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Titel: Eine „Karte“ die zeigt, wie hoffnungslos es um das Selbstbild der Medienmacher bestellt ist

Datum: 22. Februar 2017 um 12:59 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Medien und Medienanalyse
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Gestern ging eine „Karte“ wie ein Lauffeuer durch die sozialen Netzwerke. Ein leidlich bekannter Think Tank namens „Polisphere“ hat versucht, bekannte deutsche Medien anhand deren politischer Ausrichtung und Komplexität in einer Karte zu verorten. „Verlässliche Nachrichtenquelle“ sind demnach nur ARD und ZDF, sowie das Handelsblatt und natürlich der Tagesspiegel, bei dem die Verantwortliche für diese Grafik bis vor kurzem in Lohn und Brot stand. Die NachDenkSeiten liefern indes nur „Basisinformationen“, haben „fragwürdige“, da „linke“, Werte und neigen zu „linken Verschwörungstheorien“ und „Fake News“. Das Nonplusultra in Sachen Komplexität sind dieser Grafik nach indes der Cicero und die rechten Blogs „Achgut“ sowie „Tichys Einblick“. Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich. Ist das wirklich ernst gemeint? Wie dem auch sei. Das Ergebnis sagt ganz offensichtlich kaum etwas über die eingeordneten Medien, dafür aber sehr viel über die Erstellerin der Grafik und das Selbstverständnis der Medien- und Meinungsmacher. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Ergänzung (10.10 – 23. Februar): Nach einer Klagedrohung von „Deutsche Wirtschafts Nachrichten“ (DWN) hat Polisphere die „Karte“ überarbeitet. Die DWN fehlen nun ganz und „Jungle World“ wurde nach heftigem Protest der Facebook-Gemeinde auf der Y-Achse nach oben verschoben. Wir haben DWN ebenfalls von der von uns publizierten ersten Version der Karte gelöscht, nehmen die Korrektur bzgl. Jungle World jedoch nicht vor, da a) dann dieser Artikel stellenweise verwirrend wirkt und b) es absolut unverständlich ist, warum Jungle World, nicht aber die NachDenkSeiten plötzlich doch „komplexer“ bewertet wird als BILD und Focus. Interessant ist auf jeden Fall eine crowdbasierte Auswertung zu dieser Grafik, bei der die Leser selbst die hier genannten Medien einstufen sollen. Das Zwischenergebnis erscheint zumindest uns wesentlich plausibler als diese „Think-Tank-Arbeit“.

Die Probleme mit der Polisphere-Grafik fangen bereits bei der Skalierung an. Auf der X-Achse haben die Macher der Grafik die untersuchten Medien anhand der klassischen „politischen Gesäßgeographie“ von links nach rechts darstellt. Das ist natürlich unterkomplex und in Einzelfällen auch nicht eben plausibel – warum steht „RT Deutsch“ beispielsweise rechts außen und warum ist das Gros der „Mainstream-Medien“ in der politischen Mitte verortet, obgleich deren eigentliche Ausrichtung doch eher gemäßigt rechts ist? Und was bitteschön ist am SPIEGEL und SPIEGEL Online „tendenziell links“? Fragen über Fragen, auf die es wohl keine Antworten geben wird.

Schwerwiegender ist jedoch, dass die Autoren es nicht bei einer neutralen Skalierung belassen, sondern die Skala in Gruppen einordnen und mit einer klaren Bewertung versehen. Demnach stellt nur die Mitte, in der Grafik als „Mainstream“ bezeichnet, „seriösen Journalismus“ dar. Bereits leichte Abweichungen nach links oder rechts gelten als Makel, klarere Positionierungen bereits als „Mission“, die mit dem Zusatz „fragwürdige journalistische Werte“ versehen wird. Wer noch weiter an den Rändern verortet wird, bekommt gleich das Label „Verschwörungstheorien & Fake News“ verpasst. Die Botschaft klar: Die Mitte ist gut und seriös, alles, was nach rechts oder links abweicht, ist unseriös – je weiter von der Mitte entfernt, desto unseriöser. Nur keine Kritik an der gegenwärtigen Politik.

Der Unterschied zwischen Nachrichten und Kommentar

Bereits hier zeigt sich, dass die Autoren überhaupt nicht verstanden haben, was sie da eigentlich tun. Der klassische Journalismus hat schließlich zwei grundsätzlich voneinander zu unterscheidende Kategorien – die Nachrichten und den Kommentar. Richtig ist, dass die Nachrichten idealerweise neutral, ausgewogen, sachlich und möglichst objektiv gestaltet werden sollten. Dies ist zwar heute in der Realität auch nur selten der Fall; dennoch ist die reine Nachrichtensparte schon per Definition stets „sachlicher“ als ein Kommentar. Ein Kommentar wiederum darf selbstverständlich subjektiv sein und muss sich nicht um Dinge wie Ausgewogenheit, Neutralität oder politische Ausrichtung kümmern. Kommentare, die von der politischen Mitte abweichen, sind nach dieser Einordnung per se nicht mehr seriös und ohne journalistischen Wert. Meinungsstärke wird hier mit fragwürdigen journalistischen Werten gleichgesetzt. Das ist natürlich Unsinn. Aber dieser Unsinn hat Methode.

Der mediale Mainstream benutzt seinen Nachrichtenblock nämlich nur all zu gerne als Aushängeschild und „Beleg“ dafür, neutral, sachlich und ausgewogen zu sein. Dass noch nicht einmal dies der Fall ist, wissen Sie als NachDenkSeiten-Leser zu Genüge. Der Trick besteht jedoch darin, das neutral-ausgewogene Nachrichten-Image auch auf die eigenen Kommentare zu übertragen. Doch die Kommentare sind keinesfalls neutral-ausgewogen; warum auch? Hinzu kommt, dass die klare Trennung[*] zwischen Nachrichten und Kommentar immer mehr verschwimmt.

Komplexität und Anspruch

Ebenfalls unverständlich ist die Methode, nach der die Macher der Grafik die Medien auf der Y-Achse angeordnet haben. Diese Achse soll laut Beschriftung die „journalistische Qualität“ angeben. Die Skalenabschnitte reichen von „reißerisch & Clickbait“ bis zu „komplex“. Erstaunlich ist dabei, dass das rechte Meinungsblog „Achgut“ (früher „die Achse des Guten“), das unter anderem vom Rechtspopulisten Henryk M. Broder betrieben wird, und Roland Tichys erzkonservatives Blog „Einblick“ im obersten Bereich verortet werden, während die NachDenkSeiten auf dem anderen Ende der Skala verortet werden. Die Botschaft ist klar: Rechts ist „komplex“, links ist „reißerisch“.

Aber auch ansonsten ist die Kategorisierung von vorne bis hinten unsinnig. Man kann über die antideutsche „Jungle World“ ja nun denken, was man will – aber dass dieses eher dröge-verkopfte Intellektuellen-Blatt nun ein „reißerisches Clickbait“ sein soll, während BILD und Focus.de als „Basisinformationen“ gelten, ist nicht ersichtlich. Ebenso wenig wie das Urteil, dass die meisten der gelisteten Massenmedien mindestens „hohe Standards“ erfüllen sollen. Nahezu tagtäglich weisen wir hier auf den NachDenkSeiten darauf hin, wie manipulativ diese Medien vorgehen, wie sie ihre Kampagnen orchestrieren und welch dramatische Auswirkungen dies für uns alle hat. Man muss schon sehr blickdichte Scheuklappen haben, um diese Kritik vollkommen zu ignorieren.

Wir sind die Besten der Besten der Besten, Sir!

In der Mitte der Grafik prangt als gedachtes Idealbild der deutschen Medienlandschaft der Tagesspiegel. Für alle, die begriffsstutzig sind, haben die Ersteller noch ein Pfeilchen mit der Beschriftung „Verlässliche Nachrichtenquelle“ – in besonders seriösem Comic Sans – angeheftet … während bei den NachDenkSeiten der mütterliche Rat „Lieber nicht lesen“ aufgeführt ist. Warum ist ausgerechnet der Tagesspiegel für die Macher der Grafik so vorbildlich? Ganz einfach: die Verantwortliche kommt vom Tagesspiegel.

Dr. Sandra Busch-Janser, die heute als „geschäftsführende Vorsitzende“ die Geschicke des Think Tanks Polisphere leitet, war bis 2016 „Chefin vom Dienst für politische Informationsdienste“ beim Tagesspiegel. Vorher war sie nach eigenen Angaben „in verschiedenen Funktionen in der Politikberatung tätig“ – sie war also auf Deutsch „Lobbyistin“. Es ist ja nicht so, als dass man dies nicht schon geahnt hätte.

Die Grafik selbst ist übrigens „nur“ eine bis ins kleinste Detail kopierte und auf deutsche Verhältnisse übertragene Version einer Grafik, die Vanessa Otero im Dezember 2016 für die US-Medien erstellt hatte.

Oteros Grafik wurde in den US-Blogs schon mit Staunen und Kopfschütteln kommentiert. Ok, die Dame ist von Beruf Patentanwältin und hat die Grafik mehr als Hobby erstellt und sich dabei in der Bewertung vor allem von der Wikipedia-Beschreibung leiten lassen. Schwamm drüber, in China fallen täglich Millionen Säcke Reis um.

Peinlich und zum Fremdschämen ist indes, dass diese Hobby-Grafik nun von deutschen Medienmachern ernsthaft ins Rennen geschickt wurde, um die angegriffene Ehre zu retten. Doch dieses Manöver ist gründlich in die Hose gegangen. Anstatt Applaus ernten die Macher in den Sozialen Netzwerken vor allem Häme … auch NachDenkSeiten-Leser zeigten sich erwartungsgemäß empört.

Auch mir stellt sich immer noch die Frage, ob diese Grafik wirklich ernst gemeint oder vielleicht doch nur ein PR-Gag ist, um Werbung für den Think Tank zu machen. Wer das schräge Selbstbild der meisten Medienmacher der Mainstream-Medien kennt, wird jedoch sicher dazu neigen, die Grafik als verunglücktes Selbstbildnis zu interpretieren. So sehen unsere Edelfedern sich und die Medienwelt. Na dann. Viel Spaß auch weiterhin beim Kampf gegen die Windmühlen. Und wir alle wissen ja, dass Warnhinweise á la „Lieber nicht lesen“ in Wirklichkeit die beste Werbung sind. Danke dafür.


[«*] Eine solche klare Trennung gab es früher beispielsweise auf der Titelseite der FAZ. Im linken und mittigen Hauptblock gab es dort den Nachrichtenteil und in der rechten Spalte – zusätzlich abgegrenzt durch einen anderen Schrifttyp in der Überschrift – den Kommentarblock. Heute existiert auch in der FAZ diese Trennung nicht mehr und Nachricht und Kommentar verschwimmen nur all zu oft miteinander.


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