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Titel: Funke-Freispruch – die Aufarbeitung der Finanzkrise ist ein einziger Skandal

Datum: 2. Oktober 2017 um 14:27 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Banken, Börse, Spekulation, Finanzkrise
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Mit der Einstellung der Verfahren gegen den ehemaligen Hypo-Real-Estate-Chef Georg Funke und seinen Finanzvorstand Markus Fell gegen geringe Geldstrafen ist die Aufarbeitung der wohl spektakulärsten deutschen Pleite während der „Finanzkrise“ durch die deutsche Rechtsprechung abgeschlossen. Bis auf den Revisionsprozess gegen die HSH-Nordbank-Manager sind bislang sämtliche Prozesse mit Freisprüchen oder sehr milden Strafen ausgegangen. Obgleich es unstrittig ist, dass zahlreiche Banker mit hoher krimineller Energie Kollegen, Anleger und Aufsichtsbehörden täuschten und der Schaden alleine für den deutschen Staat bei mindestens 40 Mrd. Euro liegt, musste kein einziger Banker ins Gefängnis. Doch Deutschland ist nicht alleine. Auch in Großbritannien kam es zu keiner einzigen Haftstrafe, in den USA musste ein einziger Abteilungsleiter hinter Gitter. Das Strafgesetz ist heute offenbar in fast allen westlichen Ländern nicht mehr in der Lage, komplexere Finanzstraftaten zu ahnden. Eigentlich müsste man aus diesem Staatsversagen ja Schlüsse ziehen, doch das Gegenteil ist der Fall. Von Jens Berger

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Zum Hintergrund „Hypo Real Estate“ lesen Sie bitte auch meinen großen Dreiteiler „Die Jahrhundertpleite“

Die Manager der Münchner Hypo Real Estate machten aus einer ehemals soliden Immobilienbank die zeitweise „renditestärkste“ Investmentbank Deutschlands. Möglich wurde dies durch ein Schneeballsystem, bei dem Risiken grob falsch bewertet und verschleiert wurden. Nach dem Lehman-Kollaps drohte das System zu implodieren und die Gläubiger, allen voran die Deutsche Bank, konnten den damaligen Finanzminister Steinbrück davon überzeugen, die Risiken der Pleitebank zu übernehmen. Die Verluste für den Steuerzahler summieren sich bis heute auf mindestens 29,2 Mrd. Euro. Dennoch wurde kein einziger involvierter Banker verurteilt. Gegen Gerhard Bruckermann, der als ehemaliger Chef der Depfa für die manipulierten Bilanzen mitverantwortlich ist, wurde noch nicht einmal Klage erhoben – laut Manager Magazin ist er mit seiner Prämie in Höhe von 120 Millionen Euro in einem „Schweizer Nobelort untergetaucht“. Gegen den gesamten HRE-Vorstand wurde Klage erhoben. Die Verfahren gegen sechs weitere Vorstände wurden 2016, eineinhalb bzw. zweieinhalb Jahre vor der Verjährung der Straftaten gegen Geldstrafen zwischen 30.000 und 80.000 Euro eingestellt.

Nur gegen die Hauptangeklagten Funke und Fell wurde überhaupt der Prozess eröffnet – am 20. März 2017, genau ein Jahr vor Verjährung der „vermeintlich“ falschen Bilanzen aus dem Jahr 2007 und eineinhalb Jahre vor der kompletten Verjährung. Die Staatsanwaltschaft hat es also in neun Jahren nicht geschafft, die kompletten Daten auszuwerten und eine tragfähige Anklage auf die Beine zu stellen. Wahrscheinlich stand ihnen nur eine Halbtagsstelle zur Verfügung. Die Richter am Münchner Landgericht waren – Prozessbeobachtern zufolge – mit der komplexen Materie rund um die Fragen internationaler Bankenbilanzierungsregeln komplett überfordert und der vom Gericht beauftragte Sachverständige kapitulierte ebenfalls, da noch sehr viele Zeugen hätten vernommen werden müssen. Nun, dazu hatte man zwar zehn Jahre Zeit, aber wenn das Hauptverfahren erst kurz vor Toresschluss mit Personal eröffnet wird, das sich sonst um Gebrauchtwagenhändler oder Handwerker kümmert, ist es wohl nicht erstaunlich, dass die Münchner Justiz derart kläglich versagt hat. Georg Funke muss nun 18.000 Euro Strafe bezahlen. Bei der HRE hat er in seinem letzten Jahr 3,1 Millionen Euro verdient und die Bank nach seinem Rauswurf auch noch auf 12 Millionen Euro Schadensersatz verklagt.

HSH-Nordbank – Freispruch und Revision

Mit dem Problem sind Münchner nicht alleine. Der Omega-Deal der HSH-Nordbank, der mit dazu beigetragen hat, dass die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein wohl mit bis zu 30 Mrd. Euro Steuergeldern die Verluste ausgleichen müssen, ist ein eigenes Stück deutscher Justizgeschichte. Nach langen Ermittlungen und einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss eröffnete das Landgericht Hamburg 2014 ein Verfahren gegen den Ex-HSH-Chef Dirk Jens Nonnenmacher und fünf seiner einstigen Vorstandskollegen. Auch das Landgericht Hamburg war mit der komplexen Materie jedoch heillos überfordert und erklärte die Pflichtverstöße der Banker kurzerhand für „nicht gravierend genug“ und stellte das Verfahren mit einem Freispruch ein. Dies ließ jedoch bei der obersten Revisionsstelle, dem Bundesgerichtshof, alle Alarmglocken läuten. Die Bundesrichter watschten ihre Hamburger Kollegen im Oktober 2016 dann auch größtmöglich ab, kassierten die Freisprüche wieder ein und ordneten eine komplette Neuaufnahme des Prozesses an. Wann das letzte Kapitel in Sachen Aufarbeitung der Finanzkrise stattfindet, ist jedoch noch vollkommen offen. Und große Hoffnungen sollte man sich wohl auch nicht machen – zumal ohnehin nur der Omega-Deal verhandelt wird, der jedoch nur die Spitze des Eisbergs bei der HSH darstellt. Im Pleitejahr 2009 genehmigte Nonnenmacher sich übrigens noch eine „Sonderzahlung“ in Höhe von 2,9 Millionen Euro.

IKB – eine Bewährungsstrafe

Ein wenig härter traf es Stefan Ortseifen, dessen IKB die Anleger vor und während der Finanzkrise ungenügend über die Risiken ihrer Geschäfte mit komplexen US-Kreditgeschäften informiert hatte. So etwas sehen deutsche Gerichte als Kursmanipulation und verurteilten Ortseifen zu 100.000 Euro Geld- und zehn Monaten Freiheitsstrafe, die jedoch zur Bewährung ausgesetzt wurde. Härter trafen Ortseifen jedoch die durch das Urteil möglichen Schadensersatzforderungen der IKB, die die bereits damit verrechneten Pensionsansprüche bei weitem übersteigen. Nach einem Bericht der Wirtschaftswoche droht Ortseifen nun gar die Privatinsolvenz – ein Schicksal, das zahlreiche geprellte Anleger mit ihm teilen. Ortseifen ist übrigens einer der ganz wenigen Banker, die auch ihre Prämien zurückbezahlen mussten. Den Steuerzahler kostete die IKB-Pleite 9,2 Mrd. Euro.

SachsenLB, WestLB und BayernLB – Einstellungen, Geldstrafen und eine Bewährungsstrafe, die jedoch nicht direkt mit der Finanzkrise in Verbindung steht

Und der Rest? Auch von den SachsenLB-Managern musste keiner ins Gefängnis. Die Prozesse scheiterten an Formfehlern oder endeten gegen die Zahlung von Geldstrafen. Auch die Verfahren gegen Thomas Fischer und seine Kollegen von der WestLB wurden gegen Geldbußen eingestellt. Nur bei der BayernLB kam es dann doch etwas dicker. Als die Staatsanwaltschaft den ehemaligen BayernLB-Chef Werner Schmidt vor den Kadi zerren wollte, lehnte das Landgericht München die Anklage erst mal ab. Offenbar wollte man in Bayern keinen öffentlichen Prozess über Untreue in Höhe von 625 Millionen Euro und die Bestechung des österreichischen Landeshauptmanns Jörg Haider führen, die jedoch nur indirekt etwas mit der Finanzkrise zu tun hat.

Wegen der Bestechung wurde Schmidt dann auch tatsächlich verurteilt – zu eineinhalb Jahren auf Bewährung und 100.000 Euro Geldstrafe. Die 625 Millionen Euro, die die BayernLB unter seiner Regie verzockt hat, fielen bei dem Deal unter den Tisch. Dieses Verfahren wurde eingestellt. Schmidts Kollegen kamen ebenfalls mit Geldstrafen davon. Der Freistaat Bayern musste übrigens zehn Milliarden Euro Steuergelder in die BayernLB stecken, um sie aus der Schieflage, die Schmidt und Co. zu verantworten hatten, zu retten.

Die USA haben die Gerichtsbarkeit an die Märkte ausgelagert

Mit den niedrigen Strafen für Banker steht Deutschland international keinesfalls alleine da. Allen voran das Epizentrum der Finanzkrise, die USA, nahmen streng genommen überhaupt keine strafrechtliche Verfolgung der Verbrechen im Rahmen der Finanzkrise vor. Mit Kareem Serageldin wurde lediglich ein einziger Banker tatsächlich ins Gefängnis geworfen. Serageldin war zuvor Abteilungsleiter der Credit Suisse und wurde wegen Betrugs zu einer dreißigmonatigen Haftstrafe verurteilt. Der Rest der Branche ging mit geringen Geldstrafen oder komplett straffrei aus der Krise. Gegen Lehman-Brothers-Chef Richard Fuld wurde beispielsweise noch nicht einmal Anklage erhoben. FBI, SEC und andere Behörden hatten schlicht Angst, dass eine Klage bei einer derart komplexen Materie gegen einen Topmanager, der über seine Prämien eine Kriegskasse von einer halben Milliarden Euro zurückgelegt hat und sich daher eine ganze Armee von Topanwälten leisten kann, scheitern wird.

Daher haben die USA sich auch auf ein besonders fragwürdiges Instrument der Bestrafung verlegt – nicht gegen die verantwortlichen Personen, sondern gegen die Banken wurden teils extrem hohe Geldstrafen verhängt. So verhängten die US-Behörden bislang Geldstrafen im Volumen von mehr als 150 Milliarden US-Dollar gegen Banken, die im direkten Zusammenhang mit der Finanzkrise stehen. Betroffen sind vor allem US-Institute (z.B. Bank of America (16,6 Mrd.US$), JP Morgan (13 Mrd. US$)), aber auch europäische Banken (z.B. Deutsche Bank (7,2 Mrd. US$), BNP Paribas (8,9 Mrd. US$)) mussten kräftige Strafen hinnehmen. Die Logik dahinter – da es viel zu kompliziert und viel zu riskant ist, gegen einzelne Manager von Großbanken strafrechtlich vorzugehen, verurteilen wir die Banken auf zivilrechtlicher Ebene und überlassen es dem Markt, über die verantwortlichen Manager zu richten. Schließlich sind bei derart hohen Geldstrafen die Aktionäre gefordert, ihrerseits dem Management geforderte Prämien zu entziehen oder gleich den Vorstand freizustellen. Das Problem: Die Aktien von Banken werden zum allergrößten Teil von anderen Banken, Fonds und Versicherungsgesellschaften gehalten und verwaltet und eine interne Gerichtsbarkeit findet daher schlicht nicht statt. Das ist so, als würde die US-Justiz die Bestrafung von Drogenbossen den Bossen der anderen Kartelle überlassen … man muss sich wahrlich nicht wundern, wenn so etwas nicht funktioniert.

Dabei haben die US-Behörden in anderen Fällen sehr wohl gezeigt, dass sie auch wehrhaft sein können. Der Banker Michael J. McGrath jr. wurde beispielsweise wegen Betrugs zu 14 Jahren Haft, sein Kollege Lee B. Farkas wurde gar zu 30 Jahren Haft verurteilt – beide Fälle betreffen jedoch kleinere Banken und Vorgänge, die nicht im Zusammenhang mit der Finanzkrise stehen.

Als die Märkte 1929 crashten, gingen hunderte Banker, darunter der Chef der New Yorker Börse ins Gefängnis. Im Umfeld der „Savings-and-Loan-Krise“ der 1980er wurden 839 Banker von Gerichten verurteilt – darunter auch Vorstände der großen Banken. Bei der betrügerischen NASDAQ-Blase wanderten unter anderem die Topmanager von WorldCom, Enron, Qwest und Tyco hinter Gitter. Bei der letzten Finanzkrise, deren Auswirkungen epochal waren und sind, war es nur noch ein einziger Banker, der gerade einmal 30 Monate Haftstrafe bekam.

Ähnlich sieht es in London, dem zweiten Weltfinanzzentrum aus: Nick Leeson (Barings Bank, Auslöser der Devisenkrise von 1994) wurde zu sechseinhalb Jahren, Tom Hayes (UBS, LIBOR-Skandal) Jahre später gar zu 14 Jahren verurteilt. In beiden Fällen war die Materie jedoch für gut ausgebildete Ermittler verständlich und der Betrug war doch recht offensichtlich. Und hier besteht der große Unterschied zur Finanzkrise mit ihren verbrieften, gebündelten und wieder neu chargierten Subprime-Krediten und Ausfallversicherungen, die am Ende selbst die Banker nicht mehr verstanden.

Ein wild gewordener Finanzsektor außerhalb des Rechtssystems

Es ist für die Ermittlungsbehörden und die Gerichte kaum machbar, hier immer die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität zu erkennen. Wir haben es mit grenzüberschreitenden Geschäften zu tun, bei denen Finanzprodukte oft im Nanosekundentakt digital um die Welt geschickt, aufgesplittet und neu gebündelt werden und am Ende des Tages oft keiner der Beteiligten weiß, was er da eigentlich konkret in seinen Büchern stehen hat. Und dies ist nur die offizielle, sichtbare Finanzwelt. Was sich in den gigantischen Dark Pools der großen Fonds und Banken abspielt, ist selbst für Insider weitestgehend unbekannt. Wie will ein Staatsanwalt hier Beweise sammeln, wie will er eine Betrugsabsicht belegen, wenn die Indizien digitale Bits in einem Dark Pool sind und er sich mit den Zeugen noch nicht einmal auf rudimentärer Ebene fachlich verstehen kann?

Die Finanzwelt hat ein System erschaffen, das sich der zeitgenössischen Strafverfolgung und Rechtsprechung schlicht entzieht. Und dies ist ein ernsthaftes Signal, auf das die Politik reagieren muss.

Von Lord Turner, der zur Zeit der Finanzkrise die britische Finanzaufsichtsbehörde FSA geleitet hat, stammt das bemerkenswerte Zitat:

„Der Umstand, dass keine einzige Person von den Gerichten für das Versagen [während der Finanzkrise] verantwortlich gemacht werden konnte, wirft folgende Frage auf: Wenn wir unter den bestehenden Rahmenbedingungen nicht aktiv werden konnten, sollten wir dann künftig nicht besser die Rahmenbedingungen ändern?“

Wer will Lord Turner da wiedersprechen. Was wir in den letzten Monaten rhetorisch vernehmen, ist jedoch das genaue Gegenteil. Donald Trump denkt schon offen darüber nach, die Finanzmärkte noch weiter zu deregulieren und die britischen Tories wollen den Finanzsektor durch angekündigte Deregulierungen nach dem Brexit in der City of London halten. Nach der Krise ist vor der Krise – diesmal jedoch völlig außerhalb des Rechtssystems.

Doch eine einzige Ausnahme gibt es auch, die die Regel bestätigt. Das kleine Island schickte 39 leitende Banker hinter schwedische Gardinen und regulierte sein Finanzsystem von Grund auf neu. Wer etwas ändern will, muss dies offenbar nur wollen.


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