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Titel: Ein Experiment, mit dem Sie sich selbst davon überzeugen können, wie infam Teile der Medien mittlerweile agieren

Datum: 24. November 2016 um 13:31 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
Verantwortlich:

Kent Brockman

Sollten Sie die gestrige Generaldebatte über den Bundestagshaushalt 2017 noch nicht gesehen haben, dann lade ich Sie hiermit herzlich zu einem kleinen Experiment ein. Schauen Sie sich doch bitte vollkommen unvoreingenommen die Rede der Oppositionsführerin Sahra Wagenknecht an. Lassen Sie das Gesehene und Gehörte sacken und lesen sich bitte dann die Kommentare der Herren Rübel, Volmer und Denkler durch. Und nun frage ich Sie: Schreiben diese drei Vollblutjournalisten wirklich über die selbe Rede? Über die selbe Sahra Wagenknecht? Von Jens Berger

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Mein erster Eindruck von dieser Rede war: Wunderbar! Da hat Sahra Wagenknecht einen Parforceritt durch die politischen Themenfelder der jüngeren Vergangenheit und die ganz aktuelle Debatte zu den Wahlerfolgen der Rechten mit Bravour gemeistert. Die dümmlichen Zwischenrufe der SPD zeigten zudem, dass diese Partei immer noch äonenweit davon entfernt ist, in einem möglichen Linksbündnis ein Koalitionspartner zu werden. Aber alles Andere wäre ja auch sehr überraschend.

Überraschend wäre es natürlich auch gewesen, wenn die Mitglieder von Angela Merkels inoffiziellem journalistischen Jubelperser-Korps Wagenknechts Rede zumindest halbwegs unvoreingenommen reflektiert hätten. Das Gegenteil war der Fall und das ging schon in der Live-Berichterstattung der ARD los, wie der Kollege André Tautenhahn es in unseren Hinweisen des Tages bereits aufmerksam bemerkt hat. Eine erste „Interpretationshilfe“ lieferte dann wenige Minuten später SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, der Wagenknecht allen Ernstes und unter großem Gelächter der linken Abgeordneten vorhielt:

„Früher hieß es: Proletarier aller Länder vereinigt euch. Heute heißt es: Populisten aller Länder vereinigt euch. Ihre Antwort auf den Populismus von Rechts ist mehr Populismus von Links. Sie wollen Frauke Petry im Deutschen Bundestag überflüssig machen.“

Neu sind derlei Ausfälle des würdigen Noske-Nachfolgers freilich nicht. Schon mehrfach versuchte der Merkel-Fan mit dem falschen Parteibuch Wagenknecht bar jeder sachlichen Grundlage in die rechte Ecke zu stellen. Nun gut, an derlei Kasperletheater hat man sich in „postfaktischen Zeiten“ wohl leider bereits gewöhnt.

Selbst hartgesottene Beobachter waren jedoch überrascht, wie schnell und mit welch vorauseilendem Gehorsam Teile der Journaille Oppermanns Diktum aufgenommen und weiterverbreitet haben. Den Anfang machte SZ-Hauptstadtkorrespondent Thorsten Denkler, der Oppermanns unpassenden Trump-Vergleich aufnimmt und weiterspinnt. Da Wagenknecht die momentane Situation in Deutschland „in düstersten Farben“ schildert, sei sie „genau wie Trump“, dessen Politik ihr „zu gefallen scheint“. Einerseits ist die momentane Situation in Deutschland allen Uns-geht-es-doch-gut-Durchhalte-Parolen zum Trotz in der Tat düster und andererseits kann es doch bitte nicht die Aufgabe der Opposition sein, Bilder von blühenden Landschaften zu malen. Ich weiß ja nicht, wie lange Herr Denkler schon politische Debatten verfolgt. Aber es war stets die Regierung, die die Lage in schillernden, und stets die Opposition, die die Lage in düsteren Farben darzustellen versuchte. Das gehört sozusagen zur Dramaturgie solcher Generaldebatten, lieber Herr Denkler. Dies hier und jetzt Sahra Wagenknecht vorzuhalten und sie deswegen in die rechte Ecke zu stellen, ist nicht nur unfair, sondern für einen namhaften Journalisten auch erstaunlich unprofessionell.

Wie man noch dreister die Realität verbiegen kann, zeigt Hubertus Volmer, seines Zeichens Leiter des Politik-Ressorts bei n-tv.de. Für ihn ist Sahra Wagenknecht gleich mal „Trump auf links“, der dann auch „ihr politisches Vorbild zu sein scheint“. Und da Wagenknechts „Kernaussage“ – so zumindest laut Volmer – ja „früher war die Welt besser“ sei, habe Wagenknecht „durchaus Ähnlichkeiten mit der AfD“. Anstatt auf die Inhalte der Rede einzugehen, bedient sich auch Volmer eines einfachen Tricks: Kritik, vor allem grundsätzliche Kritik, sei Sache der AfD. Und so kann man jedem Kritiker ganz einfach vorwerfen, „Ähnlichkeiten“ mit der AfD zu haben. Ja, wenn es so einfach ist? Die entscheidende Frage ist aber doch: Wer nimmt Herrn Volmer diesen Unsinn ab?

Doch selbst ein Hubertus Volmer wirkt im direkten Vergleich zu seinem Kollegen Jan Rübel noch wie ein ehrenhafter Vertreter seines Berufsstands. Was Rübel auf den Nachrichtenseiten des ehemaligen Internetdienstleisters Yahoo absondert, spottet wirklich jeder Beschreibung. Für ihn „sitzt die AFD schon im Bundestag!“. Wagenknecht überhole „die anderen Parteivertreter rechts“, ihre Rede sei „zum Schämen“ und ein „Gesellenstück in Sachen Populismus“. Lieber Herr Rübel, warum nur ein Gesellenstück? Wenn schon dann doch bitte ein Meisterstück!

Rübel wäre aber keine vollkommene Lichtgestalt des zeitgenössischen Phrasendrescher-Journalismus, wenn er seine Verbalflatulenzen nicht auch begründen könnte … oder sollte man besser sagen „zu begründen versucht“? Beispiel gefällig? Sahra Wagenknecht bedient sich des Begriffes „Establishment“. Und dies sei, so Rübel, „eine bekannte Metapher der Rechten“. Ok, das ist zumindest mir vollkommen neu. Ich dachte immer, der Begriff sei vor allem von 68ern geprägt worden. Ich bin da aber auch nicht so ganz im Film. Vielleicht sind die 68er für die Rübels unserer Welt ja auch Rechte? Wer sein Handwerk im Springer-Verlag erlernt hat kommt ja oft auf die dollsten Dinger.

So hat Rübel auch allen Ernstes rechtsextreme Töne aus Wagenknechts Rede herausgehört. Angeblich habe sie Verständnis für die Dresdner gezeigt, die „Ausländer nur von der Dönerbude her kennen“ und nun „Angst vor Überfremdung“ haben. Rübel spricht in diesem Kontext von der „angeblichen Entdeutschung, die in Wagenknechtscher Lesart zu einem Fakt wird“. Entschuldigen Sie mir bitte die wiederholte Wortspielerei. Aber wenn dies kein „postfaktischer“ Journalismus ist, was ist dann überhaupt noch post- oder besser kontrafaktisch? Was der „Kollege“ dort schreibt, hat mit Wagenknechts Rede überhaupt nichts zu tun. Er interpretiert seine eigene Lesart in die Rede hinein und regt sich dann wortreich und moralinsauer über seine eigene Lesart auf. So kann man es natürlich machen, wenn man fälschlicherweise denkt, man sei Internetroll und kein Journalist. Dies ernsthaft zu kritisieren, fällt da schon schwer. Herr Rübel scheint jedoch ohnehin nicht satisfaktionsfähig zu sein, nicht die intellektuelle Fallhöhe zu haben, die nötig erscheint, sich ernsthaft mit ihm zu beschäftigen.

„Sage mir, wer dich lobt, und ich sage dir, worin deine Fehler bestehen“ – so soll es Lenin einst gesagt haben. Drehen wir das Zitat doch mal um: „Sage mir, wer dich kritisiert, und ich sage dir, was du richtig machst“. So gesehen, macht Sahra Wagenknecht dann wohl alles richtig. Oder ist bei Ihrem Experiment etwas anderes herausgekommen?


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