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Titel: Ausschreibung für das Bertelsmann-Projekt „Soziale Marktwirtschaft / Leitbildentwicklung“ – interessant und aufschlussreich.

Datum: 4. Januar 2005 um 16:27 Uhr
Rubrik: Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Manipulation des Monats, Strategien der Meinungsmache
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Die Bertelsmann- Stiftung sucht einen Manager für ein Projekt „Soziale Marktwirtschaft/Leitbildentwicklung“. Der Text der Online-Ausschreibung verrät, worum es der angeblich am Gemeinwohl orientierten Stiftung in Wahrheit geht: Es geht ihr darum „Reformblockaden abzubauen“ und die „Reformbereitschaft der Bürger zu stärken“. Dazu soll nun in einem zweijährigen Projekt ein „gesellschaftliches Leitbild“ entwickelt und in der Gesellschaft „verbreitet“ werden. Komisch, dass gerade die Bertelsmann-Stiftung, die die „Agenda-Politik“ mitformuliert und angetrieben hat, für diese Reformen jetzt nachträglich ein „Leitbild“ sucht. Es ist ein weiterer Versuch, den Systemwechsel von oben voranzutreiben. Welche Legitimation hat eigentlich Bertelsmann, der Gesellschaft ein Leitbild aufzudrängen?

Klicken Sie mal » (dieser Link ist leider nicht mehr aktiv – 22.03.2006)

In dieser Stellenausschreibung finden sie exemplarisch belegt, wofür einen etwa einer der Hüter der neoliberalen Orthodoxie und Leiter der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung, Nikolaus Piper, als „Verschwörungstheoretiker“ beschimpfen würde. (So z.B. geschehen in einer Rezension von Albrecht Müllers „Reformlüge“ in der SZ zum Jahreswechsel.)

Wir finden am Anfang des Ausschreibungstextes den Allerweltssatz aller Systemveränderer – von der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ bis zum „Bürgerkonvent“: „Sich stets verändernde gesellschaftliche und gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen erfordern neue wirtschafts- und gesellschaftspolitische Konzepte“. Die „gedankliche Obsession“ (Albrecht Müller) der Apologeten des Veränderungskults hat schon Georg Christoph Lichtenberg im 18. Jahrhundert mit seinem bekannten Aphorismus auf den Punkt gebracht: „Es ist nicht gesagt, dass es besser wird, wenn es anders wird, wenn es aber besser werden soll, muss es anders werden.”

Man fragt nicht mehr, welche Rahmenbedingungen sich verändert haben und mit welchen Reformen man darauf konkret reagieren sollte, sondern man suggeriert einen Zwang zu ganz „neuen“ Konzepten. Wie die „neuen“ Konzepte von Bertelsmann aussehen, weiß man ja inzwischen ziemlich genau: Autoritärer Führungsstil, Privatisierung der Politik, Eigeninitiative statt Sozialstaat, Wettbewerb statt politischer (demokratischer) Gestaltung, betriebswirtschaftliche Effizienz in allen Lebensbereichen – die ganze Nomenklatur der „Agenda-Politik“ eben.

Keiner hat die Bertelsmann-Stiftung dazu beauftragt, sie hat keinerlei demokratisches Mandat, ein solches Leitbild für die Gesellschaft zu entwickeln, sie folgt einzig der Mission ihres Stifters Reinhard Mohn: „Was gut ist für Bertelsmann, ist gut für die gesamte Republik.“ (Böckelmann, F./Fischler H., Bertelsmann, Frankfurt 2004, S. 225)

Weil aber die Republik eine solche Systemänderung nicht so gerne mitmachen will, gilt es eben die„Reformblockaden abzubauen“ und die (angeblich) „grundsätzlich vorhandene Reformbereitschaft der Bürger zu stärken“.

Erst am Widerstand der Bevölkerung hat man also bemerkt, dass für es für die „neuen“ Konzepte der Überzeugungsarbeit bedarf. Und dafür suchen die Bertelsmänner nun ein neues „gesellschaftliches Leitbildes“. Die „Leitbildentwicklung“ soll in einem auf zwei Jahre angelegten Projekt in Expertenrunden und auf Konferenzen vorangetrieben werden und durch „Publikationen, Öffentlichkeitsarbeit und die Koordination mit verschiedensten Akteuren“ „in eine breite gesellschaftliche Debatte“ getragen werden.

Dass bei diesem „Projekt“ Voraussetzung und Folge verwechselt worden sind und die Logik auf den Kopf gestellt wird, merken die „Impulsgeber und Wegbereiter“ für „nachhaltige Reformen“ bei Bertelsmann gar nicht mehr: Eigentlich sollte man von Reformern erwarten, dass sie einem gesellschaftlichen Leitbild folgen und dass sich ihre Reformvorschläge an diesem Leitbild ausrichten und dass sie die Umsetzung der Reformen daran messen. Die heutigen „Reformer“ entwickeln offenbar zuerst einmal „kreative Problemlösungen“ und „innovative Reformansätze“ und malen erst danach das dazu passende Leitbild so aus, dass sie erhoffen, mit diesem Trugbild die Blockaden der von den vorausgegangenen Problemlösungen und Reformansätzen schon Betroffenen, abbauen zu können.

Markus Grill nannte diese Vorgehensweise im Stern (vom 17.12.2003) den Versuch einer „Revolution von oben“. (Siehe Nachdenkseiten, Andere interessante Beiträge vom Februar 2004)

Geld für diese gesellschaftliche Umerziehungsaktion ist bei der Bertelsmann-Stiftung) genug vorhanden. Bis 2002 wendete sie mehr als 250 Millionen Euro auf und allein im Jahr 2002 waren es rund 70 Millionen. (Böckelmann/Fischler ebd. S.216) Ob das viele Geld reicht, die Bevölkerung so zu verschaukeln, dass sie das eher leidliche Bild, das die bisherigen Reformvorschläge der Bertelsmann-Stiftung hinterlassen haben, als neues Lei(d)tbild annehmen werden, wird sich zeigen. Das wird vor allem davon abhängen, ob es gelingt den Deckmantel der Wissenschaftlichkeit und gesellschaftspolitischen Neutralität zu lüften.


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