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Titel: Bank der Zentralbanken: Alle sind schuld, alle sind Opfer, keiner konnte die Finanzkrise erahnen und niemand ist verantwortlich

Datum: 29. Juni 2009 um 12:08 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Das kritische Tagebuch, Finanzkrise, Neoliberalismus und Monetarismus
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Heute stellt die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ihren 79. Jahresbericht [PDF – 6.6 MB] vor. Die BIZ gilt als Bank der Zentralbanken und ist als Forum der internationalen Zusammenarbeit in Geld- und Finanzfragen auch zuständig für die Beurteilung und das frühzeitige Erkennen von Finanzkrisen. Insofern müsste man erwarten, dass im Jahresbericht dieser wichtigen Institution eine besonders kompetente und tiefschürfende Analyse der Finanzkrise zu finden ist und Wege aus der Krise aufgezeigt werden.
Diese Erwartungen werden jedoch bitter enttäuscht. Alan Greenspan und die Niedrigzinspolitik der amerikanischen Notenbank sind für die BIZ die Hauptverursacher. Hinzu kamen noch falsche Anreize, methodische Mängel bei der Messung, Bepreisung und Kontrolle von Risiken einerseits und Unzulänglichkeiten bei den betrieblichen Kontrollinstanzen andererseits sowie Versäumnisse im Bereich der Regulierung. Die Banker waren danach eher Opfer und die Bankenaufsicht und damit auch die BIZ tragen an der Krise keinerlei Verantwortung. Der Jahresbericht der BIZ ist eher ein Verteidigungsplädoyer als eine kritische Bestandsaufnahme. Wolfgang Lieb

Die Enttäuschung beginnt schon in der Einleitung mit einem hilflosen Eingeständnis:
Das moderne Finanzsystem ist ungemein komplex – möglicherweise so komplex, dass es niemand wirklich verstehen kann.

Auf der makroökonomischen Ebene werden zwei problematische Ursachen festgestellt: Der Aufbau von außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten sowie Schwierigkeiten aufgrund der langen Phase niedriger Realzinsen.
Aufgrund der anhaltend hohen Leistungsbilanzdefizite bzw. –überschüsse sei es zu einem Nettokapitalabfluss aus den kapitalarmen aufstrebenden Volkswirtschaften in die kapitalreichen Industrieländer, insbesondere in die USA gekommen. Diese Kapitalbewegungen seien im Zusammenhang mit der hohen Sparquote in den aufstrebenden Volkswirtschaften und der niedrigen in den USA gestanden. U.a. hätten die aufstrebenden Volkswirtschaften Währungsreserven gehortet um die Aufwertung der eigenen Währungen einzudämmen.

Vereinfacht gesprochen, war also nach Meinung der BIZ auf makroökonomischer Ebene China mit seinen Leistungsbilanzüberschüssen und seinen gehorteten Dollars eine der zentralen Ursachen für die Finanzkrise.

Eine zweite makroökonomische Ursache der aufkommenden Krise sei „die lange Phase niedriger Realzinsen in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts“ gewesen.

Die Niedrigzinspolitik der USA aber auch in Europa und Japan hätten:

  1. einen Kreditboom ausgelöst, da sie die Kreditaufnahme verbilligten.
  2. den Barwert der Erträge aus Vermögen erhöht, was den Preisen von Vermögenswerten Auftrieb verlieh.
  3. Dadurch hätte sich ein falsches Anreizgefüge in der Vermögensverwaltungsbranche herausgebildet. Finanzinstitute müssten (!) nämlich relativ hohe Nominalrenditen erzielen, weil sie sich mit ihren Produkten oftmals langfristig binden müssten:
    Wenn die Zinsen auf ein ungewöhnlich niedriges Niveau sinken, kann es schwieriger werden, die zugesagten (!) Renditen zu erwirtschaften. Dann werden die Finanzinstitute entsprechend höhere Risiken eingehen, um ihre Rendite- und Gewinnvorgaben trotzdem erreichen zu können. Bei niedrigen Zinsen werden also höhere Risiken eingegangen.

Die BIZ folgt dem typischen Mythos der monetaristischen Wirtschaftsvision: wenn die Zinsen niedrig sind, wird mehr gezockt. Alan Greenspan der Chef der Fed ist also der Sündenbock für Finanzkrise und nicht etwa die Zocker im Finanzkasino. Der Staat ist also wieder einmal an allem Bösen schuld und nicht der Markt. Über die Deregulierungspolitik Greenspans verliert die BIZ kein Wort. Die Banker waren die Opfer und die Bankenaufsicht und damit auch die BIZ tragen an der Krise keine Verantwortung.

Zurecht nennen Heiner Flassbeck und Friedericke Spiecker diese Schuldverlagerung einen „grandiosen Unsinn“. Das Gegenteil sei richtig: Wenn die Zinsen niedrig sind, würden Finanzanlagen gegenüber Sachinvestitionen eher unattraktiver. Potenzielle Investoren steckten ihr Geld lieber in Sachanlagen, als dass sie es zur Bank trügen:
„Angenommen, jemand will mit Gewalt 20 Prozent Rendite auf sein Eigenkapital erzielen und hat ein vielversprechendes Projekt vor Augen, dessen Gesamtrendite bei fünf Prozent liegt. Sind die Notenbankzinsen niedrig, muss er sein Eigenkapital weniger mit Fremdkapital hebeln – also weniger Risiko eingehen – als wenn der Zinssatz hoch ist. Greenspan hat mit seiner Zinspolitik also genau das Gegenteil dessen getan, was ihm unterstellt wird. Dass er darüber hinaus falsch lag in seinem blinden Vertrauen auf das Funktionieren der Marktkräfte, ist zwar richtig, hat aber mit seiner Zinspolitik nichts zu tun“, schreiben Flassbeck/Spiecker in der FTD.

Albrecht Müller weist richtigerweise darauf hin, dass die Spekulationen mit Subprime-Hypotheken und CDOs auch möglich gewesen wären, wenn die Zinsen der Fed bei 2, 3 oder gar 4% gelegen hätten. Die Scheinprofite, also Ackermanns 25%, waren doch so hoch, dass es auf so kleine Zinsdifferenzen gewiss nicht angekommen wäre. Der Einfluss der Zinssenkungen der amerikanischen Notenbank werde gemessen am Einfluss der spekulativen Elemente – also die Ausweitung der Derivate, Verbriefungen und andere Elemente von Casino und Kettenbrief -völlig überschätzt.

War eigentlich Greenspan auch an den Machenschaften in Deutschland oder in England beteiligt?
Die BIZ beteiligt sich an der auch in Deutschland so beliebten Schuldverlagerung, wonach das Übel vor allem von den USA ausgegangen sei und bei uns die Grundsätze des ehrenwerten Kaufmanns hochgehalten worden wären. (Siehe zu dieser Falschbehauptung: Die Verflechtung der Politik mit dem Casino-Betrieb der Finanzwirtschaft ist enger und älter als wir denken – wir zahlen schon seit 2000 für die Wettschulden)

Als mikroökonomische Ursachen für die Finanzkrise nennt die BIZ:
Probleme im Zusammenhang mit den Anreizen, methodische Mängel bei der Messung, Bepreisung und Kontrolle von Risiken einerseits und Unzulänglichkeiten bei den betrieblichen Kontrollinstanzen andererseits sowie Versäumnisse im Bereich der Regulierung.

Die Ausführungen dazu lesen sich wie die Verteidigungsrede eines Hauptangeklagten vor dem Schwurgericht:

  • Die Verbraucher (also die kleinen Kapitalanleger) hätten sich zu wenig um ihre Finanzgeschäfte gekümmert und die Bevölkerung habe eben ein zu geringes Finanzwissen.
  • Die Manager von Finanzinstituten fühlten sich bemüßigt, im Interesse der Aktionäre die Eigenkapitalrendite zu erhöhen und bauten deshalb die Fremdfinanzierung aus.
  • Die Vergütungsmodelle hätten den Managern einen Anreiz geboten auf kurzfristige Erträge zu setzen.
  • Für die Rating-Agenturen habe es falsche Anreize gegeben und sie seien einfach überfordert gewesen.
  • Die Risikomessung mit den modernen statistischen Instrumenten hätten Vorfälle, zu denen es nur selten komme, nicht genug einkalkuliert.
  • Die risikomindernden Strategien auf den Schuldtitelmärkten hätten plötzlich eine risikoerhöhende Wirkung entfaltet, aus Risikominderung sei Risikokonzentration geworden.
  • Aus strukturellen und aus verhaltenspsychologischen Gründen hätten das mittlere und das oberste Management weder die richtigen Fragen gestellt noch auf die richtigen Personen gehört.
  • Für die Finanzinstitute sei es relativ leicht gewesen bestimmte Geschäfte der Kontrolle der Aufsicht zu entziehen.
  • Die Folgen der Löcher im regulatorischen Rahmen seien vielen schlicht nicht klar gewesen.
  • Letztlich habe so gut wie niemand geahnt, dass die US-Vermögenswerte, die in der ganzen Welt erworben wurden, sich als toxisch herausstellen würden.

Fazit der BIZ: Es erstaunt nicht, dass Regierungsvertreter und Marktteilnehmer die Warnzeichen weitgehend ignorierten.

Alle sind schuld, alle sind Opfer und niemand konnte das Unglück ahnen. Niemand trägt Verantwortung und schon gar nicht die BIZ. (Siehe auch die Ansprache des Generaldirektors der BIZ Jaime Caruana [PDF – 72 KB])

Wer eine solche exkulpierende Krisenanalyse hat, von dem sind auch Lösungen zur Krisenbewältigung und zur künftigen Vermeidung solcher selbst gemachter Krisen nicht zu erwarten. Kapitel VII „Der Weg zu einem krisensicheren Finanzsystem – Risiken und Chancen“ ist dementsprechend äußerst dürftig.

Der Text ist teilweise kabarettreif, deswegen will ich dem interessierten Leser Passagen daraus nicht vorenthalten:

  • Erstens hat die Krise das verzerrte Anreizgefüge für Verbraucher, Finanzspezialisten und Ratingagenturen offengelegt.
  • Zunächst spielte eine Rolle, dass sich die Verbraucher zu wenig um ihre Finanzgeschäfte gekümmert haben…
    Ein weiterer Faktor ist das allgemein geringe Finanzwissen der Bevölkerung…In ihrer Unwissenheit und da ja finanzielle Aufsichtsstrukturen existierten, setzten die Finanzkunden die
    Komplexität des Systems fälschlicherweise mit dessen Ausgereiftheit gleich und gingen einfach davon aus, dass ihre Anlagen sicher waren, weil ja jemand anders aufpasste – ein vertrauenswürdiger Manager, ein Aktienanalyst, eine Ratingagentur oder eine staatliche Stelle. Doch das war keineswegs der Fall. Das System, auf dessen Ausgereiftheit und Sicherheit die Verbrauchergutgläubig setzten, war in Wirklichkeit in unverantwortlicher Weise komplex
    und undurchsichtig.
  • Hinzu kommt, dass die Manager von Finanzinstituten sich bemüßigt sahen, im Interesse der Aktionäre die Eigenkapitalrendite zu erhöhen – weshalb sie ihr Fremdfinanzierungsvolumen drastisch ausbauten.
  • Die Vergütungsmodelle boten Managern einen Anreiz mehr, auf kurzfristige Erträge zu setzen und die langfristige Entwicklung außer Acht zu lassen…
  • Riskante Strategien zahlten sich für Aktieninhaber (wegen der beschränkten Haftung) und Portfoliomanager (wegen der Vergütungsmodelle) übermäßig stark aus: Sie partizipierten am Gewinn, während Verluste allein Sache der Gläubiger (oder des Staates!) waren.
  • Ratings sind teuer und schwer zu erstellen, und sie lassen sich nicht geheim halten. Sobald Informationen öffentlich zugänglich sind, können sie ohne Kosten reproduziert werden. In Kenntnis dessen lassen sich die Ratingagenturen ihre Beurteilungen von denen bezahlen, die sie am meisten benötigen, nämlich den Anleiheemittenten selbst… Im Endeffekt waren die Ratingagenturen mit der Aufgabe, die Risiken festverzinslicher Wertpapiere zu bewerten und damit die kollektive Sicherheit zu schützen, überfordert und trugen durch die Vergabe unrealistisch hoher Ratings ungewollt zum Aufbau systemweiter Risiken bei.
  • Entsprechend führt eine lange Phase relativer Stabilität zu der Einschätzung, dass die Risiken dauerhaft abgenommen hätten, wodurch auch die Risikopreise sinken.
    Die Hauptrisiken – deren Absicherung besonders teuer ist – stellen Vorfälle dar, zu denen es nur sehr selten kommt, die sich dann aber massiv auswirken.
  • Vor der Krise zum Beispiel ging man davon aus, dass global gestreute Kapitalanlagen die Risiken verringern, da sich die Preise nicht in allen Regionen weltweit gleich entwickeln würden. Doch dies erwies sich als falsch – genau dann, als es besonders wichtig gewesen wäre, dass diese Annahme zutrifft. Wenn die Preise von Vermögenswerten, die sich zuvor voneinander unabhängig (Diversifizierung) bzw. gegenläufig (Hedging) entwickelten, auf einmal parallel verlaufen, so entfalten risikomindernde Strategienplötzlich eine risikoerhöhende Wirkung. Mit den schlechten Zeiten wurden die Korrelationen eng und positiv. Und aus Risikominderung wurde Risikokonzentration.
  • Eine Schwierigkeit bestand schließlich auch im Hinblick auf die unternehmensinternen Risikokontrollinstanzen. Aus strukturellen und aus verhaltenspsychologischen Gründen haben das mittlere und das oberste Management weder die richtigen Fragen gestellt noch auf die richtigen Personen gehört. Das strukturelle Problem war, dass die Risikomanager nicht regelmäßig genug mit den Hauptentscheidungsträgern in Kontakt kamen, weil sie dafür in der Unternehmenshierarchie häufig zu weit unten angesiedelt waren. Ohne die Unterstützung der obersten Führungsebene hatten die Aussagen der leitenden Risikomanager aber wenig Gewicht, und es spielte auch keine Rolle, wen sie informierten. Dieses strukturelle Problem wurde durch die Reaktion auf Anweisungen der Risikomanager noch verstärkt. Deren Aufgabe ist es, andere aufzufordern, gewisse Aktivitäten einzuschränken oder einzustellen. Doch wenn es dabei um profitable Geschäfte geht, werden Manager und Direktoren diesen Anweisungen schwerlich Gehör schenken.
  • Neben den Schwierigkeiten mit dem Anreizgefüge und der Risikomessung besteht die dritte mikroökonomische Ursache der Krise darin, dass es für die Finanzinstitute relativ leicht war, bestimmte Geschäfte der Kontrolle der Aufsicht zu entziehen.
  • Da ein niedrigerer Fremdfinanzierungsanteil aber gleichbedeutend mit geringeren Erträgen war, fanden Bankmanager Mittel und Wege, höhere Risiken einzugehen, ohne die Eigenkapitalquote hinaufsetzen zu müssen – nämlich über die Errichtung strukturierter Anlagevehikel. Ganz allgemein hat die Krise gezeigt, dass der Finanzsektor im weiteren Sinne – die traditionellen Banken und das immer wichtigere parallele Finanzsystem mit Nichtbanken und außerbilanziellen Gesellschaften – weitaus risikoanfälliger geworden ist.
  • Die Folgen der Löcher im regulatorischen Rahmen – dank denen die Finanzinstitute bestimmte Geschäfte problemlos der Kontrolle der Aufsichtsinstanzen entziehen konnten – oder die Konsequenzen des immer größeren finanziellen Hebels – im Zuge der Verlagerung der Kapitalstruktur hin zu mehr Fremdkapital – waren vielen schlicht nicht klar.
  • Im Hinblick auf die Gesamtwirtschaft wurde erwartet, dass die anhaltende Preisstabilität ausreiche und dass sich Vermögenspreis- und Kreditboom selbst korrigieren würden. Hinsichtlich der mikroökonomischen Ebene glaubte man von staatlicher Seite, dass die Investoren die Risiken ihrer Anlagen aus Eigeninteresse im Auge behalten und sich damit quasi selber überwachen würden. Aufgrund des engen Fokus auf die beaufsichtigten Finanzinstitute und des Glaubens an die Selbstregulierungskräfte wurden systemweite Gefahren nicht genügend beachtet.


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