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Titel: Besprechung des Buches von Albrecht von Lucke über „Die schwarze Republik und das Versagen der deutschen Linken“

Datum: 27. Januar 2016 um 10:59 Uhr
Rubrik: DIE LINKE, Rezensionen, SPD
Verantwortlich:

Udo Brandes hat das Buch rezensiert. Weil ich von Albrecht von Lucke und seiner Arbeit als Redakteur der „Blätter“ viel hielt, aber mich gelegentlich über neuere Einlassungen des Journalisten wunderte, war ich gespannt auf die Beschreibung und Bewertung des Rezensenten Brandes. Hier ist sie, und am Ende noch eine Nachbemerkung von mir. Albrecht Müller.

Hat die Linke versagt?

Albrecht von Luckes neues Buch und die Zwänge der Mainstreamjournalisten

Eine Rezension von Udo Brandes

„Die schwarze Republik und das Versagen der deutschen Linken“, das ist der Titel des neuesten Buches von Albrecht von Lucke. Der Autor ist Redakteur der monatlich erscheinenden „Blätter für deutsche und internationale Politik“, die den Ruf haben, eine linke Publikation zu sein. Mich hat das Buch neugierig gemacht, weil auch mich die Frage beschäftigt, wie man für linke Politik Mehrheiten zustande bringen kann. Tatsächlich findet man bei Albrecht von Lucke einige treffende Analysen, Einsichten und Erkenntnisse. Trotzdem hat mich das Buch enttäuscht. Denn das ganze Buch wird dominiert von Luckes tiefen Ressentiments gegen die Linkspartei, Sahra Wagenknecht und insbesondere Oskar Lafontaine. An Letzterem arbeitet sich Lucke regelrecht ab.

Lucke ist der Ansicht, dass die deutsche Linke (darunter versteht er neben der Linkspartei die SPD und die Grünen) versagt hat, weil sie es nicht geschafft hat, die rechnerisch vorhandene Mehrheit auf Bundesebene zu nutzen, um linke Politik durchzusetzen.

„Es ist das Versagen einer Linken, die zu einer eigenen Regierungsalternative nicht willens ist. (….) SPD, Grüne und Linkspartei verweigerten jede Zusammenarbeit. Im Ergebnis fehlten sowohl der politische Wille als auch die erforderlichen inhaltlichen Gemeinsamkeiten.“ (S. 8).

Angela Merkels Macht beruhe auf dieser Schwäche der deutschen Linken:

„Die Kanzlerin bezieht ihre Macht nicht primär aus eigener Stärke, sondern aus der geschichtlich beispiellosen Schwäche der deutschen Linken, die auf Bundesebene ohne jede strategische Option auf die Kanzlerschaft ist.“ (S. 9).

Und dies angesichts der Tatsache, dass die Bevölkerung linker Politik gegenüber durchaus offen sei:

„In weiten Teilen der Bevölkerung herrscht heute Zustimmung zu zentralen Punkten linker Politik: angefangen beim Mindestlohn über den Wunsch nach stärkerer Absicherung im Alter bis hin zur Kritik am globalen Freihandel unter dem Schlagwort TTIP. Das politische Scheitern der Linken ist somit nicht darauf zurückzuführen, dass ihre Themen ausgedient hätten, im Gegenteil: Linke Antworten auf die multiple Krise der Gegenwart sind heute stärker gefragt denn je. Von einer Krise linken Denkens kann denn auch keine Rede sein, intellektuelle Kapitalismuskritik hat durchaus Konjunktur – von Naomi Klein über Thomas Piketty bis zu Wolfgang Streek.“ (S. 17-18).

Lucke sieht in Schröder und Lafontaine die Hauptverantwortlichen

Dieses Versagen der Linken sei im Wesentlichen auf zwei Personen zurückzuführen, nämlich Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine.

„Der Fisch stinkt vom Kopf. Die zentrale Rolle beim Versagen der Linken, dem Scheitern an der gebotenen Solidarität, spielten die beiden Protagonisten und stärksten, da machtbewusstesten Figuren ihrer Generation: Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine.“ (S. 19)

In einem eigens der SPD gewidmeten Kapitel beschreibt Lucke treffend, warum die ehemals mächtige Volkspartei auf Bundesebene zu einer 20% bis 25%-Partei abgestiegen ist:

„Bis heute steckt die Partei, ideell und konzeptionell, in einer tiefen Krise. In der Ära Schröder hat die SPD ihren roten Faden verloren. Gegründet zur Ermöglichung des gesellschaftlichen Aufstiegs (anfangs noch durch Klassenkampf), wurde die SPD zur Partei des sozialen Abstiegs für erhebliche Teile der Gesellschaft. Seit der Einführung von Hartz IV ist es der SPD nicht mehr gelungen, den zentralen Unterschied zu bürgerlichen Parteien kenntlich zu machen.“

Stimmt, kann man da nur sagen. Diese Misere der SPD lastet Lucke vollkommen zu Recht Gerhard Schröder an und kritisiert diesen massiv.

„Als politischer und sozialer Aufsteiger gefiel er sich viel zu sehr an der Seite der ökonomischen Aufschneider. Ihm fehlte schlicht das erforderliche „Pathos der Distanz“ (Max Weber), um gegenüber der Arroganz der ökonomisch Mächtigen noch über die erforderliche Souveränität und Unabhängigkeit zu verfügen. Im Ergebnis wollte er lieber einer der ihren sein.“ (S. 39).

Luckes Sichtweise ist von Ressentiments geprägt

Soweit so gut. Und jetzt kommt das Schlechte. Albrecht von Lucke hat offenbar wie viele Journalisten der etablierten Medien ein Ressentiment gegen Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht und die Partei „Die Linke“. Egal was Oskar Lafontaine oder Sahra Wagenknecht tun: Aus Sicht von Lucke ist es immer falsch: Tritt Oskar Lafontaine zurück, wird ihm angelastet, dass er Gerhard Schröder und dessen neoliberaler Politik und Gefolgschaft Tür und Tor geöffnet hat (S. 56). Bekämpft er mit der Linkspartei Schröders neoliberale Politik, ist das auch falsch, weil er damit die Linke spaltet. Außerdem wirft er Lafontaine vor, er pflege einen autoritären Stil. (S. 74) Da können die Sozialdemokraten ja wirklich dankbar sein, dass sie mit Sigmar Gabriel so einen smarten Teamplayer zum Parteichef haben, und nicht einen polternden Basta-Politiker, der gern auch mal rassistische Ressentiments bedient und gegen Griechen aufhetzt.

Sahra Wagenknecht werden ellenlang ihre Aussagen über die untergegangene DDR und die Sowjetunion vorgehalten, die sie als 23-Jährige gemacht hat (S. 68 ff.). Ich erinnere mich, dass sie in einem Interview mal erzählte, dass diese Aussagen einer gewissen Trotzhaltung gegenüber Opportunisten geschuldet gewesen seien, die – im Unterschied zu ihr selbst – keinerlei Probleme mit dem DDR-Regime bekommen hätten, und nach der Wende sich auch wieder nahtlos in das neue kapitalistische System einfügten. Ich kann ihre Haltung gut verstehen. Möglicherweise hätte ich an ihrer Stelle genauso reagiert. Albrecht von Lucke scheinen solche Gedanken aber fern zu liegen. Und der Witz dabei: Er kritisiert Sahra Wagenknecht auch dann, wenn sie ihre Haltung ändert. Dass sie sich in ihrem Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ positiv auf die Erhardtsche „Wohlstand für alle“-Politik bezieht, ist aus Sicht von Albrecht von Lucke lediglich „Camouflage“ (S. 84).

Und natürlich darf auch nicht der Querfrontvorwurf fehlen. Er zitiert André Brie, der die Linke schon 2007 davor gewarnt habe, eine „reine Protestpartei“ zu werden. Schon 2004, so Brie, habe man erlebt, dass Anti-Hartz-Demonstrationen innerhalb von Minuten von links nach rechts gekippt seien. Lucke kommentiert dies in Klammern wie folgt:

„Die gleiche ‚Querfront’ aus Linken und Rechten sollte sich zehn Jahre später, bei den diversen pro-russischen ‚Mahnwachen für den Frieden’ wieder einstellen.“(S. 74).

Auch an anderer Stelle im Buch taucht dieser Vorwurf wieder auf. (S. 208)

Im Folgenden mal ein paar Beispiele, wie Lucke die Linkspartei, Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine und ihre Positionen beschreibt:

  • Vereinfachung (S. 148)
  • orthodoxe Weltanschauung (S. 149)
  • orthodoxe Linke (S. 152, 153)
  • radikale Linke (S. 152)
  • schlicht (S. 153)
  • antiwestlich (S. 156)
  • antiamerikanisch (S. 156)
  • Kampfanordnung der 80er Jahre (S. 151)
  • Feindbild
  • angebliche Friedenspartei (S. 166)
  • platter Antiamerikanismus (S. 174)
  • Lafontaine benutzt Brandt (S. 174)

Das Sein der Journalisten und ihr Bewusstsein

Warum pflegt selbst ein sich als „links“ verstehender Journalist wie Albrecht von Lucke gegenüber der Linkspartei und ihren prominenten Repräsentanten Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht so viele Ressentiments? Karl Marx´s berühmter Satz „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ (Im Vorwort seiner Schrift „Zur Kritik der politischen Ökonomie“) könnte eine Erklärung sein. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat irgendwo mal geschrieben (ich kann die exakte Quelle nicht mehr finden und zitiere aus dem Gedächtnis), dass dieser Satz eigentlich heißen müsse „Das Sein bestimmt das Unbewusste“. Er meinte damit das „Klassen-Unbewusste“. Darunter ist Folgendes zu verstehen: Die Hierarchie der Gesellschaft und die Position die man darin einnimmt, dieses Sein prägt auch den Körper und führt zu einem klassenspezifischen Habitus. Bourdieu nannte den Habitus eines Menschen auch eine strukturierte Struktur (= ein von der Gesellschaft geprägter und strukturierter Körper) und eine strukturierende Struktur ( = Ein Muster, nach dem die Welt wahrgenommen, gedacht, strukturiert wird). Was heißt das bezogen auf den hier erörterten Zusammenhang? Ein Journalist, der wie Albrecht von der Lucke für etablierte Medien arbeitet, kann es sich offenbar nicht leisten, im Ruf zu stehen, der Linkspartei unbefangen gegenüber zu stehen. Es scheint in den Mainstreammedien so eine Art unausgesprochenen Distanzierungszwang in Bezug auf die Linkspartei zu geben. Ein Klima, das es nicht erlaubt, Sympathisant der Linkspartei zu sein. Und das als soziales Feld einen entsprechenden Habitus erzeugt. Anders kann ich mir das tiefe Ressentiment Luckes gegenüber der Linkspartei sowie Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine nicht erklären.

Die realen Zwänge und Notwendigkeiten, denen die Journalisten in der Medienbranche unterliegen, kränken natürlich das Selbstbild der medialen Klasse, die sich „herrschaftskritisch“ und „unabhängig“ wähnt und sich Illusionen über ihre soziale Position macht. Die Lösung: Man macht aus der Not eine Tugend. Ganz nach Kant: „Ich will, was ich muss!“ Aber: Die Kränkung bleibt – und wird gerne mit einer Entwertung von Politikern abgearbeitet, die sich den Luxus einer wirklich eigenen Meinung gönnen. Ich vermute, Albrecht von Lucke würde diese Deutung seiner ressentimentgeladenen Kritik an Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht empört von sich weisen und auf der Rationalität seiner Argumente beharren. Ich glaube aber, dass ich richtig liege.

In seinen weiteren Ausführungen führt Lucke kurz zusammengefasst aus, dass ein Erfolg der Linken möglich sei, wenn die SPD ihre inhaltliche Orientierungslosigkeit beseitige und bereit sei, wieder einen Linkskurs einzuschlagen, und die Linkspartei pragmatischer und kompromissfähiger werde und die Bereitschaft entwickle, Regierungsverantwortung zu übernehmen.

In Bezug auf die Grünen hält Lucke es für möglich, dass diese 2017 eine Koalition mit der CDU eingehen. Was Lucke durchaus positiv sieht, weil die Grünen ökologische Bewegung in Merkels Politik bringen und die nächste Große Koalition verhindern würden. Und dies sei wichtig, denn:

„Eine solche (gemeint ist die Große Koalition; U.B.) wäre für die Demokratie verheerend. Das sollte in erster Linie der Grund dafür sein, diesmal notfalls für eine schwarz-grüne Koalition zu plädieren. (…) Und schließlich hätte Schwarz-Grün noch einen entscheidenden Nebeneffekt: SPD und Linkspartei würden sich endlich von gleich zu gleich begegnen, nämlich in der gemeinsamen Opposition. Dann aber könnte und müsste die entscheidende Frage geklärt werden, nämlich: Was ist heute – angesichts einer hochkomplexen globalen Situation – tatsächlich unter linker Politik zu verstehen? Und wie könnte eine linke Zusammenarbeit in der Zukunft aussehen? (S. 108)

Lucke behandelt in seinem Buch noch weitere Aspekte seines Themas, die ich nicht mehr explizit angesprochen habe, z. B. was linke Politik für die Internationale Politik bedeutet, welche Bedeutung die Westbindung und die NATO haben, dass linke Politik der europäischen Dimension bedarf und die EU sich weiterentwickeln müsse zu einem Staatsgebilde mit einer vom Parlament gewählten Regierung oder wer Willy Brandts legitimer Erbe ist.

Mein zusammenfassendes Urteil: Ein Buch, das ich als sehr ambivalent empfinde. Es enthält viele zutreffende Beschreibungen der Lage; es beschreibt vernünftige Ziele; es ist aber auch sehr ressentimentgeladen und überzeugt mich nicht wirklich als Wegbeschreibung zu einem neuen linken Zeitgeist. Und ich empfinde Luckes Buch ganz und gar nicht als „mutiges“ Buch, wie es ein Rezensent vom Deutschlandfunk beschrieb. Es ist gerade mal so weit links, wie man es im heutigen medialen Mainstream noch sein darf.

Albrecht von Lucke, Die schwarze Republik und das Versagen der deutschen Linken, Droemer Verlag 2015, 232 Seiten, 18,00 Euro

Nachbemerkung Albrecht Müllers:

Autor von Lucke ist einer jener vielen sozialdemokratisch gefärbter Linker, die offensichtlich nicht damit fertig werden, dass andere sich nicht angepasst haben. Nur so kann ich seine Aggression gegen Lafontaine und Wagenknecht einigermaßen einordnen. Er selbst hat sich kräftig angepasst, verfolgt zur Entlastung die nicht Angepassten und ist sich dabei nicht einmal zu schade, die gängigen Kampagnen zu unterstützen. Was nicht ins eigene Denkschema passt, ist „Populismus“ oder Querfront.

Darauf stieß ich nach einer kleinen Recherche und der Lektüre einer Kolumne des Autors bei MDR Figaro am 14.7.2015 unter der Überschrift „Populismus auf dem Vormarsch“.

Albrecht von Lucke wendet sich gegen die Kritik an den Eliten Europas und an der Troika wegen ihrer Griechenland Politik und verbindet dabei die AfD und Frankreichs rechte Marine le Pen mit linken Bewegungen wie der Linkspartei in Deutschland und Podemos in Spanien und Syriza in Griechenland.

Wörtlich heißt es bei ihm:

„Faktisch sind AfD und Linkspartei heute in manchen Inhalten kaum zu unterscheiden. Wie die Linke fordert die AfD ein Ende von TTIP, mehr Verständnis für Putins Russland und, das vor allem: ein Ende der Euro-Diktatur aus Brüssel.“

Merke: Wenn du TTIP für schlecht hältst und vom Westen mehr Verständnis für Putins Russland erwartest, dann gehörst du in den rechten Topf.

Was man von einem solchen Autor halten muss, bezeugt er selbst in einer grandiosen Fehleinschätzung der Wahlchancen der AfD in der erwähnten Kolumne bei MRD-Figaro:

„Allerdings spricht wenig dafür, dass sich ein derart gespaltener Rechtspopulismus bundesweit wird durchsetzen können. Schon bei den kommenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz dürfte die Rest-AfD die erforderlichen fünf Prozent verpassen.“

Nach solchen Einlassungen spricht einiges dafür, dass man sich die Lektüre des Buches von Albrecht von Lucke ersparen kann.

Und wie geht es mit den „Blättern“ weiter? Bleiben sie ein aufklärendes Medium?


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