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Titel: Zukunft ist gut für alle … die paradoxe Parallelwelt der Wahlplakate

Datum: 10. August 2017 um 9:14 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, PR, Wahlen
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Nun sind es nur noch sieben Wochen bis zum Wahlsonntag. Alle Jahre wieder buhlen die Parteien mit bunten, mal mehr, meist weniger originellen Plakaten um Wählerstimmen. Wobei der Begriff „Wahlkampf“ eigentlich nicht mehr zutreffend ist. Die CDU sitzt die Wahlen ganz einfach aus, ist ihr Sieg doch ohnehin nicht ernsthaft bedroht und die SPD weigert sich beharrlich, inhaltliche Alternativen anzubieten, wie am Dienstag bereits Albrecht Müller treffend analysierte. Zwei der vier „kleinen Parteien“ bewerben sich handzahm um die Juniorpartnerschaft, die Linkspartei appelliert einsam auf weiter Flur an die unteren 90% und die AfD suhlt sich in der Rolle des Parias. Jens Berger hat sich für die NachDenkSeiten einmal die Plakate angeschaut, mit denen ganz Deutschland in den kommenden Wochen verunstaltet wird.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

CDU – die Kanzlerin ist die Kernbotschaft

Die CDU scheut den inhaltlichen Wahlkampf wie der Teufel das Weihwasser. Das ist nicht neu. Neu ist auch nicht, dass der Wahlkampf der Christdemokraten extrem auf die Kanzlerin zugeschnitten ist. Die CDU braucht keine Inhalte. Merkel ist schließlich die Botschaft; Inhalte hat man da bereits seit längerem überwunden. So strahlt dann auch erstaunlich zeitlos eine deutlich mit Photoshop aufgehübschte Kanzlerin vom Hauptplakat entgegen – „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben.“ Es war zu erwarten, dass die CDU mit einer Variation des beliebten „Uns geht es doch gut“ in den Wahlkampf zieht; ein PR-Märchen, das auch von den Medien gerne verbreitet wird. Im Kern könnte die CDU auch auf Ihr Plakat von 1957 zurückgreifen: „Keine Experimente! Konrad Adenauer“ Die Aussage ist die gleiche. Freilich muss man dabei jedoch bedenken, dass die politische Konkurrenz 1957 in der Tat Alternativen angeboten hatte. So plädierte die SPD damals für einen Austritt der Bundesrepublik aus der NATO, um eine rasche Wiedervereinigung zu ermöglichen. Heute hält die SPD selbst nichts von „Experimenten“.

Auch ansonsten gibt sich die CDU gewohnt uninspiriert und bräsig. „Für eine starke Wirtschaft und sichere Arbeit“, „Für Sicherheit und Ordnung“ und „für mehr Respekt vor Familien“ – dies sind traditionell konservative Slogans, die offenbar an die Kernwählerschaft der CDU adressiert sind und Ehe für Alle hin, Einsparungen bei der Polizei her, bei diesen Wählern sicher auch haften bleiben. Bei der CDU kümmert sich die Mutter ums Kind und der Mann schreinert, um das Geld zu verdienen – als Zugeständnis an die jüngeren Wähler auf dem Lande trägt er immerhin einen Fünftagebart. Oh wie hipp! So plakatiert eine Partei, die inhaltliche Debatten bereits überwunden hat, eigentlich gar keinen Wahlkampf machen will und es offensichtlich auch gar nicht nötig hat, kreativ zu sein.

SPD – ein zynisches Willkommen im Paralleluniversum

Vollkommen ratlos lassen die Plakate der SPD den kritischen Betrachter zurück. Zynisch könnte man sagen, dass die Plakate höchstens Wähler ansprechen können, die in den 90ern ins Koma gefallen und erst jetzt wieder aufgewacht sind. Denn die SPD auf den Plakaten hat mit der real existierenden SPD des Jahres 2017 nichts zu tun. Und selbst wenn man diesen nicht unerheblichen logischen Fehler einmal ignoriert – plakatiert so eine Partei, die gewinnen will? Wohl kaum.

„Zukunft braucht neue Ideen“ … ach was? Tatsächlich? Wer denkt sich bitte solche Slogans aus? Das erinnert in all seiner Inhaltsleere schon fast an den Satire-Slogan „Zukunft ist gut für alle!“, mit dem der Komiker Ralf Kabelka vor rund zehn Jahren als Politiker-Parodie Dr. Udo Brömme auf Tour ging. Von Brömme lernen, heißt siegen lernen? Ich warte ja auch noch auf den Tag, an dem Jan Böhmermann aus dem Martin-Schulz-Kostüm klettert und den Witz endlich aufklärt. Anders ist auch das Hauptplakat der SPD kaum zu erklären. Ein Schulz, der etwas von Ideen für die Zukunft raunt, aber partout nicht sagen will, um welche Ideen es sich handelt … das kann doch nur Satire sein.

Auch die Bildplakate mit inhaltlichen Bezügen scheinen aus einer Art Parallelwelt zu stammen. Eine laute, fordernde Familienpolitik von der SPD? Nun ja. Eine Politik, die in Ideen investiert? Aber doch nicht in Zeiten der Schuldenbremse! Echte Lohngerechtigkeit und nicht „21% weniger“? Stopp, die SPD kritisiert mit diesem Plakat natürlich keine prekären Arbeitsverhältnisse, bei denen beispielsweise Leiharbeiter bei gleicher Arbeit deutlich weniger als 21% als die Stammbelegschaft bekommen. Es geht um den vermeintlichen „Gendergap“ … aber warum zeigt man dann keine Frau in einem klassischen Niedriglohnberuf, der den Gendergap ausmacht? Offenbar passt es für die SPD des Jahres 2017 nicht mehr ins gewünschte Image, als Vertreterin der Interessen von Kassiererinnen oder eine Friseurinnen wahrgenommen zu werden. Schade. Warum sollen dann aber solche Menschen die SPD wählen?

Den zynischen Höhepunkt bildet jedoch ein Plakat, bei dem die SPD sich selbst als Interessenwahrerin von Armut bedrohter Rentner inszeniert. Auch dazu hatte Albrecht Müller schon etwas geschrieben. Es ist einfach nur ein Schlag ins Gesicht der Opfer, wenn die SPD nun so tut, als sei sie ernsthaft an menschenwürdigen Renten interessiert.

In der Parallelwelt der Kampa mag dies alles ja so sein … mit der Realität haben derlei PR-Slogans aber gar nichts zu tun. Und das merken natürlich auch die Wähler. Fool me once, shame on you; fool me twice, shame on me. Und die SPD versucht ihre Wähler nun schon zum xten Male zu veräppeln.

Die Linke – bunt und inhaltlich fokussiert

Wie es auch anders gehen kann, zeigt die Linkspartei. Im Vergleich zu früheren Kampagnen wirken die Plakate der Linkspartei in diesem Jahr erfreulich modern und frisch. Das besondere Alleinstellungsmerkmal ist jedoch, dass die Linke nicht ihre Spitzenkandidaten mit abgelutschten, austauschbaren Nullsätzen abbildet, sondern kantige Slogans mit klaren politischen Botschaften und Forderungen abbildet. Inhaltlich heben sich die Plakate dabei kaum von den Plakaten der letzten Bundestagswahlen ab. Warum auch? Die Forderungen von damals sind auch heute noch brandaktuell. Bleibt zu hoffen, dass die moderneren Plakate auch die jüngeren Wählerschichten ansprechen.

Auffällig ist auch, dass bei der Linkspartei die Wahlslogans zum Programm passen. Suboptimal und unübersichtlich sind die vier „Personenplakate“, auf denen die beiden Spitzenkandidaten und die beiden Parteivorsitzenden abgebildet sind. Das ist dann doch ein bisschen zu viel Vielfalt und dürfte den Wähler im Zweifel eher verwirren; zumal die Bekanntheitswerte von Katja Kipping und Bernd Riexinger vor allem im Westen doch eher überschaubar sein dürften. Hätte die Linke sich auch optisch hinter die zugkräftige Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht gestellt, hätte dies sicher ein paar Prozent Wählerstimmen eingebracht. Chance vertan.

Die Grünen – es lebe die Beliebigkeit

Dass man – aller Inhaltslosigkeit des Wahlkampfs zum Trotz – auch über die Wahlplakate den fortlaufenden Trend zur „politischen Mitte“ und zur Beliebigkeit erkennen kann, beweisen bei diesen Wahlen die Grünen. Standen bei den letzten Bundestagswahlen 2013 noch vergleichsweise linke Inhalte im Mittelpunkt der grünen Wahlkampfstrategie, beherrschen in diesem Jahr die Themen „Europa“, „Klimaschutz“ und „Geschlechtergerechtigkeit“ die Wahlkampagne der Grünen.


Wahlplakate 2013


Wahlplakate 2017

Man spürt dabei förmlich, dass die Grünen sich vor allem als kommender Junior-Partner der CDU in Szene setzen wollen. Angesprochen werden nicht mehr die Jungwähler und die Alternativen, sondern das linksliberale Bürgertum. Es ist jedoch fraglich, ob diese Strategie aufgehen kann, da dieses Segment nicht sonderlich groß und bereits recht gut von den Parteien erschlossen ist. Man kämpft um Wähler, die man ohnehin schon „im Sack“ hat und lässt einen großen Teil der klassischen Wählerschaft ohne Not „links liegen“.

Auffällig ist auch, dass die Grünen einmal mehr ihrem Anspruch gerecht werden, die Wähler intellektuell nicht zu überfordern. Sprüche wie „Nur wer Chancen bekommt, kann Chancen nutzen.“ oder „Von weniger Europa hat keiner mehr.“ wirken platt und leblos. Die Fragen nach dem „Wie“ und dem „Warum“ hängen da förmlich in der Luft, werden von den Grünen jedoch nicht beantwortet.

Die Grünen sind übrigens die einzige Partei, die ihre Slogans durchgängig in Versalien druckt. Die Plakate schreien den Betrachter damit förmlich an. Fehlen nur noch die Ausrufezeichen … seriös geht anders. Aber was soll man auch tun, wenn man keine überzeugenden Inhalte hat?

FDP – wo gibt´s denn dieses Parfum zu kaufen?

Radikal neu ist die Kampagnenstrategie der FDP. 2013 sprach man noch mit den Kandidaten Westerwelle, Rösler und Brüderle in ultraseriösem Outfit mit korrekt gebundener Krawatte und Einstecktüchlein Menschen an, die sich eine elitäre Regierung wünschen … das waren bei den letzten Bundestagswahlen bekanntlich recht wenige Wähler. Also erfand die FDP sich – zumindest wahlkampfstrategisch – neu und präsentiert sich in diesem Jahr …. zumindest nicht wie eine politische Partei. Im Mittelpunkt der Plakate steht neben vergleichsweise viel zu kleinem Text der fesch gestylte Spitzenkandidat Christian Lindner – modern, cool, sexy, mit offenem Hemdkragen, Dreitagebart und lässiger Pose. Die Fotos sind durchgängig schwarz-weiß und haben wesentlich mehr Kontrast als das Wahlprogramm der Liberalen. Was für ein Unterschied zum bräsigen Brüderle-Plakat von 2013.


FDP-Plakate 2013


FDP-Plakate 2017

Auch bei der FDP ist der Kandidat das Programm. Auffällig ist ferner, dass man offenbar großen Wert darauf legt, nicht aktiv mit den ollen neoliberalen Kamellen hausieren zu gehen. Da ist nirgends etwas von „Leistung muss sich wieder lohnen“ oder „Steuern senken!“ oder sonstigen Anbiederungen an das klassische FDP-Klientel zu lesen. Das ist clever und unterscheidet die FDP von den Grünen. Denn die typischen FDP-Wähler, wie die vier A´s, die Anwälte, Architekten, Ärzte und Apotheker, wählen die FDP auch so und mit der neuen Fokussierung auf Digitalisierung und Bildung fischt die FDP bis tief ins linksliberale Milieu.

Was man am Ende bekommt, ist ohnehin etwas anderes als das, was auf den Plakaten steht. Da werden sich vor allem FDP-Wähler ohnehin nichts vormachen. Das ist schon recht gut durchdacht. Fraglich ist jedoch, ob die extreme Personalisierung der Kampagne aufgeht. Rein optisch wirken die Plakate so, als wolle die FDP ein neues Herrenparfum auf den Markt bringen. An sowas hat man sich im Straßenbild schon „übersehen“. Politisch nicht so fürchterlich Interessierte dürften den Polit-Beau daher wohl eher gar nicht wahrnehmen. Und politisch Interessierte fallen auf die Kampagne, den alten Wein aus hippen, neuen Schläuchen zu verkaufen, im Zweifel auch nicht herein. Dennoch muss man den beteiligten PR-Profis Lob zollen – noch nie wurde neoliberale Politik so stylish verpackt. Hoffen wir nur, dass nicht allzu viele Menschen auf die Verpackung hereinfallen.

AfD – Deutschtümelnd bis an den äußersten rechten Rand

Dass die AfD sich auch auf ihren Plakaten auf die typischen AfD-Themen Islam, Immigration und Tradition konzentriert, ist verständlich. Wer wählt die AfD schon wegen ihres neoliberalen Wirtschaftsprogramms? Dass deutsche Rechte keinen gescheiten Wahlkampf machen können, ist bekannt und auch die AfD hebt sich kaum von ihren humorbefreiten Vorgängern und Gesinnungsgenossen wie DVU, Republikaner oder NPD ab. Da ist ein maximales Fremdschämpotential garantiert.

Ein erster gewollter Aufreger ist sicher das Ferkel-Plakat, nach dem der Islam nicht zu „unserer“ Küche passt. Die Vegetarier hat die AfD mit diesem Mordaufruf an Schweinchen Babe schon mal verloren und da selbst im tiefsten Brandenburg der Döner mittlerweile Nationalspeise Nummer Eins ist, kann man dieses Plakat wohl unter „Eigentor“ verbuchen.

Es soll aber nicht bei diesem einen Eigentor bleiben. Ganz in der Tradition des „Maria-statt-Scharia-Humors“ der NPD zeigt uns die AfD auf einem ihrer Großplakate die Rückseiten dreier Strandschönheiten und betitelt dies mit „Burkas? Wir steh´n auf Bikinis“ … nein, was haben wir gelacht. Und welche Drogen die AfD-Agentur den drei Trachten-Mädels vom „Bunte-Vielfalt“-Plakat eingeflößt hat, bleibt wohl auch ein Geheimnis der Werber. So richtig glücklich sehen die AfD-Models jedenfalls nicht aus. Hat die AfD gar rumänische Zwangs-Dirndl-Models eingesetzt? Wir werden es wohl nie erfahren.

Und ob man mit der Kopulationsaufforderung „Neue Deutsche? Machen wir selbst“ rechts der Mitte Stimmen gewinnen kann, ist auch fraglich und geht am Hauptproblem typischer AfD-Wähler ohnehin vorbei – denn wie soll man ohne Frauen neue Deutsche machen? Keine andere größere Partei kommt bei Frauen im gebärfähigen Alter so schlecht an wie die AfD.

Aber Spaß beiseite. Die AfD stellt auf ihren Plakaten wie in ihrer Politk viele Fragen, liefert aber keine Antworten. Woran liegt es denn, dass junge Menschen mit der Familienplanung so zögerlich sind? Sicher nicht an den Burkas oder der muslimischen Küche, sondern an prekären Arbeitsverhältnissen, schlechten Löhnen und einer zu geringen sozialen Unterstützung junger Familien. Dafür hat die AfD jedoch keine Lösungen. Stattdessen zeigt sie ihre (Noch)Parteichefin Frauke Petry mit ihrem Baby im Arm und stilisiert sie als Vorbild für ihre Geschlechtsgenossinnen. Das ist arrogant und schäbig, denn wer wie das Ehepaar Pretzell-Petry über ein ordentliches sechsstelliges Jahresgehalt verfügt, muss sich natürlich keine Gedanken über Zeitverträge, Flexibilität, Kindergartenplätze und Schichtdienste machen. Den meisten AfD-Wählern wird es nicht so gut gehen.

Wahlkampf? Fehlanzeige

Mit Ausnahme der Linken verlieren sich die Parteien auch in diesem Jahr wieder einmal in Belanglosigkeiten. Die Parteien scheuen eine inhaltliche Positionierung und vor allem die beiden sogenannten Volksparteien gehen dabei mit schlechtem Beispiel voran. Die Wahlen scheinen bereits gelaufen zu sein und da die SPD sich ja standhaft weigert, aktiv Wahlkampf zu betreiben, haben es die Werber auch nicht wirklich einfach. Wie soll man einen Boxkampf promoten, bei dem der Sieger ohnehin schon feststeht und der Herausforderer lieber in seiner Ringecke sitzen bleibt? Dann lieber doch „Zukunft ist für alle“ … nur, dass sich am Wahlsonntag niemand über die voraussehbar schlechte Wahlbeteiligung aufregt.


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