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Titel: Die Auseinandersetzung mit der AfD: meist hohl und damit ungenügend. Deshalb hier ein Versuch der inhaltlichen Auseinandersetzung

Datum: 7. Februar 2017 um 14:20 Uhr
Rubrik: AfD, Aktuelles, Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Rechte Gefahr, Wertedebatte
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In der Regel wird nur pauschal kritisiert. Besonders sichtbar ist das an dem immer wieder verteilten Etikett „Populismus“. Dieses Wort ist zum Lieblingswort geworden. Und die es gebrauchen, tun so, als wäre allgemein klar, was damit gemeint ist. Das Anheften des Etiketts hat eher eine emotionale, denn eine sachliche Bedeutung. Außerdem können die Vertreter der AfD dieses Etikett nutzen, um sich als die wahren Vertreter des Volkes darzustellen. Ähnliches gilt abgemildert sogar für das Wort „Rechtspopulismus“. Albrecht Müller

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Mit der Etikettierung und Stigmatisierung werden auch Menschen in die Arme der AfD getrieben, die dort eigentlich gar nichts zu suchen haben.

Der Gebrauch der Worte „Populismus“ und „Rechtspopulismus“ wie auch in anderer Variation „Linkspopulismus“ hat für die Benutzer dieser Sprache den kleinen Vorteil, sich selbst in ein gutes Licht zu stellen: Dort sind die Bösen; wir sind die Guten. Das ist die emotionale Mechanik, die dabei abläuft.

Nun aber zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit der AfD.

Die etablierten Parteien sind auf vielen Feldern der Politik nicht geeignet, die Auseinandersetzung mit der AfD zu führen. Wer zum Beispiel den Niedriglohnsektor in Deutschland maßgeblich ausgebaut hat, ist unglaubwürdig im Ringen um die „kleinen Leute“ (siehe dazu zum Beispiel auch Gesine Schwan: Umkehren, Genossen!). Wer zum Beispiel in einigen Bereichen wie der Finanz- und Steuerpolitik die gleiche Politiklinie vertritt, ist nicht in der Lage, die Auseinandersetzung mit der AfD zu führen. Und wer zum Beispiel Militäreinsätze in anderen Ländern begonnen und weitergeführt hat wie SPD, CDU, CSU und Grüne – sie alle sind erst recht nicht geeignet, sich mit der AfD auseinanderzusetzen.

Carsten Weikamp hat sich für die NachDenkSeiten mit dem Grundsatzprogramm der AfD intensiv beschäftigt.

Sagen wir es gleich vorweg: Die AfD muss man nach Lektüre ihres Programms zusammenfassend charakterisieren als eine Vereinigung kulturpessimistischer Demagogen mit sozialdarwinistischen Vorstellungen, die sich in den Dienst der Ideologie des Neoliberalismus stellt.

Zunächst eine kurze formale Analyse: Es macht keinen Spaß, sich durch 95 Seiten Parteiprogramm zu lesen. Insofern kann man nur froh sein über mehr als ein Dutzend Seiten, die lediglich Kapitelüberschriften tragen, und noch einmal so viele, die auch innerhalb der sehr großzügig bemessenen weißen Seitenränder kaum zur Hälfte gefüllt sind. Dieser optische Eindruck von aufgeblähter Leere bestätigt sich an einigen Stellen dann auch inhaltlich.

Der AfD gelingen in ihrem Programm Beschreibungen gefühlter und tatsächlicher Defizite der aktuellen Politik. Die Länge der Beschreibungen in den einzelnen Kapiteln variiert dabei von verkürzt bis ausschweifend. Sie entspricht häufig keineswegs der Komplexität der geschilderten Sachverhalte, sondern allenfalls dem Gewicht, das die Partei dem Thema in der Außenwirkung beimessen will. Manche Dimensionierung grenzt ans Absurde. So ist das Thema über die geforderte Volksabstimmung zum Euro länger als das komplette Kapitel zu Arbeitsmarkt und Sozialpolitik und etwa genau so lang wie alles, was zu Wirtschaftspolitik geäußert wird.

Lieblingsmotive wie die „Stärkung der traditionellen Familie“, ein „nicht mehr funktionierender Staat“ oder die „kulturelle Bedrohung Deutschlands“ werden in mehreren Kapiteln in Variation wiedergekäut, während man wichtige Themengebiete wie z. B. Gesundheits- und Rentenpolitik gar nicht findet oder in Nebensätzen anderer Abhandlungen suchen muss.

Da, wo die etablierten Parteien offensichtliche Lösungen bestehender Probleme nicht umsetzen, werden diese zu Recht munter aufgelistet. Ist ein Problemfeld aber nicht trivial, dann werden gerne Thesen als Fakten gesetzt. Es wird selten erörtert und auf Ursachen analysiert, und wenn, dann oft nicht richtig. Der gezeigte mangelnde Sachverstand in Verbindung mit einfältigen Lösungsvorschlägen weckt mehr als einmal den Verdacht absichtlicher Fehlinterpretation. Frei nach Watzlawick: “Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel.”

Im sprachlichen Ausdruck ist das Papier grenzwertig. Es wird mehr dramatisiert, pathetisch formuliert, zugespitzt, vereinfacht und verallgemeinert, als es für ein Parteiprogramm angemessen wäre.

Jetzt also zum Inhalt: Um uns nicht im Klein-Klein zu verlieren, fassen wir hier die Positionen der AfD und unsere jeweilige Bewertung in sechs politischen Kernbereichen zusammen.

1. Gesellschaftspolitik: Die AfD vertritt vorsintflutliche Vorstellungen, die auf einem verklärten Bild der Familie aus dem 19. Jahrhundert gründen. Sie betreibt die Spaltung der Bevölkerung und bietet als Heilung den Nationalismus an.

Die AfD konstruiert ein Idealbild einer „bürgerlichen Gesellschaft“, und für sie gilt nur das. Quer durch das Programm zieht sich die negative Sicht einer kulturell verfallenen Gesellschaft, die in das Schema der „traditionellen Familie“ zurückgepresst werden soll.

Die „zunehmende Übernahme der Erziehungsaufgabe durch staatliche Institutionen wie Krippen und Ganztagsschulen, die Umsetzung des ‚Gender-Mainstreaming‘-Projekts und die generelle Betonung der Individualität“, „Frühsexualisierung“, ein „falsch verstandener Feminismus“ sowie viele weitere Fehlentwicklungen werden beklagt. Diese untergrüben „die Familie als wertegebende gesellschaftliche Grundeinheit.“ „Insbesondere Ehe und Familie garantieren als Keimzellen der bürgerlichen Gesellschaft den über Generationen gewachsenen gesellschaftlichen Zusammenhalt und genießen daher zu Recht den besonderen Schutz des Staates“.

Für viele Menschen ist die Familie glücklicherweise in der Tat ein wichtiger Pol, ein Anker, eine Rettung. Das aber zum allein seligmachenden Idealbild zu erklären, ist verlogen. Die Familie war auch früher nicht immer nur der gute Kern, der das Beste im Menschen hervorbringt. Das muss doch gerade auch im bürgerlichen Lager schmerzlich bekannt sein. Zum Beispiel wenn Menschen aus materiellen, moralischen oder ideologischen Zwängen dazu verdammt waren, in einer Familiengemeinschaft zu leben, in der die Mitglieder nicht zueinander passten. Da hatte es sich doch als Rettungsanker erwiesen, sich aus zu engen Familienverhältnissen herauslösen zu können, um zu einem starken Individuum zu reifen und dann seinen Platz in einer friedlichen, freien und fortschrittlichen Gesellschaft zu finden.

Zu erklären ist die Position der AfD wohl damit, dass das Wunschbild einer sich selbst versorgenden und umsorgenden Familie der Partei ersparen soll, sich ernsthaft Gedanken zu machen, wie man Fehlentwicklungen konkret begegnen und eine pluralistische Wirklichkeit fördern und weiterentwickeln kann. Das wird auch deutlich, wenn man danach fragt, was denn die beschworenen „Werte“ der Familie sein sollen: Im Programm sucht man vergeblich nach traditionellen Werten und trifft stattdessen auf Sekundärtugenden wie Leistungsbereitschaft und Disziplin. Es geht der AfD wohl weniger um das Einüben mitmenschlichen Umgangs im geschützten Raum als darum, die Menschen frühzeitig für andere Zwecke optimal verwertbar zu formen.

Halten wir also als Zwischenergebnis fest:

Die ‚AfD‘ kann gesellschaftspolitisch nur als RfD, als ‚Restauration für Deutschland‘ interpretiert werden. Sie hat die individual- wie gesellschaftspsychologischen Entwicklungen der letzten 150 Jahre verpasst und verklärt die vermeintlich guten alten Zeiten. Die heile Welt der Familie war schon damals ein Zerrbild der Wirklichkeit. Die „Rückbesinnung“ darauf ist eine Kampfansage an Pluralismus und Humanismus.

Gesellschaftliche Offenheit lässt die AfD nur dort erkennen, wo es gegen die Verschärfung des Waffenrechts geht: „Ein liberaler Rechtsstaat muss seinen Bürgern vertrauen. Er muss es nicht nur ertragen können, dass Bürger legal Waffen erwerben und besitzen, sondern muss die Handlungsfreiheit seiner Bürger bewahren und freiheitsbeschränkende Eingriffe minimieren.“ Ein Blick in die USA und die dort grassierende Gewalt auf den Straßen und in den Schulen reicht, um diese Position als realitätsfremd zu entlarven.

Damit es nicht zu Missverständnissen kommt: Die innere Sicherheit soll laut AfD keineswegs dem einzelnen Bürger überlassen werden. Im Gegenteil schnürt die AfD unter dem Titel „ für eine Wiederherstellung unseres Rechtssystems und einen effektiveren Rechtsschutz der Bürger“ ein dickes Law-And-Order-Paket:

  • Das Strafmündigkeitsalter soll auf 12 Jahre herabgesetzt werden (bis dahin muss die Familie das Kind also ‚hinbekommen‘ haben), und ab der Volljährigkeit soll das Erwachsenenstrafrecht angewandt werden.
  • Es soll „konsequent bestraft“ und „verloren gegangener Respekt wiederhergestellt“ werden.
  • Die Strafjustiz soll personell gestärkt werden.
  • Die Strafverfahren sollen durch geeignete Maßnahmen beschleunigt und Rechtsmittelsystem so gestaltet, „dass zügigere Entscheidungen möglich werden, indem insbesondere Urteilsaufhebungen und Zurückweisungen zur Neuverhandlung abgeschafft werden“.

Beschwichtigend wird hinzugefügt, dass „selbstverständlich die verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein faires Verfahren zu wahren“ sind. Unwillkürlich denkt man an amerikanische Verhältnisse überfüllter Gefängnisse, in denen Menschen nach dem Motto „Weggesperrt – Problem gelöst“ wegen Nichtigkeiten einsitzen.

Von ähnlich haarsträubendem gesellschaftlichen Desinteresse zeugt auch die Position zu kultureller Vielfalt: Diese wird als „Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation als kulturelle Einheit“ empfunden.

Es beginnt schon mit der Fehldiagnose der kulturellen Identität und Einheit der Nation. Menschen an Nord- und Ostsee identifizieren sich kulturell doch ganz anders als die am Alpenrand, und in Dresden tickt man ganz anders als im Rheinland. Und auch innerhalb von Regionen, selbst innerhalb von Ortschaften sind die Menschen nicht alle in derselben Kultur heimisch: Haben Sie zum Beispiel schon mal versucht, nüchtern den Kölner Rosenmontagszug zu erleben? Für das Maß an Überfremdung, das einen dabei überkommt, muss auch ein sehr fremder Flüchtling lange stricken.

Auch im Blick zurück ist die beschworene kulturelle Einheit nicht zu erkennen: Sie gab es nie in den vergangenen 150 Jahren. Die Arbeiterfamilie des 19. Jahrhunderts lebte nicht in einer kulturellen Einheit mit der bürgerlichen Familie, und schon gar nicht mit den feudalen Herrschaften.

Und ist kulturelle Einheit denn überhaupt wünschenswert? Nein, meinen Millionen Deutsche. Sie empfinden im Gegenteil amerikanische Musik, französische Lebensart, italienische Küche, griechische Philosophie, lateinamerikanische Tänze, orientalische Weisheit, asiatische Heilmethoden und vieles mehr als ungemeine Bereicherung.

Die Vorstellung, die „deutsche kulturelle Identität als Leitkultur selbstbewusst verteidigen“ zu müssen, deutet auch auf wenig Souveränität der AfD im Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt hin. Statt den wenigen realen Konflikten konkret zu begegnen, die aus unterschiedlichen kulturellen Prägungen resultieren, sollen Ängste geschürt und ein Kreuzzug gegen die Andersartigen inszeniert werden.

Die AfD kann nicht erkennen, dass der soziale Frieden nicht so sehr durch kulturelle Vielfalt, sondern vor allem durch große soziale Ungleichheit gefährdet wird. Sie ist auf dem linken Auge blind, aber darauf werden wir später noch zu sprechen kommen.

Die AfD verkauft den Menschen die dramatische soziale Schieflage und die daraus resultierenden Ängste als Folgen der Überfremdung und des Kampfes der Kulturen. Das ist eine gefährliche Demagogie: Eine Lüge, deren zerstörerisches Potential wir aus der deutschen Vergangenheit kennen und deshalb konsequent zurückweisen müssen.

Gesellschaftspolitik
Die AfD sagt: Dazu ist zu sagen:
„Die zunehmende Übernahme der Erziehungsaufgabe durch staatliche Institutionen wie Krippen und Ganztagsschulen, die Umsetzung des „Gender-Mainstreaming”-Projekts und die generelle Betonung der Individualität untergraben die Familie als wertegebende gesellschaftliche Grundeinheit.“ Die AfD verkennt die Wirklichkeit und kennt wenig Toleranz für gesellschaftlichen Pluralismus. Es zählen nur die „Werte“, die die AfD mit der „traditionellen Familie“ assoziiert. Sie versteht darunter aber vor allem Sekundärtugenden wie „Leistungsbereitschaft“, „Disziplin“, „Verantwortung“.
„Ehe und Familie garantieren als Keimzellen der bürgerlichen Gesellschaft den über Generationen gewachsenen gesellschaftlichen Zusammenhalt und genießen daher zu Recht den besonderen Schutz des Staates“. Ein Zerrbild der Wirklichkeit unserer Familien. Gesellschaftspolitische Aufgaben sollen ins Private verlagert werden. Politik soll sich damit nicht befassen müssen.
„Ein liberaler Rechtsstaat muss seinen Bürgern vertrauen. Er muss es nicht nur ertragen können, dass Bürger legal Waffen erwerben und besitzen, sondern muss die Handlungsfreiheit seiner Bürger bewahren und freiheitsbeschränkende Eingriffe minimieren.“ Ein Blick in die USA und auf die dortige Gewalt zeigt, wie wirklichkeitsfremd diese Position ist. Dahinter kann nur Interessenpolitik oder eine aus schlagenden Verbindungen übernommene Ideologie stecken.
„wir [halten] es für wichtig …, auf volljährige Täter das Erwachsenenstrafrecht anzuwenden und das Strafmündigkeitsalter auf zwölf Jahre zu senken. Der Staat muss durch die konsequente Bestrafung … den verloren gegangenen Respekt … wiederherstellen.“
„Die Strafjustiz … ist personell zu stärken, die Verfahren … zu beschleunigen … insbesondere sollen Urteilsaufhebungen und Zurückweisungen zur Neuverhandlung abgeschafft werden.“
Die AfD steht für die Lösung gesellschaftlicher Probleme durch Strafe und Wegsperren. Dass das nicht funktioniert, kann man ebenfalls beim Blick über den Teich leicht erkennen.
„Die Ideologie des Multikulturalismus betrachtet die AfD als ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation als kulturelle Einheit. Ihr gegenüber müssen der Staat und die Zivilgesellschaft die deutsche kulturelle Identität als Leitkultur selbstbewusst verteidigen.“
  • Gefährliche Demagogie: Böser Missbrauch des Kulturbegriffs im Dienste des Nationalismus. Der soziale Frieden wird durch zu große soziale Ungleichheit gefährdet, nicht durch kulturelle Unterschiede miteinander lebender Menschen.
  • Die beschworene kulturelle Einheit gab es nie in den vergangenen 150 Jahren.
  • Kulturelle Einheit ist auch nicht wünschenswert. Im Gegenteil: kulturelle Vielfalt empfinden Millionen Deutsche als eine Bereicherung ihres Lebens.

2. Sozialpolitik: Die AfD verneint jede soziale Verantwortung der Gesellschaft außer beim Schutz der Familie. Sie leugnet reale soziale Fragen.

Bereits in den einleitenden Worten des Kapitels über Arbeitsmarkt und Sozialpolitik wird deutlich, dass die AfD zum Thema „soziale Sicherheit“ nicht viel zu sagen hat. Es wird zwar betont, dass die „politische Gestaltung der Bedingungen des Erwerbslebens und aller Systeme, die den Erwerbslosen ausreichende Existenzbedingungen gewährleisten, … zu den bedeutungsvollsten Politikfeldern moderner Staatlichkeit“ gehört und dass der Anspruch aller Bürger, „ein selbstbestimmtes Leben in relativem Wohlstand zu führen … mit den Zielen der Wirtschaft nicht deckungsgleich“ sei.

Aber was dann folgt, ist buchstäblich Armut pur, und zwar sozialpolitische. Selbst in der Langfassung des Programms umfasst das ganze Kapitel gerade zwei Seiten und ist inhaltlich schnell zusammengefasst:

Die AfD behauptet, im Großen und Ganzen stimme der „ordnungspolitische Rahmen“, der ja auch „diejenigen nicht zu sehr einschränken [darf], die viel leisten können und wollen“. Als ob Leistungsfähigkeit und -bereitschaft automatisch auch wirtschaftlichen und sozialen Erfolg garantierten. Als ob dort, wo gesellschaftlich wertvolle Knochenarbeit geleistet wird, wie zum Beispiel in der Pflege, nicht nach wie vor Hungerlöhne gezahlt würden, während andernorts hohe leistungslose Einkommen und völlig überzogene Boni fließen.

Auf dem Arbeitsmarkt gebe es keine Probleme, da ja der Mindestlohn „im Bereich der Entlohnung die Position der Niedriglohnempfänger als schwache Marktteilnehmer gegenüber den Interessen der Arbeitgeber als vergleichsweise starke Marktteilnehmer“ korrigiere. Laut AfD ist nur der Arbeitsanreiz besser zu regeln (Missbrauch von Grundsicherungsleistungen, „Lohnabstandsgebot“). Unfreiwillige Arbeitslosigkeit existiert für die AfD nur als Bürokratieproblem – „Minimierung“ ist anzugehen (Auflösung der Bundesagentur für Arbeit, Konzentration der Aufgaben in den kommunalen Jobcentern).

Krankheit kommt als sozialpolitisches Handlungsfeld überhaupt nicht vor.

Auch Aussagen zur Rente muss man mit der Lupe suchen, und findet eine Hauptaussage im Nebensatz zum gesetzlichen Mindestlohn: Der sei nicht verkehrt, und man „befürwortet“, ihn beizubehalten, weil er „eine Existenz jenseits der Armutsgrenze und die Finanzierung einer, wenn auch bescheidenen, Altersversorgung [erlaube], die ansonsten im Wege staatlicher Unterstützung von der Gesellschaft zu tragen wäre“.

Finanzierung einer „wenn auch bescheidenen Altersversorgung“ aus einem Mindestlohn-Gehalt als einzige „Antwort“ auf die bestehende gravierende Schieflage im Rentensystem? Diese Vorstellung muss man mehrfach lesen, und selbst dann kann man sie kaum glauben. Auch die Auffassung, die Altersversorgung der Menschen müsse ja sonst „im Wege staatlicher Unterstützung von der Gesellschaft“ getragen werden, ist entlarvend für das „Jeder ist seines Glückes Schmied“-Menschenbild der AfD. Spätestens, wenn man unter „Staatsschulden planmäßig tilgen“ liest, dass das „derzeit niedrige Zinsniveau … die Alterssicherung weiter Teile der Bevölkerung [gefährde] und … deshalb nicht auf Dauer aufrechterhalten werden“ könne, spätestens dann weiß man: Antworten auf drohende Altersarmut oder auch nur eine Korrektur der gescheiterten privatisierten oder betrieblich organisierten Altersvorsorge ist von dieser Partei nicht zu erwarten.

Das Programm zeigt, dass die AfD total ignorant ist in allen sozialen Fragestellungen. Sie verneint die soziale Verantwortung der Gesellschaft für den Einzelnen jenseits des Schutzes des von ihr glorifizierten Modells von Familie.

Sozialpolitik
Die AfD sagt: Dazu ist zu sagen:
„Dieser [Ordnungs-] Rahmen darf diejenigen nicht zu sehr einschränken, die viel leisten können und wollen, und gleichzeitig diejenigen nicht aus dem Rahmen fallen lassen, die nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen.“ Es stimmt doch nicht, dass Leistungsfähigkeit und
-bereitschaft wirtschaftlichen Erfolg garantieren. Im Sozial- und Pflegebereich wird viel Leistung gekonnt und gewollt, aber die Bezahlung bleibt klein, während anderswo leistungslose und völlig überzogene Einkommen gezahlt werden.
„Die hohen Abgaben wirken sich negativ auf die Einkommen der Arbeitnehmer aus. Auch der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands leidet darunter.“ Die AfD hat wesentliche Zusammenhänge überhaupt nicht verstanden. Beiträge zur sozialen Sicherung werden nur als „Abgaben“ empfunden. Sie sind aber doch das Vermögen des kleinen Mannes. Sie sind auch keine Belastung der Wirtschaft, sondern auf dem Arbeitsmarkt geradezu ein Standortvorteil.
„Insbesondere erlaubt der Mindestlohn eine Existenz jenseits der Armutsgrenze und die Finanzierung einer, wenn auch bescheidenen, Altersversorgung, die ansonsten im Wege staatlicher Unterstützung von der Gesellschaft zu tragen wäre.“
  • Staatliche Unterstützung von der Gesellschaft für Bedürftige und Alte empfindet die AfD als Ärgernis.
  • Es ist haarsträubend, die Solidarität darauf zu reduzieren, dass man einen Mindestlohn festlegt.
  • Eine „bescheidene Altersversorgung“ aus dem Mindestlohn finanzieren zu können, ist eine groteske Fehlannahme.

3. Wirtschaftspolitik: Die AfD steht für Neoliberalismus pur und weitere Deregulierung. Wichtige wirtschaftspolitische Fragen stellt sie nicht einmal.

Wirtschaftspolitisch ist von der AfD Neoliberalismus pur zu erwarten. Das entsprechende Kapitel im Wahlprogramm ist zwar nicht ganz so dünn wie das zur Sozialpolitik, aber inhaltlich nahe an den Vorstellungen der etablierten Parteien: Es gibt einen ungetrübten Kinderglauben an den „freien Wettbewerb“ und an die selbstregulierenden Kräfte von Angebot und Nachfrage: „Je mehr Wettbewerb und je geringer die Staatsquote, desto besser für alle.“

Um es nicht zu offensichtlich werden zu lassen, dass ein klares Primat der Wirtschaft vor der Politik angenommen wird, zitiert die AfD die Väter der sozialen Marktwirtschaft Eucken, Müller-Armack und Röpke, deren „Ordnungsethik“ man zugrunde lege. Aber schon in der Ausführung des Begriffs zeigt sich, dass es sich wohl um ein Feigenblatt handelt, wenn es etwa heißt: „Zentrale Prinzipien unserer wirtschaftspolitischen Leitlinien sind Eigentum, Eigenverantwortlichkeit und freie Preisbildung. Der Schutz des Privateigentums ist dabei genauso unentbehrlich wie offene Märkte, Vertragsfreiheit und ein freier Wettbewerb mit entsprechender Wettbewerbspolitik und Monopolkontrolle.“ Es wird aber mit keinem Wort formuliert, wie denn Wettbewerb unter Kontrolle gebracht und was gegen Monopolbildung getan werden soll. Es bestehen doch handfeste Gefahren für die breite Masse der Bevölkerung, wenn Firmen wie Google, Apple, Microsoft oder Facebook beherrschende Marktpositionen erreichen und die einhergehende Machtfülle zu ihren Gunsten ausnutzen – längst nicht nur zur Profitmaximierung. Über diese Frage geht die AfD völlig hinweg.

Auch auf andere Kernfragen der wirtschaftlichen Wirklichkeit geht die AfD nicht konkret ein, zum Beispiel:

  • Wie kann die Macht von Investmentfonds wie Blackrock usw. eingeschränkt werden, die in beinahe allen DAX- und in weiteren wichtigen Unternehmen die Politik bestimmen, obwohl sie nur mit kleinen Anteilen von 3-5% am Kapital beteiligt sind? Wie kann es sein, dass die Fonds das Konzept des Shareholder Value aushebeln können, indem sie dem Unternehmen die Kosten aufbürden, die für die Anteilsübernahme erforderlich waren? Dass es sich hier um eine gravierende Verletzung des Privateigentums handelt, hat die AfD offenbar nicht verstanden.
  • Wie kann es sein, dass Firmen wie Amazon, Apple usw. ihre Profite legal in Steueroasen verschieben können und den Orten die Abgaben verweigern, an denen sie ihre Gewinne erwirtschaften und auf deren Infrastruktur sie dafür zurückgreifen?

Auf diese Fragen gibt es keine Antworten. Sie werden nicht einmal gestellt, womöglich nicht einmal als solche erkannt.

Stattdessen soll auf breiter Front dereguliert, sollen Bürokratie und Subventionen abgebaut werden. Übrigens auch bei der Kontrolle der Einhaltung des Mindestlohns. Dies komme dem Mittelstand zugute, der heute gegenüber den Großkonzernen übermäßig an den Kosten der „Regelbefolgung“ leide.

Die AfD muss wohl für sich in Anspruch nehmen, noch zu jung und grün hinter den Ohren zu sein. Wie sonst will sie rechtfertigen, nicht mitbekommen zu haben, dass es vor allem Deregulierungen und mangelnde Aufsicht waren, dank derer eine verantwortungslose Klasse von Wirtschaftsführern die letzte Finanz- und Wirtschaftskrise auf kriminelle Art und Weise mutwillig herbeigeführt hat. Die seit Jahren fortschreitenden Verdrängungs- und Konzentrationstendenzen in allen wichtigen Branchen als Folge von Überregulierung und staatlichen Eingriffen zu Lasten des Mittelstands darzustellen, ist eine kaum zumutbare Verdrehung der Tatsachen.

Wirtschaftspolitik
Die AfD sagt: Dazu ist zu sagen:
„Zentrale Prinzipien unserer wirtschaftspolitischen Leitlinien sind Eigentum, Eigenverantwortlichkeit und freie Preisbildung. Der Schutz des Privateigentums ist dabei genauso unentbehrlich wie offene Märkte, Vertragsfreiheit und ein freier Wettbewerb mit entsprechender Wettbewerbspolitik und Monopolkontrolle.“
  • Die AfD verspricht Neoliberalismus in bester Ausprägung.
  • Wie effektive Wettbewerbspolitik und Monopolkontrolle aussehen sollen, dazu fällt kein Wort.
„Wir wollen gleiche Regeln für alle – ob groß, ob klein, in jeder Branche. Neben der Steuerpolitik besteht unser Beitrag für den Mittelstand im Bürokratieabbau und einem Ende der Überregulierung.“
  • Die AfD fördert unter dem Deckmantel der Mittelstandsförderung Deregulierung und weitere Entfesselung der Märkte – also just die Prinzipien, die zur letzten großen Krise geführt haben.
  • Es gäbe sehr wohl wichtige und dringende Regulierungsbedarfe, z. B. die Beschränkung der Macht von Investmentfonds wie Blackrock, die mit kleinen Anteilen die Politik großer Firmen bestimmen, z. B. die Unterbindung der Verschiebung von Gewinnen in Steueroasen

4. Europapolitik und Euro: Die AfD verkennt die Wichtigkeit des europäischen Miteinanders. Statt die konkreten Probleme zu benennen und anzugehen, empfiehlt sie pessimistisch den Rückzug auf den Nationalstaat. Grob falsch wird die Grenze zwischen Gewinnern und Verlierern des Euro entlang von Staatsgrenzen gezogen.

Das Programm der AfD zeigt bei der Analyse der europapolitisch begangenen Fehler große Schwächen. Die Klage bleibt in der abstrakt-pauschalen Beschreibung stecken: „verlorene Souveränität“ in einem „undemokratischen Konstrukt“. Ursachen oder Handlungsalternativen werden nicht erörtert. Vermutlich weil sich nur so das rückwärtsgewandte Heilmittel des „funktionierenden demokratischen Nationalstaats“ als die richtige Lösung präsentieren lässt. Der Nationalstaat wird pathetisch glorifiziert als „in schmerzlicher Geschichte geschaffen“. Er verspreche als einziger, die als „nötig und gewünscht“ unterstellten Bedürfnisse nach „Identifikations- und Schutzräumen“ zu bedienen. Das AfD-Papier bleibt jede Argumentation schuldig, wo denn die Defizite genau liegen und warum es unmöglich sein soll, konkrete Ziele auch in einem europäischen Verbund zu erreichen. Warum ist nicht denkbar, dass die EU ihre Strukturen und Verfahren in Ordnung bringt und Lösungen für die Probleme schafft? Gerade als Vertreter des mächtigen Deutschlands könnte die AfD doch großen Einfluss geltend machen.

Stattdessen fabuliert die AfD von der EU als einem „multinationalen Großstaat“. Der sei wie andere internationale Organisationen eine „ideengeschichtlich alte Utopie“, deren Realisierung „stets großes Leid über die Menschen gebracht“ habe. Dabei muss doch zumindest für die letzten 70 Jahre das genaue Gegenteil festgestellt werden: Das Miteinander-Reden und das Aushandeln von Regeln zum Umgang miteinander haben gerade doch diese lange friedliche Phase geschafft und verhindert, dass sich die europäischen Nationen weiter die Köpfe einschlagen und „großes Leid über die Menschen“ bringen.

Nebenbei: Unfreiwillig komisch ist es, dass das Kapitel sich im Programm ausgerechnet direkt an die Erörterung der erheblichen Demokratie-Defizite im eigenen Land anschließt.

Wenig konkreter wird das Programm beim Euro. Schon die Problembeschreibung ist zweifelhaft: Lang und breit wird die ungerechte Haftung des „Dauerretters“ Deutschland beklagt, welcher durch „die Eurokratie in diese Schicksalsgemeinschaft gezwungen“ wurde. Dass sowohl der Antrieb zur Etablierung des Euro als auch viele Gewinner des Euro und sogar viele Gerettete in Deutschland zu finden sind, wird hübsch unterschlagen. Die Ursachen der Krise werden nicht richtig analysiert: Es wird nur von Staatsschuldenkrise gesprochen. – Kein Wort von notleidenden Banken und Finanzindustrie, deren Schrottpapiere von den Staaten aufgekauft wurden, welche dadurch jetzt in Schieflage sind. Ebensowenig wird die Austeritätspolitik als alternativlose Antwort auf die Krise in Frage gestellt.

Es muss unterstellt werden, dass hier kein Mangel an Kenntnissen vorliegt, sondern dass dies einzig und allein in der Absicht geschieht, die Unumgänglichkeit des erwünschten Ausstiegs aus der Währungsunion zu rechtfertigen.

Europapolitik und Euro
Die AfD sagt: Dazu ist zu sagen:
„Die Versprechen, durch multinationale Großstaaten und internationale Organisationen einen Ersatz für funktionierende demokratische Nationalstaaten zu schaffen, [sind] alte Utopien. Sie zu realisieren, hat stets großes Leid über die Menschen gebracht.“ Grobe Falschdarstellung: Gerade Miteinander-Reden und Aushandeln von Regeln zum Umgang miteinander haben doch diese lange friedliche Phase in Europa geschaffen.
„Der EURO beschädigt das hohe Gut des friedlichen Zusammenlebens der Völker, welche die Eurokratie in diese Schicksalsgemeinschaft gezwungen hat. Seine Installation führte zu Missgunst und Streit zwischen den Nationen. Da Krisenländer unter dem Dach der Einheitswährung gezwungen sind, ihre Wettbewerbsfähigkeit durch reale, „interne Abwertungen“ und eine damit verbundene energische Sparpolitik („Austeritätspolitik“) wiederherzustellen anstatt dafür eigene Währungsspielräume auszunutzen, sind innereuropäische Spannungen eine systembedingte Folge des EURO.“
  • Ignoranz in Vollendung: Schuld an den „innereuropäischen Spannungen“ sind doch, grob vereinfacht gesagt, 1. die Finanzspekulation, die durch Bankenrettung zur Staatsschuldenkrise wurde, 2. die deutsche Lohn- und Außenhandelspolitik und 3. das starre Festhalten der Gläubiger an kontraproduktiver Austeritätspolitik.
  • Völlig unangemessene Schwarz-Weiß-Malerei mit dem Ende des Euro als einziger Lösung.
  • Die AfD lässt grob fahrlässig den Teil der Wahrheit aus, in dem „Deutschland“ nicht nur Dauerretter (seine Steuerzahler), sondern auch Geretteter (seine Banken und Finanzunternehmen) ist. Die Grenze zwischen Gewinnern und Verlierern verläuft gerade nicht zwischen den Staaten.

5. Außen- und Sicherheitspolitik: Den Vorstellungen der AfD auf diesem Gebiet wird man noch am ehesten zustimmen können, wenn sie denn ernst gemeint sind.

Das Ziel „internationale Krisenherde diplomatisch zu entschärfen, um humanitäre Katastrophen und den Verlust der Heimat von Bevölkerungsgruppen zu vermeiden“ ist zunächst mal zu begrüßen. So auch zweitens die Ansage, sich an militärischen Operationen nur unter UN-Mandat beteiligen zu wollen, sich aber ansonsten aus den inneren Angelegenheiten anderer Länder herauszuhalten. Ebenso drittens der Ansatz, sich für die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland und eine Verbesserung der Beziehungen einzusetzen mit dem Ziel einer freundschaftlichen Partnerschaft. Und viertens das Ansinnen, den Abzug der noch verbliebenen Truppen der Alliierten herbeizuführen.

Ob diese Ziele aber im Rahmen der NATO-Mitgliedschaft zu realisieren sind, die nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird, ist zumindest stark zu bezweifeln. Auch stehen die Aussagen in krassem Widerspruch zu der Unwilligkeit, sich international zu verständigen, wie die AfD sie in anderen politischen Fragen an den Tag legt.

Zur Entwicklungshilfe lesen sich beachtliche Sätze wie der, dass es im deutschen Interesse sei, „wenn die Menschen in Entwicklungsländern eine Perspektive für ein menschenwürdiges Leben in ihrer Heimat erhalten“, oder der Satz „Fluchtursachen in den Herkunftsländern müssen bekämpft werden, auch wenn dies für die westliche Wirtschaft nachteilig ist“.

Nicht so recht passen will es aber, dass dabei zugleich die „sicherheitspolitische und außenwirtschaftliche Interessenslage Deutschlands stärker als bisher“ berücksichtigt werden soll. Es gelingt der AfD nur sehr mühsam, die eigene Ambivalenz im Umgang mit internationalen Partnern unter der Decke zu halten. Im Gegensatz zu den wohlklingenden Worten zuvor gibt es nämlich konkrete Vorstellungen, z. B. die Entwicklungspolitik ins Auswärtige Amt einzugliedern und darüber hinaus die Aktivitäten vorrangig von privaten Unternehmen ausführen zu lassen.

Außen- und Sicherheitspolitik
Die AfD sagt: Dazu ist zu sagen:
  • „Ziel muss es sein, internationale Krisenherde diplomatisch zu entschärfen, um humanitäre Katastrophen und den Verlust der Heimat von Bevölkerungsgruppen zu vermeiden.“
  • „Nato-Einsätze außerhalb des Bündnisbereichs, an denen sich deutsche Streitkräfte beteiligen, sollten grundsätzlich unter einem UN-Mandat stattfinden und nur, wenn deutsche Sicherheitsinteressen berücksichtigt werden.“
  • „Das Verhältnis zu Russland ist für Deutschland, Europa und die Nato von maßgeblicher Bedeutung, denn Sicherheit in und für Europa kann ohne Russlands Einbindung nicht gelingen.“
  • Außenpolitisch verfolgt die AfD durchaus zu begrüßende Ansätze, wenn sie denn ernst gemeint sind.
  • Eine Realisierung der Vorhaben im Rahmen der NATO-Mitgliedschaft, die nicht grunsätzlich in Frage gestellt wird, scheint unwahrscheinlich.
  • Die Aussagen der AfD stehen auch in krassem Widerspruch zu der Unwilligkeit der Partei, sich international zu arrangieren, wie sie z. B. in europa-, wirtschafts- und finanzpolitischen Themen zum Ausdruck kommt.
„Es liegt im deutschen Interesse, wenn die Menschen in Entwicklungsländern eine Perspektive für ein menschenwürdiges Leben in ihrer Heimat erhalten. … Fluchtursachen in den Herkunftsländern müssen bekämpft werden, auch wenn dies für die westliche Wirtschaft nachteilig ist.“ Erfreuliche Erkenntnisse, deren Umsetzung aber sehr zweifelhaft erscheint angesichts der ansonsten so geringen Solidarität der AfD mit Bedürftigen.

6. Finanz- und Steuerpolitik: Die AfD entlarvt sich als Sachverwalter der Wohlhabenden.

Als sei die Schuldenbremse nicht schon längst als unnötige Fußfessel widerlegt, die die Politik im Zweifel eher behindert als unterstützt, fordert die AfD ernsthaft eine grundgesetzliche Steuer- und Abgabenbremse. Diese solle die „staatliche Macht über den Bürger begrenzen.“ Staatsausgaben müssten reduziert werden und der – wörtlich: „finanzielle Staatszugriff auf die Einkommen und Vermögen der Bürger“. Im Widerspruch dazu heißt es an anderer Stelle, es gebe einen massiven Investitionsstau bei öffentlicher Infrastruktur als Folge von „jahrelangen substanzgefährdenden Einsparungen“.

Schon die Formulierung grenzt an Frechheit: Die Befugnis, Steuern zu erheben, als „staatliche Macht über den Bürger“ zu diskreditieren ist perfide. Abgesehen davon lässt sich leicht ausrechnen, in wessen Interesse diese Art Politik ist: Bei wem viel zu holen wäre, der profitiert auch viel, wenn „Staatszugriff“ reduziert wird.

Man braucht es aber gar nicht herzuleiten, denn ganz ungeniert bekennt die Partei: „Die AfD will die derzeit zur Erhebung ausgesetzte Vermögensteuer und die Erbschaftsteuer abschaffen.“ Für den, der es nicht sofort begreifen will, schiebt die Partei gleich noch die Begründung nach: Es handle sich um Substanzsteuern, „d. h. sie werden unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerbürgers erhoben.“ Genau. Das ist aber ja die Idee des Art. 14 (2) GG: Eigentum verpflichtet. Wer „Substanz“ hat, hat es zum Wohl der Allgemeinheit einzusetzen. Und genau das findet die AfD ungerecht. Sie vertritt also klar die Interessen der Wohlhabenden.

Weiteres Indiz dafür ist auch die Position, das Bank- und Steuergeheimnis wiederherzustellen. Im Bereich der inneren Sicherheit meint man noch, dass in der Vergangenheit „ein ideologisch motiviertes übertriebenes Maß an Datenschutzmaßnahmen die Sicherheitsbehörden gelähmt und unverhältnismäßig bürokratisiert“ habe mit der Folge „mangelnde[r] Sicherheit für rechtschaffene Bürger und Datenschutz für Täter.“ Hier argumentiert die AfD nun genau umgekehrt: Der Bürger dürfe nicht zum „gläsernen Untertan“ werden. Steuerdaten seien sensible Daten und das Steuergeheimnis dürfe nicht ausgehöhlt werden. Wer da wohl was zu verbergen hat …?

Aus den Steuergestaltungs- und Steuerfluchtskandalen zulasten der öffentlichen Kassen von LuxLeaks bis Panama Papers hat die AfD offenbar nichts gelernt. Sie befürwortet weiter den Wettbewerb nationaler Steuersysteme. Der Wettbewerbsgedanke anstelle eines solidarischen Miteinanders soll gar ins Innere ausgedehnt werden. Länder und Kommunen sollen „für sich genommen insolvenzfähig“ werden, Rettung und Beistand für überschuldete Einheiten gar verboten, vermutlich bis das letzte Licht ausgeht. Na dann, gute Nacht.

Finanz- und Steuerpolitik
Die AfD sagt: Dazu ist zu sagen:
„Wir wollen die staatliche Macht über den Bürger begrenzen. Dazu ist es erforderlich, die Staatsaufgaben zu reduzieren und den finanziellen Staatszugriff auf die Einkommen und Vermögen der Bürger zu reduzieren.“ Was für ein völlig falsches Verständnis von Staat die AfD hier offenbart: Der Staat als räuberischer Gegner des Vermögens der Bürger.
„Analog zur Schuldenbremse wollen wir eine verbindliche Steuer- und Abgabenbremse im Grundgesetz“ Es ist nicht einzusehen, warum die Politik ihre Handlungsoptionen grundlos beschneiden sollte.
„Die AfD will die derzeit zur Erhebung ausgesetzte Vermögensteuer und die Erbschaftsteuer abschaffen.“ Umverteilung zugunsten der finanziell weniger gut Ausgestatteten wird es mit der AfD nicht geben.
„Die AfD will die nationale Steuererhebungskompetenz beibehalten und befürwortet den Wettbewerb nationaler Steuersysteme.“ Ein Traum für transnationale Konzerne und Steueroasen. Skandale wie LuxLeaks oder die Panama Papers haben die AfD offenbar kalt gelassen.
„Wir fordern eigenverantwortliche Länder und Kommunen, die auch für sich genommen insolvenzfähig sein müssen. Wie auf europäischer Ebene befürworten wir hier die Nichtbeistandsklausel, so dass Rettungsprogramme des Bundes für überschuldete Kommunen oder Länder verboten sind.“ Das Weltbild der AfD:
sozialdarwinistischer Dauerdruck. Wettbewerb und ständige Konkurrenz auf allen Ebenen. Jeder gegen Jeden ohne jede Gnade.

Das ernüchternde Fazit:

Die selbsternannte „Alternative für Deutschland“ ist bei näherem Hinsehen überhaupt keine Alternative, sondern in vieler Hinsicht lediglich eine Farbvariante der etablierten Parteien.

Wer erwägt, die AfD zu wählen, kann vielleicht in einigen politischen Einzelfragen auf frischen Wind hoffen. Er muss aber bereit sein, in wichtigen Politikfeldern sein buchstäblich blaues Wunder zu erleben in Form einer drastischen Verschärfung der heutigen Verhältnisse.

Insbesondere der Hang, soziale Schieflagen demagogisch umzudeuten zu kulturellen Konflikten und die dann nationalistisch lösen zu wollen, lässt einen angst und bange werden.


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