NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Das Spiel des SPIEGEL. Oder: Die unkritische Postille der Herrschenden.

Datum: 22. März 2009 um 13:31 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Medien und Medienanalyse, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich:

Wir weisen auf zwei Artikel in SpiegelOnline hin, nicht weil sie lesenswert wären. Es sind aber zwei weitere gute Belege für den Niedergang des Spiegel und deshalb geeignet, bei Noch-Spiegel-Lesern dafür zu werben, sich diesen Aufwand zu ersparen. Dazu möchten wir ermuntern.
Am 20. März 2009, um 17:00 Uhr erschien bei SpiegelOnline eine Lobeshymne auf Angela Merkel und ihre Regierung: „GIPFEL IN BRÜSSEL – Merkel diktiert der EU ihre Krisen-Agenda“. – Das ist maßlos übertrieben, vermutlich von Spindoktoren in den Laptop diktiert und rundum unkritisch. Die Lobeshymne soll offensichtlich das Meinungsbild prägen. Dafür spricht nicht nur der flache Text sondern auch, dass Volkerys Propagandastück (Bericht und Kommentar siehe Teil A) garantiert 15 Stunden, vermutlich sogar 17 1/2 Stunden die Spitzenmeldung bei SpiegelOnline blieb. Das ist selbst am Wochenende ungewöhnlich. Die nächste Meldung (zu Opel) blieb gerade mal zweieinhalb Stunden die Spitzenmeldung. In anderen Medien waren die Meldungen zum Brüsseler Gipfel schon am Freitag von Obamas Gesprächsangebot an den Iran und Irans Reaktion als Spitzenmeldung verdrängt.
Am 21. März um 0:27 Uhr erschien ein weiteres äußerst unkritisches Produkt der SpiegelOnline-Redaktion: „DER STAAT UND DIE KRISE – Retter in Not“ (Bericht und Kommentar siehe Teil B). Albrecht Müller

Teil A
Bericht und Kommentar zu:

GIPFEL IN BRÜSSEL
Merkel diktiert der EU ihre Krisen-Agenda
Aus Brüssel berichtet Carsten Volkery
Quelle: SpiegelOnline vom 20.3.2009

Autor Volkery hat offensichtlich niedergeschrieben, was die drei deutschen Gipfelteilnehmer Merkel, Steinmeier und Steinbrück auf einer Pressekonferenz vorgetragen haben. Selbst der billige Trick der Meinungsmache, die Übertreibung, wird wortwörtlich übernommen. In der Bildunterschrift zum Foto von Kanzlerin Merkel heißt es: ‚Ziele „übererfüllt“’.

Die angeblich der EU von den Deutschen diktierte Krisenagenda ist ausgesprochen dünn, jedenfalls erfährt man in dem Artikel nichts wirklich genaues. Die Deutschen hätten eine weitreichende Regulierung der Finanzmärkte durchgesetzt – „die Kanzlerin und ihre Minister jubeln.“ Autor Volkery erklärt die weitreichende Regulierung so: Es solle „kein Hedgefonds, keine Private-Equity-Firma, keine Steueroase mehr unbeaufsichtigt sein“. – Das schreibt der Autor einfach unkritisch hin. Wie das geschehen soll bei einem Aufsichtspersonal, das offensichtlich eng mit der Finanzwirtschaft verflochten ist, löst keine Fragen aus. Schon gar nicht kommt der Autor auf die Idee zu fragen, ob man die vielen Hedgefonds, die Steueroasen und Private-Equity-Firmen überhaupt noch braucht. Dass der Finanzmarkt weit überdimensioniert ist und es eigentlich das Ziel der Bundesregierung und der EU sein sollte, ihn auf das notwendige Maß zu reduzieren, fällt dem SpiegelOnline Autor natürlich nicht ein. Das fällt ja auch der Bundeskanzlerin und den beiden vertretenen Ministern Steinmeier und Steinbrück nicht ein. In der Frankfurter Rundschau konnte man am 21. März lesen, dass bei einer anderen Veranstaltung, die Gegenstand des Berichtes des zweiten SpiegelOnline-Artikels ist (Siehe unten Teil B), der heutige Aufsichtsratsvorsitzende und frühere Deutsche Bank-Vorstand Michael Endres gesagt hätte, in einer heutigen Bankbilanz seien nur 10-20 % auf das eigentliche Kreditgeschäft zurückzuführen. Alles andere sei „artifiziell“. (Siehe dazu auch den NachDenkSeiten Beitrag Teil I zur Finanzkrise vom 7. Januar)
Der SpiegelOnline Autor muss die Notwendigkeit der Konversion der Finanzindustrie nicht in allen Details erfassen. Er müsste aber verstehen und artikulieren, dass eine bessere Aufsicht auch nicht die Andeutung der Lösung des Problems darstellt.

Wenn man in dem SpiegelOnline Beitrag dann weiter sucht, worin eigentlich der große Erfolg der deutschen Bundesregierung in Brüssel gelegen haben soll, dann stößt man im dritten Absatz des Textes auf die Anmerkung, die Forderungen nach mehr Regulierung der Finanzmärkte nähmen in der zweiundzwanzigseitigen Erklärung des EU-Rates (dem deutschen Wunsch entsprechend, offensichtlich) einen breiten Raum auch ein, während die Passagen über die Konjunkturhilfen vergleichsweise kurz ausfallen. „Pflichtschuldig“ werde zu Anfang der Erklärung erwähnt, dass die EU für einen „beträchtlichen Stimulus“ sorge. Mit weiteren Stimulus-Ankündigungen halte sich die EU zurück, stattdessen werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, sobald wie möglich zu „nachhaltigen öffentlichen Finanzen“ zurückzukehren. „Der Wachstums- und Stabilitätspakt, das alte deutsche Steckenpferd“, solle unverändert der Maßstab für das Wirtschaften in Europa sein. Und dann wird noch berichtet, die „Wiederherstellung des Kreditwesens“ habe Vorrang vor konjunkturpolitischen Maßnahmen.
Auch diese unsinnige Prioritätensetzung, überhaupt die Missachtung der konjunkturpolitischen Notwendigkeiten veranlasst den Spiegelautor nicht zu einer kritischen Randnotiz. Angesichts der Meldungen über die Einbrüche bei den Auftragseingängen und der Produktion ist das eine beachtliche Fehlleistung eines medialen Beobachters. (Zum Absturz der Produktion in D siehe hier: Mit 84,4 weit unter dem Wert von 2005=100) Es ist eine Fehlleistung der Bundesregierung, die sie nach Brüssel transportiert hat. Von einem einigermaßen unabhängigen und kritischen Journalisten müsste dies als Fehlleistung aufgespießt statt belobigt werden.

Dann wird noch lobend erwähnt, das sich die EU-Staaten mit weiteren 75 Milliarden € an der Verdoppelung der IWF-Kreditlinie auf 500 Milliarden beteiligen. Auch der EU-Krisenfonds soll von 25 auf 50 Milliarden € verdoppelt werden, um finanzschwachen Ländern in Osteuropa zu helfen.
Auch hier keinerlei kritische Anmerkung. Das wäre aber fällig gewesen. Schließlich widersprechen alle diese zusätzlichen Ausgaben dem, was in Bezug auf konjunkturpolitische Maßnahmen an „nachhaltigem öffentlichen Finanzgebaren“ angemahnt wird. Offenbar sind Milliarden, die an osteuropäische Staaten gehen und dort nach Meinung von Kennern zum messbaren Teil auf den Konten mafiöser Strukturen landen, gut angelegt, Milliarden zur Sicherung der Beschäftigung der Menschen hierzulande sind schlecht angelegt. So der Tenor des Textes.

Insgesamt ist der Text

  • inhaltsleer,
  • liebedienerisch,
  • unkritisch.

So, wie Spiegel und SpiegelOnline heute eben sind.

Teil B:
Bericht und Kommentar zu:

DER STAAT UND DIE KRISE
Retter in Not
Von Hasnain Kazim
Quelle: SpiegelOnline vom 21.3.2009

In diesem Stück wird über eine Veranstaltung der Hertie School of Governance in Berlin mit „Polit-Insidern, Wirtschaftsprofis und dem Bundesbank-Chef“ berichtet. Auch dieser Bericht ist eines Nachrichtenmagazins und kritischen Magazins unwürdig:
Es fängt schon damit an, dass diese Veranstaltung – geht man nach dem, was der Spiegelautor berichtet – eigentlich nicht erwähnenswert ist.
Der Autor berichtet mit glänzenden Augen über den Auftritt von Jörg Asmussen, dem Staatssekretär Steinbrücks, den er Jens Asmussen nennt. Das ist eine lässliche Sünde, das kann passieren. Aber es darf nicht passieren, dass bei einem solchen Bericht über eine Diskussionsveranstaltung zum Thema „Staat und Finanzmarktkrise“ nicht einmal in einer Fußnote vorkommt, welche traurige Rolle Asmussen bei der Kontrolle der IKB, bei der 10-Milliardensubvention für die IKB und ihre Verschleuderung für 150 Millionen an den Hedgefonds Lonestar gespielt hat. Und dass Asmussen von seiner Funktion her eigentlich verantwortlich dafür ist, dass die Bundesregierung die Schieflage der HRE zu spät erkannt und sich die Zig-Milliarden tranchenweise aus der Nase ziehen ließ.
Der Spiegelautor berichtet darüber, das Asmussen sich über einen (erfundenen) „Fachhochschulprofessor aus Lüneburg“ lustig machte, der „im Nachhinein behauptet, dass er schon 2002 geschrieben habe, die Immobilienmärkte seien irgendwie riskant“. – Ein Journalist mit ein bisschen kritischem Verstand hätte hier wenigstens anmerken müssen, dass der zuständige Staatssekretär und frühere Abteilungsleiter im Bundesfinanzministerium Asmussen spätestens seit Jahresanfang 2003 von faulen Forderungen in den Bankbilanzen wissen musste, als der damalige Bundesfinanzminister und frühere Chef von Asmussen, Hans Eichel, sich mit Schröder und Clement mit den Spitzen der Banken traf, um über die Gründung einer Bad Bank zu sprechen. Und er hätte anmerken müssen, wie rührig sich Asmussen für neue Finanzprodukte auf dem „Finanzplatz Deutschland“ engagiert hat.
Auch das unglaubliche Gerede des Bundesbankpräsidenten lässt der Autor unkritisch durchgehen und berichtet darüber sogar: die Finanzkrise war die Folge eines „unguten Cocktails“. „Es war eine ungute Verknüpfung und Verstärkung mehrere Probleme“, meint Weber. „Schon (!) seit Sommer 2007 habe man sich mit der Krise befasst, als es schlechte Nachrichten von der IKB und der Sachsen LB gab.“ Der Bundesbankpräsident gibt offen zu, dass er alle Warnzeichen wie z.B. die Gründung von Zweckgesellschaften verschlafen hat. Die Bundesbank hat Vertreter in den USA. Diese haben mit Sicherheit von den schon lange erkennbare Risiken auf dem dortigen Immobilienmarkt berichtet. Die Bundesbank musste auch mitbekommen haben, dass die HypoVereinsbank in München schon 2003 ihre schlechten Risiken auf die HRE verlagert hat. Die Bundesbank musste auch beobachten, hätte jedenfalls beobachten müssen, dass die Depfa nach Irland verlagert wurde. Warum wohl? Das hätte man in Frankfurt doch fragen müssen. – Angesichts all dieser Fakten, die deutlich machen, dass es nicht ein „unguter Cocktail“ sondern ungute Ingredienzen waren, dem Bundesbankpräsidenten abzunehmen, man habe sich schon seit Sommer 2007 mit der Krise befasst, zeugt von absolut oberflächlicher journalistischer Tätigkeit. Es muss „erst“ und nicht „schon“ heißen
Es kommt dann in diesem Artikel noch dicker: Kurt Biedenkopf labert unkritisiert vor sich hin. (Lesen Sie bitte selbst, wenn Ihnen mein Urteil ungerecht erscheint).
Und das Mitglied des Sachverständigenrats Beatrice Weder di Mauro „schlägt vor, man könne eine Krise wie die jetzige vermeiden, wenn man vorher den Boom abflache. Wenn der Aufstieg nicht so rasant sei, erfolge später auch kein so tiefer Fall.“ Lächerliche 2 bis 3 % Wachstum sind aus der Sicht dieses Sachverständigenratmitglieds ein „rasanter“ Boom. Und wo ist der Zusammenhang zwischen diesem angeblichen Boom und der Spekulation mit neu erfundenen Finanzprodukten auf den Finanzmärkten?

Armes Deutschland. Das sind Deine Eliten. Angeglichenes Mittelmaß in Wissenschaft und Wirtschaft, in Politik und Medien. Sie alle sorgen gegenseitig dafür, dass es nicht auffällt.

Nachzutragen bleibt dann noch die zuvor schon erwähnte Einlassung des Aufsichtsratsvorsitzenden der HRE, Michael Endres. Davon berichtet die Frankfurter Rundschau am 21. März unter dem Titel „Neue Balance gesucht“. Ich zitiere die einschlägige Passage, die ich für wirklich erwähnenswert halte, die aber im Bericht des Spiegelautors fehlt. Sie steht im Kontrast zu den zitierten flachen und abwegigen Sprüchen:

Als ein Vertreter der mehr oder weniger guten, alten Bankenwelt kann Michael Endres leichter reden. 1998 aus Protest gegen die Fixierung aufs Investmentbanking aus dem Vorstand der Deutschen Bank ausgeschieden, wies er auf den Irrsinn der vergangenen Jahre hin. In einer heutigen Bankbilanz seien zehn bis 20 Prozent auf das eigentliche Kreditgeschäft zurück zuführen. Alles andere sei “artifiziell”, aufgebläht durch kaum überschaubare Finanzinstrumente. Darin sieht Endres, der als Krisenmanager den Aufsichtratsvorsitz bei der Hypo Real Estate übernommen hat, auch ein Hauptproblem bei diesem Institut: Wie kommt man von diesen Dimensionen wieder herunter?

Ich kenne Herrn Endres nicht, ich kann ihn auch nicht einschätzen. Aber diese Information ist interessant und ich hätte sie gerne auch in SpiegelOnline gelesen. Soviel Aufklärung will dieses Kampagnenmedium aber vermutlich nicht.


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=3838