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Titel: Verschafft uns der SPD-Parteitag am Sonntag eine Alternative zu Schwarz-Gelb?

Datum: 12. Juni 2009 um 20:38 Uhr
Rubrik: Das kritische Tagebuch, SPD, Strategien der Meinungsmache, Wahlen
Verantwortlich:

Was wäre zu tun, damit wir Wählerinnen und Wähler am 27. September eine wirkliche Wahl haben, also eine wirkliche Alternative zu Angela Merkel und Guido Westerwelle wählen können? Das ist die Kernfrage, die sich die Delegierten des SPD-Parteitages am Sonntag zu stellen haben. Die SPD-Führung, so muss man nach den bisherigen Einlassungen fürchten, wird diese Frage nicht zulassen. Sie müsste dann nämlich eine Kurskorrektur in Bezug auf die Inhalte und in Bezug auf die Koalitionsmöglichkeit vollziehen. Dazu scheint sie nicht bereit. Also stehen die Delegierten ihrerseits vor der Alternative, entweder den Aufstand gegen die Festlegungen der SPD-Spitze zu wagen oder mit ihr bei der Wahl im September unterzugehen. Albrecht Müller

Als Belege für die Position der SPD-Führung wähle ich drei aktuelle Dokumente aus: Erstens ein Interview mit dem SPD-Parteivorsitzenden Müntefering mit der WAZ vom 12.06.2009 ‚SPD-Chef Müntefering: “Hartz IV war richtig”’, zweitens und drittens zwei Beiträge, auf die wir schon in den Hinweisen des Tages eingegangen sind: den Bericht im Stern über den Auftritt von Andrea Nahles und das Interview mit dem Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel: „SPD steckt nicht in der Krise“ mit dem Deutschlandradio Kultur.

Wenn man diesen Einlassungen folgt, dann ist die SPD Spitze zu keiner inhaltlichen Kurskorrektur bereit. Auch ihre Koalitionsaussage zielt nicht auf eine wirkliche Alternative, sondern mit erster Priorität auf Rot-Grün, mit zweiter Priorität auf eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP und mit dritter Priorität auf die Fortsetzung der großen Koalition mit der CDU/CSU. Eine Koalition mit der Linkspartei wird definitiv und glaubhaft ausgeschlossen.

Dazu einige Anmerkungen.

1. Damit ist die Wahlniederlage besiegelt

Das haben wir in den NachDenkSeiten schon mehrmals begründet und bisher mit Prognosen zu den bisherigen Wahlen auch richtig gelegen (ohne übrigens recht behalten zu wollen).

Hier die wichtigsten Argumente:

  1. Die erste Priorität, nämlich Rot-Grün, ist aus heutiger Sicht nicht einmal mit einem Minimum an Wahrscheinlichkeit erreichbar. Den Wählerinnen und Wählern dies dennoch als Koalitions-Wahlziel vorzustellen kostet bereits Vertrauen. Menschen mögen es nicht, wenn sie von Politikern illusionäre Zielvorstellungen vorgesetzt bekommen. Das zerstört Glaubwürdigkeit.
  2. Die beiden anderen Alternativen, Ampel und Fortsetzung der großen Koalition, sind zwar ein bisschen realistischer. Sie stoßen aber bei den potentiellen Partnern auf Ablehnung. Westerwelle will das nicht und Merkel will das auch nicht. Die SPD-Führung hat sich also in die undankbare und unwürdige Rolle des verstoßenen Braut-Werbers begeben. Auch das kommt bei den Wählerinnen und Wählern ausgesprochen schlecht an. Wenn eine große Partei sich so verhält, dann verliert sie an Respekt und Image.
  3. Inhaltlich ist keine der zwei wenigstens ein bisschen realistischen Prioritäten wirklich eine Alternative. Warum sollten Wählerinnen und Wähler die SPD wählen, wenn sie mit Westerwelle zusammen geht? Warum sollten sie ihr die Stimme geben, wenn sie die Koalition mit Angela Merkel fortsetzen will? Da können die Wähler doch gleich zuhause bleiben oder das Original wählen.
  4. Eine große Partei, die den Anspruch auf die Kanzlerschaft nur noch formal erhebt, aber keinerlei realistischen Weg dazu beschreibt, hat schon verloren. Der stellvertretende Vorsitzende Steinbrück hat den Verzicht auf die Kanzlerschaft schon vor längerem angekündigt, als er für die Fortsetzung der großen Koalition warb. Das hat ihm im SPD Vorstand ein bisschen Kritik eingebracht. Mehr nicht, obwohl dies ein Schlag gegen das Fundament eines Wahlsieges war.
  5. Eine große Partei hat nur dann Chancen, wenn sie breit antritt. Die SPD hat in den letzten Jahren jedoch den progressiven Teil abgeschnitten. Das wird auch in dem erwähnten Dokument, dem Bericht im Stern über den Auftritt von Andrea Nahles und Erhard Eppler sichtbar.

Es bleibt die Frage:

2. Warum schlittert die SPD Führung sehenden Auges in eine Niederlage, die existenzbedrohend werden kann?

Man könnte annehmen, die SPD Führung sei außerstande, die oben genannten Belege a. bis e. und derer einige mehr wahrzunehmen. Ich neige manchmal zu dieser Annahme, weil ich den handelnden Personen lieber eine gewisse Unfähigkeit als Bösartigkeit unterstellen will. Ein NachDenkSeiten-Leser reagierte auf meine entsprechende Anmerkung beim Hinweis auf das Interview mit Wasserhövel mit einer richtigen Einschätzung. Hier ist sie:

“Aber das Problem ist ja auch nicht Wasserhövels Logik, sondern er sagt ja durchaus richtig >weil die Haltung der SPD dazu eindeutig ist. Und ich kenne da wirklich auch keine anderen Meinungen. Das ist eindeutig bei Frank-Walter Steinmeier, bei Peer Steinbrück, bei Franz Müntefering, in der gesamten SPD-Spitze< Und solange man nicht davon ausgehen will, dass in dieser Führungsriege ein politisches Creutzfeld-Jakob-Syndrom ausgebrochen sei, ist dieses Verhalten ja nur als ein Absichtliches zu begreifen. Es geht darum, das politische Erbe der Schröder-Regierung zu sichern und zu bewahren. Ganz egal, ob durch Fortsetzung der großen Koalition oder auch notfalls durch Schwarz-Gelb. Jedenfalls ist die Realisierung einer "Linken Mehrheit" unbedingt zu vermeiden, auch unter Gefahr des Nicht-Regierens, auch wenn dazu der alte Tanker SPD auf Grund gesetzt werden muss. Über Beweggründe will ich jetzt nicht weiter spekulieren, aber anders ist diese Politik ja nicht zu erklären. Und um es mit Schramm zu sagen: Die Wut nimmt zu, aber die intellektuelle Verwirrung lässt nach!“ Das ist vermutlich eine sehr zutreffende Einschätzung. Der heutigen SPD-Führung geht es nicht um den Sieg der SPD und schon gar nicht um die Macht für den progressiven Teil unseres Landes. Es geht um die Rettung der so genannten Reform-Politik und vermutlich auch um die Rettung der vielfältigen Einbindung in die herrschenden Machtstrukturen und in die Strukturen der politischen Korruption. Schon die Entscheidung der Spitze um Schröder, Steinmeier und Müntefering für Neuwahlen im Mai 2005 war rational nicht zu verstehen, wenn man als Motive den Erhalt der Kanzlerschaft oder gute Wahlchancen bei der für 2006 vorgesehenen Bundestagswahl zu Grunde legt. Die damaligen Führungspersonen - vermutlich unter Anleitung von Müntefering - haben die sozialdemokratische Kanzlerschaft um ein Jahr verkürzt und die Chance, zu einem ökonomisch besseren Zeitpunkt, nämlich im Herbst 2006 zu wählen, nicht genutzt. Sie wollten die Agendapolitik vor dem beginnenden Unmut in der SPD retten. Sie haben sie in die große Koalition gerettet. Was die Einbindung in die Machtstrukturen und die Strukturen der politischen Korruption betrifft, so verweise ich nur auf die engen Verknüpfungen von Steinbrück und seinem Staatssekretär Asmussen mit der Finanzwirtschaft und auf die Privatisierungspolitik in Bezug auf die sozialen Sicherungssysteme und öffentlichen Unternehmen. Hier gibt es leider bis heute keinen großen Unterschied zwischen Steinbrück, Steinmeier, Müntefering und Merkel, Kauder, Westerwelle und Merz. Die heute Verantwortlichen sind ziemlich einhellig in den Fängen der Finanzwirtschaft. Dies hatten wir ebenfalls mehrmals belegt. Es geht den herrschenden Personen auch in der SPD nicht um eine wirkliche Alternative. Ihnen liegt mehr an der Fortsetzung der von ihnen eingeschlagenen Linie und der Bedienung der mit ihnen verbundenen Interessen. Deshalb wollen sie auf Bundesebene auch keine politische Alternative. Deshalb muten sie uns übrigens auch die absurde Logik zu, auf Landesebene könnte man mit der Linkspartei koalieren, nur auf Bundesebene nicht. Wenn solche Koalitionen auf Landesebene möglich werden, dann wird die Fortsetzung der Agendapolitik und auch des Filzes mit der Finanzwirtschaft dadurch nicht gefährdet. 3. Wer diese Analysen für schlüssig hält, muss eigentlich für die Ablösung des Führungstrios, zumindest von Müntefering und Steinbrück, kämpfen.

Damit wird man beim Parteitag am Sonntag keinen Erfolg haben. Aber das wäre ein wichtiges Signal und ein Mittel, um die Verantwortung festzuzurren. Die Niederlage muss, wenn sie schon nicht vermeidbar ist, wenigstens an denen festgemacht werden, die die Verantwortung dafür tragen.

4. Wenn es übrigens Dummheit wäre und mangelnde analytische Kraft, die zur Wahlniederlage führen, und nicht politischer Wille zur Fortsetzung der Agendapolitik (siehe 2), dann könnte man das Wahlergebnis durchaus noch einigermaßen retten. Wenn die SPD-Führung siegen wollte, dann gäbe es Möglichkeiten zu einer wesentlichen Verbesserung des Ergebnisses. Sie ergeben sich aus der Beschreibung der Defizite in Ziffer 1:

  • Klare, alternative Koalitionsaussage zu Gunsten einer Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei
  • Schluss mit der Aggression und Kampagne gegen die Linkspartei, die bisher nur dazu geführt hat, das Potenzial im linken Lager insgesamt zu verengen (Müntefering ist stolz darauf, siehe sein Interview mit der WAZ)
  • Breite Aufstellung vom konservativen Flügel bis zum wirklich progressiven, dafür Erweiterung der SPD-Spitze im Wahlkampf
  • Ablösung Steinbrücks – und endlich eine offene Debatte über die Verfilzung der Union mit der Finanzwirtschaft
  • Klarer Widerstand gegen alle spekulativen Elemente auf dem Kapitalmarkt – das Casino schließen
  • Offensive und im guten Sinne grundsätzliche Debatte zum Scheitern der neoliberalen Ideologie
  • Wiederherstellung einer echten Arbeitslosenversicherung durch Ausweitung des ALG1
  • Änderung der Steuerpolitik, keine Mehrwertsteuererhöhung auf 25 %, dafür Wiedereinführung der Vermögenssteuer, Erhöhung des Spitzensteuersatzes, klare progressive Position für eine wirksame Erbschaftssteuer usw.
  • ein neues Konjunkturprogramm zur Überwindung der tiefer werdenden Talsohle und damit Hilfe für möglichst viele unter Auftragsmangel leidende Betriebe; damit verbunden wäre eine Akzentverschiebung der Aufmerksamkeit von einzelnen Betrieben zur gesamten Volkwirtschaft
  • Notbremse gegen die Schuldenbremse
  • Schluss mit den Privatisierungen, Schluss mit PPP
  • hilfreich wäre ein Rücktritt von Müntefering und die Übernahme der Verantwortung durch ihn. Das wäre kein formaler Akt. Er ist einer der Hauptverursacher der bisherige Niederlage und der Profillosigkeit der SPD.


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