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Titel: Eine neue Ausrichtung deutscher Außenpolitik?

Datum: 2. Januar 2018 um 9:18 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Strategien der Meinungsmache
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Der amtierende deutsche Außenminister Sigmar Gabriel hat kürzlich beim alljährlich mit prominenter internationaler Beteiligung stattfindenden Berlin Foreign Policy Forum der Körber Stiftung eine Grundsatzrede zur deutschen Außenpolitik gehalten, in der er auf die wesentlichen Veränderungen der globalen Ordnung eingeht. In der Tat haben sich durch die Präsidentschaft Donald Trumps und seine chaotisch-aggressive Politik geopolitische Verwerfungen ergeben, die insbesondere auf Europa ausstrahlen. Führende europäische Politiker – und so auch Sigmar Gabriel – scheinen sich sinnvoller Weise von der engen Anbindung an die USA lösen zu wollen und nach einem eigenen Weg in der internationalen sowie in der nationalen Politik zu suchen. Ein Gastbeitrag von Wolfgang Bittner [*] zur Rede des amtierenden Außenministers Sigmar Gabriel am 5. Dezember 2017 in Berlin.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Gabriel stellt fest: „Deutsche Außenpolitik war Teil des transatlantischen Bündnisses mit den USA und seinen Westalliierten … Wir müssen einsehen: Entweder wir versuchen, selbst in dieser Welt zu gestalten oder wir werden vom Rest der Welt gestaltet.“ Die globale Dominanz der USA werde „langsam Geschichte“ – so Gabriel –, und in der sich verändernden Weltordnung sei es „.umso dringender, dass Europa sich auf seine Interessen besinnt und sich Gestaltungsmacht erarbeitet“. An anderer Stelle sagt er: „Die Selbstverständlichkeit, mit der wir die US-amerikanische Rolle – trotz gelegentlichen Zwistes – als behütend gesehen haben, beginnt also längst zu bröckeln… Vor diesem Hintergrund müssen wir auch kühler analysieren, wo wir plötzlich – oder möglicherweise auf Dauer – mit den USA über Kreuz liegen.“

Bedeutet das nun die schon lange geforderte Abkehr von der völkerrechtswidrigen Aggressions- und Interventionspolitik der USA? Bedeutet das etwa Abrüstung statt Aufrüstung, eine Beendigung der unsinnigen und durch nichts gerechtfertigten Sanktionen gegen Russland und das Eingehen auf die mehrmals wiederholten Kooperationsangebote des russischen Präsidenten Putin? Bedeutet das in der Folge eine Abkehr vom Neoliberalismus, von der exzessiven Privatisierung öffentlicher Einrichtungen, von der Einflussnahme auf die Medien? Werden die Geheimdienste, die sich verselbständigt haben, in ihre Schranken gewiesen? Gibt es dann mehr Geld für Bildung, Gesundheit, Armutsbekämpfung, Erhaltung der Infrastruktur …?

Weit gefehlt! Denn Gabriel vertritt als Nächstes die Ansicht: „Werteorientierung, wie sie gern von uns Deutschen für unsere Außenpolitik in Anspruch genommen wird, wird allein jedenfalls nicht ausreichen, um sich in dieser von wirtschaftlichen, politischen und militärischen Egoismen geprägten Welt zu behaupten.“ Und er fährt fort: „Auf dieser Basis und mit einem klaren Wertekompass sollten wir dann beherzt für das kämpfen, was wir bewahren und was wir erreichen wollen. Und zwar ohne überdimensionierte moralische oder normative Scheuklappen.“ Damit aber reiht sich Gabriel in die Phalanx derer ein, die wie Ex-Bundespräsident Gauck oder Bundespräsident Steinmeier im Gefolge der US-Außenpolitik dafür eintreten, dass Deutschland „mehr Verantwortung in der Welt“ übernimmt, auch militärische, wobei Menschlichkeit, Moral oder das Völkerrecht kein entscheidender Faktor der deutschen Außenpolitik sein sollen.

Einerseits fordert Gabriel, ein neues strategisches Verhältnis zu den USA zu finden, die seit dem Ersten Weltkrieg das internationale Geschehen dominierten. Andererseits erweist er sich als treuer Verfechter einer zerstörerischen, den Weltfrieden gefährdenden US-Außenpolitik, wenn er zum Beispiel in gewohnter Weise gegen Russland zu Felde zieht. „Das in der UN-Charta und in zahlreichen Verträgen kodifizierte Völkerrecht befindet sich in der Krise“, konstatiert er und kommt sogleich auf die angeblichen Rechtsbrüche Moskaus zu sprechen: „Mit der Annexion der Krim hat Russland die territoriale Souveränität der Ukraine und das Gewaltverbot der UN-Charta verletzt.“

Warum ist es so schwer zu begreifen, dass es sich bei der Loslösung der Krim von der Kiewer Ukraine nicht um eine Annexion gehandelt hat, sondern um die friedliche Abspaltung (Sezession) einer Region vom Mutterland, in diesem Fall nach einem von den USA und ihren willigen Helfershelfern in der EU organisierten Staatsstreich mit gravierenden Auswirkungen? (Dazu: Wolfgang Bittner, „Die Eroberung Europas durch die USA“, Westend Verlag 2017, S. 19, 120, 160 mit weiteren Hinweisen.) Die Antwort auf diese Fragen lautet: Weil das von den USA so vorgegeben wird.

Gabriel sagt: „Wir können sicher sein, dass rund um den Globus, nicht nur in Peking, Moskau und Teheran, sehr sorgfältig analysiert wird, wie stark und entschlossen der Westen in der Verteidigung seiner Werte und Interessen ist… Wir erleben derzeit, dass die Konkurrenz nicht schläft. Vor zwei Wochen hat der russische Präsident in Sotschi Hof gehalten. Einmal war der syrische Präsident da, dann der türkische und der iranische. Man feierte den Sieg in Syrien, den die Anwesenden gesichert glaubten. Eine deutsche Zeitung schrieb dazu: ‚Schwarze Seelen am Schwarzen Meer‘.” Gabriel stellt fest: „Die in Sotschi versammelten Großmächte sind keine Freunde, aber sie haben einiges gemeinsam. Sie berufen sich nach innen und nach außen auf ihre historische Größe. Und das ist das Wesentliche, was sie von uns unterscheidet …“ Was ist das anderes als das, was aus den USA, die sich ständig auf ihre historische Größe berufen, zu hören ist?

Zu der Konfliktregion Mittlerer Osten sagt Gabriel: „Der regionale Ordnungsrahmen dort war seit dem Zweiten Weltkrieg weitgehend durch die USA vorgegeben. Im Jahr 2017 schauen wir auf eine geschwächte Ordnungsprojektion und Gestaltungskraft der USA, die in Nah-Mittelost nur noch eingeschränkt staatlichen Zerfallstendenzen entgegenwirken wollen und können. Ob dies durch bewussten Rückzug oder durch fehlende Kraft verursacht wird, ist letztlich unerheblich.“ Doch das ist selbstverständlich nicht unerheblich. Vielmehr haben die USA entsprechend ihrer Langzeitstrategie (s. WB „Die Eroberung Europas durch die USA“) der Reihe nach die arabischen Länder destabilisiert und ins Chaos geführt, und es sieht bisher nicht danach aus, dass sie sich aus diesen Ländern zurückziehen.

Gabriel plädiert für „die Existenz verbindlicher Regeln und Strukturen, die das Zusammenwirken der Pole eben nicht der jeweiligen Machtbalance und der Kunstfertigkeiten der Metternichs und Palmerstons des 21. Jahrhunderts zu verdanken hätte. ‚Mehrpoligkeit‘ bei gleichzeitiger Ordnungsverbindlichkeit ist das Markenzeichen dieses Systems.“ Aber dann geht es wieder gegen Russland, ganz im Sinne des „Großen Bruders“: „Zum anderen müssen wir unsere Interessen aber natürlich auch gegenüber Russland klarer und kohärenter definieren. Moskau hat die internationale Ordnung mit der Annexion der Krim und der Einmischung in der Ostukraine in Frage gestellt.“

Diese opportunistische Haltung und kurzsichtige Russlandgegnerschaft durchzieht die gesamte Rede Gabriels. Er führt aus: „Dreh- und Angelpunkt ist die Frage, ob wir Russland für die Rückkehr zu einer regelgestützten Ordnung gewinnen können, die in Europa so lange den Frieden gesichert hat.“ Er setzt hinzu: „Dafür brauchen wir einerseits klare Prinzipien und einen festen Standpunkt, wo internationale Prinzipien verletzt werden. Das schließt auch die Bereitschaft zu konkreten Maßnahmen wie Sanktionen ein.“

Kann eine solche Aussage ernst gemeint sein? Die USA zetteln überall in der Welt Konflikte und Kriege an, sie achten weder die Souveränität anderer Staaten noch das Völkerrecht, und dann fordert Gabriel von Russland, das sich aufgrund der Aggressionspolitik des Westens unter Führung der USA und der von ihr dominierten NATO in der Defensive befindet, die „Rückkehr zu einer regelgestützten Ordnung“? Und er fügt noch an: „Andererseits ist es gerade unsere deutsche Rolle, Dialogkanäle zu erhalten und das Gespräch auch in schwierigen Zeiten zu suchen.“ Welche Scheinheiligkeit, um nicht zu sagen: Verlogenheit!

Schließlich kommt Gabriel auf die One-Belt-One-Road-Initiative Russlands und Chinas zu sprechen, und es ist wirklich erstaunlich, dass die Information über dieses seit mehreren Jahren schon in der Planung befindliche Vorhaben, das von namhaften Wirtschaftsanalysten als das größte Wachstumsprojekt in der modernen Geschichte angesehen wird, endlich bei europäischen Politikern angekommen ist. Gabriel sagt dazu: „Die One-Belt-One-Road-Initiative, die ‚neue Seidenstraße‘, ist eben keine historische Handelsreminiszenz an Marco Polo, sondern letztlich eine geostrategische Idee, in der China seine Ordnungsvorstellungen durchsetzt. Handelspolitisch, geographisch, geopolitisch und letztlich womöglich auch militärisch.“

Das ist nicht einmal zur Hälfte erfasst. Denn Moskau und Peking planen im Rahmen der Shanghai-Cooperation unter Einbeziehung der übrigen BRICS-Länder den Aufbau eines interkontinentalen Infrastruktur-Netzes von Moskau über Sibirien und Wladiwostok bis China und Indien, wozu die verkehrsmäßige und wirtschaftliche Erschließung bisher peripherer Regionen gehört. Gelingt dies, würde ein gigantischer Binnenmarkt entstehen, und zwar mit der Folge, dass die USA nur noch eine übermäßig hochgerüstete Regionalmacht zwischen Pazifik und Atlantik wären. Von China werden für dieses Vorhaben, das auch den Ausbau der Seidenstraße umfasst, mehr als 1.000 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt. Die USA versuchen, das One-Belt-One-Road-Projekt mit allen Mitteln zu boykottieren, unter anderem durch die Abspaltung Westeuropas von Russland sowie durch die Entziehung von Wirtschaftskraft.

Gabriel weiter: „Man kann heute wohl sagen, dass China das einzige Land der Welt ist, das überhaupt eine langfristige geostrategische Idee hat. … Aber es ist uns im ‚alten Westen‘ durchaus vorzuwerfen, dass wir keine vergleichbare eigene Strategie haben. Denn erst wenn beides vorliegt, die Definition chinesischer und europäischer Interessen – und besser noch: die amerikanisch-europäischen Interessen –, kann daraus eine tragfähige Balance beider Seiten entstehen.“ Offensichtlich hat Gabriel nicht begriffen, dass die USA seit Jahrzehnten eine konsequente geostrategische Strategie verfolgen, und zwar unabhängig davon, wer dort an der Regierung ist. Und er hat anscheinend auch nicht begriffen, dass die USA nach wie vor einen unipolaren Anspruch erheben, so dass die Entwicklung einer tragfähigen Balance in dieser „Weltarena“ zurzeit eine Illusion ist.

Immerhin ist er der Meinung, die USA seien „nicht mehr für die Statik und das Gewölbe dieser Arena zuständig“, vielmehr seien sie „eher Kombattanten“. Und er führt weiter aus: „Dazu gehört es zum einen, ein strategisches Verhältnis Europas zu den USA zu finden. Seit dem Zweiten Weltkrieg standen die USA aus deutscher Sicht gewissermaßen über den Dingen. Doch spätestens seit dem Wall-Street-Journal-Artikel der beiden Chefberater McMaster und Cohn ist klar, dass die Welt für die USA nicht länger eine ‚globale Gemeinschaft ist, sondern eine Arena, in der Nationen, nichtstaatliche Akteure und Unternehmen um Vorteile ringen‘. In der man also mal den einen, mal den anderen als Partner hat, wenn das den eigenen Interessen dient.

Gabriel sieht zwar, dass es dringend an der Zeit ist, ein strategisches Verhältnis zu den USA zu finden, das die europäischen und die deutschen Interessen in den Blick nimmt. Aber beherzt für das zu kämpfen, was wir uns bewahren und was wir erreichen wollen, „ohne überdimensionierte moralische oder normative Scheuklappen“ entspricht ganz der Linie der unmenschlichen Politik der USA mit ihrer Missachtung der Souveränität anderer Staaten und ihren verheerenden „humanitären Interventionen“. Von „gelegentlichem Zwist“ – so Gabriel – zwischen den USA und Deutschland kann überhaupt keine Rede sein, denn deutsche Außenpolitik wurde bisher weitgehend ohne Wenn und Aber von Washington gesteuert.

Immerhin ist es erfreulich, dass endlich einmal die US-amerikanische Rolle als „behütender Machtfaktor“ in Frage gestellt wird. Das wird allerdings relativiert: „Die USA werden unser wichtigster globaler Partner bleiben. Es gibt keinen Zweifel: Wir werden diese Partnerschaft auch in Zukunft brauchen und pflegen. Diese Partnerschaft wird aber allein nicht ausreichen, um unsere strategischen Interessen zu wahren. Der US-Rückzug geht nicht auf die Politik eines einzelnen Präsidenten zurück. Er wird sich auch nach der nächsten Wahl nicht grundlegend ändern.“

Dass Deutschland und Europa die transatlantische Partnerschaft brauchen und pflegen müssen, steht außer Frage. Ebenso aber auch, dass diese „Partnerschaft“ nicht ausreichen wird, um die eigenen Interessen zu wahren. Und dass die USA hinsichtlich des „Schachbretts Eurasien“ (Brezezinski, „Die einzige Weltmacht“) unabhängig von der jeweiligen Präsidentschaft eine Langzeitstrategie verfolgen, ist in den vergangenen Jahren immer deutlicher geworden. Offenbar hat Gabriel das erst jetzt bemerkt, ohne allerdings die ganze Tragweite zu erkennen und wirkliche Konsequenzen hinsichtlich einer eigenen Politik daraus zu ziehen.

In seiner eine konsequente Haltung gegenüber der friedensgefährdenden Politik der USA vermeidenden Rhetorik geht Gabriel wie folgt auf die Russland-Sanktionen ein, die der US-Kongress Mitte 2017 beschlossen hat: „Sie umfassen Tatbestände, die selbst existierende deutsche Pipelines aus Russland betreffen. Diese Sanktionen gefährden unsere eigenen wirtschaftlichen Interessen existentiell… In allen Fällen kann Deutschland es sich nicht leisten, auf Entscheidungen aus Washington zu warten oder bloß darauf zu reagieren. Wir müssen selbst unsere Positionen beschreiben und notfalls – übrigens auch gegenüber unseren Verbündeten – klarmachen, wo Grenzen unserer Solidarität erreicht sind… Und auf dieser Grundlage müssen wir bereit sein, einen strategischen Interessenausgleich unter Partnern zu betreiben und nicht eine Unterwerfung unter amerikanische Politik …“

So weit, so gut: Widerstand, „wo Grenzen unserer Solidarität erreicht sind“, keine Unterwerfung um jeden Preis (wie bisher). Aber dann kommt wieder die Wende: „Zum anderen müssen wir unsere Interessen aber natürlich auch gegenüber Russland klarer und kohärenter definieren. Moskau hat die internationale Ordnung mit der Annexion der Krim und der Einmischung in der Ostukraine in Frage gestellt.“ Und das stimmt eben nicht, denn de facto haben die USA die internationale Ordnung immer wieder, und nicht nur in der Ukraine, in Frage gestellt.

Dennoch bleibe Russland Europas Nachbar, sagt Gabriel. Ja, was denn sonst? Es geht nicht gegen die USA, sondern gegen deren aggressiven, den Weltfrieden bedrohenden Anspruch auf globale Herrschaft und die daraus folgenden Konflikte; aber es kann ebenso wenig gegen Russland gehen, woher mehrmals Kooperationsangebote gekommen sind. Hier vertritt Gabriel nach wie vor die verheerende US-Politik, die Not und Elend, Krieg und Vertreibung über die ganze Welt gebracht hat.

Russland sei „ein sehr einflussreicher Nachbar“, stellt Gabriel fest und beruft sich auf das „Beispiel Syrien“. „Sicherheit und Stabilität gibt es langfristig nur mit und nicht gegen Russland. Mehr noch: Wenn wir die Gefahr einer weltweiten Verbreitung atomarer Waffenarsenale vor uns sehen, dann wird es nur in der Kooperation zwischen den USA, Russland und inzwischen auch China gelingen können, dem Einhalt zu gebieten.“ Derzeit sei aber „das Vertrauen insbesondere zwischen Russland und den USA beziehungsweise der Nato so grundlegend gestört, dass beide Seiten dabei sind, sogar die Erfolge in der atomaren Abrüstungspolitik der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts infrage zu stellen“. Noch gelte nach Meinung Gabriels das 1987 vereinbarte Verbot zur Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen an Land in Europa. Er stellt die Frage: „wie lange noch?“ Sein Eindruck: „Wir könnten unmittelbar vor der Gefahr eines erneuten – auch nuklearen – Wettrüstens mitten in Europa stehen.“

Sollte dieser Spitzenpolitiker wirklich nicht bemerkt haben, dass ein erneutes – auch nukleares – Wettrüsten schon des Längeren stattfindet? Hier ist zu fragen, wer diese Konfrontationspolitik und diese massive Aufrüstung zu verantworten und vorangetrieben hat? Es ist doch wieder typisch, dass etwas behauptet wird, ohne die Fakten in den Blick zu nehmen. Der russische Präsident Putin hat mehrmals eine weitgehende Kooperation Russlands mit Deutschland und Westeuropa angeboten, schon in seiner Rede 2001 im Deutschen Bundestag. Niemand ist darauf eingegangen, denn die USA haben sich sofort quergestellt. Stattdessen werden die Anrainerstaaten Russlands massiv bewaffnet, und zugleich fordern westliche Politiker den Rückzug des russischen Militärs von den eigenen, den russischen Grenzen. Absurd!

„Niemand hat mehr Grund, seine Interessen klar und mit aller zur Verfügung stehenden Macht einzubringen, als Deutschland“, sagt Gabriel. „Denn wir wären im Zweifel die Leidtragenden eines ‚Kalten Krieges‘. Unser Land muss gerade jetzt erneut für Rüstungskontrolle und Abrüstung seine Stimme erheben.“ Wie schön, dass Gabriel das erkennt. Was er nicht erkennt oder erkennen will, ist die Tatsache, dass wir uns seit Längerem nicht nur wieder im Kalten Krieg befinden, sondern an der Grenze zu einem heißen Krieg. Offenbar ist ihm nicht einmal bekannt, dass die Militärausgaben der USA und der übrigen NATO-Staaten etwa dreizehn Mal höher sind als die Russlands.

Mehrfach geht Sigmar Gabriel auf den Ukraine-Konflikt ein, den er deutlich aus der Sicht der USA betrachtet: „Es wäre beispielsweise ein großer Fortschritt, wenn wir uns mit Russland auf eine tragfähige Blauhelm-Mission der Vereinten Nationen verständigen könnten, um endlich in der Ostukraine einen dauerhaften Waffenstillstand und den Rückzug schwerer Waffen durchzusetzen. Alle Seiten haben das seit Jahren versprochen – und dieses Versprechen immer wieder täglich gebrochen.“ Gabriel verschweigt, dass es der russische Präsident Putin war, der eine Blauhelm-Mission in der Ostukraine ins Gespräch gebracht hat, und dass die Kiewer Regierung mit ihren Freiwilligenbataillonen und den USA im Rücken in der Vergangenheit jede Friedensbemühung verhindert hat.

Das Angebot an Russland ist für Gabriel eindeutig und klar: „Nach der Durchsetzung eines dauerhaften Waffenstillstands können wir Europäer helfen, den Donbass wieder aufzubauen und auch erste Schritte für den Abbau von Sanktionen auf den Weg bringen. Das wäre zwar noch keine endgültige Lösung des Konflikts in der Ukraine und bei weitem noch keine Erfüllung der Minsker Vereinbarung. Aber ein Durchbruch wäre es in jedem Fall und ein großer Schritt hin zu einer neuen Entspannungspolitik mit Russland.“

Das ist so naiv, dass es wehtut. Die Hardliner in den USA sind doch nach der „kalten Übernahme“ der Ukraine überhaupt nicht an einem Frieden in dieser Region interessiert. Die Ukraine wurde von den USA nachweislich systematisch destabilisiert und gegen Russland in Position gebracht. Der Donbass, wo man zunächst lediglich mehr Autonomie forderte, wurde mit Billigung der westeuropäischen Staaten einschließlich Deutschlands in Schutt und Asche gelegt. (Und soll später mit europäischen Steuergeldern wieder aufgebaut werden? Was ist das für eine Idiotie?)

Gerade hat Präsident Trump der Kiewer Führung umfangreiche Waffenlieferungen zugesagt, amerikanische Söldner und Militärausbilder sind vor Ort, Kriegsschiffe der USA liegen in ukrainischen Häfen. Keine ernsthafte Kritik daran! Gabriels Wortgeklingel und seine scheinheilige Sowohl-als-auch-Rhetorik versprechen also keine wesentlich neue Ausrichtung deutscher Außenpolitik, die schwammigen Vorstellungen von Martin Schulz schon gar nicht, und die russlandfeindliche Einstellung von Angela Merkel ist zur Genüge bekannt. Es ist wirklich tragisch, aber es scheint erst einmal so weiterzugehen wie bisher.


[«*] Der Schriftsteller und Jurist Dr. Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. Im Juni 2017 erschien von ihm im Westend Verlag eine überarbeitete und um 111 Seiten erweiterte Neuausgabe seines Buches „Die Eroberung Europas durch die USA“.

Siehe auch: KenFM im Gespräch mit Wolfgang Bittner


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