NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Hinweise des Tages

Datum: 31. Oktober 2008 um 7:17 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich:

(KR/WL)

Heute unter anderem zu diesen Themen:

  • Ver.di: Sechs Millionen Arbeitsplätze fehlen
  • Arm trotz Arbeit
  • Gericht stärkt Rechtsberatung für ärmere Bürger
  • Die INSM (in persona Hüther) zur Finanzkrise
  • Thomas Fricke – Obama goes Oskar
  • Staatsgeld fließt an Aktionäre
  • Großbanken wollen Staatsgeld horten
  • Die nächsten Fallen
  • Sondervergütung: “Möhrchen” für den Bahn-Vorstand
  • Bund will und kann keinen Einfluss auf Telekom-Geschäftspolitik nehmen
  • Die Europäische Union als Triebkraft der Privatisierung
  • Kfz-Steuer – Absatzförderung für Spritfesser
  • IG-Metall-Chef droht mit historischer Streikwelle
  • Kommentar: Rentner nicht für dumm verkaufen
  • Raffelhüschen: 15,5 % Einheitsbeitrag: geringerer Arbeitslosenbeitrag gleicht GKV-Kosten nicht aus
  • Kirche und Kapital – zur Unzeit versöhnt?
  • Briefwechsel zwischen Reinhard und Karl Marx
  • BBC-Dokumentation wirft Georgien Kriegsverbrechen vor
  • Der Niedergang Italiens politisch inszeniert
  • Sarkozys nächste Eroberung
  • Bush: Mission not accomplished
  • Chinas Wachstumsabhängigkeit
  • Das Spielen mit gewalthaltigen elektronischen Spielen ist stärkster Risikofaktor für Gewaltkriminalität
  • “Bildungsgipfel”: Erst Doppelstunde, dann Pause
  • Medienkritik unerwünscht – schon gar wenn Blogs zitiert werden
  • Zu guter letzt: Finanzballade – immer schon dagegen!

Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.

Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Ver.di: Sechs Millionen Arbeitsplätze fehlen
    „Weniger als drei Millionen Arbeitslose.“ Genauer gesagt: 2,997 Millionen. Doch ein Grund zum Jubeln ist das nicht. Denn das sind nur die offiziell registrierten Arbeitslosen. Von gut sechs Millionen Erwerbsfähigen, die Arbeitslosengeld beziehen, tauchen über drei Millionen in der Statistik nicht auf. So lautet die Antwort des Bundesministeriums für Arbeit auf eine Anfrage im März 2008.
    Quelle: ver.di Wirtschaftspolitik aktuell 22, Oktober 2008 [PDF – 148 KB]

    Anmerkungen WL: Heute mal wieder die Jubelmeldungen von Glos und Scholz und die meisten Medien jubeln mit. Kaum einer redet darüber, dass ungefähr jeder Dritte, der einen Arbeitsplatz gefunden hat, auf Leiharbeitsbasis eingestellt wurde, also befristet und schlechter bezahlt und jetzt in der Krise, als erste wieder gefeuert werden (können). Etwa 2,3 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte verdienen so wenig, dass sie sich zusätzliches Geld durch einen Nebenjob verdienen müssen. Unausgesprochen bleibt, dass nur noch etwas mehr als die Hälfte der Arbeitslosengeldempfänger in der Statistik als arbeitslos erscheinen.

    Vor allem sprechen Glos und Scholz nicht darüber, was sie zu tun gedenken um den selbst von der Bundesagentur befürchteten Anstieg der Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

    Wenn man weiß, wie die Bundesagentur in der Vergangenheit mit statistischen Beschönigungen gearbeitet hat, dann ist die heute genannte Zahl von 2,997 Millionen vergleichbar mit dem Verkaufstrick im Einzelhandel, wo man den Preis einer Ware auf 2,99 Euro auszeichnet.

  2. Arm trotz Arbeit
    Immer mehr Deutsche leben am finanziellen Limit und müssen mehrere Jobs annehmen, um sich über Wasser zu halten. Der Buchautor Markus Breitscheidel ist undercover in die Rolle eines Hartz-IV Empfängers geschlüpft und kam schneller als gedacht an seine finanziellen Grenzen. Als ungelernter Hilfsarbeiter musste er alle von der Arbeitsagentur vermittelten Tätigkeiten annehmen; als Leiharbeiter behandelte man ihn als Mensch zweiter Klasse. In SWR1 Der Abend sprechen wir unter anderem mit Markus Breitscheidel (Buchautor von “Arm durch Arbeit”) und Prof. Gerhard Bosch, Institut für Arbeit und Qualifikation, Universität Duisburg-Essen.
    Quelle: SWR 1

    Anmerkung WL: Hörenswert.

  3. Die INSM (in persona Hüther) zur Finanzkrise
    Will Hüther bestreiten, will Sinn bestreiten, dass es nicht zuletzt sie selber waren, die jeder Forderung nach Regulierung die Kommunisten-Schandtüte aufpappten? Sinn suggeriert jetzt, er habe schon immer gewusst, schon immer gewarnt. Mag sein, dass irgendwo auf Seite sowieso in einem der Bücher von “Deutschlands bestem Ökonom” ein paar Relativsätze stehen. Aber als Franz Müntefering im Sommer 2005 die Heuschreckendebatte eröffnete (und jetzt lassen wir mal bitte außer Acht, dass die Metapher nicht glücklich war, Müntefering wohl sowieso nur Wahlkampf treiben wollte: Die Debatte war immerhin da!), da wäre es Sinns und Hüthers Aufgabe gewesen, mit Hilfe ihrer Fachkompetenz klarzustellen: da ist was dran, wir müssen aufpassen, da wächst etwas sehr Ungutes heran, Vorsicht, Vorsicht! Genau das aber haben sie nicht getan. Im Gegenteil: Hans Werner Sinn hat Müntefering noch hinterhergehöhnt, er könne sich genauso gut über das Wetter beschweren …Und Hüther fand, der Markt solle die Risikosteuerung betreiben. Heute zu suggerieren, es immer schon gewusst zu haben … ich erlaube mir, das schäbig zu finden.
    Quelle: Hartmut Finkeldeys Blog „Kunst und Kritik“

    Anmerkung K.F.: Lesenswert.

  4. Thomas Fricke – Obama goes Oskar
    Amerika wird wahrscheinlich einen Präsidenten wählen, dessen Wirtschaftsprogramm hierzulande nur die Linkspartei bietet. Nach gängiger hiesiger Lehre der Untergang, aber für die USA womöglich die Rettung.

    In den USA müssen Ölkonzerne künftig einen Teil ihrer Gewinne opfern, um Familien zu stützen. Die Reichen müssen mehr Steuern zahlen. Dafür werden Firmen bestraft, die Jobs im Ausland schaffen – oder sich nicht an Sozialstandards halten. Der Staat soll mehr für Infrastrukturprojekte ausgeben, der Mindestlohn einfach automatisch mit der Inflation steigen. Und Gewerkschafter werden besser geschützt, wenn sie ihre Firma bestreiken wollen.
    Sie haben recht: Das klingt so, als würden die Amerikaner nächsten Dienstag Oskar Lafontaine und Gregor Gysi wählen.
    Quelle: FTD

  5. Staatsgeld fließt an Aktionäre
    700 Mrd. $ lässt sich die US-Regierung die Rettung der Finanzbranche kosten. Und dann schütten die Institute einen Großteil des Geldes an die eigenen Aktionäre aus. Für viele Kritiker ist es ein großer Skandal – die Politik schäumt. Das US-Finanzministerium weist die Kritik zurück. “Wir haben die Bedingungen, zu denen die Banken Geld aus dem Rettungspaket erhalten, bewusst attraktiv gestalten. Damit wollten wir eine breite Teilnahme sicherstellen”, sagte eine Sprecherin auf Anfrage.
    Quelle: FTD

    Anmerkung Orlando Pascheit: Zuerst die Boni, jetzt die Dividenden, eindeutiger konnte man das Zusammenspiel von Managern und Aktionären auf Kosten der Unternehmen und der Volkswirtschaft noch nie beobachten. Der klassische Unternehmer würde im Grab rotieren.

    Siehe dazu auch:

    Großbanken wollen Staatsgeld horten
    Mit 700 Milliarden Dollar hat die US-Regierung Banken vor der Pleite bewahrt. Doch die Institute reichen das Geld weiter – an ihre eigenen Aktionäre.

    Die Bank of New York Mellon etwa bekam zu Wochenbeginn drei Milliarden Dollar vom Staat. Seinen Aktionären will das Institut in diesem Quartal 275 Millionen Dollar auszahlen, in drei Jahren ergibt sich daraus eine Summe von 3,3 Milliarden Dollar. Die Rechtfertigung der Banken: Die Dividenden werden aus den laufenden Gewinnen gezahlt, nicht aus den Überweisungen der Regierung. Kritiker halten dagegen: Kapital ist Kapital. Würden die Gewinne nicht ausgeschüttet, wäre mehr Geld für Kredite vorhanden, der Impuls für die Konjunktur wäre größer.

    Die Dividendenzahlungen sind nicht die einzige Schwachstelle des Rettungsprogramms. Großbanken wollen das Staatsgeld offenbar horten, um zu einem günstigen Zeitpunkt kleine Konkurrenten zu kaufen. Die New York Times berichtet von einer Telefonkonferenz bei JP Morgan Chase, in der ein führender Manager eine solche Strategie vorgibt.

    Und schließlich ist da noch das Reizthema Gehälter. Schätzungen zufolge sollen in den kommenden Wochen an der Wall Street Bonuszahlungen von knapp 70 Milliarden Dollar fließen, obwohl die Banker ihre Institute in den Ruin gewirtschaftet hätten, wäre der Staat nicht eingesprungen. Der New Yorker Generalstaatsanwalt Andrew Cuomo hat bereits die Gehaltslisten eingefordert. Lohnexzesse bei unterkapitalisierten Instituten untergraben ihm zufolge die Wirtschaftsmoral – und verstoßen gegen das Gesetz.
    Quelle: SZ

    Anmerkung K.F.: Ein Skandal ersten Ranges. Das Geld der Steuerzahler wird komplett an die Aktionäre ausgeschüttet.

    Anmerkung WL: Ist doch eigentlich nur systemlogisch. Die Verluste wurden sozialisiert, da gibt es doch keinen Grund, die Gewinne nicht wieder zu kassieren.

  6. Weltspartag : Langweiliges Sparen ist wieder in
    Was bringt die größte Rendite? Ganz klar Aktien, lautete die Mantra der vergangenen Jahrzehnte. Nur Angsthasen und Langweiler setzen auf Sparbücher. Doch die Realität sieht einmal wieder anders aus: Ein Anlagefonds mit dem Schwerpunkt Aktien mit Anlageschwerpunkt Deutschland kam in den letzten 10 Jahren im Schnitt auf 2 % Rendite pro Jahr. Dagegen lag die Rendite beim Sparbuch bei durchschnittlich 3 %. Zieht man noch die Inflation ab, so hat man bei den Aktien keinen Cent verdient.
    Quelle: FR
  7. Die nächsten Fallen
    Das Geldwesen ist noch lange nicht gerettet. Eine Übersicht über die größten Gefahren, die Banken, Anlegern und der Weltwirtschaft jetzt drohen

    • Viele Hedgefonds stehen vor dem Aus
    • Etlichen Ländern droht ein Währungskollaps
    • Spekulanten bringen das Weltwährungssystem durcheinander
    • Bald könnten auch Kreditversicherungen platzen
    • Amerikas Verbraucher stecken in der Schuldenfalle

    Quelle: Zeit

  8. “Möhrchen” für den Bahn-Vorstand
    Der Börsengang der Deutschen Bahn lohnt sich vor allem für Konzernchef Mehdorn: Er könnte im Extremfall 1,4 Millionen Euro Sonderhonorar kassieren – die Gewerkschaften sind sauer.
    Quelle: SZ
  9. Bund will und kann keinen Einfluss auf Telekom-Geschäftspolitik nehmen
    Die Bundesregierung hat bereits …ausführlich begründet, dass und warum die Bundesregierung auf das operative Geschäft einer börsennotierten Aktiengesellschaft, d. h. auf Maßnahmen der laufenden Geschäftsführung, keinen Einfluss nehmen kann und darf. … Einer solchen Einflussnahme steht das deutsche Aktienrecht – unter anderem wegen des darin zum Ausdruck kommenden Gesichtspunkts des Schutzes aller Aktionäre – entgegen. Dies wird gerade auch deutlich im Fall der Deutschen Telekom AG, deren Anteile sich zu über zwei Dritteln im Streubesitz befinden – lediglich 31,7 Prozent befinden sich in der Hand des Bundes bzw. der Kreditanstalt für Wiederaufbau.

    Dieser Fall ist nicht vergleichbar mit dem ebenfalls in der Vorbemerkung der Fragesteller angesprochenen Fall eines zu 100 Prozent im Bundesbesitz befindlichen Unternehmen wie der Deutschen Bahn AG.
    Quelle: Deutscher Bundestag [PDF – 52 KB]

    Hintergrund: Die Deutsche Telekom AG will 59 der 83 von ihr betriebenen Call-Center in der Bundesrepublik Deutschland schließen. Die Anzahl der Standorte verringert sich zukünftig auf 24 – zurzeit sind es noch 63. Die rund 8 000 betroffenen Beschäftigten sollen Arbeitsplätze an den verbleibenden Standorten angeboten bekommen. Sie müssten also umziehen oder zum Teil mehrstündige Anfahrtswege in Kauf nehmen – was sich für viele Teilzeitbeschäftigte nicht lohnt. Die Gewerkschaft ver.di befürchtet insgesamt einen Personalabbau, trotz des tarifvertraglich vereinbarten Ausschlusses betriebsbedingter Kündigungen bis zum Jahr 2012. Außerdem erwartet sie erhebliche Nachteile für das Familien- und Privatleben der Beschäftigten und Verschlechterungen beim Kundenservice infolge des Sparkurses. Dabei weist die Bundesnetzagentur darauf hin, dass die Verbraucher bereits heute „den mangelnden Kundenservice der TK-Unternehmen bei der Klärung aufgetretener Probleme“ beanstanden.

    Anmerkung WL: Diese Antwort der Bundesregierung ist in mehrfacher Hinsicht interessant:

    1. Der Staat mit knapp einem Drittel Anteil an dem privatisierten Unternehmen darf also nicht mehr die Interessen der „stake holder“, in diesem Fall die Interessen der Allgemeinheit wahrnehmen, das widerspricht dem deutschen Aktienrecht und damit vor allem dem „share holder value“.

    2. Wenn es das Aktienrecht wirklich so verlangte, so dürfte das gleiche auch in Zukunft für die teilprivatisierte Bahn gelten. Auch da dürfte der Bund dann im Sinne von verkehrspolitischen oder den Interessen von Fahrgästen und Beschäftigten keinen Einfluss mehr nehmen.

    Klarer kann man die Folgen der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen nicht formulieren.

    Übrigens: Genau nach diesem Grundsatz, nämlich nicht ins operative Geschäft der Bahn einzugreifen, hat sich der Staatssekretär im Verkehrsministerium verhalten, als er für die Bonus-Zahlungen an die Bahnvorstände stimmte. Deswegen hat er den Minister wohl weder vorher noch nachher informiert. Seine Entlassung beweist nur, dass er ein Bauernopfer ist. Entlassen gehörte der Verkehrsminister, der solche Antworten im Parlament gibt.

  10. Die Europäische Union als Triebkraft der Privatisierung
    Die Liberalisierungs- und Privatisierungspolitik der Europäischen Union (EU) nahm ihren Ausgang in den späten 1980er Jahren, als die ersten Liberalisierungsrichtlinien im Bereich der netzgebundenen Infrastruktur initiiert wurden. Mittlerweile ist die Liberalisierung und Privatisierung in den Sektoren Telekommunikation, Post, Energie und Bahn in den Mitgliedstaaten bereits recht weit fortgeschritten. In den letzten Jahren zeichneten sich nun vor allem zwei neue Tendenzen der Restrukturierung des öffentlichen Sektors ab. Zum einen soll die Geltung des europäischen Wettbewerbsrechts auf immer weitere Bereiche – wie etwa die sozialen Dienste und das Gesundheitswesen – ausgedehnt werden. Gleichzeitig wird die europäische Finanzmarktintegration weiter vorangetrieben, wodurch etwa Private Equity Fonds in Privatisierungsprozessen an Bedeutung gewinnen werden. Diese eher indirekte und noch wenig berücksichtigte Rolle der EU bietet nur wenige Ansatzmöglichkeiten, um kampagnenförmige Privatisierungskritik zu stärken, sollte aber dennoch stärker in den Blick genommen werden.
    Quelle: WSI-Mitteilungen 10/2008
  11. Liberalisierung und Privatisierung in Deutschland: Versuch einer Zwischenbilanz
    Der relativ umfassende öffentliche Sektor, der das “Modell Deutschland” in den Nachkriegsjahrzehnten gekennzeichnet hatte, wird seit den 1990er Jahren im Zuge einer beschleunigten Liberalisierung und Privatisierung grundlegend reorganisiert. Nachdem die Entstaatlichungspläne der konservativ-liberalen Koalition noch in den 1980er Jahren auf beträchtlichen Widerstand stießen, wurde der Übergang vom Leistungs- zum Gewährleistungsstaat durch mehrere Faktoren systematisch begünstigt: erstens durch die verschärfte Finanzkrise der öffentlichen Haushalte in der Folge der deutschen Einheit; zweitens durch die Liberalisierungsvorgaben des EG-Binnenmarktes; und drittens durch die Finanzmarktdynamik seit Mitte der 1990er Jahre. Im politischen Diskurs war dementsprechend eine Perspektive deutungsmächtig geworden, die in der Privatisierung öffentlicher Unternehmen ein geeignetes Mittel sah, um infrastrukturpolitische Investitionslücken durch die Mobilisierung von privatem Kapital zu schließen. In vielen Bereichen sorgen verschlechterte Beschäftigungsbedingungen, steigende Preise und Servicedefizite inzwischen aber dafür, dass die Privatisierung zunehmend kritisch betrachtet wird.
    Quelle: WSI-Mitteilungen 10/2008
  12. Kfz-Steuer – Sondervergütung: Absatzförderung für Spritfresser
    Mit ihren Plänen für die Kfz-Steuer wirft die Bundesregierung den Klimaschutz über Bord. Anstatt Anreize für den Kauf von Autos mit einem geringen CO2-Austoß zu schaffen, subventioniert sie den Erwerb von Spritfressern. Das wird sich mittelfristig rächen.
    Quelle: FTD

    Dazu auch:

    Autoexperte verspottet Kfz-Steuerpläne der Regierung
    Treibstoff für die schlappe Konjunktur: Die Regierung will umweltfreundliche Neuwagen von der Steuer befreien und damit den Autobauern helfen. Die Industrie ist dankbar, Umweltverbände schreien auf – und Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer nennt die Pläne eine Lachnummer.

    Die Pläne der Bundesregierung, Neuwagen befristet von der Kraftfahrzeugsteuer zu befreien, stoßen auf scharfe Kritik. “Das ist eine Lachnummer”, sagte der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. Die jährliche Steuerersparnis belaufe sich auf mehrere hundert Euro. Deshalb werde “kein einziges weiteres Auto gekauft”, sagte Dudenhöffer der “Westdeutschen Allgemeinen Zeitung”. “Das Vorhaben führt zu einem hundertprozentigen Mitnahmeeffekt, und der Steuerzahler muss dafür aufkommen.”
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung der NDS-Unterstützerin H.K.: Ein weiterer Sieg der Autolobby – einmal mehr eine Niederlage fürs Klima. Dies passt zur „Logik“ einer konzeptionslosen, inkonsequenten und kontraproduktiven Verkehrs-, Bahn- und Umweltpolitik, die das energie-, umwelt- und klimaschonende Verkehrssystem Schiene gegenüber ihren konkurrierenden Verkehrsträgern sträflich vernachlässigt hat. Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, eine verfehlte Modellpolitik der Autokonzerne mit beträchtlichen Gewinnmargen in der Vergangenheit, die Fortschritte beim Umweltschutz stets auszubremsen wussten, angesichts ihrer hausgemachten Absatzkrise mit Steuermitteln unter die Arme zu greifen.

    Um Kostenwahrheit im Verkehrsbereich herzustellen, ist dem Verursacher- und Wegekostenprinzip, mit dem die externen, also gesamtwirtschaftlich und gesellschaftlichen Folgekosten den jeweiligen Verkehrsträgern zuzuordnen und anzulasten sind, Geltung zu verschaffen. Nur so können faire Wettbewerbsbedingungen durch Ordnungspolitik im Verkehr ZWISCHEN DEN VERKEHRSTRÄGERN im öffentlichen Interesse hergestellt werden und seit Jahrzehnten bestehende massive Wettbewerbsverzerrungen zulasten der Schiene beseitigen.

    Umweltfreundliche nachhaltige Mobilität muss als öffentliches Gut im Zentrum einer darauf abzielenden zukunftsgerechten Verkehrspolitik stehen. Dies setzt ein alle Verkehrsträger integrierendes, längst überfälliges Gesamtverkehrskonzept voraus, das dem schienengebundenen Verkehr, und damit einer am Gemeinwohl und der Volkswirtschaft orientierten Bahn in öffentlicher Hand Priorität einräumt. Ein weitgehend flächendeckendes Schienenverkehrsnetz, in dem der Regionalverkehr seine Zubringerfunktion für Hauptstrecken erfüllt, muss daher als Netz von Verkehrsadern, als ökonomische und ökologische Lebensadern begriffen werden.

    Zu dieser notwendigen grundlegenden verkehrs- und klimapolitischen Neuorientierung steht die Privatisierung der Bahn in krassem Widerspruch. Damit wurde ein fundamentaler Irrweg beschritten, der schon aus sachlichen Gründen nicht zu rechtfertigen ist, zumal das vorgeschobene Argument benötigter Kapitalzufuhr sich als unhaltbar erweist.

    Eine an den Ursachen ansetzende Besteuerung des motorisierten Verkehrs darf nicht primär an der Fahrzeughaltung/Kfz-Steuer, sondern muss an der ausgestoßenen Schadstoffmenge, die sich proportional zur km-Fahrleistung verhält, und somit beim Spritverbrauch/Mineralölsteuer ansetzen. Darüber hinaus sind umweltgerechte Normen für Motoren mit angemessenen Zeitfristen gesetzlich festzulegen und alternative Antriebstechnologien zu fördern.

    Kein Weg führt jedoch – schon aus Gründen begrenzter Straßen- und Mittelkapazitäten für Instandhaltung, Aus- und Neubau – angesichts enormer Verkehrswachstumsraten für Deutschland als Transitland an der Verlagerung von Verkehr von der Straße auf die Schiene vorbei.

    Effektive Sofortmaßnahme, die fast nichts kostet: Einführung eines bundesweiten Tempolimits. Die Wirksamkeit wird u.a. vom Umweltbundesamt belegt. Die meisten unserer Nachbarländer haben es längst eingeführt. Aber selbst das hat die einflussreiche Autolobby bis heute verhindert. Das Thema ist hierzulande ideologisch-emotional besetzt und wird seit zig Jahren u.a. vom ADAC instrumentalisiert.

  13. IG-Metall-Chef droht mit historischer Streikwelle
    Finanzminister Steinbrück gibt der hohen Tarifforderung seine Rückendeckung. Die Lohnquote sei mit knapp 64 Prozent rekordverdächtig niedrig, während die Renditen der Unternehmen rekordverdächtig gestiegen seien.
    Quelle: FR

    Anmerkung WL: Sollte Peer Steinbrück tatsächlich ein Erkenntnisschub ereilt haben oder geht es nur darum, die massenhaft abgefallenen Metaller wieder stärker an die SPD zu binden?

  14. Rentner nicht für dumm verkaufen
    Immer wenn das Thema Rente im Raum steht, meldet sich reflexartig ein Freiburger Professor namens Raffelhüschen zu Wort.
    So geschehen am 20. Oktober, als der Schätzerkreis der Rentenversicherung den Rentnern für 2009 eine Rentenerhöhung von 2,75 Prozent in Aussicht stellte. Dies kommentierte der Finanzwissenschaftler in einem Zeitungsinterview wie folgt: “Es ist doppelt dumm, den Rentnern ausgerechnet im Wirtschaftsabschwung ein Geschenk zu machen.” Dem kann man nur entgegnen: Die Rentner lassen sich nicht länger für dumm verkaufen, und schon gar nicht von jemandem, der seit Jahren als Lobbyist der privaten Versicherungswirtschaft die gesetzliche Rentenversicherung schlecht redet.

    Herr Raffelhüschen sagte in demselben Interview: “Es ist auch wirtschaftspolitisch vernünftig, die Rentner ebenso wie die Arbeitnehmer die Folgen des wirtschaftlichen Abschwungs tragen zu lassen.” Was der Professor verschweigt, ist die Tatsache, dass Rentner am Wirtschaftsaufschwung der vergangenen Jahre nicht teilhaben konnten. Ich erinnere nur an die drei Nullrunden 2004 bis 2006. Soll das etwa heißen: Vom Aufschwung sollen die Rentner nichts haben, den Abschwung sollen sie aber so richtig zu spüren bekommen? Da fühlt man sich gleich an das Geschäftsgebaren großer deutscher Banken in der Finanzmarktkrise erinnert: Die Gewinne bleiben in der Führungsetage, für die Verluste sollen Staat und Steuerzahler geradestehen.

    Dem Professor aus Freiburg und anderen seiner Zunft sei ein für alle Mal ins Stammbuch geschrieben: Die Rente ist kein Gnadenakt des Staates, sondern Lohn für eine Lebensleistung.
    Quelle: Sozialverband VdK Deutschland e. V.

    Anmerkung: Heute in der Zeit: Raffelhüschen zeigte sich zufrieden mit dem Zustand der gesetzlichen Rentenversicherung in der gegenwärtigen Krise. “Wir alle können stolz auf ein Rentensystem sein, das mehr als 100 Jahre funktioniert hat.“. Raffelhüschen hatte früher die gesetzliche Rentenversicherung oft kritisiert und sich für eine stärkere Eigenvorsorge der Bürger ausgesprochen.

    Dazu Orlando Pascheit: Zuerst möchte man lachen über soviel Chuzpe, aber es bleibt einem im Halse stecken. Wieviel Schaden haben diese verkappten Lobbyisten im Namen objektiver Wissenschaftlichkeit inzwischen angerichtet.

    Dazu auch:

    Raffelhüschen: 15,5 % Einheitsbeitrag: geringerer Arbeitslosenbeitrag gleicht GKV-Kosten nicht aus
    Der von der Bundesregierung festgelegte Einheitsbeitragssatz für die gesetzliche Krankenversicherung von 15,5 Prozent kostet die deutschen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammen mindestens 4,08 Milliarden Euro. Die Mehrbelastung kann auch durch den von Januar 2009 bis Juni 2010 vorübergehend um 0,5 Prozentpunkte sinkenden Beitrag zur Arbeitslosenversicherung nicht ausgeglichen werden.

    Unter dem Strich bleibt eine zusätzliche Belastung von 378 Mil. Euro im Jahr 2009 für Arbeit-nehmer und Arbeitgeber zusammen. Das geht aus einer Studie des Freiburger Ökonomen Professor Bernd Raffelhüschen im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) hervor.
    Viele Unternehmen müssen 2009 trotz niedrigerem Arbeitslosenversicherungsbeitrag deutliche Mehrbelastungen in Kauf nehmen.
    Quelle: INSM

    Anmerkung WL: Typisch Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, typisch Raffelhüschen. Nicht erwähnt wird natürlich,

    • dass die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge ausschließlich zu Lasten der Arbeitslosen und der potentiell von Arbeitslosigkeit betroffenen geht, denn nur durch Kürzung der Leistungen (Vermittlung, Qualifizierung, Integration und letztlich auch Arbeitslosengeld) können die Beiträge gesenkt werden,
    • dass die Arbeitnehmer alleine bei der letzten „Reform“ einen Sonderbeitrag von 0,9 Prozent zu leisten haben und von den 15,5 Prozent 8,2 Prozent von ihrem Bruttolohn bezahlen müssen,
    • dass die zu erwartenden Zusatzkosten der Kassen, da viele mit dem Beitragssatz von 15,5 % schon jetzt abschätzbar nicht auskommen werden, als pauschal erhobener Zusatzbeitrag allein von den Versicherten getragen werden müssen. Vgl. Steuerentlastungsvorschläge aus der CDU – Versicherte werden für dumm verkauft

  15. Gericht stärkt Rechtsberatung für ärmere Bürger
    Geringverdiener haben ab sofort erweiterte Ansprüche auf staatliche Zuschüsse für rechtliche Beratung außerhalb von Gerichtsverfahren. Das Verfassungsgericht verpflichtete den Gesetzgeber jetzt dazu, den Anspruch auszudehnen, er gelte jedoch auch ohne neues Gesetz ab sofort. Die Richter regten eine umfassende öffentliche Rechtsberatung für Leute mit geringem Einkommen an, wie sie in Hamburg Praxis sei. Angesichts der „rechtlichen Durchdringung nahezu aller Lebensbereiche“ sei der Bürger auf fachkundigen Rat angewiesen, um seine Rechte durchsetzen zu können, hieß es.
    Quelle: Tagesspiegel

    Anmerkung Orlando Pascheit: Dass in einer solchen Selbstverständlichkeit Recht gesprochen werden muss, zeigt, wie sehr die Politik auf den Hund gekommen ist. (Für alle Hundefreunde: die Redensart hat nichts mit Hunden zu tun.)

  16. Kirche und Kapital – zur Unzeit versöhnt?
    Das kapitalismuskritische Profil der katholischen Kirche hat im letzten Jahrzehnt merklich gelitten. Heutzutage ermahnen einige Kirchenleute, die sich selbst einer guten wirtschaftlichen Absicherung erfreuen, mit Vorliebe die Armen. Je dreister die Theologen des “freien Marktes” für ihre auf Glaubensätzen basierenden Wirtschaftsdogmen Unfehlbarkeit reklamierten, desto profilloser wurde – zumal in deutschen Landen – die kirchliche Sozialethik. Im deutschen Protestantismus nimmt der Streit um die “neoliberale” Anpassung neue Formen an.
    Quelle: Telepolis

    Anmerkung WL: Diese Kritik kann auch der fiktive Briefwechsel zwischen Erzbischof Reinhard Marx und Karl Marx nicht relativieren.

  17. Sarkozys nächste Eroberung
    Sarkozys Äußerung von vergangener Woche könnte man als Versuch eines Staatsstreichs werten. Auch Angela Merkel kann Frankreichs Staatschef kaum daran hindern, sich zu Europas Präsidenten aufzuschwingen. Deutschland laufen wegen seines fundamentalistischen Widerstands gegen eine wirtschaftspolitische Steuerung, die über den Stabilitätspakt hinausgeht, die Verbündeten davon. Spanier und Italiener befürworten sie, selbst die Niederländer haben einen Plan für die gesamte Euro-Zone angeregt. Da die Krise mittlerweile auch Osteuropa in Mitleidenschaft zieht, rechne ich damit, dass auch Österreich, Slowenien und die Slowakei Solidarität von Mitgliedern der Euro-Zone einfordern.
    Quelle: FTD
  18. BBC-Dokumentation wirft Georgien Kriegsverbrechen vor
    Gegen den Strom medialer Einigkeit schwimmt die „alte Tante“ BBC. Für die öffentlich-rechtliche britische Anstalt reiste der Journalist Tim Whewell im Spätsommer nach Georgien und in die separatistische Region Südossetien, um herauszufinden, was dort im August wirklich geschah. Er war der erste westliche Journalist, der über Russland nach Südossetien einreiste und dort Russen, Osseten und Georgier befragte. Seine ausbalancierte Dokumentation wurde im BBC-Hörfunk, in der Fernsehsendung „Newsnight“ und in Ausschnitten auch in den 22.00h Nachrichten der BBC gesendet. Die Dokumentation weckt nicht nur erhebliche Zweifel an der offiziellen georgischen Version über den Auslöser des Krieges, sondern wirft Georgien auch direkt Kriegsverbrechen vor.

    Augenzeugen berichteten der BBC unter anderem, wie georgische Panzer gezielt in die unteren Etagen eines Wohnblocks feuerten und wie fliehende Zivilisten gezielt von georgischen Truppen erschossen wurden. Der wahllose Einsatz von militärischer Gewalt gegen Zivilisten stellt einen Verstoß gegen die Genfer Konvention dar, in schweren Fällen sogar Kriegsverbrechen. Mit den Vorwürfen gegen Georgien steht die BBC nicht alleine. Neben der russischen Regierung erhebt auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch schwere Vorwürfe. Untersuchungen von Human Rights Watch haben ergeben, dass Georgien in der dicht besiedelten Innenstadt von Zchinwali mit Panzern und Grad-Raketenwerfern auf zivile Wohngebäude schoss. Gezielte Tötungen von Zivilisten durch georgische Militärs werden von Human Rights Watch ebenfalls untersucht, wenngleich sich bislang nur Indizien, aber keine Beweise fanden, die diesen Vorwurf bestätigen könnten.

    Die Russische Staatsanwaltschaft untersucht mittlerweile über 300 Fälle, in denen der Verdacht besteht, dass Zivilisten von georgischen Militärs umgebracht wurden. Human Rights Watch nennt eine Zahl von 300 bis 400 durch georgisches Militär getöteten Zivilisten als realistische Schätzung. Die Kriegsverbrechen Georgiens scheinen im Westen aber niemanden ernsthaft zu interessieren. Mit der BBC-Dokumentation konfrontiert, wiegelte das britische Aussenministerium die Vorwürfe mit wohlfeilen Worten des allgemeinen Interesses ab – ja, man werde die Untersuchungen mit Interesse verfolgen. Was sollte man auch sonst tun? Den Medien erzählen, dass man die Untersuchungen sowieso ignorieren wird? Britische Think-Tanks sind da schon ehrlicher. Robert Ayers vom Königlichen Instituts für internationale Beziehungen (Chatham House) erklärte RIA-Novosti, dass Großbritanniens Position im russisch-georgischen Konflikt sich nicht von irgendwelchen Reportagen beeinflussen lasse – dies sei eine „nationale Einstellung“. Er ist ein Hurensohn, aber er ist unser Hurensohn – Realpolitik kann manchmal entwaffnend sein.
    Quelle: Spiegelfechter

  19. Mission not accomplished
    Den meisten Linken gilt Bush als Personifizierung des Bösen. Das hat den sozialen Bewegungen mehr geschadet als dem US-Präsidenten.

    Es fehlte nicht an prominenten Lieblingsfeinden der globalisierungskritischen Bewegung, als die Repräsentanten des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank sich am 11. Oktober zu ihrem jährlichen Gipfeltreffen in Washington versammelten. Es war die globalisierungskritische Bewegung, die fehlte. Vergeblich suchten die Journalisten nach Gruppen von Protestierenden. Das ist ein erstaunliches Phänomen, müsste man doch erwarten, dass die Finanzkrise und die beginnende Rezession den Globalisierungskritikern den einen oder anderen Farbbeutel wert sein sollten. Tatsächlich steht man etwas dumm da, wenn man die Tobin-Steuer, eine geringfügige Abgabe auf Devisentransaktionen, für links hält, dann aber das halbe Bankensystem verstaatlicht wird.

    In Afghanistan soll nun mit den »gemäßigten« Taliban verhandelt werden, ganz so, wie es viele in der Friedensbewegung seit langem empfehlen. Aus dem Irak sollen die US-Truppen bis zum Jahr 2011 abziehen. Der Friedensbewegung geht das nicht schnell genug, und es bleiben Zweifel, ob der Termin eingehalten wird, doch ein Streit um Zeitpläne ist kaum geeignet für eine Massenmobilisierung. Wer braucht schon linke Friedenskämpfer, wenn sie nichts anderes zu sagen haben als kriegskritische konservative US-Offiziere wie William Lind, der ebenfalls von »Terrorbombardements« spricht und den sofortigen Rückzug empfiehlt?

    Bush hatte das Pech, dass die Krisenanfälligkeit des Kapitalismus in seiner Amtszeit offenbar wurde. So bekam er von der unsichtbaren Hand des Marktes die Ohrfeige verpasst, die eigentlich auch sein demokratischer Vorgänger Bill Clinton verdient hätte. Denn auch Clinton deregulierte die Wirtschaft und kürzte die Sozialausgaben, die Umverteilungsmaßnahmen Bushs waren ein wenig radikaler, standen jedoch im Einklang mit den auch anderswo im Westen gültigen wirtschaftsliberalen Dogmen. Es ist daher ein Segen für die Linke, dass Obama wahrscheinlich Präsident werden wird. Nicht etwa, weil von ihm eine grundsätzlich andere Wirtschafts- und Außenpolitik zu erwarten wäre, sondern weil die Regeln der political correctness es glücklicherweise verbieten, einen Schwarzen als Tier, Satan oder Ähnliches zu karikieren. Es muss wieder über Politik geredet werden, und man kann darauf hoffen, dass die Linke ihre Schockstarre überwindet, etwa wenn klarer geworden ist, dass die »Rettungspakete« nichts anderes sind als eine Enteignung der Lohnabhängigen zugunsten der Finanzbranche. Denn, wie Bush in einer knappen Kapitalismusanalyse bemerkte: »Es ist Ihr Geld. Sie haben dafür bezahlt.«
    Quelle: Jungle World

  20. Chinas Wachstumsabhängigkeit
    Nach Jahren des zweistelligen Wachstums ist Chinas Wachstumsrate in diesem Jahr erstmals unter zehn Prozent gefallen. Und viele warnen, dass sich die Zuwachsraten im Gefolge der Krise der Schmerzgrenze von acht Prozent annähern könnten. Nur mit einem Wachstum von sieben bis acht Prozent aber, so die allgemeine Einschätzung, kann Chinas Wirtschaft genügend Arbeitsplätze für die wachsende Bevölkerung und das zunehmende Heer der bäuerlichen Wanderarbeiter bieten.
    Quelle: FAZ
  21. Das Spielen mit gewalthaltigen elektronischen Spielen ist stärkster Risikofaktor für Gewaltkriminalität
    Erstmals haben deutsche Wissenschaftler über einen Zeitraum von zwei Jahren die Auswirkungen des Konsums von Gewaltmedien auf Kinder und Jugendliche untersucht. Erschreckendes Ergebnis: Die Schülergewalt der Vierzehnjährigen wird am stärksten durch den früheren Konsum von Horror-Gewalt-Filmen beeinflusst; die Gewaltkriminalität der Vierzehnjährigen, wie zum Beispiel schwere Körperverletzung, Vandalismus oder Automatenaufbrüche, am stärksten durch gewalthaltige Computerspiele.

    Da Langzeitstudien Ursachen belegen können und nicht nur Zusammenhänge aufzeigen, sind kausale Wirkungen von Compu­tergewaltspielen, die bisher geleugnet wurden, nun durch die neue Studie von Hopf/Huber/Weiss bestätigt.
    Quelle: Zeit-Fragen

  22. Italiens Niedergang
    Berlusconi und seine Getreuen entziehen dem Bildungssystem den Boden und führen damit vor, wie sie demnächst Forschung und Opposition den Garaus machen werden.

    Italien hat sich einen Stammplatz unter den Pisa-Schlusslicht-Ländern erobert. Und auch Italiens Universitäten drohen international den Anschluss zu verlieren. Umso überraschender ist die Therapie, die Gelmini und Berlusconi dem Bildungswesen verordnet haben.

    Wie in den guten alten Zeiten sollen die Kleinen wieder zum Tragen von Schulkitteln verpflichtet werden, sollen sie wieder aufstehen, wenn der “Maestro” den Klassenraum betritt. Betragensnoten soll es wieder geben, und in den Fächern sollen die bisher vorgenommenen differenzierten Beurteilungen in den Zeugnissen durch die lieben alten Schulnoten ersetzt werden. Vor allem aber sollen die Grundschüler nur noch durch einen “maestro unico” – durch einen “einzigen Lehrer” – pro Klasse unterrichtet werden. Dies hat den schönen Nebeneffekt, dass das Unterrichtsministerium so binnen drei Jahren 8 Milliarden Euro einsparen könnte, weil knapp 90.000 Lehrerstellen wegfallen. Der für Kinder und Eltern unschöne zweite Nebeneffekt ist allerdings, dass auch der bisherige Vollzeitunterricht wegfallen würde, im besten Falle zugunsten reiner Hausaufgabenbetreuung an den Nachmittagen. Dazu passen auch die den Universitäten verordneten Brachial-Streichungen: In den nächsten Jahren sollen durch die Bank 80 Prozent der freiwerdenden Dozentenstellen nicht mehr neu besetzt werden.

    Auseinandersetzung mit der parlamentarischen Opposition, Dialog mit jenen gesellschaftlichen Gruppen, die durch die Dekrete betroffen sind, sind für die Berlusconi-Rechte nur mehr Bremsklötze beim autoritären “Durchregieren”. Schon die Form der Sparbeschlüsse – nicht als Gesetz, sondern als vom Parlament erst im Nachhinein zu billigendes Regierungsdekret – sprach eine klare Sprache. Nicht abwürgen konnte Berlusconi allerdings die Protestwelle im Land. Ihr widmete er sich mit dem Verfahren, das er schon bei der Bewältigung des Mülldramas in Neapel und bei der Lösung der Alitalia-Krise zur Anwendung gebracht hatte. Wer immer sich den von der Regierung angestrebten Lösungen widersetzte, wurde an den Medienpranger der fast völlig von der Regierung kontrollierten TV-Sender gestellt. Erst traf es die Bewohner, denen um Neapel neue Notstands-Müllkippen beschert wurden, dann die Alitalia-Angestellten und die nicht sofort zum Einlenken bereiten Gewerkschaften. Sie alle wurden als nur “um eigene Privilegien Besorgte” und “Extremisten” der öffentlichen Verachtung preisgegeben. Letztlich alles Vaterlandsverräter, so die Suggestion. Ebenjenes Spiel erprobt die Regierung auch bei Schulen und Universitäten. Zum großen Teil “ziemliche Faulpelze” seien die Lehrkräfte, hieß es aus dem Regierungslager.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Wann endlich wacht Europa auf und findet klare Worte, ja Maßnahmen gegen einen Ministerpräsidenten, der sich mit von ihm selbst initiierten Amnestiegesetzen gerichtlicher Verfolgung entzieht, der sich mit seiner einzigartigen Medienmacht an die Macht gebracht hat und ebenso jede Opposition diffamiert und ausschaltet? Finanzkrise hin oder her, Europa muss Berlusconi auf die Finger schauen und darf die endlich aufkommenden Massenproteste in Italien nicht im Regen stehen lassen.

    Dazu auch:

    Nichts geht mehr! Generalstreik an Italiens Hochschulen erinnert an 1968
    Schüler und Studierende ziehen seit heute morgen protestierend durch Roms Innenstadt. Generalstreik in allen staatlichen Bildungseinrichtungen ist angesagt. Immer wieder ruft die Menge den Namen von Bildungsministerin Mariastella Gelmini zusammen mit bösen Schimpfwörtern.

    Ein Physikstudent: “Worum es mir vor allem geht? Dass die staatlichen Ausgaben für die Hochschulen nicht, wie geplant, um 1,5 Mrd. Euro in drei Jahren gekürzt werden. Seit Jahren leiden die Fakultäten an Geldmangel. Das neue Gesetz sieht ja auch vor, dass auf fünf freiwerdende Stellen im Wissenschaftsbereich nur eine einzige Neubesetzung kommt. So wird unsere Hochschulbildung und – forschung kaputtgemacht. Was hier an den Unis geschieht, ist enorm wichtig.”
    Quelle: DLF

    Anmerkung: Berlusconi betreibt im Schnelldurchlauf, was bei uns schleichend geschehen ist:
    Er blutet die staatlichen Hochschulen und die öffentlichen Schulen aus. Damit verschlechtern sich deren Leistungen, und der Unmut darüber treibt die (besserverdienenden) Eltern der Kinder und Jugendlichen an private Bildungseinrichtungen.

  23. Erst Doppelstunde, dann Pause
    Warum in Deutschland in kürzester Zeit alles Nötige zur Bildungspolitik gesagt werden kann. Ein Fazit des “Bildungsgipfels”. Ein Bildungssystem wie in den skandinavischen Ländern oder Finnland kostet natürlich einiges. Gerade die Vielverdiener zahlen dort auch einiges an Steuern, was einer vorzüglichen Infrastruktur zugute kommt. Die in wirtschaftlich besseren Zeiten bereitgestellte großzügige Summe für die Bildung muss lediglich nach Maßgabe der Inflationsrate und des Wirtschaftswachstums aufgestockt werden, um das Niveau zu halten. In Deutschland müsste das Steuersystem erst mal komplett verändert werden, und das will fast niemand. Somit ist auch klar, weshalb der deutsche Bildungsgipfel nur zwei Stunden dauerte: Es gab nichts zu bereden.
    Quelle: Jungle World
  24. Medienkritik unerwünscht – schon gar wenn Blogs zitiert werden
    Heute erreichte uns die folgende Mail unseres Leser T.S-U.:

    Letzten Sonntag war das Presseclub-Gästebuch aus “technischen” Gründen “vorläufig” geschlossen worden (meines Wissens bis gestern).

    Dass die “technischen” Gründe nur vorgeschoben waren beweist folgender, dem Eingabefenster vorangestellter Eintrag heute:

    Im Interesse aller Teilnehmer bitten wir Folgendes zu beachten: Kritik sollte immer konstruktiv sein. Wir dulden keine Diskriminierungen, Verunglimpfungen und Gewaltverherrlichungen im Gästebuch. Einträge, die fremde Homepages und E-Mail-Adressen beinhalten, werden nicht freigegeben. Das Gästebuch ist moderiert. Einträge erscheinen nicht sofort.

    Wenn man die Löschungspraxis der letzten Wochen zugrunde legt, scheint unter Diskriminierung ja schon der der Vorwurf eines Mangels an Ausgewogenheit verstanden zu werden.

    Links zu den Nachdenkseiten werden dort dann wohl auch nicht mehr zu sehen sein. Durch die vorgeschaltete Zensur wird im Gästebuch wohl die gleiche Friedhofsruhe einkehren wie in der Sendung. “Gefährlich” im Sinne von für die Macher unkalkulierbar bleiben da allenfalls noch die 15 Minuten „Presseclub nachgefragt“.

  25. Zu guter letzt:

    Finanzballade – immer schon dagegen!
    Quelle: Hartmut Finkeldeys Blog „Kunst und Kritik“


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=3557