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Titel: Die AfD und unsere lieben Medien – ziemlich beste Freunde

Datum: 6. Januar 2017 um 11:31 Uhr
Rubrik: AfD, Audio-Podcast, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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Die AfD und unsere lieben Medien – ziemlich beste Freunde

Ein ganz normaler Zeitungsmorgen in Deutschland 2017: Die taz und SPIEGEL Online stellen sich Fragen über die Polizeikontrollen von Nordafrikanern auf der Kölner Neujahrsfeier, die WELT berichtet prominent über ein deutsch-österreichisches Innenministertreffen zu künftigen Grenzkontrollen, in der Süddeutschen geht es mal wieder um Obergrenzen und in der FAZ um „Neukontrollen der Flüchtlinge“. All diese Meldungen haben sicher ihre Daseinsberechtigung. Wenn wir aber nur noch über Flüchtlinge, Integration und Terror debattieren, müssen wir uns auch nicht wundern, wenn diese Themen im Herbst wahlentscheidend werden. Schlimmer noch: Die komplette Sozialpolitik, die Rente, die Arbeitslosigkeit, Krieg und Frieden, Euro- und Finanzkrise, Demokratiedefizite, Lobbyismus und volkswirtschaftliche Torheiten – all diese Themen bleiben mal wieder auf der Strecke und werden daher voraussichtlich auch im Wahlkampf keine große Rolle spielen. Es wirkt fast so, als haben es die Medien mit der Wahl ihrer Schwerpunktthemen darauf abgesehen, die AfD zu stärken. Das nennt man wohl heutzutage Win-Win-Situation. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wie kommt ein Bewohner der sächsischen Provinz eigentlich darauf, Angst vor der Islamisierung Deutschlands zu haben? Die Antwort ist wohl ebenso banal wie verstörend: Die Angst ist eine Folge der medialen Berichterstattung. Machen wir doch mal einen kleinen Debattenrückblick. Welche Themen beherrschten das Jahr 2016? Zunächst ging es wochenlang um „Köln“ und die Integration von Flüchtlingen aus dem arabischen und nordafrikanischen Raum. Dann waren die „Balkanroute“ und der „Flüchtlingsdeal mit Erdogan“ wochenlang die bestimmenden Themen. Im Juni kam der Terrorismus zurück. Zuerst gab es den Anschlag von Orlando, dann folgten Nizza, Würzburg, München und Ansbach. Der Sommer stand somit im Zeichen des mal mehr mal weniger islamistischen Terrors. Kaum kam der Herbst, debattierte Deutschland über ein Burka-Verbot und dann ging es um die Wahlen in den USA, die hierzulande vor allem unter dem Gesichtspunkt „Siegeszug des (Rechts)Populismus“ betrachtet wurden. Im Dezember debattierten wir dann ausführlich darüber, ob die Medien bei einem Mordfall in Freiburg darüber berichten „dürfen“, dass der Täter ein Flüchtling aus Afghanistan ist und kurz vor Weihnachten kam es zum tragischen Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt, der das Jahresende medial bestimmte und das neue Jahr beginnt wieder mit „Köln“. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch – all diese Themen sind wichtig und über all diese Themen darf und sollte man auch kontrovers diskutieren. Aber wenn die komplette mediale Agenda fast ausschließlich von diesen Themen bestimmt wird, ist dies natürlich für die AfD ein Hauptgewinn.

Kaum anders sah es 2016 in den „großen Talkshows“ auf ARD und ZDF aus. Von insgesamt 109 Sendungen von Will, Plasberg, Maischberger und Illner aus dem letzten Jahr, die ich gestern oberflächlich in den Mediatheken gesichtet habe, hatten nur zehn Sendungen ein sozialpolitisches Thema (inkl. Rente) und nur in drei Sendungen ging es explizit um finanz- bzw. wirtschaftspolitische Themen, zweimal davon unter dem Schlagwort „Wir haben zu niedrige Zinsen“. Auch außenpolitische Themen und das Thema Krieg und Frieden waren insgesamt nur siebenmal Thema in diesen Talkrunden. Zwölfmal ging es hingegen um Trump und den Brexit, zehnmal um Terrorismus, achtmal um die AfD bzw. den Rechtsruck in Europa und stolze 26 Mal um das Thema Einwanderung und Flüchtlinge. Weitere fünfzehnmal wurde unter Schlagworten wie „Wut, Werte, Wahrheit“ ein kulturpessimistischer Blick auf unsere Gesellschaft geworfen. Ganze zehnmal ging es übrigens um die Kanzlerin selbst. Zusammengefasst: In weniger als fünfzehn Prozent aller Talkshows des letzten Jahres wurden sozialpolitische Probleme, Lobbyismus, Privatisierung, Arbeitslosigkeit oder die Rente thematisiert. Dafür wurde in fast jeder zweiten Talkshow das eigentlich nicht zusammengehörende aber dennoch immer wieder miteinander vermischte Potpourri „Islam, Terror, Flüchtlinge, Integration“ thematisiert.

Müssen wir uns da ernsthaft wundern, dass unser Sachse seine eigenen Probleme mit der Zuwanderung verbindet und Angst vor einer Islamisierung Deutschlands hat? Müssen wir uns wundern, dass er bei Wahlen sein Kreuz wahrscheinlich bei der AfD oder noch weiter rechts macht?

Machen wir doch mal ein Gedankenspiel. Was wäre wenn Deutschland im letzten Jahr derart intensiv über die zu niedrigen Renten, prekäre Jobs, schlechte Löhne und andere negative Folgen der neoliberalen Politik der letzten Jahrzehnte debattiert hätte? Wahrscheinlich läge dann die Linkspartei in den Umfragen vor der SPD und die beiden ehemaligen Volksparteien würden wetteifern, wer von ihnen „linker“ ist. Unser Sachse würde nicht Flüchtlinge, sondern Banker, Lobbyisten und neoliberale Mietmäuler für seine prekäre Lage verantwortlich machen und in Dresden würden die Menschen allmontaglich für eine gerechtere Vermögensverteilung und echte Chancengleicht demonstrieren. Oder bin ich da zu naiv?

Würde man nun einem großkopferten Qualitätsjournalisten vorhalten, er sei es doch, der durch seine Kampagnen zumindest mitverantwortlich für den Erfolg der AfD ist, würde er wahrscheinlich pikiert die Augenbrauen verziehen und sagen, dass es nun einmal Aufgabe von Journalisten sei, über die Themen zu berichten, die die Menschen nun einmal interessieren. Da ist zwar richtig, aber da stellt sich dann jedoch die Frage nach der Henne und dem Ei. Berichten die Medien derart massiv für dieses AfD-Themenpotpurri, weil es die Menschen so interessiert oder interessieren diese Themen die Menschen derart, weil permanent darüber berichtet wird? Ich vermute eher Letzteres.

Die Menschen sind mit der Politik unzufrieden und wissen nicht so recht wohin mit ihrer Unzufriedenheit. Die Renten reichen oft nicht, die Löhne sind zu gering, die Jobsituation ist mies und die Eliten haben kein Ohr für die Probleme der Straße. Gleichzeitig wird den Menschen in den Zeitungen und Talkshows tagein tagaus mehr oder weniger direkt Angst vor Zuwanderung, dem Islam oder generell dem Fremden gemacht. Man muss doch nur Eins und Eins zusammenzählen, um zu erahnen, wie die Menschen in einer solchen Situation reagieren.

Es ist fatal. Da die Verantwortlichen im Medienapparat offenbar auf Teufel komm raus „linke“ Themen scheuen, übertreffen sie sich gegenseitig – sicher nicht absichtlich – mit ihrer Schwerpunktsetzung und thematischer Schützenhilfe für die AfD. Und dann fragt man sich scheinheilig, wer denn nun für die Erfolge der AfD verantwortlich ist und findet „Facebook“, „Fake-News“, RT Deutsch und KenFM als Antwort. Von Selbstkritik keine Spur.


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