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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 27. November 2015 um 8:57 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Deutschlands Militäreinsatz gegen den IS
  2. Geopolitische Interessen hinter dem Konflikt zwischen Russland und Türkei
  3. EU-Beistandsklausel: Wie Terror zum Krieg wird
  4. Der Deutsche Terror
  5. Einkommen driften wieder auseinander, soziale Mobilität gesunken
  6. DGB: Fachkräfte versauern in Minijobs
  7. Deutschland, hör auf zu träumen!
  8. Nullzinsen sind schlecht – oder nicht…
  9. Kinder der Krise
  10. Luxleaks-Ausschuss: Grüne werfen Schulz Vertrauensbruch vor
  11. TTIP talks: EU alleged to have given ExxonMobil access to confidential papers
  12. Unions-Lobbyisten gerichtlich enttarnt
  13. Ukraine
  14. Unschuldiger Ex-Guantanamo Häftling fordert Widerstand gegen Zustand der Angst
  15. Giftiger Klärschlamm verseucht Fluss in Brasilien
  16. Nach rechts: Kleinbürgertum in Abstiegsangst

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Deutschlands Militäreinsatz gegen den IS
    Gestern versprach die Kanzlerin beim Treffen mit Hollande: “Wenn der französische Präsident mich bittet, darüber nachzudenken, was wir mehr tun können, dann ist das Aufgabe für uns, darüber nachzudenken”. Dem fügte Merkel den Grundsatz hinzu: „Der Islamische Staat muss mit militärischen Mitteln bekämpft werden.“
    Heute kamen erste konkrete Ergebnisse des Nachdenkens an die Öffentlichkeit. Deutschland wird sich am Krieg in Syrien beteiligen. Der Militäreinsatz soll aus sechs Recce-Tornados (Recce steht für Reconnaissance, Aufklärung), einer Fregatte (“Hamburg”) im Mittelmeer und der Bereitstellung eines Luftbetankungs-Airbus bestehen.
    Quelle: Telepolis

    Dazu: Keinen deutschen Militäreinsatz in Syrien
    „Ein Einsatz der Bundeswehr in Syrien ist derzeit völkerrechtlich ausgeschlossen und wäre diplomatisch katastrophal“, so Wolfgang Gehrcke, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE, zum Angebot Angela Merkels an den französischen Präsidenten Hollande, dass Deutschland sich am Krieg gegen den IS in Syrien und Irak direkt beteiligen könnte. „Das offensichtliche Angebot der Bundeskanzlerin, deutsche RECCE-Tornados über Syrien einzusetzen, erfolgt ohne Beschluss der Vereinten Nationen und ohne jede Rücksprache mit der syrischen Regierung. Der Bundestag soll im Nachhinein informiert werden. DIE LINKE lehnt ein solches Vorgehen strikt ab.“ Gehrcke weiter:
    „Die Afghanistan-Fehler werden erneut begangen. 15 Jahre Krieg gegen den Terror in Afghanistan haben den Terror nur noch stärker gemacht. Das spricht gegen einen deutschen Militäreinsatz in Syrien – in der Luft wie auch am Boden. Auch dann, wenn die völkerrechtlichen Bedenken ausgeräumt werden könnten, was derzeit nicht der Fall ist. Darüber hinaus ist kaum vorstellbar, dass Kanzlerin Merkel die syrische Regierung um Genehmigung für den Einsatz deutscher Militärflugzeuge in Syrien im Kampf gegen den IS anfragt. Wenn die völkerrechtlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, würde auch jeder Bundeswehrsoldat, der einem Befehl für einen Syrieneinsatz nachkommt, rechtswidrig handeln und müsste den Dienst verweigern.
    Quelle: Linksfraktion

  2. Geopolitische Interessen hinter dem Konflikt zwischen Russland und Türkei
    Bei dem Konflikt zwischen Russland und der Türkei geht es nicht nur um die Unterstützung verschiedener bewaffneter Gruppen, sondern auch um geopolitische Interessen. Der Abschuss des russischen Kampfflugzeugs erfolgte über einem Gebiet, das für die vom Westen, von der Türkei und den Golfstaaten unterstützten gemäßigten oder islamistischen Gruppen eine hohe strategische Bedeutung hat – und damit auch für die von Russland unterstützte syrische Regierung.
    Die Türkei bekämpft ebenso wie Russland kaum den Islamischen Staat, dafür aber die PKK und bezeichnet auch die syrischen Kurden der YPG als Terroristen. Unterstützt und mit Waffen versorgt, die teils von der CIA stammen, werden bewaffnete Gruppen, die gegen die syrische Armee kämpfen, darunter eben auch Turkmenen, die von der türkischen Regierung als “Brüder” und “Verwandte” betrachtet werden und die südlich der türkischen Provinz Hatai leben, von wo aus sie aus der Türkei versorgt werden können. Ansonsten gibt es nur noch einen Korridor an der türkisch-syrischen Grenze zwischen dem von den Kurden kontrollierten Afrin und den vom Islamischen Staat kontrollierten Gebieten der Provinz Aleppo. Für die Türkei ist wichtig, verbündete syrische Gruppen zu haben, um bei einer Lösung des Syrien-Konflikts mit am Tisch zu sitzen. Und um die Kontrolle über dieses Gebiet zu erlangen, fordert die türkische Regierung exakt dort die Einrichtung einer Flugverbotszone. Während die Grenze zu den kurdischen Gebieten von der Türkei kontrolliert wird, ist sie gegenüber den Gebieten, die vom IS und den übrigen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, offen.
    Quelle: Telepolis

    dazu: Politisch motiviert
    Nach harten verbalen Ausfällen und mehreren kleineren Zwischenfällen in den vergangenen Monaten war es am 24. November so weit: Das türkische Militär schoss im Grenzgebiet ein russisches Kampfflugzeug vom Typ Suchoi Su-24 ab. Der Vorfall markiert einen weiteren Schritt zur Eskalation des Krieges in Syrien, diesmal allerdings mit unvorhersehbaren regionalen und globalen Konsequenzen.
    Im schlimmsten Fall hätte sich die russische Regierung unversöhnlich zeigen und Vergeltung üben können. Dann wäre der Bündnisfall nach Artikel 5 des Washingtoner Vertrags eingetreten und kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Nato hätten beginnen können. Da Moskau wohl am wenigsten Interesse an dieser Variante haben konnte, blieb man im Kreml verhältnismäßig besonnen. Dennoch wird der Abschuss der Su-24 nachhaltige Auswirkungen auf die russisch-türkischen Beziehungen haben: Auf wirtschaftlichem wie politischem Terrain.
    Die Frage, die sich bei einem so schwerwiegenden Vorfall also stellt, ist: Was führte zu dem Abschuss? War er ein Versehen? Und wenn nicht, welche Motivation hat die türkische Regierung angetrieben, einen militärischen Akt mit derartig weitreichenden Folgen zu autorisieren? Warum ist man in Ankara gewillt, die Brücken zu einem „Partner“, mit dem einen vielfältige Kooperationen verbinden, so abrupt abzubrechen?
    Quelle: Hintergrund

  3. EU-Beistandsklausel: Wie Terror zum Krieg wird
    Als eine der wichtigsten Reaktionen auf die Pariser Terroranschläge kündigte Frankreich am 16. November 2015 zum ersten Mal überhaupt die Aktivierung der sogenannten „Beistandsklausel“ nach Artikel 42, Absatz 7 des EU-Vertrages (EUV) an, der am Folgetag alle EU-Mitgliedsstaaten zustimmten. An diesem Vorgang sind besonders zwei Aspekte hochproblematisch: Einmal schließen sich damit auch die anderen Mitgliedsländer faktisch der zu Recht hochgradig umstrittenen Sichtweise Frankreichs an, bei den Anschlägen habe es sich um Kriegsakte gehandelt, da hierüber das – primär militärische – „Reaktionsspektrum“ legitimiert wird. Und zweitens wird hieraus nicht zuletzt in Deutschland eine regelrechte Verpflichtung abgeleitet, Frankreich militärisch beispringen zu müssen – und zwar auch in Einsätzen, die kaum erkennbarem Zusammenhang zu den Anschlägen stehen. Doch obschon es richtig ist, dass die Beistandsklausel Formulierungen enthält, die verbindlicher sind als Artikel 5 des NATO-Vertrages, verbleibt es in der freien Entscheidungsgewalt jedes Mitgliedslandes, wann, in welcher Form und in welchem Umfang Frankreich von ihm Unterstützung erfährt. Eine wie auch immer geartete Pflicht, sich militärische stärker zu engagieren, wie sie gerade in Deutschland heraufbeschworen wird, lässt sich jedenfalls nicht zwingend aus der Beistandsklausel ableiten. Mehr noch: Der Verweis auf ihre Aktivierung scheint derzeit sogar teils dazu genutzt zu werden, ohnehin bereits länger beschlossenen Militäreinsätzen ein neues Begründungs- und Legitimierungsmuster zu verleihen.
    Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI)
  4. Der Deutsche Terror
    Rundherum wächst nach den Anschlägen in Paris die Terror-Hysterie. Schon wird der Einsatz der Bundeswehr in Syrien erwogen. Angeblich, um Deutschland vor dem Terror zu schützen. Anderswo wächst Moos über den Terror. Gezählte 416 Anschläge auf Flüchtlinge gab es bis zum Oktober dieses Jahres in Deutschland. Brandanschläge, Schüsse, Molotow Cocktails, Attentate aller Art. Der Staat hat zwar ein Gewaltmonopol, übt es aber nur sehr selektiv aus. Trügen die Anschläge das Etikett “Islam” hätte der Polizeiapparat längst die Backen aufgeblasen, wäre die Bundeswehr im Gerede zum Schutz der Asylbewerber-Heime. Doch das einschlägig bekannte Bundesamt für Verfassungsschutz befürchtet nur, „dass ein neuer organisierter Rechtsterrorismus entstehen könnte“. Befürchtet. Könnte. Zur Absage eines Fußballspieles in Hannover und seinen Hintergründen weiß Innenminister de Maizière zu sagen: “Ein Teil der Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.” Rund um den rechten Terror, in den NSU-Anschlägen gebündelt, tragen bereits die Fragen das Grauen in sich. Jüngste Horror-Meldung: Akten der rassistischen Terror-Gruppe Ku-Klux-Klan in Baden-Württemberg sucht der dortige Verfassungsschutz noch immer. Seit geraumer Zeit vom Landtag angefordert, sind sie bis heute nicht geliefert worden.
    Quelle: RationalGalerie
  5. Einkommen driften wieder auseinander, soziale Mobilität gesunken
    Der wirtschaftliche Aufschwung seit der Finanzmarktkrise ist bislang nur bei einem Teil der Menschen in Deutschland angekommen. Seine Wirkungen sind ungleich verteilt und haben die wirtschaftliche Polarisierung der 2000er Jahre längst noch nicht ausgeglichen. Das ist besonders problematisch, weil die Aufstiegschancen ärmerer Haushalte über die vergangenen drei Jahrzehnte gesunken sind, für die Mittelschicht ist das Risiko gewachsen, finanziell abzusteigen. Zentrale Kennzahlen zeigen: Die Spreizung der Einkommen hat nach den neuesten vorliegenden Daten nach einem leichten Rückgang während der Finanzmarktkrise sogar wieder zugenommen und liegt nahe beim bisher gemessenen Höchstwert. Auch war der Anteil der Arbeitnehmereinkommen am Volkseinkommen 2014 zwar höher als unmittelbar vor der Finanzkrise, er liegt aber weiterhin unter der Quote zur Jahrtausendwende. Die Armutsquote verharrt auf relativ hohem Niveau.
    Quelle: WSI-Report Nr. 26, November 2015 [PDF]

    Dazu: Mittelschicht droht der Abstieg
    Einkommensschwache Haushalte haben immer weniger Chancen aufzusteigen. Auch Wohlhabenden droht zunehmend der Abstieg. Das ergibt eine Umfrage unter 20 000 Menschen zu ihrer Lebenssituation.
    Die Aufstiegschancen einkommensschwacher Haushalte sind gesunken und für die Mittelschicht wächst das Risiko, finanziell abzusteigen. Das geht aus dem neuen Verteilungsbericht des Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hervor (PDF). Zunehmend gelte die Regel “einmal reich – immer reich, einmal arm – immer arm”, sagte die Autorin der Studie, Dorothee Spannagel.
    Quelle: Süddeutsche

    Anmerkung C.R.: Vermutlich werden Kanzlerin Merkel und ihre schwarz-rote Bundesregierung jedoch weiterhin glauben, Deutschland gehe es gut und keine Kursänderung für mehr Verteilungsgerechtigkeit vornehmen.

  6. DGB: Fachkräfte versauern in Minijobs
    Die Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern und im übrigen Norden lassen offenbar die Fähigkeiten von sogenannten Minijobbern ungenutzt. Denn viele der geringfügig Beschäftigten zwischen Emden und Anklam haben eine Berufsausbildung oder einen akademischen Abschluss. Zu diesem Ergebnis kommt der DGB-Nord in einer Studie für Norddeutschland, die NDR 1 Radio MV vorliegt. Diese beleuchtet vor allem die Situation von Arbeitnehmern, die ausschließlich als Minijobber beschäftigt sind und nicht neben einer Hauptbeschäftigung dazuverdienen.
    “Bei den Minijobbern liegen Riesen-Potenziale brach”, sagt der Chef des DGB-Nord, Uwe Polkaehn. Allein in Niedersachsen hätten von den knapp 520.000 Menschen, die ausschließlich in einem Minijob arbeiten, immerhin 203.000 einen Berufsabschluss, gut 23.000 sind der DGB-Analyse zufolge Akademiker. Besonders drastisch sei die Lage in Hotels und Gaststätten. In der niedersächsischen Bewirtungs- und Beherbungsbranche sei fast ein Drittel der rund 63.000 Minijobber beruflich qualifiziert. Ähnlich sieht es in den Ländern Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern aus. In der Gastronomie im Nordosten hat demnach fast die Hälfte der rund 6.500 Minijobber Berufsabschlüsse – fast die gleichen Zahlen hat der DGB für Schleswig-Holstein ermittelt.
    Quelle: NDR
  7. Deutschland, hör auf zu träumen!
    Deutschland träumt. Es träumt von einer Welt, in der alle Menschen und alle Institutionen solide wirtschaften und genau mit dem Einkommen auskommen, das sie haben. Vor allem der Staat, der schon hohe Schuldenberge angehäuft hat, soll sich bescheiden und strikt nach dem Motto leben: Nur das, was über Steuern und Abgaben in die Kasse fließt, soll auch wieder ausgegeben werden. Das ist ein schöner Traum. Leider ist es für andere ein Albtraum.
    Was der Träumer von der heilen Welt ohne Schulden vergisst, ist die einfache Tatsache, dass das Auskommen mit dem eigenen Einkommen für die meisten Menschen heißt, dass sie weniger ausgeben, als sie einnehmen, sie sparen. In Deutschland sparen per Saldo alle: Die privaten Haushalte sowieso, die Unternehmen sind Sparer und auch der Staat hat es mit der schwarzen Null geschafft, vom Dauerschuldner zum Sparer zu werden. Ersparnisse aber, die auf der Bank liegen, sind nicht nur unrentabel, weil heutzutage der Zins nahe Null ist, sie haben auch bei ihrer Entstehung schon einen Geburtsfehler gehabt. Sie haben dem Wirtschaftskreislauf Mittel entzogen, die eigentlich gebraucht worden wären, um Einkommen und Gewinne zu generieren. Anders gesagt, wenn die Ersparnisse nicht von der Bank wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückgeschleust werden, sind sie in höchstem Maße schädlich.
    Quelle: Heiner Flassbeck auf Zeit Online
  8. Nullzinsen sind schlecht – oder nicht…
    Es ist schon ein bisschen irre, was hierzulande die Hitliste der ökonomischen Spät-Weisheiten zur Euro-Krise bestimmt. Weisheit eins: die Niedrig- und Nullzinsen der Euro-Zentralbank sind die Pest, also, setzen völlig falsche Anreize, animieren dazu, sozusagen umsonst Kredite aufzunehmen – und verlängern damit die ganze miese Krise. So hat es kürzlich der ordnungspolitische Zentralbankflüchtling Jürgen Stark geklagt (der ja wegen dieser furchtbaren Politik bei der EZB zurückgetreten ist). Um im gleichen Auftritt zwanzig Minuten später zu lobpreisen, wie – aktueller Eurokrisen-Weisheits-Hit Nummer zwei – die Spanier, die Portugiesen und die Iren doch gerade zeigten, dass man mit Austerität wieder zu Wachstum gelangt und die Krise beendet.
    Sagen wir es so. Es ist zumindest nicht ganz sicher, ob Herr Stark damit einen Preis für analytische Stringenz und bezwingende Logik bekommt. Geht ja schlecht beides zusammen. Also: entweder jene Niedrigzinsen, die Spanier, Portugiesen und Iren ja – wie alle anderen – von der EZB geschenkt bekommen haben, verleiten zu Schulden und führen damit erklärtermaßen zu neuem Kriseln. Dann dürften die drei Völker jetzt nach Religion der Starks und Schäubles aber gar kein Wachstum haben und keine Vorbilder sein; es wäre zumindest erklärungsbedürftig, warum sie trotz der völlig falschen Anreize erfolgreich sind. Oder sie sind gar nicht erfolgreich und taugen auch nicht als Erfolgsbeispiele. Dann fragt sich, warum die trotzdem Wachstum haben.
    Quelle: Thomas Fricke
  9. Kinder der Krise
    Es ist Dienstag, kurz nach drei, als María Ramón in die Calle San Augustín hinaustritt, in einen spätsommerlichen Nachmittag, einen wie so viele an der Südspitze Spaniens: Die Sonne scheint ihr metallenes Licht, Menschen sitzen im Schatten, Touristen und Rentner vor allem. Die meisten Geschäfte machen erst wieder gegen sechs Uhr auf. Laue Ruhe. María aber ist angespannt. Das ist ihr anzusehen, zugeben würde sie es nicht.
    María ist 27 Jahre alt, selbstbewusst. Ihre rotblonden Haare sind glattgekämmt, sie trägt eine Seidenbluse, eine roséfarbene Hose und hochhackige Schuhe, nicht ganz einfach auf dem groben Pflaster der Altstadt von Jerez de la Frontera. Unterhalb der Kathedrale setzt sich María in einen kleinen Park. Um vier Uhr hat sie ein Bewerbungsgespräch, das im Vier-Sterne-Hotel „Bellas Artes“ gegenüber stattfinden soll. Es ist das erste seit sechs Monaten.
    Nirgendwo in der Europäischen Union ist die Arbeitslosigkeit höher als in Andalusien. Jeder Dritte ist betroffen. Und in Jerez de la Frontera, der fünftgrößten Stadt der Region, sind es sogar fast 40 Prozent. 32.992 Menschen suchen Arbeit. Viele von ihnen sind Jugendliche und junge Erwachsene.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Das sind also die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Konservativen, der vielbeschworene Aufschwung.

  10. Luxleaks-Ausschuss: Grüne werfen Schulz Vertrauensbruch vor
    Nach der Luxleaks-Affäre um Steuervorteile für Konzerne in Luxemburg hat das EU-Parlament ein härteres Durchgreifen gegen Steuervermeidung gefordert. Die Abgeordneten verlangen eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer und mehr Transparenz bei den bisher geheimen Vereinbarungen zwischen EU-Ländern und multinationalen Unternehmen. Das sind die zentralen Forderungen des Berichts des “Taxe”-Sonderausschusses zur Luxleaks-Affäre, der am Mittwoch in Straßburg verabschiedet wurde. Die Vorschläge des Parlaments sind allerdings nicht rechtsverbindlich. […]
    Nach Angaben der portugiesischen Sozialistin Elisa Ferreira, die den Abschlussbericht gemeinsam mit dem FDP-Abgeordneten Michael Theurer (FDP) erarbeitet hat, zahlen die meisten multinationalen Konzerne in der EU heute weniger als fünf Prozent Steuern auf ihre Gewinne. Dies gelte selbst in Ländern, wo der normale Steuersatz bei 30 Prozent liege. Als Negativbeispiel nannte Theurer den US-Medienkonzern Disney, der 2014 bei einem Milliardengewinn seine Steuerlast auf 0,3 Prozent reduziert habe.
    Allerdings lässt der “Taxe”-Bericht entscheidende Fragen offen. Unbeantwortet bleibt etwa, wer die politische Verantwortung für die Missstände trägt. Hier waren vor allem EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der niederländische Finanzminister und Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem ins Zwielicht geraten.
    Quelle: Spiegel Online
  11. TTIP talks: EU alleged to have given ExxonMobil access to confidential papers
    The EU appears to have given the US oil company ExxonMobil access to confidential negotiating strategies considered too sensitive to be released to the European public during its negotiations with the US on the trade agreement TTIP, documents reveal.
    Officials also asked one oil refinery association for “concrete input” on the text of an energy chapter for the negotiations, as part of the EU’s bid to write unfettered imports of US crude oil and gas into the trade deal.
    Quelle: The Guardian
  12. Unions-Lobbyisten gerichtlich enttarnt
    Und sie bewegt sich doch: Die Transparenzblockade der Union gerät ins Wanken. Bis zuletzt weigerte sie sich als einzige Bundestagsfraktion, die rund 700 Lobbyisten zu nennen, denen sie Hausausweise für den Bundestag verschafft hat. Doch am vergangenen Freitag gab das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einer Eilklage des Tagesspiegel auf Herausgabe der Ausweisliste statt. […]
    Auch am Montag nach dem Urteil wollten CDU/CSU ihre Liste nicht herausrücken und verwiesen auf die Bundestagsverwaltung. Begründung: Die Fraktion selbst sei vom Gericht zu nichts verpflichtet worden. Möglicherweise möchte die Fraktionsführung nach der juristischen Niederlage so „Gesicht wahren“. Doch bei der eigenen Wählerschaft dürfte das nicht gut ankommen: Bei einer repräsentativen Emnid-Umfrage, die vor dem Urteil durchgeführt wurde, sprachen sich 77 % der Unionsanhänger dafür aus, dass CDU/CSU ihre Ausweisliste veröffentlichen. 74 % der Unionsanhänger und 78 % der Gesamtbevölkerung sind außerdem dafür, endlich das Lobbyregister einzuführen.
    Damit ist die Unionsfraktion umzingelt: Lobbykritiker/innen, Richter/innen, Lobbyverbände, die anderen Parteien und die eigene Wählerschaft wollen das Register. Der Unionsführung muss jetzt klar werden, dass sie mit ihrer Blockadehaltung einen immensen Vertrauensverlust riskiert.
    Quelle: LobbyControl
  13. Ukraine
    1. Die Belagerung der Krim
      Begleitet von Unmutsbekundungen aus Berlin eskaliert nach dem Stopp der ukrainischen Stromversorgung für die Krim der Konflikt zwischen Kiew und Moskau erneut. Ende vergangener Woche hatten mutmaßlich Krimtataren gemeinsam mit Mitgliedern des faschistischen Rechten Sektors mehrere Strommasten gesprengt und damit die Stromversorgung der Krim, die zu rund 80 Prozent von der Ukraine gewährleistet wurde, gekappt. Die von Berlin protegierte ukrainische Regierung sieht sich nicht imstande, die Stomleitungen zu reparieren, und verhängt ergänzend eine Handelsblockade gegen die Halbinsel. Sie folgt damit dem Vorbild der Embargopolitik, die EU und USA im Sommer 2014 mit ersten Wirtschaftssanktionen gegen die Krim in Gang setzten und die Kiew mit einem Wasserembargo und Verkehrsblockaden seit mehr als einem Jahr immer weiter zugespitzt hat. Beobachter warnen, damit werde die Ukraine die letzten Sympathien verspielen, die sie auf der Halbinsel noch besitze; Vergleichbares sei seit dem georgisch-russischen Krieg von 2008 in den georgischen Sezessionsgebieten Abchasien und Süd-Ossetien zu beobachten gewesen. Die Bundesregierung hat zu Wochenbeginn in Kiew darauf gedrungen, die Stromversorgung der Krim instand zu setzen, um eine erneute, aus deutscher Sicht als nachteilig eingestufte Eskalation des russisch-ukrainischen Konflikts zu verhindern. Ohne Erfolg: Am gestrigen Mittwoch ist die Eskalation eingetreten.
      Quelle: German Foreign Policy
    2. Manöver mit Nato-Soldaten in der Westukraine ohne Ende
      Seit dem Machtwechsel in Kiew 2013 hat die Zahl der Manöver in der Ukraine mit Beteiligung von Nato-Soldaten rasant zugenommen. Die USA lieferten zwei mobile Radargeräte für die ukrainische Armee. (…)
      Am Montag wurde auf dem Jaworowski-Truppenübungsplatz, im äußersten Westen der Ukraine, feierlich ein neues Manöver eröffnet. Bei dem Manöver, das nach Mitteilung des ukrainischen Verteidigungsministeriums “bis 2017” andauern soll, werden fünf ukrainische Bataillone gemeinsam mit Soldaten aus Nato-Staaten trainieren.
      Gäste der Eröffnungszeremonie waren der Kommandeur der US-Landstreitkräfte in Europa, Frederick Ben Hodges, der Kommandeur für gemeinsame Operationen der Streitkräfte Kanadas, Admiral Peter Ellis, sowie die Botschafter der USA, Kanadas und Litauens, Geoffrey Pyatt, Roman Vashchuk und Marius Janukonis.
      Quelle: Telepolis
  14. Unschuldiger Ex-Guantanamo Häftling fordert Widerstand gegen Zustand der Angst
    Moazzam Begg wurde während des „Kriegs gegen den Terror“ in Afghanistan gefangen genommen, gefoltert und in Guantanamo inhaftiert. Nun hat er ein leidenschaftliches Statement gegen den Terror veröffentlicht, aber auch gegen die Kriege des Westens, die den Terror befördern und die Kultur der Angst, die durch beides entsteht.
    „Einmal mehr wird Muslim_innen die Schuld für Taten zugeschoben, die wir ablehnen. Es ist so, als müssten wir uns ständig von etwas, mit dem wir nicht einverstanden sind, distanzieren – begangen von Leuten, die wir nie getroffen haben. Diese Selbstzensur, die uns auferlegt wird, verbietet uns über die Ursachen zu reden, warum der „Islamische Staat“ (IS) zu einer tödlichen Gefahr geworden ist.
    Quelle: Die Freiheitsliebe
  15. Giftiger Klärschlamm verseucht Fluss in Brasilien
    Der Tod kam aus der Eisenerzmine Samarco unweit der Bergbaustadt Mariana. Vor zwei Wochen brachen dort zwei Staudämme von Rückhaltebecken voller Abraum und Abwässer aus der Mine. Ungefähr 62 Millionen Kubikmeter eines toxischen Gemisches aus Arsen, Aluminium, Blei, Kupfer und Quecksilber ergossen sich in die Landschaft; die Nachrichtenagentur Reuters hat errechnet, dass dies der Füllmenge von 25 000 Olympia-Schwimmbecken entspricht.
    Die Fluten lösten eine Schlammlawine aus, die das Bergdorf Bento Rodrigues binnen weniger Minuten unter sich begrub. Nach offiziellen Angaben starben mindestens elf Menschen, ebenso viele werden noch vermisst. Betroffene berichten von bis zu 40 Toten.
    Das war der erste Teil der Tragödie. Der zweite Teil ist eine Umweltkatastrophe, wie sie Brasilien selten erlebt hat, vielleicht sogar noch nie. Der Dreck hat sich über Täler und Zuflüsse in den Rio Doce geschoben, und der verteilte ihn im Südosten des Landes. Der Rio Doce (“Süßer Fluss”) ist von seiner Quelle in den Mittelgebirgen von Minas Gerais bis zur Atlantikmündung im Bundestaat Espirito Santo 853 Kilometer lang, davon sind nun 666 Kilometer zerstört, verseucht, vergiftet.
    Quelle: Süddeutsche
  16. Nach rechts: Kleinbürgertum in Abstiegsangst
    Vor ein paar Tagen sorgte eine Schlagzeile für Aufsehen: Die Rechtspartei AfD wurde in einer Umfrage als drittstärkste Kraft ausgewiesen. Die Kritik daran folgte umgehend: Das Institut, das die Daten erhoben hatte, wurde als AfD-nah charakterisiert, es wurden methodische Zweifel an den Zahlen laut. Ist also alles doch nicht so schlimm mit der Partei? […]
    Wenn man es etwas grob formulieren will: Zur AfD strebt eine von sozialem Verlust sich bedroht fühlende Mittelschicht, die aggressiv gegen Migranten und Flüchtlinge Front macht. Ein absteigendes Kleinbürgertum, das von der Regierung gar nichts hält – aber genauso wenig von Arbeitskämpfen, da ist man sich mit dem Klientel der Großen Koalition einig. Es gibt gute Gründe, dieses Potenzial nicht durch Überbetonung von Umfragen »hochzuschreiben«, an denen Zweifel berechtigt sind. Aber das Problem sind nicht die Umfragen.
    Karl Marx hat einmal geschrieben, in Deutschland bilde das »Kleinbürgertum die eigentliche Grundlage der bestehenden Zustände«. Man muss das als sehr aktuelle Warnung verstehen. Anders formuliert: Es ist nicht so wichtig, wie die AfD gerade in Umfragen dasteht, wenn sie – weil von CSU bis SPD dafür viel getan wird – die Agenda diktieren kann.
    Quelle: Tom Strohschneider, Neues Deutschland


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