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Titel: Ein Rekorddefizit jagt das andere und keiner spricht über eine Kursänderung

Datum: 30. September 2004 um 12:31 Uhr
Rubrik: Finanzpolitik, Schulden - Sparen, Steuern und Abgaben, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Statt der ursprünglich im Haushalt vorgesehenen Neuverschuldung von 29 Milliarden Euro muss Finanzminister Eichel wohl in diesem Jahr mit einem Defizit von über 43 Milliarden Euro rechnen. Weil die Steuereinnahmen hinter den Schätzungen zurück bleiben, weil Steuern gesenkt werden, weil die Konjunktur nicht anspringt. Ein Defizit folgt dem anderen, doch die Antwort ist seit zwanzig Jahren immer die gleiche: Noch mehr sparen. Das Ergebnis war immer das gleiche: Noch mehr Schulden. Wann endlich wird man begreifen, dass in einer Phase konjunktureller Stagnation Sparen nicht zu einem Sparerfolg führt?

Die Gewöhnungseffekt scheint zu einem der wichtigsten Vermittlungsinstrumente der gegenwärtigen Allparteienkoalition zu werden. So hofft man bei SPD, CDU, FDP und Grünen darauf, dass sich die Menschen an die Hartz-Reformen gewöhnen und genauso hofft man darauf, dass die Leute einsehen, dass der Staat immer mehr sparen muss, weil die Haushaltslöcher eben immer größer werden.
Das Vermittlungsinstrument zeigt Wirkung: Es fällt einem intellektuell zunehmend schwerer, gegen diesen Gewöhnungseffekt anzukämpfen, denn man kann seine Kritik eigentlich nur ständig wiederholen und man hat Sorge, dass man sich damit dem intellektuellen Niveau der Kritisierten annähert.
So ist das auch bei der Sparpolitik. Die NachDenkSeiten haben zum wiederholten Male darauf hingewiesen, dass eine Sparabsicht in der Haushaltspolitik eben noch lange nicht zu einem Sparerfolg führen muss.
(Wie oft wir auf diesen Denkfehler schon hingewiesen haben, können Sie selbst nachprüfen, wenn Sie in unserer Suchrubrik einfach einmal die Begriffe „sparen“ oder „Haushalt“ eintippen.) Weil zu befürchten ist, dass auf die Schlagzeilen über das neue Rekorddefizit reflexartig nur wieder die üblichen, angeblich allein selig machenden Sparvorschläge in die Debatte eingeführt werden dürften, wollen wir vorbeugend einmal mehr darauf hinweisen, dass ein Denkfehler ein Denkfehler bleibt, auch wenn man ihn gebetsmühlenhaft wiederholt.

Es ist eben falsch gedacht, wenn man die Erfahrung, die jeder Privatmann oder jedes einzelne Unternehmen macht, auf den Staat oder auf die gesamte Volkswirtschaft überträgt. Natürlich kann der einzelne Privathaushalt oder ein Unternehmen sparen, wenn weniger Geld ausgegeben wird. Wenn der Staat aber immer weniger Geld ausgibt – also wenn er das Geld der Arbeitslosen oder der Rentner oder – etwa über die Privatisierung der sozialen Kosten – das Einkommen der Normalverdiener schmälert -, dann kaufen die Leute weniger, dann spürt das der Handel und nach dem Handel die zuliefernde Industrie. Die Wirtschaft bekommt dann weniger Aufträge und muss vielleicht sogar Leute entlassen und schon gar nicht wird sie ermuntert durch neue Investitionen neue Kapazitäten zu schaffen.
Das schwächt die Konjunktur und das senkt als Folge die staatlichen Steuereinnahmen.
Wenn der Staat also bei – unbestreitbar – schwachem privaten Konsum und deshalb schwacher Konjunktur zusätzlich spart, dann schwächt er die Konjunktur zusätzlich und deshalb wird auch die bestgemeinte Sparabsicht nicht zu einem Sparerfolg. Weil nämlich – wie wir das aktuell wieder nachlesen können – die Umsatzsteuern „hinter den Erwartungen zurückbleiben“, weil die Bundesagentur für Arbeit einen „Mehrbedarf“ hat usw. usf.
Nachdem seit zwanzig Jahren die Haushaltskonsolidierung quasi zum obersten Politikziel ausgegeben wurde und nachdem der „eiserne Hans“ seit 1998 eine Sparabsicht nach der anderen angekündigt hat und danach immer neue Defizite verkünden musste, sollte man meinen, dass irgendwann einer in der Politik und in den Medien einmal auf die Idee kommen könnte, dass dieser Teufelskreis durchbrochen werden muss. Es hätte doch irgendjemand auf das Beispiel Frankreich schauen können oder mal fragen können, wie eigentlich der US-Präsident Clinton einen von den „Sparern“ Reagan und Bush sen. total verschuldeten Haushalt saniert hat.

Stünde Hans Eichel heute nicht besser da, wenn er die Milliarden, die er entgegen seinen ursprünglichen Haushaltsansätzen nachträglich an zusätzlichen Haushaltsdefiziten hinnehmen musste, schon ins Jahr 1998 vorgezogen und in einem vernünftigen Investitionsprogramm angelegt hätte?

Aber nein, in Deutschland gibt es gegen die vorherrschenden Denkfehler absolute Denkverbote.


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