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Titel: „So viel Unterhaltung wie Gabriel bietet nicht mal Donald Trump“

Datum: 21. September 2016 um 9:53 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Globalisierung, Interviews, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
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Fabio De Masi

TTIP, CETA und TISA sind gut. Wer dagegen ist, ist Nationalist, dumm, wahrscheinlich Nazi. Das schrieb der Spiegel schon vor Längerem. Und neuerdings reiht sich auch das kritische Webmagazin Telepolis in diese „Querfront-Demagogieein. Wie die Bürger sich auch drehen und wenden, der Kampfpresse-Journaille machen sie es offenbar nie recht: Wenden sie sich von der verlogenen Politik, die beständig ihre Interessen mit Füßen tritt, ab, beschimpft man sie als „politikverdrossen“; begehren sie hiergegen auf, werden sie als „Wutbürger“ stigmatisiert. Tragen sie tumbe Parolen wie „Lügenpresse!“ gegen die alltägliche Medienmanipulation auf die Straße, sind sie rechts, weil nicht intellektuell genug. Jens Wernicke sprach mit dem Europa-Abgeordneten Fabio De Masi, der die Sache deutlich anders einschätzt und kein heiles Haar an der entsprechenden Propaganda der Leitmedien lässt.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr De Masi, am Wochenende gab es bundesweite Großdemonstrationen gegen TTIP und CETA. Bei ersterem sei die Politik in die Defensive geraten, bei zweiterem würde es nun aber ernst: Beim Treffen der Handelsminister in Bratislava am 22. und 23. September soll der Weg für die Unterzeichnung und vorläufige Anwendung freigemacht werden. Wie stellt der Sachstand bei beiden Abkommen sich aus Ihrer Sicht dar?

Ein Abschluss von TTIP, dem Abkommen mit den USA, ist derzeit wegen der US-Präsidentschaftswahlen unwahrscheinlich.

Man sollte sich aber nicht täuschen lassen. Wirtschaftsminister Gabriel und die EU-Kommission wollen CETA durchdrücken. Die US-Seite ist daher sehr entspannt. Denn CETA, das Abkommen mit Kanada, enthält teils sogar weitergehende Regelungen als bei TTIP angestrebt. Um das Abkommen zu nutzen, reicht es für einen US-Konzern oder EU-Konzerne, eine Zweigniederlassung in Kanada zu unterhalten.

Hinzu kommt das Dienstleistungsabkommen TISA. Das soll noch vor den US-Wahlen unter Dach und Fach gebracht werden.

Was sind die größten Gefahren von TTIP, CETA und TISA, einmal auf den Punkt gebracht?

Die Abkommen werden Wachstum und Jobs kosten und die Demokratie entmachten. So können Konzerne in einer Privatjustiz Staaten verklagen, wenn Gesetze ihre Profite bremsen. Es werden die jeweils niedrigeren Standards bei Arbeitsrechten, Umwelt- und Verbraucherschutz durchgesetzt und die Privatisierung öffentlichen Eigentums gefördert.

Bei den öffentlichen Aufträgen und Diensten haben die Konzerne Dollar und Euro-Zeichen in den Augen. Da wird viel Geld bewegt. Wir sprechen über etwa 20 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Fast alles müsste dann für den vermeintlich billigsten Anbieter transatlantisch ausgeschrieben werden. Privatisierungen ließen sich unter TISA nicht mehr rückgängig machen. Es gibt bei uns höhere Standards im Arbeitsrecht oder beim Verbraucherschutz. Aber in den USA etwa bei der Bankenregulierung oder den Emissions– und Sprittests für Autos. So müssen Zweigniederlassungen der Deutschen Bank etwa höheres Eigenkapital in den USA vorhalten, um die US Steuerzahler zu schützen. Denn die Deutsche Bank wird ja in der EU beaufsichtigt. Dagegen laufen die natürlich Sturm.

Dahinter steht das Prinzip der wechselseitigen Anerkennung von Standards, das wir bereits aus dem EU-Binnenmarkt kennen. Parlamente werden gegenüber den Lobbyisten und Regulierungsräten aber überhaupt keine Rolle mehr spielen. Das sind keine Abkommen für freien Handel, sondern für die Marktmacht der Multis.

DIE LINKE im Europäischen Parlament hat hierzu kürzlich eine Studie veröffentlicht, die ganz konkret zeigt, wie etwa die Kommunen in Nordrhein-Westfalen entmachtet werden und wie Bayer, RWE & Co profitieren.

Und im Moment ist CETA die größte Gefahr? Warum genau?

Das EU-Kanada-Abkommen CETA ist fertig verhandelt und beruht in weiten Teilen auf einer Negativliste. Mit anderen Worten: was nicht explizit ausgenommen ist, unterliegt dem Abkommen. Arbeits- oder Umweltnormen sind nicht einklagbar.

Das Vorsorgeprinzip – immerhin geltendes EU Recht – bei der Zulassung etwa von Chemikalien in Kosmetika wird ausgehebelt. In der EU sind etwa 1.300 Substanzen in Kosmetika verboten, in den USA etwa sind es nur 11. Das Abkommen soll zudem vorläufig angewendet werden.

Was soll das bedeuten, „vorläufig angewendet“?

Dies bedeutet, dass jene Teile, die nicht als nationale Kompetenz betrachtet werden, ohne jede Beteiligung nationaler Parlamente gelten. In Deutschland heißt dies, Bundestag und Bundesrat werden auf unbestimmte Zeit übergangen. Das EU-Parlament darf ohnehin am Ende nur Ja oder Nein sagen. Herr Juncker macht das dann wie Marlon Brando im Mafia Film „Der Pate“: „Ich mache Euch ein Angebot, was Ihr nicht ablehnen könnt!“

Gleichwohl werden Nationalstaaten, Länder und Kommunen erheblichen finanziellen Risiken – etwa durch Konzern-Klagen – ausgesetzt. So ist etwa umstritten, ob die Schiedstribunale mit ihren Wirtschaftsanwälten, die an jedem Verfahren verdienen, in EU-Kompetenz fallen. Der deutsche Richterbund lehnt auch die „Schiedsgerichte light“ in CETA ab, weil sie EU-Recht brechen, und empfiehlt eine Überprüfung vor dem Europäischen Gerichtshof. Dazu bräuchten wir aber eine Mehrheit im Europäischen Parlament.

Es würden also einfach … Tatsachen geschaffen: wider die Bürger und auch EU-Demokratie? Das hat ein Geschmäckle von „Notstand“: Unter diesen und jenen Voraussetzungen dürfen wir alles – Demokratie gibt es nicht mehr…

Ja. Demokratie stört in Europa. Es heißt ja immer, die Globalisierung zwinge zu mehr EU. Hier ist es wohl eher umgekehrt. CETA ist Politik und keine Globalisierung, die vom Himmel fiel. Leider dient die EU eben auch oft der Entmachtung der Demokratie, weil die Staats- und Regierungschefs hier unter sich sind. Die europäische Öffentlichkeit ist zu schwach, um die Demokratie in den Mitgliedsstaaten zu ersetzen. Daher gehöre ich nicht zu jenen, die es immer und automatisch befürworten, wenn die EU mehr Kompetenzen hat.

Was halten Sie von dem Verhalten der SPD in diesem Zusammenhang. Am Wochenanfang hat ja nun sogar der SPD-Parteikonvent grundsätzlich für CETA votiert

Willy Brandt gewann Wahlen einst mit „Mehr Demokratie wagen!“ Die SPD schafft sich jedoch ab und macht die Demokratie kaputt.

Es waren zuvor über 300 000 Menschen gegen CETA auf der Straße, darunter viele SPD-Mitglieder. Es hieß, Gabriel habe so seine Kanzlerkandidatur gesichert. Dann muss er erklären, wie er mit 20 Prozent Kanzler werden will.

Die SPD sollte hier mal ausnahmsweise von Seehofer lernen. Der bricht gerade jeden Streit vom Zaun, weil er Wahlen gewinnen möchte. Etwa bei der Riester-Rente. Die SPD wäre mit einem „Nein“ zu CETA fulminant in den Wahlkampf gestartet.

Wie bewerten Sie den sogenannten „Kompromiss“, der nun erzielt wurde? Die nationalen Parlamente und das Europäische Parlament sollen angehört werden, was vorläufig angewendet werden darf, und es soll ein „Zusatzprotokoll“ zu CETA für den Schutz von Arbeits- und Verbraucherrechten geben?

Das ist absurd. Haben die Abgeordneten der SPD eigentlich gar keine Selbstachtung? Parlamente entscheiden oder sie entscheiden nicht. Ich brauche niemanden, der mir zuhört, um mich dann selbst zu entmachten. Zumal die Mehrheiten im Europäischen Parlament doch klar gegen uns sind. Ein schlechtes Abkommen lässt sich daher nur im Ministerrat verhindern und das wollte die SPD offenbar nicht.

Und zu den Zusatzprotokollen: Warum hat Gabriel das nicht bereits zuvor im Text verankert, wenn es um wichtige, rechtsverbindliche Klärungen geht? Was am Ende dabei herauskommt, ist völlig unklar. Dass dadurch bei Investitionen, Arbeitsstandards, öffentlichen Dienstleistungen, dem Vorsorgeprinzip oder öffentlicher Beschaffung alle nachteiligen Aspekte verschwinden, halte ich für ausgeschlossen. Bislang gibt es übrigens keine einklagbaren Rechte von Beschäftigten und Verbrauchern in CETA.

Außerdem: Wenn Ministerrat und Europäisches Parlament der vorläufigen Anwendung zustimmen, ist das Thema durch. Dann kann es Jahre dauern, bis der Bundestag befasst wird. Und Kanada muss dem Protokoll auch zustimmen. Und warum hat Gabriel dann Kanada vor wenigen Tagen noch versichert, es werde keine Änderungen an der Substanz von CETA geben? Was gilt denn nun?

Aber Gabriel hat bekanntlich Humor. Er verspricht auch, CETA schaffe höhere Standards. So viel Unterhaltung bietet nicht mal Donald Trump.

Wie bewerten Sie in diesem Kontext die Rolle des DGB sowie von Matthias Miersch von der Parlamentarischen Linken der SPD? Der DGB-Vorsitzende hatte ja zwischendurch den Kompromiss begrüßt und Miersch hatte ihn mit eingebracht…

Der DGB-Vorsitzende kommt von der IG BCE, die CETA etwa im Unterschied zu ver.di und der Mehrheit der DGB-Mitglieder nicht ablehnt. Die Beschlüsse des DGB sind aber eindeutig. CETA ist nicht zustimmungsfähig. Ein DGB Vorsitzender hat sich an Beschlüsse zu halten. Sonst gibt es hoffentlich was auf die Ohren.

Ich war damals überrascht, dass sich Miersch so eindeutig gegen CETA positioniert hatte. Ich habe das öffentlich begrüßt. Die parlamentarische Linke in der SPD ist ja nicht zu verwechseln mit Leuten wie Hilde Mattheis, die wirklich noch sozialdemokratische Politik machen. Das ist so etwa der Unterschied zwischen Sanders und Clinton. Im Rückblick macht das aber Sinn. Miersch hat sich zur Stimme des SPD-Protests gegen CETA gemacht, um dann den faulen Kompromiss auszuhandeln. Ich will ihm nicht zu nahetreten, aber das riecht schon nach Good cop, bad cop – also nach „Guter Bulle, böser Bulle“. Wie eine Komödie von Shakespeare.

LobbyControl titelt diesbezüglich ja gerade: „Achtung SPD: Auch neue CETA-Schiedsgerichte bedrohen Demokratie“…

Ja, natürlich. Der Richterbund lehnt auch die neuen Schiedsgerichte ab und fordert eine Überprüfung vor dem EuGH. Weiterhin wird eine Paralleljustiz geschaffen, die ausländische Investoren bevorzugt. Weiterhin verdienen Wirtschaftsanwälte an den Verfahren, weil sie keine festen Richter sind. Weiterhin werden Schiedsrichter Urteile fällen, die das EU-Recht und das nationale Recht gar nicht kennen.

Inzwischen titeln sogar linke Medien wie Telepolis, die Proteste gegen TTIP und Co. seien ja eigentlich irgendwie rechts, weil die Menschen „nur“ gegen das Abstrakte ankämpften und zu feige wären, grundlegende Veränderungen vor der eigenen Haustür loszutreten. Diese Demagogie a la Querfront wird immer übler und beleidigt den gesunden Menschenverstand von Tag zu Tag mehr. Was meinen Sie: Ist Protest gegen TTIP, CETA und Co. dumm oder rechts?

Nein, dieses absurde Theater ist ja auch nicht neu. Das Selbe hörten wir auch vor dem Irak-Krieg oder dem Krieg in Syrien. Die Kritik daran sei rechts. Je schlimmer die Zustände werden, desto mehr Verwirrung gibt es leider auch manchmal in der Linken. Manche sind vielleicht auch einfach elitär statt demokratisch oder links. Das ist Kindergarten: Linke sind immer damit gescheitert, wenn sie sich für klüger hielten als den Rest. Vor allem wird so der Widerstand gegen Krieg oder für die Demokratie bewusst geschwächt.

Man sehe sich nur mal die Kampagne gegen Jeremy Corbyn im Vereinigten Königreich an. Wer steht da wohl dahinter? Die britische Kampfpresse von Murdoch und Co. und die Labour Abgeordneten, die Tony Blair vermissen.

Wahr ist: Es ist genau diese Politik, die Chaos, Flucht und Angst vor sozialem Abstieg gestiftet und so die Rechte in Europa stark gemacht hat. Wir können doch nicht aufhören, gegen TTIP oder Rohstoff-Kriege zu sein, nur weil manche Rechte das auch sind. Wollen wir Le Pen wirklich dieses Geschenk machen?

Wie bewerten Sie ganz allgemein das Agieren der Medien in diesem Zusammenhang? Haben Sie über TTIP, CETA, TISA aufgeklärt, wie es notwendig war?

Zunächst haben die Medien das Thema ignoriert. Es gab vereinzelt sehr gute und kritische Journalisten. Es gab aber auch erschreckende Berichterstattung.

Der Spiegel etwa war sich nicht zu schade, den 250 000 Demonstranten gegen TTIP in Berlin rechte Gesinnung zu unterstellen, weil sie irgendwie ein Problem mit der Globalisierung hätten.

Kriege befreien und die Macht von Konzernen bringt Wohlstand! Mehr Propaganda geht nicht. Da hilft nur gelassen bleiben. Damit kommen die nicht durch.

Wie kann und soll es nun weitergehen? Was planen die „Abkommenbefürworter“ und was können wir als Zivilgesellschaft dagegen tun?

Wir müssen nun Verfassungsklagen führen und die Kampagne im Wahljahr intensivieren. Insbesondere muss Druck für eine sofortige Entscheidung in den Parlamenten gemacht werden.

Sofern die vorläufige Anwendung kommt: Eine Forderung könnte lauten, dass die Parteien noch vor der Bundestagswahl abstimmen müssen, damit die vorläufige Anwendung nicht ewig dauert. Je näher der Wahltermin rückt, desto größer der Schmerz für die CETA-Freunde.

Es ist aber noch unklar, ob die im Rat überhaupt weiterkommen. Weil sich ja das belgische Regionalparlament der Wallonie gegen CETA ausgesprochen hat, darf die belgische Regierung eigentlich nicht zustimmen.

Noch ein letztes Wort?

Niemals aufgeben. Die wollen uns brechen. Wir sind viele.

Ich bedanke mich für das Gespräch.


Fabio De Masi ist Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments und stellvertretender Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zu Geldwäsche, Steuerhinterziehung und -Vermeidung (PANA), der nach den Panama Papers eingerichtet wurde. Er gehört der fraktionsübergreifenden, lobbykritschen Intergruppe für Integrität, Transparenz und Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität (ITCO) an.


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