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Titel: Systematischer Betrug der Automobilbranche – VW ist nur die Spitze des Eisbergs

Datum: 21. September 2015 um 15:29 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Schadstoffe, Steuerhinterziehung/Steueroasen/Steuerflucht, Verkehrspolitik
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Groß ist die gespielte Aufregung – ausgerechnet dem deutschen Vorzeigekonzern VW konnte nun von der US-Umweltbehörde EPA der systematische Betrug bei den Abgasmesswerten seiner Diesel-PKWs nachgewiesen werden. Ist das eine Sensation? Nein, natürlich nicht. Es ist vielmehr ein offenes Geheimnis, dass Automobilhersteller bei Verbrauchs- und Emissionswerten systematisch betrügen. Erst im letzten Jahr ergab ein Test des ICCT [PDF – 3.9 MB], dass die echten Schadstoffemissionen moderner Euro-6-Diesel-Fahrzeuge im Schnitt siebenmal so hoch wie der gesetzliche Grenzwert sind. Diese Autos dürften laut Gesetz also in der EU gar nicht verkauft werden. Heikel ist auch, dass der Betrug der Automobilhersteller gleichzeitig ein gigantischer Steuerbetrug ist – denn auch der für die KfZ-Steuer maßgebliche CO2-Ausstoss wird durch betrügerische Algorithmen in der Motorensteuerung bei den maßgeblichen Tests gesenkt. Doch dies interessiert in Deutschland offenbar niemanden – die „Klimakanzlerin“ hat halt ein Herz für ihre Autohersteller. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Dass die „offiziellen Messwerte“ der Automobilhersteller bestenfalls einen groben Anhaltspunkt über die realen Werte geben, weiß wohl jeder Autofahrer, der sich ständig fragt, warum sein persönlicher Kraftstoffverbrauch so deutlich über dem offiziellen Verbrauchswerten seines Fahrzeuges liegt. Dass wir zu viel verbrauchen, liegt in der Regel aber nicht an uns oder unserem Fahrverhalten, sondern an Tricks bei der offiziellen Verbrauchsmessung. Die Deutsche Umwelthilfe hat zu diesem Thema eine kleine Broschüre herausgegeben [PDF – 863 KB], in der sie die zahlreichen Tricks der Hersteller schildert. Durchschnittlich verbraucht ein Neufahrzeug demnach 25 Prozent mehr Kraftstoff als es die offiziellen Werte angeben. Und wenn mehr verbraucht wird, werden natürlich auch mehr Schadstoffe ausgestoßen.

Besonders bei den ohnehin als „Dreckschleudern“ verdächtigen Dieselfahrzeugen reichen diese 25 Prozent jedoch bei weitem nicht aus, um die sowohl in der EU als auch in den USA immer strengeren Umweltschutzrichtlinien einzuhalten. Insbesondere beim Feinstaub und den Stickoxiden haben selbst moderne Dieselmotoren große Probleme mit der Einhaltung der aktuellen Grenzwerte. Die momentan für Diesel-Neuwagen gültige Euro-6-Norm scheibt beispielsweise bei den gesundheitsschädlichen Stickoxiden einen maximalen Ausstoß von 80 mg/km vor. Auf den Testständen, auf denen die amtlichen Werte für die Zulassungsprüfung ermittelt werden, schafft natürlich jeder Diesel, der heute verkauft wird, diese Anforderung. Im normalen Einsatz liegen die realen Emissionswerte jedoch weit darüber. Dass ICCT hat im letzten Jahr 15 verschiedene Euro-6-Dieselmodelle von sechs verschiedenen Herstellern im normalen Straßenverkehr überprüft. Im Ergebnis hielt nur ein einziger Wagen die Euro-6-Norm ein, während die übrigen 14 Wagen teilweise deutlich (bis um das 25fache) über den Grenzwerten lagen. Sechs aktuelle Dieselfahrzeuge lagen dabei über der 2001 eingeführten Euro-3-Norm und drei davon wären sogar durch die 1993 eingeführte Euro-1-Norm gefallen. Wäre dieser Test repräsentativ, dann hätte ein Fünftel aller heute verkauften Diesel-Neuwagen so schlechte Abgaswerte, dass er noch nicht einmal vor 22 Jahren hätte verkauft werden dürfen! Wundert es da wirklich, dass die amerikanische EPA nun herausgefunden hat, dass aktuelle VW-Diesel die schärferen US-Grenzwerte um das bis zu 40fache übersteigen?

In Kreisen der Automobilindustrie ist es ein offenes Geheimnis, dass aktuelle Softwareversionen bei der Motorsteuerung einen „Spezialmodus“ beinhalten, der erkennt, wenn sich das Fahrzeug auf einem Teststand befindet. Auch BMW wurde bereits von einer Motorrad-Fachzeitschrift beim Betrug erwischt und es ist unwahrscheinlich, dass BMW diese Technik nicht auch bei seinen PKW-Motoren einsetzt. Ist der Modus aktiviert, wird die Kraftstoffeinspritzung modifiziert, so dass am Auspuff geringere Schadstoffwerte ankommen. Dieser Modus ist jedoch für den Normalbetrieb nicht geeignet. Es handelt sich vielmehr um einen softwaregesteuerten Modus, der ganz speziell für die Zulassungsprüfung programmiert wurde und dessen einziger Zweck es ist, bei den offiziellen Zulassungstests manipulierte Ergebnisse zu erzeugen. Ohne diese Manipulation dürften die Fahrzeuge nach gültigem Recht weder in der EU noch in den USA zugelassen werden.

Wenn die Medien sich nun fragen, ob dies „nur“ VW betrifft und „nur“ für die USA gilt, so ist dies reichlich naiv. Die ICCT-Tests zeigen, dass dieser Betrug systematisch ist und viele (womöglich gar alle) Automobilhersteller betrifft. Würde die EU es mit der Umwelt und der Gesundheit der Menschen ernst nehmen, müssten die zuständigen Behörden nun sämtliche Diesel-Fahrzeuge (und womöglich auch sämtliche Benziner, denn dort wird auch betrogen) in einem unabhängigen Verfahren nach realistischen Bedingungen neu testen. Am Ende dieses Prozesses könnte dann jedoch ein Ergebnis stehen, dass für die Automobilbranche ein GAU wäre: Ein generelles Verkaufsverbot für fast alle aktuellen PKWs, da diese die gesetzlichen Abgasvorschriften nicht einhalten. Natürlich wird es nicht dazu kommen.

Vor allem die deutsche Bundeskanzlerin ist als heilige Angela der Autohersteller bekannt, die ihr schützendes Händchen seit jeher über die deutsche Automobilindustrie hält. Es ist daher kaum vorstellbar, dass dieser systematische Betrug von Seiten der Politik aufgedeckt wird. VW wird stattdessen als reuiger Büßer das Bauernopfer geben. Unter dem transatlantischen Handelsabkommen TTIP hätte VW wahrscheinlich ohnehin nichts zu befürchten, da die verschärften amerikanischen Abgasrichtlinien ja ein Markthemmnis für die europäische Automobilindustrie darstellen.

Delikat ist jedoch auch ein weiterer Aspekt dieser Groteske: Auch der CO2-Ausstoß wird durch die Manipulation am Teststand nach unten gedrückt. Oder glaubt irgendwer ernsthaft, dass ein über zwei Tonnen schwerer Porsche Cayene mit einem 4,1 Liter Turbodiesel-Motor und 385 PS „nur“ 209 Gramm CO2 pro Kilometer ausstößt? Dieser Wert hat jedoch nicht nur etwas mit der Umwelt und der Gesundheit zu tun. Seit 2003 orientiert sich auch die KfZ-Steuer am CO2-Ausstoß des jeweiligen Modells. Wenn die realen Werte nun aber deutlich über den manipulierten Messwerten liegen, dann entgehen dem Staat dadurch auch massiv Steuereinnahmen. Umweltverbände beziffern das Defizit durch Hersteller-Tricksereien auf über 200 Millionen Euro pro Jahr.

Doch damit nicht genug: Wenn die Messwerte manipuliert sind, dann hat dies auch Auswirkungen auf die 2008 verabschiedete EU-Verordnung, nach der die Automobilindustrie verpflichtet ist, den CO2-Ausstoß ihrer Flotte auf durchschnittlich 95 g/km zu senken. Diese Zahl wäre übrigens weitaus niedriger ausgefallen, hätte die „Klimakanzlerin“ nicht im Auftrag der deutschen Automobilindustrie interveniert. Doch was ist von solchen Zielen zu halten, wenn die Zahlen ohnehin von den Herstellern nach eigenem Belieben manipuliert werden? Der aktuelle Betrugsskandal bei VW ist nur die Spitze des Eisbergs und die Folgen könnten dramatisch ausfallen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass man nun versucht, die Sache unter den Teppich zu kehren und weiterbetrügt, als sei nichts gewesen. Alles andere wäre in diesem Land, in dem die Automobilindustrie die Gesetze diktiert, zumindest sehr überraschend.


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