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Titel: “…nützt den Entwicklungsländern herzlich wenig“

Datum: 16. Februar 2016 um 9:06 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Globalisierung, Interviews
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Die WTO-Ministerkonferenz in der kenianischen Hauptstadt Nairobi brachte weitere Handelsliberalisierungen. Die starke Abhängigkeit Afrikas von europäischen Lebensmitteln bleibt.
In deutschen Zeitungen wurde die WTO-Ministerkonferenz von Nairobi als Erfolg bewertet. Sven Hilbig, Entwicklungsreferent bei „Brot für die Welt“, beurteilt die Beschlüsse der Konferenz im Gespräch mit Rolf-Henning Hintze deutlich anders.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Welthandelskonferenz hat sich vor über zwölf Jahren mit der „Doha-Entwicklungsrunde“[1] das Ziel gesetzt, dazu beizutragen, dass der wirtschaftliche Rückstand der Entwicklungsländer verringert wird. Haben die Beschlüsse der jüngsten WTO-Ministerkonferenz in Nairobi dies Ihrer Meinung nach erreichen können?

Sven Hilbig: Nein, meiner Ansicht nach haben die Beschlüsse nicht dazu beigetragen. Was dort beschlossen wurde, wird ohnehin schon seit längerem praktiziert. Was hier in den deutschen Medien als Erfolg dargestellt wurde, war ja, dass die Industriestaaten künftig keine Exportsubventionen auf landwirtschaftliche Produkte mehr zahlen dürfen. Das klingt grundsätzlich gut, Tatsache ist aber, dass die EU und die USA solche Subventionen seit längerer Zeit gar nicht mehr zahlen. Warum tun sie das nicht? Sie machen es deswegen nicht, weil sie zum einen ihre Bauern direkt subventionieren – in Deutschland bekommen die Bauern ungefähr 40 Prozent von dem, was sie verdienen, als Subventionen von der EU -, und zum anderen ist die Landwirtschaft inzwischen so stark industrialisiert, dass die Güter so günstig sind, dass sie weltweit exportiert werden. Die EU hat sie USA inzwischen ja auch als Nettoagrarexporteur überholt.

Das heißt, in Wirklichkeit haben die Industrieländer da keine wichtigen Zugeständnisse gemacht?

Hilbig: Richtig, die Industrieländer haben hier keine Zugeständnisse gemacht. Nur noch drei wichtige Industrieländer – Kanada, die Schweiz und Norwegen – haben Exportsubventionen gezahlt, aber die EU zahlt solche Subventionen schon seit längerer Zeit nicht mehr.

Auf der anderen Seite hat sich der Generalsekretär der WTO sehr begeistert von den Ergebnissen dieser Konferenz gezeigt, er sprach sogar von einer „historischen“ Konferenz. Vermutlich bezieht er sich darauf, dass weitere Liberalisierungen beschlossen wurden, und zwar betrifft dies den Handel mit Informationstechnologien. Darunter fallen beispielsweise medizinische Apparate wie Diagnostikgeräte, Herzschrittmacher und ähnliche Geräte. Das bedeutet doch wohl, dass die Entwicklungsländer hier abermals abgekoppelt werden und in Abhängigkeit bleiben.

Ja, dieser Beschluss nützt den Entwicklungsländern herzlich wenig. Die Industrieländer dringen schon lange darauf, in diesem Bereich neue Märkte zu erschließen. Das wird natürlich dazu führen, dass, wenn sie auf dem Markt sind, es für Entwicklungsländer umso schwerer wird, solche Industrien erst aufzubauen. Dass Generalsekretär Azevedo das positiv bewertet, kann kaum überraschen, seine Aufgabe besteht ja darin zu Beschlüssen zu kommen. Er hat das Generalsekretariat Mitte 2013 übernommen, d.h. ein halbes Jahr vor der WTO-Konferenz in Bali. Insofern kann er sich natürlich zu Gute halten, dass es nach 20 Jahren WTO jetzt einen zweiten Beschluss gibt.

Wenn die Beschlüsse für die Entwicklungsländer insgesamt eher ungünstig sind, wie ist es dann zu erklären, dass sie zugestimmt haben?

Dazu muss man zwei Sachen wissen: Zum einen ist die WTO ein relativ demokratisches Organ, jeder Mitgliedstaat hat dort eine Stimme, und es herrscht das Konsensprinzip. In der Realität sieht es natürlich immer so aus, dass es einige wenige Staaten sind, die bestimmen, wo es langgeht. Das sind auf der Seite der Industrieländer die EU und die USA und bei den Entwicklungsländern die großen Player Brasilien, China und Indien, und diese fünf haben im Endeffekt die Beschlüsse festgeschrieben. Es war nachher so, dass in den letzten zwei Tagen die eigentlichen Absprachen gar nicht mehr in den 20 Arbeitsgruppen, die es gab, stattgefunden haben, sondern in kleinen Räumen, wo die Vertreter dieser fünf Länder zusammensaßen. Die afrikanischen Staaten, das haben wir von unseren Partnern in Afrika gehört, hatten in gewisser Weise nicht den Mut, nein zu sagen. Es war die erste WTO-Ministerkonferenz in Afrika, und es hätte einfach schlecht ausgesehen, wenn sie gescheitert wäre.

Die von der EU und den USA geforderte noch stärkere Liberalisierung des Welthandels würde den Entwicklungsländern wesentlich mehr schaden als das sie ihnen nütze, so sehen es deutsche Nichtregierungsorganisationen. Wie beurteilen Sie das?

Seit Beginn der WTO Verhandlungen, vor gut 20 Jahren, setzen sich EU und USA lediglich für eine einseitige Liberalisierung des Welthandels ein. Sie fordern nur in den Bereichen eine Liberalisierung, wo sie Wettbewerbsvorteile genießen, wie zum Beispiel in den Bereichen Investitionen und Dienstleistungen. Im Agrarbereiche, wo die Entwicklungs- und Schwellenländern regelmäßig im Vorteil sind, sind die führenden Industrienationen nicht bereit Zugeständnisse zu mache – sprich: ihre Märkte für die landwirtschaftlichen Produkte aus Afrika, Lateinamerika oder Asien zu öffnen. Dieser Interessenkonflikt ist der Hauptgrund, dafür, dass die WTO Verhandlungen seit weit über zehn Jahren nicht wirklich vorankommen.

Heißt das unterm Strich: Der Schaden war für die Entwicklungsländer größer als der Nutzen?

Richtig. Für die Länder des globalen Südens überwiegen die negativen Auswirkungen, wie zum Beispiel der Agrarbereich zeigt. Zwar haben EU und USA ihre Märkte inzwischen für Agrarprodukte der Entwicklungsländer geöffnet. Doch die EU importiert nach wie vor klassische Kolonialwaren, um sie dann hierzulande zu teuren Endprodukten weiter zu verarbeiten – und zu einem vielfach höheren Preis zu verkaufen. Mit dem Ergebnis, dass Afrika, wo weit über die Hälfte der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt ist, immer noch über 80% seiner Nahrungsmittel importiert.

Inwiefern haben die geplanten sogenannten Freihandelsabkommen TTIP und CETA, die seit Monaten in Deutschland und anderen europäischen Ländern heftig kritisiert werden, bei der WTO-Konferenz eine Rolle gespielt?

TTIP und CETA haben eine ganz wichtige Rolle gespielt! Sie wurden nämlich von den USA und der EU als Drohkulisse benutzt in dem Sinne, dass im Vorfeld vor allem die USA gesagt haben, dass sie die Doha-Runde*), obwohl sie kaum etwas beschlossen hat, zu Ende bringen möchten, und das einzige, was sie davon abbringen könnte, wäre die Zustimmung der Entwicklungsländer, dass diese Themen, die in TTIP und CETA verhandelt sind und die den Industrienationen nutzen, in die Doha-Runde aufgenommen werden. Das sind Themen wie Investitionen, die noch stark umstritten sind bei den TTIP-Verhandlungen. Und diese Themen wurden von den Entwicklungsländern explizit aus der Doha-Runde herausgenommen, und zwar nach der Doha-Entwicklungskonferenz 2003 in Cancún. Und diese wollen die Industrieländer jetzt wieder hereinnehmen, und wenn nicht, sagen die EU und die USA, dann führen wir die Verhandlungen für neue Regeln einfach außerhalb der WTO.

Es gibt Stimmen bei uns, vor allem von Nichtregierungsorganisationen wie z.B. Attac, die sagen, dass in Nairobi letztlich das Ende der Doha-Entwicklungsrunde eingeläutet wurde. Würden Sie dem zustimmen?

Es sieht ganz danach aus. Es war ja so, dass es am Ende eine Abschlusserklärung gab, in der zwei Positionen unversöhnlich nebeneinanderstehen. Da steht zum einen die Position von EU und USA, dass sie andere Themen mitaufnehmen wollen, und die Position der Entwicklungsländer – d.h. man konnte sich nicht einigen. Da stehen halt zwei unterschiedliche Positionen drin, und jetzt ist die große Frage, ob überhaupt noch weitergemacht wird. Es kann natürlich sein, dass auch in zwei Jahren bei der nächsten WTO-Konferenz weiter darüber verhandelt wird, aber wenn man de facto den Entwicklungsländern nicht entgegenkommt, dann führt die Doha-Runde in gewisser Weise das Daseins eines Zombies.


[«1] Die „Doha-Entwicklungsrunde“ der WO-Mitgliedsländer begann im November 2001 in Doha, der Hauptstadt von Katar. Angestrebt wurde, eine stärkere Liberalisierung des Welthandels mit einer Verringerung des wirtschaftlichen Rückstands der Entwicklungsländer zu verbinden. Die WTO-Konferenz 2003 in Cancún (Mexiko) und auch spätere WTO-Konferenzen erreichten wegen der großen Differenzen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern im Hinblick auf Agrarthemen jedoch nie einen Durchbruch. Manche Beobachter sehen ein Ende der „Doha-Entwicklungsrunde“ kommen.


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