auch wenn es für einige elitär klingen mag, ist es nun mal eine Tatsache, dass unser Land auf der Grundlage von denen, die haben, denen, die nicht haben, und denen, die gerne hätten, existiert. Eine dieser Gruppen wird nie die Kultur der andere verstehen. Ich lege auch gar keinen Wert darauf, die Unterschiede zwischen den verschiedenen Klassen zu überbrücken. Ich überlasse das den Politikern in meiner Familie, die glauben, sie könnten helfen.”
    Quelle: TAZ

    Anmerkung: Genau in diese Richtung bewegen sich die Verhältnisse in Deutschland. Wie sagte Stichwortgeber Ifo Chef Hans-Werner Sinn vor kurzem erst: “Mit etwas mehr Ungerechtigkeit lebt es sich besser“.


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