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Titel: Ohne eine Art Kulturrevolution werden wir die Plage der herrschenden Ökonomen nicht los

Datum: 6. Februar 2009 um 16:41 Uhr
Rubrik: Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Neoliberalismus und Monetarismus, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Thomas Fricke hat verdienstvoller Weise in der Financial Times Deutschland die Diskussion über die herrschende Wirtschaftswissenschaft fortgeführt. Mit Hinweis Nr. 7 haben wir darauf aufmerksam gemacht, Orlando Pascheit hat leicht kritisch kommentiert. Ich finde, dass Thomas Fricke das anstehende Problem auf die leichte Schulter nimmt, wenn er zum Beispiel von der „gerade abtretenden Altökonomie“ schreibt. – Diese Damen und Herren treten nicht einfach ab. Sie werden die eingenommenen Machtpositionen, ihre Pfründen und ihre Meinungsführerschaft mit Zähnen und Klauen verteidigen. Albrecht Müller

Das Beharrungsvermögen dieser herrschenden Gruppe ist groß.

Die Macht der Sinns, der Straubhaars, Zimmermanns, Raffelhüschens, Weder di Mauros, Rürups, Franzens, Starkes, Issings, Tietmeyers, usw. ist noch lange nicht gebrochen; im Gegenteil: Sie besetzen nach wie vor die wichtigsten Schlüsselpositionen der Ökonomieberatung:

  • die Mehrheit des Sachverständigenrates,
  • die Wirtschafts- und Konjunkturforschungsinstitute mit Ausnahme des IMK,
  • den Wissenschaftlichen Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium,
  • die Europäische Kommission,
  • mit Otmar Issing die Leitung der Expertenkommission der Bundesregierung zur Neuordnung der Weltfinanzmärkte,
  • die meisten Universitäten,
  • etc.

Sie besetzen zentrale politische Stellen, zum Beispiel:

  • den Posten des Bundespräsidenten; Horst Köhler gehört zu einer Gruppe, die man wegen ihrer Nähe zur gescheiterten Chicago Schule der Ökonomie die deutschen Chicago Boys nennt,
  • die Deutsche Bundesbank,
  • die Europäische Zentralbank, dort zum Beispiel mit dem Deutschen Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank Jürgen Stark

Sie bestimmen nach wie vor wichtige politische Entscheidungen und die Meinungsbildung zu wichtigen Fragen.

Das sieht man zum Beispiel an dem zurzeit ablaufenden Theater um die Schuldengrenze, ein wahrlich absurdes Projekt, das von den herrschenden Ökonomen in Szene gesetzt worden ist. Man konnte es sehen am Versuch der Bundeskanzlerin, das Aufsichtsratsmitglied der gescheiterten HRE und gleichzeitig Kuratoriumsvorsitzender der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, Hans Tietmeyer, zum Vorsitzenden der Expertenkommission zur Neuordnung der Finanzmärkte zu machen. Das ging nur wegen parteipolitischer Schlagseite schief. Ohne Diskussion wurde dann Otmar Issing bestellt.

Die herrschende Lehre bestimmte wirtschaftspolitische Beratung im Großen und im Kleinen. Sie war durchbrochen und beiseite geschoben worden, als man endlich im vergangenen November auch in Deutschland wieder das Wort Konjunkturprogramm in den Mund nehmen durfte. Aber schon bei der Diskussion um die Ausgestaltung und um die Höhe des Konjunkturprogramms und die Finanzierung flossen ständig die gängigen Denkmuster der herrschenden neoliberalen Lehrer ein. Konjunkturprogramme bringen zusätzliche Verschuldung, diese Dauerparole, die aus der Unfähigkeit gespeist ist, in Wirkungszusammenhängen zu denken, ist in der Debatte nach wie vor fest verankert. Als kritischer Begleiter ist man immer wieder gezwungen, nimmermüde darauf hinzuweisen, das ohne solche Konjunkturprogramme die Verschuldung noch viel höher ausfallen würde. Dieser Lernschritt war der Politik bisher noch kaum möglich, weil sie immer noch den Sprechblasen der herrschenden Ideologen glaubt.

Auch im Kleinen geht die Indoktrination auf der Linie der herrschenden Meinung weiter: der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat gerade ein 25 Seiten langes Papier mit dem Thema „Konjunkturprogramme in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Einordnung und Bewertung der Globalsteuerung von 1967-1982“, verfasst von einem Dr. Claus-Martin Gaul, vorgelegt [PDF – 220 KB].

Ein Kernsatz dieses Gutachtens lautet: „In der nachträglichen Bewertung der Globalsteuerung von 1967 bis 1982 wird deutlich, dass dieses Politikkonzept und damit die in diesem Rahmen verabschiedeten Konjunkturprogramme insgesamt als gescheitert gelten können.“

Diese Bewertung stammt vom 22.1.2009. Und sie steht in einem quasi amtlichen Dokument, das der Beratung unserer Bundestagsabgeordneten dient. In der Literaturliste dieses Gutachtens sind nicht einmal die Gutachten des DIW und des Ifo-Instituts zu den Konjunkturprogrammen der Siebzigerjahre aufgeführt. Diese kamen damals zu positiven Bewertungen. Natürlich setzt sich der Autor nicht mit Texten auseinander, die zu anderen Bewertungen kommen als er. In „Machtwahn“ wie auch in der „Reformlüge“ bin ich ausführlich auf die damaligen Erfahrungen eingegangen. Der Autor des Bundestags muss solches ja nicht zitieren, aber er müsste sich mit gegenläufigen Bewertungen auseinandersetzen.

Das Fazit: die gescheiterte neoliberale Wissenschaft ist noch lange nicht abgetreten.

Ihrer Macht beruht auf Seilschaften, nicht auf einem überragenden Konzept

Dass die neoliberalen geprägten Ökonomen so mächtig sind, beruht ja nicht auf der Intelligenz ihres Konzeptes. Dieses war über weite Strecken bisher schon zum Lachen. So zum Beispiel ihre Geldmengenlehre. Oder ihre Pferde-Äpfeltheorie, wonach man bei den oberen Einkommen ruhig zu legen kann, es komme dann schon unten an. Oder ihre Lohnnebenkosten-Vorstellungen. Oder ihre Vorurteile gegen Konjunkturprogramme. – Diese und andere Theorien waren nun wahrlich nicht von Intelligenz gesegnet. Aber sie waren und sind vorerst noch verankert, weil ihre Träger in Seilschaften verbunden sind und sowohl durch Personalpolitik als auch durch Verknüpfung mit Medien dafür sorgten, dass aus allen Ecken die gleichen Botschaften zu hören waren. Die „Gültigkeit“ ihrer Theorien beruht auf Gleichschaltung und nicht auf Qualität.

An Deutschlands Universitäten ist diese gleiche Ausrichtung der Wissenschaft systematisch und mit beachtlichen Erfolg betrieben worden. In meinem Buch „Machtwahn“ habe ich dies für den Fall der Humboldt-Universität in Zeiten der Wende skizziert. Siehe Anhang.

Ihrer Macht beruht vor allem auf der Verknüpfung mit Medien, großen Interessen und Public Relations-Agenturen

Die Misere der ökonomischen Wissenschaft ist direkt mit der Misere des Wirtschaftsjournalismus und der Medien insgesamt geknüpft. Hans-Werner Sinn ist von der Bild-Zeitung zum besten Ökonomen Deutschlands ausgerufen worden. Rürup und Raffelhüschen sind von den Medien mit Unterstützung der Verbände und Unternehmen, zum Beispiel der Versicherungswirtschaft, für die sie tätig sind, hervorgehoben und immer wieder ins Rampenlicht gestellt worden. Auch ihr trotz Finanzkrise und trotz des Versagens ihrer ökonomischen Theorien weiter sichtbar großer Einfluss gründet wesentlich auf der Bereitschaft vieler Medien, ihnen immer wieder ein Forum zu bieten. An dieser Verknüpfung ist nichts gelöst. Sie wirkt weiter. Bisher jedenfalls. Von Abtreten kann nicht die Rede sein.

Die Interessenverknüpfungen sind auch nicht gelöst und lösen sich offenbar auch künftig nicht: Raffelhüschens Institut in Freiburg wird auch weiterhin von Interessenvertretern der Versicherungswirtschaft gefördert; der Präsident des DIW Klaus Zimmermann ist im Nebenberuf immer noch Direktor des unter Einfluss der Deutschen Post AG stehenden Instituts für die Zukunft der Arbeit, IZA, das eine bedeutende agitatorische Rolle für Niedriglöhne und andere arbeitnehmerfeindliche Parolen spielt; und Hans-Werner Sinn sitzt immer noch im Aufsichtsrat der HypoVereinsbank, usw.

Wie kann sich die Lage grundlegend ändern?

Freiwillig abtreten werden die Damen und Herren nicht, schon gar nicht, wenn ihre fatale Herrschaft nicht deutlicher und lauter zum Thema gemacht.

Die künftige Personalpolitik in diesem Bereich muss ein öffentliches Thema werden und bleiben. Es müsste einen Sturm der Entrüstung geben, wenn, wie gestern zu hören war, Nachfolger von Bert Rürup im Sachverständigenrat der neoliberal eingefärbte bisherige Chef des Rheinisch Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), Christoph Schmidt, werden soll.

Das Scheitern der neoliberalen Bewegung zum öffentlichen Thema zu machen ist auch wichtig, damit jüngere Wissenschaftler wenigstens Anstöße dafür bekommen, sich anders zu orientieren. Bisher sitzen diese doch mehrheitlich vermutlich auf der falschen Schiene.

Also muss das Scheitern der herrschenden Ökonomie zu einem großen öffentlichen Thema gemacht werden.

Das Thema sollte von den Studierenden aufgegriffen werden. Sie gilt es zu ermuntern, sich von der herrschenden Lehre nicht mehr jeden Unsinn bieten zu lassen.

Das Thema muss so breit zur Debatte gestellt werden, dass zum Beispiel auch die Parlamentarier aufwachen, statt weiter zu glauben, was herrschende Lehre ist. Insofern ist es wirklich gut, das die Financial Times Deutschland das Thema aufgegriffen und weiter angestoßen hat.

Vorerst wird man wohl auch auf Wendehälse setzen müssen. Darauf hat Orlando Pascheit in seinem Kommentar in unseren Hinweisen zu Recht aufmerksam gemacht. Aber das reicht nicht. Zentrale Positionen, die von Wirtschaftswissenschaftlern besetzt werden, müssen künftig den heute noch herrschenden Ideologen verschlossen bleiben und von anderen besetzt werden. Das ist ein weiter Weg. Wenn man ihn zu beschreiten beginnen will, darf man nicht den Eindruck erwecken, die Altökonomie sei abgetreten.

Zur „Kulturrevolution“ würde gehören öffentlich und politisch zu untersagen, dass Professoren der Nationalökonomie, die vom Steuerzahler besoldet werden, nebenher beziehungsweise häufig im Hauptberuf für private Interessen tätig sind. In einer öffentlichen Debatte müssten wir die Herren Sinn, Rürup, Raffelhüschen, Franz u.a. zwingen, ihren Lehrstuhl aufzugeben, wenn sie zusätzlich für private Interessen tätig sind. Dieses Minimum an wissenschaftlichem Anstand ist notwendig, wenn wir eine Verbesserung der wissenschaftlichen Beratung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik erreichen wollen.

Anhang

Auszug aus Albrecht Müller, „Machtwahn. Wie eine mittelmäßige Führungselite und zugrunde richtet“, Seite 209:

Gleichrichtung der Wissenschaft

In Deutschland ist die wirtschaftspolitische Diskussion auch deshalb so wenig plural und offen, weil es in der Wirtschaftswissenschaft selbst zu einer Verengung gekommen ist. Anders als zum Beispiel in den USA gibt es bei uns eine sehr dominante Hauptströmung und nur noch wenige Gegenstimmen. Vermutlich hat dies mit einer sehr einseitigen Berufungspraxis an unseren Universitäten und Hochschulen zu tun.

Beispielhaft dafür war das Verfahren an der Humboldt-Universität Berlin. Dort wurde vom Berliner Senat der Bonner Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Krelle für die Zeit von 1991 bis 1993 zum Vorsitzenden der Struktur- und Berufungskommission der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät ernannt. Er war zu diesem Zeitpunkt schon pensioniert und wickelte nun die alte Fakultät aus DDR-Zeiten ab. Krelle hat in Berlin dafür gesorgt, dass tiefdunkel gefärbte Neoliberale, meist mit mathematischem Hintergrund, berufen wurden.

Wirtschaftswissenschaftler, die eher der Richtung des britischen Nationalökonomen Keynes zuneigten, hatten keine Chance. Marxisten sowieso nicht. Bewerbungen von Kandidaten, die nicht zum herrschenden Strom der Wirtschaftswissenschaften gehörten, wurden nicht einmal mit einem Eingangsvermerk bestätigt. Mit harter Hand sorgte Krelle für die von ihm als richtig befundene Ausrichtung der Fakultät. Diese Intoleranz kennen wir auch aus anderen Zusammenhängen – so zum Beispiel vom Umgang der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft mit Journalisten.

Auch die Entwicklung bei den wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten ist von einer beängstigenden Verengung gekennzeichnet. Das letzte unter den sechs Instituten, das in Fragen der Konjunkturpolitik eher die Keynesianische Richtung vertrat, wurde mit der Berufung von Professor Klaus Zimmermann zu seinem Präsidenten 1999 in den großen Strom eingepasst – mit der Konsequenz zum Beispiel, dass der profilierte Konjunkturforscher Gustav Adolf Horn das Institut verlassen musste. Jetzt sind alle deutschen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute gleich ausgerichtet.


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