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Titel: Dass wir bei der Bundestagswahl keine Alternative haben, verdanken wir auch sogenannten Linksintellektuellen: Günter Grass, Eppler, Staeck, Negt, Strasser, usw.

Datum: 11. August 2017 um 14:17 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Soziale Gerechtigkeit, SPD, Wahlen
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Wenn die SPD-Führung in den letzten 20 Jahren wichtige Entscheidungen fällte, dann stützte sie sich nicht nur auf den rechten Flügel, auf die Seeheimer und die Netzwerker ab. Auch fortschrittliche Intellektuelle im Umfeld der SPD kamen bei gravierenden Schritten in die Profillosigkeit und zur Abkehr von wichtigen Werten und Programmen der SPD zu Hilfe: bei der Entscheidung für die Beteiligung am Jugoslawien-Krieg und damit bei der Entscheidung zu militärischen Auslandseinsätzen zum Beispiel; sie haben den Schritt in die Agenda 2010 wohlwollend begleitet; … Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

… Sie haben die massiven Steuersenkungen für die Gutverdienenden Anfang des Jahrhunderts mitgemacht. Sie haben den Afghanistan-Einsatz gedeckt und zur militärischen Beteiligung in Syrien geschwiegen; sie haben, soweit sie Delegierte waren, die peinliche 100%-Wahl von Martin Schulz zum Parteivorsitzenden mit verursacht; sie haben überwiegend auch die Verweigerung der Zusammenarbeit mit der Linkspartei gestützt, usw.

In allen diesen Fällen wäre es darauf angekommen, dass diese Personen, dass diese als links geltenden Intellektuellen, Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler Rückgrat zeigen und damit die sozialdemokratische Führung, im konkreten Fall vor allem Schröder, Steinmeier, Gabriel und zuletzt Schulz dazu zwingen, das sozialdemokratische Profil zu erhalten bzw. neu zu schaffen. Sie haben stattdessen jeden noch so programmverräterischen Winkelzug mitgemacht.

Auch diese Nibelungentreue, nicht nur die Ignoranz und Interessenorientierung der Seeheimer und der Netzwerker, hat das Profil der SPD geschleift und sie von über 40 % zu Beginn der Kanzlerschaft Schröders auf 23 % bei der Bundestagswahl 2009 und auf ähnliche Werte bei den aktuellen Umfragen gebracht. In nur zehn Jahren.

Sie haben die Zerstörung des Profils der SPD nicht immer mit Begeisterung mitgetragen.

Typisch für die Art der Vorbehalte ist der folgende Vorgang, von dem der Berliner Tagespiegel am 21.5.2003 berichtete:

Künstler kritisieren Agenda 2010

Hunderte Schriftsteller und Künstler, darunter Günter Grass, Christoph Hein, Erich Loest, Carola Stern und Daniela Dahn, haben an Bundeskanzler Gerhard Schröder appelliert, die Kritik an der Agenda 2010 ernst zu nehmen. Die Verbesserungsvorschläge zum Reformprogramm müssten sorgfältig geprüft und „ein tragfähiger Kompromiss“ angestrebt werden. Die 325 Unterzeichner des Appells der „Aktion für mehr Demokratie“ um den Heidelberger Grafiker Klaus Staeck betonen die Notwendigkeit von Reformen für Deutschland, „um die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu machen, um Pfade zu mehr Beschäftigung zu öffnen.“ Allerdings müsse man auch den Kritikern der Agenda 2010 aus der SPD zustimmen, wenn sie darauf beharrten, dass die unvermeidbaren Belastungen in diesem Reformprozess gerechter verteilt werden sollten. Der Bundeskanzler täte gut daran, die Kritik aus den eigenen Reihen an den Reformplänen „nicht als Anschlag auf die Regierungsfähigkeit zu sehen, sondern als den Versuch, den notwendigen Reformprozess so zu gestalten, dass er von der Mehrheit der Menschen mitgetragen und damit erfolgreich sein kann.“ dpa

Die Künstler akzeptieren die Notwendigkeit von „Reformen“. Sie akzeptieren den Diebstahl des Begriffes „Reform“ aus der Zeit der inneren Reformen, die die SPD in Bund und Ländern zwischen 1966 und dem Ende der 70er Jahre durchsetzte. Da ging es um die Öffnung der weiterbildenden Schulen und Universitäten für Arbeiterkinder, um Lohnfortzahlung auch für Arbeiter, um gleiches Kindergeld statt der ungerechten Steuerfreibeträge, um die Justizreformen von Heinemann, Ehmke und Jahn – es ging um Reformen für die Mehrheit, vor allem der Lohnabhängigen und Rentner.

Jetzt wenden auch die SPD-nahen Linksintellektuellen den Reformbegriff mit seinem guten Klang auf die Reformen der Agenda 2010 an. Der Aufbau eines Niedriglohnsektors wird mit diesem gut klingenden Begriff geadelt – „um die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu machen, um Pfade zu mehr Beschäftigung zu öffnen.“

Als die 325 Unterzeichner dies verlautbarten, war die Riesterrente schon fast ein halbes Jahr in Kraft und man konnte mit ein bisschen geistiger Anstrengung wissen, dass damit das „soziale Sicherungssystem“ Altersvorsorge nicht zukunftsfest gemacht, sondern der Erosion preisgegeben worden ist.

Und jetzt: Ein Aufruf für Schulz und seine SPD – ohne vorher von ihm ein klares sozialdemokratisches Programm und einen profilierten Wahlkampf gefordert zu haben

Klaus Staeck und Johano Strasser sind jetzt wie immer wieder bei Bundestagswahlen mit ihrer „Aktion für mehr Demokratie“ auf der Suche nach Unterstützern. Und sie haben auch schon eine große Zahl von Unterstützerinnen und Unterstützer aufgetan.

Diese Leute haben einen Text unterschrieben, der verlogener und dürftiger nicht sein kann. Hier ist er:

Für mehr Gerechtigkeit in Deutschland mit einer starken SPD

WAHLAUFRUF

Die SPD hat in der Großen Koalition mehr sozialdemokratische Politik durchgesetzt, als die meisten ihr in dieser Lage zugetraut hätten. Sie hat unter anderem den Mindestlohn durchgesetzt, den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz, eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen und erste Schritte zur Lohngleichheit von Frauen und Männern. Außerdem hat sie die Künstlersozialkasse gesichert und das Urhebervertragsrecht gestärkt.

Aber die SPD musste in der Großen Koalition auch politische Entscheidungen mittragen, die sie für falsch und schädlich hielt. Zuletzt war dies beim unseligen Thema der Dobrindt-Maut der Fall.

Darum ist es richtig, dass der neue Vorsitzende und Kanzlerkandidat der SPD Martin Schulz nun nach acht Jahren Großer Koalition erklärt hat, dass er die SPD zur stärksten Fraktion im Bundestag machen will und das Kanzleramt anstrebt.

Die deutschen Wähler wollen deutlich erkennbare Wahlalternativen. Je länger die beiden Volksparteien, SPD und CDU, in einer Großen Koalition aneinander gebunden sind, umso mehr verfestigt sich bei vielen der Eindruck, dass es zwischen Sozialdemokraten und Konservativen keinen nennenswerten Unterschied gibt und umso leichter kann sich eine rechtspopulistische und in Teilen offen rechtsradikale Partei als Alternative für Deutschland aufspielen.

Die wachsende Ungleichheit in unserer Gesellschaft, der populistische Angriff auf die Demokratie, die Krise Europas und die Notwendigkeit, eine neue und gerechtere Weltordnung auf den Weg zu bringen, das sind Aufgaben, die mit dem üblichen Merkel‘schen Weiter-so nicht zu bewältigen sind. Mit Martin Schulz, einem überzeugten Europäer, der für mehr Gerechtigkeit im eigenen Land und gegenüber den Nachbarländern eintritt, der den rechten Populisten mit klaren Worten die Stirn bietet, hat die SPD den Kanzlerkandidaten, der den neuen großen Herausforderungen gewachsen ist.

Wir treten ein für eine Politik der Gerechtigkeit gegenüber jedermann, für ein friedliches Miteinander und für Respekt vor anderen Kulturen und Lebensstilen.

Hier ist die Liste herausgehobener Unterzeichner:

Unterzeichnet haben u.a.:

Claudia Amm • Adelheid Bahr • Klaus von Beyme • Peter Brandt • Fred Breinersdorfer • Wibke Bruhns • Renan Demirkan • Judith Döker • Eike Domroes • Mo Drescher • Katja Ebstein • Vito von Eichborn • Hans W. Geißendörfer • Jochen Gerz • Konrad Gilges • Götz Gramlich • Reinhard Hauff • Gert Heidenreich •  Birgit Hein • Nele Hertling • Christoph Heubner • Uwe-Karsten Heye • Felix Huby • Hannes Jaenicke • Inge Jens • Klaus Klemm • Kirsten Klöckner • Marco Kreuzpaintner • Sebastian Krumbiegel • Michael Kumpfmüller • Helmut Lachenmann • Christine Lambrecht • Günter Lamprecht • Joachim Hermann Luger • Manfred Maurenbrecher • Eva Menasse • Jörn Merkert • Kristin Meyer • Hans-Werner Meyer • Ursela Monn • Armin Mueller-Stahl • Michael Naumann • Oskar Negt • Siegfried Neuenhausen • Leonie Ossowski • Axel Pape • Jo Pestum • Wilfried Preisendörfer • Erardo Rautenberg • Tim Renner • Thomas Rosenloecher • Werner Schaub • Oliver Scheytt • Clemens Schick • Dieter Schnebel • Friedrich Schorlemmer • Gesine Schwan • Klaus Simon • Maria Sommer • Tilman Spengler • Klaus Staeck • Rolf Staeck • Gerhard Steidl • Johano Strasser • Werner Tammen • Wolfgang Völz • Norbert Walter-Borjans •  Bettina Wegner • Ernst von Weizsäcker • Stephan von Wiese • Klaus Wiesehügel • Ror Wolf • Olaf Zimmermann • Christoph Zöpel

Die Liste aller bisherigen Unterzeichner finden Sie hier.

Es lohnt sich, diese Liste anzuschauen. Ich habe darunter eine Reihe von Freunden gefunden, von denen ich nicht erwartet hätte, dass sie ein so unwahres und dürftiges Papier unterzeichnen.

Es stimmt vieles nicht an diesem Aufruf:

  • z.B. ist das Lob auf die Durchsetzung des Mindestlohns unangemessen. Den Gutwilligen unter den Unterzeichnern ist zu empfehlen, diese Doku von Prof. Sell zum Niedriglohnsektor anzuschauen: „Der nach Gerhard Schröder “beste Niedriglohnsektor”, der in Europa geschaffen wurde, betrifft mehr als jeden fünften Arbeitnehmer in Deutschland“. – Das ist die Wirklichkeit vieler Menschen. Die der SPD nahestehende geistige „Elite“ hätte Martin Schulz zwingen müssen, sich von der Agenda 2010 zu verabschieden, jedenfalls dafür die Perspektive zu eröffnen.

    Interessant zur Realität des Mindestlohns ist auch das: „Wie sieht es aus mit der Umsetzung des gesetzlichen Mindestlohns? Aus der Welt der Mindestlohnvermeider

  • z.B. „Mit Martin Schulz, einem überzeugten Europäer, der für mehr Gerechtigkeit im eigenen Land und gegenüber den Nachbarländern eintritt,“ … heißt es im Aufruf. Das ist schlicht so nicht wahr. Martin Schulz hat als Parlamentspräsident die Demütigung der Griechen und anderer Südeuropäer durch Berlin, die EZB und den IWF mitgetragen. Er hat nichts dafür getan, die neue Spaltung Europas zwischen der EU/Nato und Russland abzuwenden und tut auch jetzt nichts zur Rettung des großartigen Markenzeichens der SPD: Frieden und Verständigung statt Konfrontation.

Wichtiges im Aufruf ist schlicht komisch

  • so z.B. der Applaus für Schulz, weil er mit seiner Partei stärkste Partei werden will. Das ist so illusionär, dass sich die Unterschreibenden der Lächerlichkeit preisgeben.
  • so wird z.B. die „wachsende Ungleichheit“ beklagt. – Ist diese vom Himmel gefallen? Wer hat denn die Befreiung der Gewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen von der Steuer zum 1.1.2002 durchgesetzt? Und wer die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3%? Steinbrück. Und wer den Niedriglohnsektor?

Einen meiner Freunde, der unterzeichnet hat, habe ich gefragt, wie er dazu kommt, ein solches Pamphlet zu unterzeichnen. So handhabe er es seit Jahrzehnten. Das dürfte auch bei anderen so sein. So kann man die Wende weg von Merkel nicht schaffen.


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