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Titel: Kontaktverlust oder: Wenn unbequeme Bücher „verschwinden“

Datum: 8. November 2017 um 8:42 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Strategien der Meinungsmache
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In der Filiale einer großen Buchhandelskette in meiner Heimatstadt ist seit einigen Wochen ein seltsames Schauspiel zu beobachten. Die Bühne ist das gut ausgeleuchtete Regal im Eingangsbereich, in dem die aktuellen Spiegel-Bestseller präsentiert werden. Da stehen sie, die Lieblinge der Buchkäufer: „Erkenne dich selbst“ von Richard David Precht, „Die Kunst des guten Lebens“ von Rolf Dobelli oder „Über den Anstand in schwierigen Zeiten“ von Axel Hacke. Seit allerdings das Sachbuch „Kontrollverlust“ des Autors Thorsten Schulte sich in diesem Herbst fest in der Bestsellerliste etabliert hat, weigert sich die hiesige Buchhandlung hartnäckig, den Titel in das zugehörige Regal zu stellen. Der Platz bleibt dabei nicht etwa leer, sondern wird fortlaufend aufgefüllt mit Büchern, die dem Personal offenbar besser gefallen. Eine Farce, könnte man sagen – doch sie steht für eine Haltung im Land. Von Paul Schreyer.

Am Ende des Artikels erscheint ein Kommentar der Redaktion.

Zunächst präsentierten die Buchhändler auf der Regal-Position von „Kontrollverlust“ Boris Palmers „Wir können nicht allen helfen“, wohl ein verschämtes Zugeständnis an die Interessen einer „flüchtlingskritisch“ orientierten Leserschaft. Wenn die Leser „solche Bücher“ schon mögen, dann sollen sie lieber das eines grünen Politikers kaufen, so vielleicht das Kalkül. Letzte Woche wurde „Kontrollverlust“ dann durch das einigermaßen themenfremde, wenngleich hoffnungsvollere „Heilen mit der Kraft der Natur“ ersetzt. Immerhin originell. Diese Woche nun nimmt den Platz des ungeliebten Bestsellers der Ratgeber „Mit Rechten reden“ ein.

Man könnte das Ganze als schlechten Scherz bezeichnen, oder, weniger wohlwollend, als Zensurversuch. Noch drastischer war im Sommer diesen Jahres ja der SPIEGEL vorgegangen, der ein unerwünschtes Buch gleich komplett aus seiner eigenen offiziellen Bestsellerliste gelöscht hatte. Mich erfasste bei der Beobachtung des Schauspiels (das nur derjenige Ladenbesucher überhaupt erkennt, der die neben dem Regal hängende Bestsellerliste mit dem Regalinhalt vergleicht) jedenfalls ein tiefes Unbehagen. Welches Buch würde nächste Woche, nächsten Monat als „unpassend“ aussortiert werden? Schließlich fasste ich mir ein Herz und fragte an der Kasse nach, was es mit dieser Aktion auf sich habe. Sei das vielleicht die offizielle Firmenpolitik der Buchhandelskette?

Daraufhin blickte die Kassiererin fragend zu einer neben ihr stehenden Mitarbeiterin, die mir beschied: „Keine Firmenpolitik, aber unsere Filialpolitik.“ Ich wisse vielleicht, so die Buchhändlerin, dass das fragliche Werk in einem umstrittenen Verlag erschienen sei. Ich runzelte die Stirn. Sie meinte den Kopp Verlag. Solche Dinge wolle man nicht fördern, daher die Entfernung aus dem Regal. Selbstverständlich, so die Mitarbeiterin, könne sie das Buch aber bestellen, überhaupt kein Problem!

Mein Hinweis, dass Besucher der Buchhandlung durch das falsch bestückte Regal in die Irre geführt würden, lief ins Leere. Die Mitarbeiterin verstand sich offenkundig als kraft ihres Amtes ermächtigt, ihren Kunden auch ungefragt Orientierung zu geben.
Nun bin ich kein Fan dieses Buches, dessen Autor, ein geschmeidiger ehemaliger Investmentbanker und Ex-Wahlkampfchef von CDU-Mann Laurenz Meyer, rhetorisch eher die grobe Keule führt und der neben seinem Buch massiv den Kauf von Edelmetallen bewirbt. Doch ein Bestseller ist nun mal ein Bestseller. Und wer ein entsprechendes Regal in seinem Laden aufstellt (wozu ja keine Buchhandelskette gezwungen wird), der sollte den Tatsachen (und seinen Kunden) vielleicht doch besser ehrlich ins Auge sehen. Dieser Gedankengang war dem Personal allerdings nicht zu vermitteln.

Angeregt durch den aktuellen „Alternativvorschlag“ schaute ich dann doch noch in das Buch „Mit Rechten reden“ – und erlebte ein Déjà-vu. Der gleiche abgehobene und selbstgerechte Ton, dieselbe Unfähigkeit, konträren Positionen inhaltlich zu begegnen. Die Autoren – ein Philosoph, ein Jurist und ein Historiker – erklären genau das sogar zur besonderen Qualität ihres Werks: mit den geistigen Niederungen der Argumente mögen sich andere befassen, wahre Intellektuelle beleuchten dagegen die Meta-Ebene, die „Art des Redens“ (Seite 12). Zwar kritisieren auch sie stumpfes Lagerdenken und die Selbstgerechtigkeit auf beiden Seiten, vor allem aber geht es ihnen darum, im Spiegelsaal der Eitelkeiten kunstvolle Pirouetten der eigenen Klugheit zu drehen. Zitat: „Andererseits hat das Rätselhafte immerhin den Vorteil, Fragen aufzuwerfen. (…) Du sollst Ja zum Nein zum Ja sagen.“ (Seite 14, 15) So raunt es über Seiten hinweg und am Ende ist dann doch wieder alles ganz einfach: Die anderen, ob nun rechts oder anderswo, sind die Dummen, zumindest dümmer als die eloquenten Autoren.

Das deutsche Feuilleton ist davon ganz begeistert. ZEIT-Literaturchef Ijoma Mangold jubelte: „Dieses Buch sprüht förmlich vor Geist und Witz.“ Man ist geneigt, nachzufragen, wann Mangold das letzte Mal persönlich mit einem AfD-Wähler gesprochen hat. Die Diagnose lautet: Kontaktverlust. Und das betrifft dann auch diejenigen Buchhändler, die ein solches Werk ihren Lesern ans Herz legen und dafür ein anderes „wegmogeln“.
Neu ist die Erkenntnis nicht, dass ein Bildungsbürgertum, das sich selbst als fortschrittlich versteht, oft keinen Draht zur breiten Bevölkerung hat. In aufgeheizten Zeiten aber wird das um so gefährlicher, denn jegliche Kommunikation hat nun mal eine ebenso einfache wie zwingende Voraussetzung: Den anderen ernst nehmen. Gesäuberte Regale helfen ebenso wenig wie Verschraubungen im Elfenbeinturm.

Kommentar der Redaktion:

Auf diesen Beitrag von Paul Schreyer haben eine Reihe von NachDenkSeiten-Lesern kritisch reagiert – mit Hinweis auf die Rolle und Äußerungen des Buchautors. Wir fanden die Kritik insofern berechtigt, als dem Text von Autor Schreyer eine Information über die Auftritte des Autors und die Wahlempfehlungen für die AfD gutgetan hätte.

So wäre es für unsere Leserinnen und Leser doch sicherlich interessant zu wissen, dass Thorsten Schulte als Redner auf zahlreichen Kundgebungen der AfD aufgetreten ist und in Videos zusammen mit der AfD-Politikerin Alice Weidel seine Wahlempfehlung für die AfD abgab.

Alice Weidel ist übrigens Mitglied der neoliberalen Hayek-Gesellschaft. Die NachDenkSeiten können doch nicht am gleichen Tag die Sendung der Anstalt loben, in der die Mont Pelerin Society kritisch behandelt wird, und parallel dazu ohne entsprechende Information auf ein Buch hinweisen, das – angefangen bei der Geld- und Finanzpolitik bis hin zur Forderung der Liberalisierung des Waffenbesitzes – Hayeks Ideologie vermittelt. Darauf hätte Autor Schreyer hinweisen können und aus unserer Sicht müssen. Wir selbst hatten bereits sehr früh vor den marktradikalen Strömungen im rechten politischen Spektrum gewarnt.

Mit ausreichender Information durch den Autor des NDS-Artikels wäre das Verhalten der Buchhändler/innen vermutlich in einem etwas anderen Licht erschienen. Auch wir fühlten uns betroffen, weil unser Autor auch uns nicht näher über die Hintergründe und das Umfeld unterrichtet hat. Auch deshalb die zu schnelle und nicht genau bedachte Reaktion.

Erstaunt hat uns die Heftigkeit der Reaktion sowohl auf den Artikel von Schreyer als auch auf die Entscheidung, ihn vorübergehend herauszunehmen. Sofort wird der Vorwurf „Zensur“ erhoben. Könnte man damit nicht etwas vorsichtiger umgehen?

Das fängt schon bei der Tonlage des Artikels selbst an: Ist es ein Zensurversuch, wenn eine Buchhandlung ein Buch weiter vertreibt, aber die Präsentation auf der Basis der Spiegel-Bestsellerliste nicht mitmacht?

Ist es eine Zensur, wenn die Redaktion der NachDenkSeiten meint, dass unsere Leserinnen und Leser eine ein bisschen umfassendere Information über einen Autor verdienen und deshalb nachträglich die Veröffentlichung eines Artikels korrigiert? Dann könnte man auch sagen, es sei eine Zensur gewesen, dass Autor Schreyer über den Autor Thorsten Schulte ungenügend unterrichtet hat.

Es wäre gut, die Urteile, die Vorurteile und Verurteilungen würden etwas tiefer gehängt. Im konkreten Fall bedauern wir unsere zu schnelle Entscheidung und korrigieren diese mit der Wiederveröffentlichung.

In jedem Fall auf diesem Wege auch noch ein Dankeschön für die vielen E-Mails.


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