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Titel: Hinweise der Woche

Datum: 21. Januar 2018 um 9:00 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Am Wochenende präsentieren wir Ihnen einen Überblick über die lohnenswertesten Beiträge, die wir im Laufe der vergangenen Woche in unseren Hinweisen des Tages für Sie gesammelt haben. Nehmen Sie sich ruhig auch die Zeit, unsere werktägliche Auswahl der Hinweise des Tages anzuschauen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (CW)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Sondierungsgespräche
  2. Reform der Europäischen Währungsunion
  3. Der Tod ist ein Krämer aus Deutschland
  4. Hungersnot im Jemen: „Was hier passiert, ist ein Albtraum“
  5. Automatisierte Aggression
  6. Hohe Zahl erledigter Asylverfahren ist nur Scheinerfolg
  7. Bund zwingt Hamburg, gegen renommierte Privatbank vorzugehen
  8. Politik bremste Steuerfahnder aus – jetzt wechseln sie die Seiten
  9. Eklat in Diesel-Expertengruppe düpiert Bundesregierung
  10. US-Steuerreform – Apple vergoldet Auslandsgewinne
  11. Kostenbremse: Siemens schließt Stellenabbau nicht aus
  12. Das gefährdet die Zukunft unserer Industrie
  13. Tragödie in Großbritanniens Krankenhäusern
  14. Trump ist nur ein Symptom – Die Mächte, die ihn ermöglichen, sind das Problem
  15. Show mer mal

Vorbemerkung: Ursprünglich hatten wir geplant, in unserer Wochenübersicht auch auf die lohnendsten redaktionellen Beiträge der NachDenkSeiten zu verweisen. Wir haben jedoch schnell festgestellt, dass eine dafür nötige Vorauswahl immer damit verbunden ist, Ihnen wichtige Beiträge vorzuenthalten. Daher möchten wir Ihnen raten, am Wochenende doch einfach die Zeit zu nutzen, um sich unsere Beiträge der letzten Wochen (noch einmal) anzuschauen. Vielleicht finden Sie dabei ja noch den einen oder anderen Artikel, den es sich zu lesen lohnt. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Sondierungsgespräche
    1. Kernthemen Arbeit und Soziales: Die kurze Liste der SPD-Erfolge
      Die SPD-Spitze kämpft um die Zustimmung der Partei: Man habe der Union weit mehr abgerungen als in den Jamaika-Verhandlungen vereinbart worden sei. Die Jusos sehen das anders. Haben sie recht? […]
      Klar ist: Einen wirklich großen Erfolg hat die SPD diesmal nicht erzielen können, anders als noch 2013, als sie der Union den Mindestlohn abrang. Der Einstieg in eine Bürgerversicherung, die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, ein höherer Spitzensteuersatz – nichts davon findet sich im Sondierungspapier. Das sind auch die Punkte, die die Jusos unter ihrem Vorsitzenden Kevin Kühnert in den letzten Tagen immer wieder angeprangert haben.
      Der große Wurf muss aber auch gar nicht sein, argumentieren die Befürworter. Man habe zwar keinen Siegerpokal mit nach Hause bringen können, sagt NRW-Landeschef Michael Groschek – aber „dafür ganz viele Medaillen“, zahlreiche kleine Maßnahmen also, die Deutschland gerechter machten und für viele Schwache eine große Hilfe seien. Eine Politik des Stückwerks also, für die auch etwa der langjährige Caritas-Geschäftsführer Georg Cremer plädiert, der Forderungen nach einem „großen Wurf“ skeptisch sieht und Sozialpolitik eher als Handwerk versteht, das den Sozialstaat punktuell ausbessert und anpasst.
      Doch stimmt das? Ein Vergleich des letzten Stands der Jamaika-Sondierungen mit den Ergebnissen, die die SPD-Spitze nun als ihren Erfolg reklamiert, ist ernüchternd. Denn die Liste der Vorhaben, die bereits die Grünen der Union abgetrotzt haben und die sich nun im Sondierungspapier wiederfinden, ist sehr lang.
      Quelle: Spiegel Online

      Anmerkung unseres Lesers J.A.: Sehr interessant und zumindest mir bisher nicht klar. Die Union hat der SPD also im Bereich Arbeit und Soziales nur minimal mehr als den Grünen zugestanden (und bei deren Sondierungen saß sogar die FDP mit am Tisch!!!). Was bleibt übrig? Fühlbare, aber doch sehr geringe Verbesserungen bei der gesetzlichen Krankenversicherung und bei der Krankenpflege, Abschaffung der Kita-Gebühren (wo sie nicht sowieso schon abgeschafft sind) und, tja, eigentlich praktisch nichts. Absolut minimale Verbesserungen gegenüber dem Stand der Jamaika-Sondierungen.

      Besonders schön finde ich den Punkt „Überprüfung der Höhe des Schonvermögens für Hartz-IV-Empfänger“ (Ergebnis beider Sondierungen). Eigentlich müsste wohl das Schonvermögen mit der Inflationsrate steigen (man denke nur an die Vehemenz, mit der seit Jahren z.B. für die Verringerung der kalten Progression gefochten wird). Wenn wirklich eine Überprüfung erfolgt, kann dabei diese minimale Erhöhung herauskommen, aber vielleicht soll auch alles beim Alten bleiben. Selbst bei einer Empfehlung zur Erhöhung kann die Bundestagsfraktion der Union dagegen sein (eine „Überprüfung“ ist kein „Beschluss“); und wenn die Erhöhung doch kommt, betrifft sie auch nur einen Bruchteil der Hartz-IV-Betroffenen und hilft denen, die ganz arm sind und gar nichts haben, null. M. a. W., mit 10 Prozent Wahrscheinlichkeit ergibt sich irgendwann eine kleine Verbesserung für 20 Prozent der Hartz-IV-Betroffenen. Was ein „hervorragender“ Erfolg der SPD.

      dazu: Lieber Mike Groschek,
      „… die Sozialverbände … raten dazu, dieses Sondierungsergebnis aufzunehmen und daraus Koalitionsverhandlungen zu machen, weil darin so viel soziale Substanz vorhanden ist“, vermeldest Du heute in der FAZ.NET – Frankfurter Allgemeine Zeitung. Ich weiß nicht, mit wem Du gesprochen hast, um zu solchen Aussagen zu kommen. Ich habe da eine deutlich andere Wahrnehmung. Für den Der Paritätische Wohlfahrtsverband – Gesamtverband zumindest trifft das definitiv nicht zu.
      Zur Frage, ob Die SPD in Koalitionsverhandlungen gehen soll, haben wir überhaupt keine Empfehlung abgegeben, weil das nicht unsere Baustelle ist.
      Das Sondierungspapier ist aus Sicht unserer Fachleute jedoch in erster Linie ein konservatives „Weiter So“. Das Versprechen der Sondierer, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, kann so nicht eingelöst werden. Vielmehr ist zu erwarten, dass sich die Spaltung mit den skizzierten Maßnahmen noch verschärft.
      Die gesamte Einschätzung, wenn sie Dich interessiert, findest Du hier.
      Dennoch herzliche Grüße
      Dein Ulrich Schneider

      Quelle: Ulrich Schneider via Facebook

      dazu auch: Die SPD verscherzt es sich mit den Jungen
      Weniger befristete Jobs – so lautete einmal ein Ziel des Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Davon ist im Sondierungspapier keine Rede mehr. Das ist eine Schande! […]
      Erstaunlich ist, wie geräuschlos die SPD, offenbar unfähig, aus dem 20,5-Prozent-Debakel zu lernen, das Thema abgeräumt hat. Schon in der Schlussphase des Wahlkampfs war kaum noch die Rede davon. Im Sondierungspapier wird mit keinem Wort erwähnt, was denn nun gegen das überhandnehmende Befristungsproblem getan werden soll, nicht einmal als Prüfauftrag taucht das Thema auf – ganz abgesehen von all den anderen Versprechen von der Bürgerversicherung bis zur Reichensteuer, die sich mit keiner Silbe in der Vereinbarung mit der Union finden.
      Quelle: Zeit Online Arbeit

      Anmerkung unseres Lesers P.R.: Ausnahmsweise einmal ein sehr guter Artikel der ZEIT, dem man eigentlich nichts hinzufügen muss. Ich weiß, die Nachdenkseiten haben sich der Angelegenheit schon mehr als einmal gewidmet. Dennoch ist es manchmal bemerkenswert, wenn sich eine Zeitung wie die ZEIT in manchen Einzelfragen derart eindeutig positioniert.

    2. Umrisse einer GroKo neu. Teil 3: Gesundheitspolitik und Pflege
      »Sie sind überall, sie werden gezogen, gesetzt und überschritten: die roten Linien. Angemahnt mal vom Beamtenbund, mal vom FDP-Politiker und Jamaika-Aus-Schöpfer Christian Lindner«, so Johann Schloemann, der sich auf die Suche nach der Herkunft dieser Floskel gemacht hat. »Im „Red Line Agreement“ von 1928 vereinbarten die großen Ölfirmen in der Turkish Petroleum Company ein Kartell: In den Grenzen des untergegangenen Osmanischen Reiches dürfe keine der Ölgesellschaften auf eigene Faust agieren. Nicht ganz klar waren ihnen die Grenzen, bis sie, so wird erzählt, mit einem roten Buntstift auf der Karte eingezeichnet wurden. Von dort wanderte der Begriff in die amerikanische Diplomatiesprache und wurde inflationär.« Und dann das: »Die rote Linie für rote Linien ist die Nichtdurchsetzbarkeit: als Barack Obama seine leeren Drohungen gegenüber Syrien aussprach, vermutete der republikanische Senator John McCain, die rote Linie sei „offenbar mit Zaubertinte geschrieben“.« Das leitet hervorragend über zum dritten Themenfeld der Serie „Umrisse einer GroKo neu“: Gesundheitspolitik und Pflege.
      Hier gab es sogar dunkelrote Linien – vor der Sondierung: Noch Ende November 2017 musste man diese knallharte Ansage zur Kenntnis nehmen: »SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach nannte die Bürgerversicherung ein „zentrales Anliegen“ seiner Partei. Die SPD wolle eine „Bürgerversicherung mit einem gemeinsamen Versicherungsmarkt ohne Zwei-Klassen-Medizin“, sagte der Gesundheitsexperte … Wenn die Union der SPD nicht entgegen komme, werde es Neuwahlen geben.« Nun wird es möglicherweise – wer weiß das schon in diesen Tagen – Neuwahlen geben, aber nicht, weil die SPD in den Sondierungsgesprächen auf der „Bürgerversicherung“ bestanden hat, ganz und gar nicht.
      Quelle: Aktuelle Sozialpolitik

      Anmerkung Christian Reimann: Die Teile 1 und 2 können Sie hier bzw. hier nachlesen.

    3. VWL-Professor über Solidaritätszuschlag: „Gefährlich, den Soli abzuschaffen“
      Von den Steuerplänen der Union und SPD profitiert das reichste Fünftel, sagt Sebastian Dullien. Das Geld reiche außerdem gar nicht, um den Soli ganz abzuschaffen.
      taz: Herr Dullien, Union und SPD haben in ihren Sondierungen beschlossen, „insbesondere untere und mittlere Einkommen“ beim Solidaritätszuschlag zu entlasten. Was also spart ein Durchschnittsverdiener künftig beim Soli?
      Sebastian Dullien: Gar nichts. Statistiken zeigen, dass die untere Hälfte der Steuerzahler überhaupt keinen Soli abführt. Um es konkret zu machen: Eine Familie mit zwei Kindern zahlt erst bei einem Jahreseinkommen von 52.000 Euro einen Soli. Ein so hohes Einkommen erreichen viele überhaupt nicht.
      Wer profitiert also?
      Die Besserverdienenden. Vor allem das reichste Fünftel.
      Aber im Sondierungspapier steht doch, dass nur die unteren 90 Prozent der Soli-Zahler entlastet werden sollen. Wieso profitieren dann doch vor allem die Wohlhabenden?
      Das Sondierungspapier stellt da eine Falle: Da die untere Hälfte gar keinen Soli zahlt, bedeuten „90 Prozent aller Soli-Zahler“, dass faktisch 95 Prozent der Haushalte vom Soli befreit werden sollen. Nur die obersten fünf Prozent werden nicht entlastet.
      Wie viel würde ein Haushalt sparen, der ein Einkommen von 100.000 Euro im Jahr hat?
      Das weiß momentan niemand. Denn das Geld reicht gar nicht, um den Soli abzuschaffen. Union und SPD wollen 10 Milliarden Euro ausgeben – in vier Jahren. Es würde aber fast 10 Milliarden pro Jahr kosten, die unteren 90 Prozent der Soli-Zahler zu entlasten.
      Es fehlen also 30 Milliarden. Wie könnte diese Lücke geschlossen werden?
      Die wahrscheinlichste Option wäre: Man schafft den Solidarzuschlag erst im Jahr 2021 teilweise ab. Dann würde es in dieser Legislatur nur 10 Milliarden kosten. Aber für die Wohlhabenden wäre es trotzdem ein gutes Geschäft: Denn die Abschaffung wäre ja für immer, sodass ihnen fortan jedes Jahr wieder 10 Milliarden geschenkt würden.
      Quelle: taz

      Anmerkung unseres Lesers J.A.: Sehr wichtiger Hinweis – die meisten Menschen verstehen das Steuersystem und die Wirkung von Einkommensteuersenkungen nicht so gut und freuen sich über Steuersenkungen. Aber wenn es heißt, „Die Besserverdienenden [profitieren]. Vor allem das reichstes Fünftel.“ – nun: das ist die Klientel, für die die SPD Politik macht. Konsequent seit 1999 (s. Senkung des Körperschaftsteuersatzes und des Spitzensteuersatzes, Abgeltungsteuer, Abschaffung der Steuer auf Veräußerungsgewinne, Abschaffung der Erbschaftsteuer für Unternehmenserben, Hartz IV und Leiharbeit und und und). Das hier ist kein Versehen der SPD, das ist Absicht – seit 1999.

    4. Gegen den Frieden sondiert! Die Große Koalition zur Aufrüstung
      Am kommenden Wochenende werden die Delegierten beim SPD-Parteitag über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU abstimmen. Während vielerorts – völlig zurecht – argumentiert wird, die Sozialdemokraten hätten sich in den meisten sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen ziemlich unterbuttern lassen, wird den friedens- bzw. militärpolitischen Passagen des Sondierungspapiers leider wenig bis keine Beachtung geschenkt.
      Das Sondierungspapier beginnt mit Absätzen zur Europäischen Union, die als „historisch einzigartiges Friedens- und Erfolgsprojekt“ bezeichnet wird, das allerdings aufgrund zunehmender Großmachtkonflikte gezwungen sei, sein „Schicksal mehr als bisher in die eigenen Hände [zu] nehmen.“ Hierfür müsse die „europäische Außen- und Sicherheitspolitik […] im Sinne einer Friedensmacht Europa gestärkt werden.“ Und zu diesem Zweck wolle man vor allem die „Zusammenarbeit bei der Sicherheits- und Verteidigungspolitik (PESCO) stärken.“ Das „historische Friedensprojekt“ und die „Friedensmacht“ EU in einem Atemzug mit einer Stärkung von PESCO zu nennen, dem aktuell wohl wichtigsten Projekt zur Militarisierung der EU, ist man zwar gewöhnt, macht es aber dadurch nicht unbedingt besser (siehe zu PESCO IMI-Standpunkt 2017/036). Darüber hinaus lehnt man zwar „völkerrechtswidrige Tötungen durch autonome Waffensysteme“ ab, will aber gleichzeitig „im Rahmen der europäischen Verteidigungsunion die Entwicklung der Euro-Drohne weiterführen.“ (…)
      Trotz dieser saftigen Zuwächse schalteten sich die üblichen Verdächtigen mit scharfer Kritik in die Debatte ein. Andre Wüstner etwa, der Chef des Bundeswehrverbandes, kritisierte, die Budgetplanung gehe auf „Kosten unserer Verlässlichkeit und Bündnisfähigkeit – und damit auf Kosten der Sicherheit Deutschlands. Das ist unverantwortlich.” Es ist also davon auszugehen, dass in den kommenden Monaten von interessierten Kreisen weiter mächtig Druck auf weitere Erhöhungen des Rüstungshaushaltes gemacht werden wird. Ob hier also mit den Sondierungsbeschlüssen schon das Ende der Fahnenstange erreicht ist, ist keineswegs sicher. Sicher ist dagegen aber eins: Sollte es zu einer Großen Koalition kommen, wird dies eine Große Koalition zur Aufrüstung sein.
      Quelle: Informationsstelle Militarisierung e.V.
    5. Vier weitere Jahre GroKo und wir bekommen einen deutschen Donald Trump
      Die beiden „Volksparteien“ fuhren im September historisch schlechte Wahlergebnisse ein. „Die GroKo wurde abgewählt,“ polterte daher nicht nur Martin Schulz in der Elefantenrunde in der Wahlnacht – es war allgemeiner Konsens. „Wir stehen für den Eintritt in eine Große Koalition nicht zur Verfügung,“ versicherte der Schulz-Zug noch Ende November erneut auf Twitter um nur stolze sieben Tage nach diesem Tweet zurückzurudern und gar ein Ministerpöstchen im Kabinett Merkel IV nicht mehr auszuschließen: „Politik ist ein dynamischer Prozess,“ verteidigt Schulz in Orwell’scher Sprachpervertierung seinen U-Turn und krönt sich damit selbst zum neuen Schutzpatron der Rückgratlosigkeit und des Opportunismus.
      Es ist diese unerträgliche Heuchelei, diese „Arroganz der Macht“, die Schulz noch im Sommer der Kanzlerin vorwarf, diese offene Verachtung für die Wählerinnen und Wähler, die in den kommenden vier Jahren zu einer Politikerverdrossenheit – Keiner Politikverdrossenheit! Wie arrogant können Volksvertreter eigentlich sein und unterstellen, beides wäre ein und dasselbe? – führen wird, die den Hass auf das politische Establishment in ungekannte Sphären katapultieren wird. Die Verachtung für eine politische Kaste, die derart weit von der Bevölkerung entfernt ist, dass sie ihre Gruppensitzungen statt in Berlin auch auf dem Mond abhalten könnte – wer würde es schon bemerken? Erteilte Mandate interessieren die Mächtigen nicht, nur die Macht als Selbstzweck ist von Interesse.
      Das wird die nächsten vier Jahre auch noch gutgehen, denn, seien wir mal ehrlich: zu einer Revolution wird es in Deutschland nicht kommen, dafür „müsste man den Rasen betreten,“ wusste schon Josef Stalin. Und der Deutsche betritt den Rasen nun mal nicht.
      Quelle: JusticeNow!
  2. Reform der Europäischen Währungsunion
    1. Deutsch-französische Ökonomen verraten unfreiwillig, worum es bei der EU geht
      14 arrivierte Ökonomen aus Deutschland und Frankreich haben ihre Vorstellung für eine Reform der Europäischen Währungsunion aufgeschrieben und publiziert. Die Bedeutung ihres Werkes ist nicht zu unterschätzen, vor allem im Lichte der Schulzschen Europainitiative und der Pläne für eine von Deutschland und Frankreich vorangetriebene EU-Reform. In welche Richtung es nicht gehen wird, verrät schon die erfolglose Suche nach bestimmten Wörtern im Text.
      Die 14 Ökonomen sind überwiegend frühere Regierungsmitglieder oder mit dem Jacques Delors-Institut in Paris und Berlin, der Hertie-School of Governance in Berlin oder dem Brüsseler Forschungsinstitut Bruegel assoziiert. Mit Marcel Fratzscher und Henrik Enderlein sind zwei sehr SPD-nahe Wissenschaftsfunktionäre dabei.
      Die wichtigsten Beteiligten haben früher in unterschiedlichen Zusammensetzungen an der Vorbereitung von Reforminitiativen wie dem Vierpräsidentenbericht und dem Fünfpräsidentenbericht mitgewirkt. Ihre Vorschläge wurden oft umgesetzt oder zumindest wurde auf höchster Ebene versucht, sie voranzutreiben. Man sollte sie also auf keinen Fall unterschätzen.
      Es gibt eine deutsche Kurzfassung mit dem Titel: „Wie Risikoteilung und Marktdisziplin in Einklang gebracht werden können: Ein konstruktiver Vorschlag zur Reform des Euroraums“ und eine englische Langfassung mit dem Titel: „Reconciling risk sharing with market discipline: A constructive approach to euro area reform“.
      Koautor Marcel Fratzscher preist den Bericht auf Twitter mit den Worten an: „We do not need a political union, but more national responsibility & market discipline. Germany’s demand for rules and France’s for more solidarity are not contradictions, but complements”, zu deutsch:

      Wir brauchen keine politische Union, sondern mehr nationale Verantwortung. Deutschlands Verlangen nach mehr Regeln und Frankreichs nach mehr Solidarität sind keine Gegensätze, sondern sie ergänzen sich.

      Wir wollen den langen Text jetzt nicht im Detail analysieren, um zu schauen, ob das stimmt. Denn eine einfache Wortsuche genügt. Die Wortgruppe „rule“ (Regel*) kommt 60 mal vor, „surveillance“ (Aufsicht) 11 mal, „diszipl“ für Disziplin oder disziplinieren 24 mal, zusammen also 95 mal. Die Wortgruppe „solidari“ wie solidarisch oder Solidarität kommt dagegen genau 0 mal vor.
      Offenkundig ist Fratzscher der Auffassung, die beste Art der Solidarität ist die des strengen Familienvaters, der seine Zöglinge mit klaren Regeln vor Fehlern bewahrt und diesen auch die Möglichkeit gibt, die Folgen von Fehlern auszubaden, damit sie lernen.
      Quelle: Norbert Häring

      Anmerkung JK: Dass gerade Schulz die „Reformideen“ Macrons nachplappert und für die SPD zu einem zentralen Thema machen will, zeigt, dass es gerade Schulz schon immer um die weitere Durchsetzung der neoliberalen Agenda in der EU ging. So gesehen überrascht das Ergebnis der Sondierungsgespräche nicht wirklich. Es ging nie um eine Veränderung der aktuellen Politik. Die SPD ist einem gefährlichen Blender aufgesessen.

    2. Deutsche Reformvorhaben
      Für den Ökonomen Heiner Flassbeck liegen diese Vorschläge »alle noch im falschen Rahmen«. Auch wenn man sich ein bisschen richtiger im falschen Rahmen bewege, werde es dadurch nicht richtig, sagte Flassbeck am Mittwoch gegenüber jW. Wenn in der Euro-Zone in diesen Tagen diskutiert werde, dass Deutschland sich ändern müsse, und gleichzeitig kommen Herr Fratzscher und Co. raus und sagen nein, es geht alles so weiter, und Deutschland wird nicht einmal erwähnt, dann lägen sie einfach fünf Jahre hinter der Zeit. Die Kernbotschaft müsse lauten: »Deutschland muss sich ändern. Der deutsche Überschuss ist größer denn je. Wenn dazu im Fratzscher-Fuest-Papier nichts drinsteht, kann man das Papier gleich in den Papierkorb werfen«, resümierte Flassbeck.
      Auch die »europäische Einlagensicherung« sei nur ein »Randthema«. Bei der zentralen Frage, wer sich anpasst, Deutschland oder Frankreich, lägen Berlin und Paris »immer noch extrem weit auseinander«. Die Kritik der Euro-Gruppe an der überbordenden deutschen Leistungsbilanz sei zu begrüßen. »Wenn es nur halbwegs stimmt, was man heute über die Euro-Gruppe liest, zeigt es, dass das eigentliche Problem vollkommen ungelöst ist und die Spannungen weiterhin groß sind.« Es werde nur weniger über die Euro-Krise geredet, das sei das einzige, so Flassbeck.
      Man müsse sich vor Augen führen, dass die Industrieproduktion in der Währungsunion ohne Deutschland auf dem Niveau von 2011 liege. Es gebe immer noch eine »irrsinnige Diskrepanz« zwischen den Volkswirtschaften. In Italien, hinter der BRD und Frankreich der drittgrößte Wirtschaftsraum in der Euro-Zone, liege die Industrieproduktion sogar noch unter dem Wert von vor sieben Jahren. »Das nur geringe Wachstum braucht Unterstützung durch die Fiskalpolitik«, sagte Flassbeck. »Ich hoffe, dass die Euro-Gruppe das jetzt tut.«
      Quelle: junge Welt
    3. EU will Deutschland zu höherem Lohnniveau drängen
      Deutschland soll mehr investieren und höhere Löhne zahlen – das fordern zumindest die EU-Finanzminister. Damit soll die Binnennachfrage angekurbelt werden. Ähnliches hatte bereits die EU-Kommission angemerkt.
      Die Finanzminister der Europäischen Union (EU) wollen Deutschland zu mehr Investitionen und einem höheren Lohnniveau drängen. Deutschland müsse seinen hohen Leistungsbilanzüberschuss in den Griff bekommen, heißt es in einem Reuters vorliegenden Entwurf für eine Abschlusserklärung zum EU-Finanzministertreffen am kommenden Dienstag.
      Mit höheren Löhnen und Investitionen solle die Binnennachfrage angekurbelt werden. Die Minister schließen sich damit der EU-Kommission und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) an. Auch US-Präsident Donald Trump hat Kritik an der Bundesrepublik geübt. Dem Ifo-Institut zufolge hat Deutschland 2017 erneut den weltweit größten Überschuss in der Leistungsbilanz erzielt.
      Quelle: Handelsblatt

      Anmerkung unseres Lesers J.A.: In vielerlei Hinsicht faszinierend. Zum einen kommen diese Appelle jetzt schon mehrere Jahre hintereinander, offenbar ohne jeden Effekt. Zum zweiten hat die EU ein makroökonomisches Ungleichgewichtsverfahren mit einem „präventiven“ und einem „korrektiven“ Arm – mit anderen Worten, die EU könnte z.B. Strafzahlungen gegen Deutschland verhängen und tut es nicht aus unbekannten Gründen (die man allerdings vermuten kann). Will die EU weiterhin gegen die Wand reden oder wird sie irgendwann mal genauso aktiv wie gegen Griechenland, Spanien, Italien, Portugal und andere Länder? Und zum dritten ist schlicht nicht verstehbar, warum die Arbeitnehmer in Deutschland selber, die samt und sonders erheblich profitieren würden, oder wenigstens die Gewerkschaften, die die makroökonomische Debatte zumindest verfolgen und immer von der Bedeutung der EU schwafeln (nämlich folgenlos), nicht endlich (u.a. mit Berufung auf die EU) deutlich höhere Löhne fordern. Was hindert die Arbeitnehmerseite? Immer noch die Drohung der Arbeitgeber, bei nicht genehmen Lohnforderungen ins Ausland zu gehen?

      dazu: Ungleichheit führt zu Rechtsruck
      „Das Weltwirtschaftsforum weist in seinem Bericht auf die steigende Einkommensungleichheit insbesondere in den reichen Ländern hin. Vor allem dort findet seit Jahrzehnten eine radikale Umverteilung von unten nach oben statt. Die zunehmende Ungleichheit und die daraus resultierende Armut vieler Menschen führen zu einem Vertrauensverlust in die demokratischen Institutionen. Der aktuelle Rechtsruck, gerade in den Industrienationen, ist die Folge der neoliberalen Politik der letzten Jahrzehnte. Es ist höchste Zeit, diese Entwicklung zu stoppen und umzukehren“, kommentiert Klaus Ernst, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE, den „Global Risk Report“ des Weltwirtschaftsforums. Ernst weiter:
      „Die Klientelpolitik für Konzerne und Vermögende spaltet die Gesellschaft. Wenn Union und SPD diese Tatsache ignorieren, fördern sie den Rechtsruck. Lösungsvorschläge dazu liegen seit Jahren auf dem Tisch: Prekäre Beschäftigung muss eingedämmt und die Tarifbindung wieder ausgeweitet werden. Der Mindestlohn muss per Gesetz angehoben werden auf ein Niveau, von dem die Menschen jetzt und im Alter leben können. Außerdem brauchen wir eine Vermögenssteuer.“
      Quelle: Linksfraktion

  3. Der Tod ist ein Krämer aus Deutschland
    Die ARD zeigt, wie die Waffenschmiede Rheinmetall die Gesetzgeber austrickst und an der humanitären Katastrophe in Jemen verdient.
    Das Prinzip ist einfach. Ein Konzern gründet eine Firma im Ausland. Die liefert ihre Produkte in einen weiteren Staat – und der Konzern macht im Stammland den Profit. Das Prinzip ist so einfach, dass man sich wundert, dass der Gesetzgeber nichts dagegen unternommen hat. Denn die Produkte sind Waffen: Mörser, Bomben, Panzer. Die fallen unter das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen, will sagen, sie dürften laut bundesdeutscher Bestimmungen nicht exportiert werden in Länder, „die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht“.
    Sie werden aber exportiert. Nach Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Ägypten. Die führen Krieg, gegen den Jemen. Und das tun diese Staaten auch mit deutschen Waffen, geliefert vom Düsseldorfer Konzern Rheinmetall. Natürlich nicht direkt von Rheinmetall, das dürfte die Firma ja nicht, siehe oben. Aber sie macht trotzdem jährlich hunderte von Millionen Euro Umsatz in besagten Ländern. Denn sie hat Ableger im Ausland gegründet, in Sardinien zum Beispiel, oder in Südafrika. Von dort gelangen die todbringenden Geräte dann nach Saudi-Arabien, und dessen Militär setzt sie gegen die Soldaten und Zivilisten in Jemen ein. Das haben jetzt Philipp Grüll und Karl Hoffmann in einem Dokumentarfilm mit dem Titel „Bomben für die Welt“ belegt.
    Quelle: FR Online
  4. Hungersnot im Jemen: „Was hier passiert, ist ein Albtraum“
    Gewalt, Vertreibung, Krankheiten, Unterernährung und kaum Zugang zu medizinischer Hilfe und Bildung. Die Kinder im Bürgerkriegsland Jemen leben unter katastrophalen Bedingungen.
    Der winzige Säugling im Brutkasten eines Krankenhauses in Sanaa ist bis auf die Knochen abgemagert, einzeln stehen die Rippen hervor. Der Körper verschwindet fast in einer viel zu großen Windel. Das kleine Gesicht zwischen den Kabeln und Schläuchen sieht uralt aus. Die Nachrichtenagentur Reuters, die die Bilder gedreht hat, schreibt warnend dazu: Achtung, der Inhalt des Videos kann schockieren. Auch die anderen Neugeborenen der Station sind völlig unterernährt.
    Für das, was sich derzeit im Jemen abspielt, gibt es wohl keine Worte, die das Elend treffend beschreiben würden. Vielleicht Zahlen: 25.000 Babys würden pro Jahr nach der Geburt oder in den ersten Lebensmonaten sterben, sagt Mertixell Relano, zuständig für den Jemen beim UN-Kinderhilfswerk UNICEF. „Viele Kinder gehen hungrig zu Bett und aktuell haben wir anderthalb Millionen Kinder im Land, die unterernährt sind.“
    Quelle: Tagesschau

    dazu: „Mittlerweile ist der Krieg im Süden für beendet erklärt“
    Der Journalist Oliver Ramme ist der einzige Journalist, der aktuell aus dem Süden des Jemen berichten kann. „Die Lage hat sich weitestgehend entspannt“, sagte Ramme im Dlf. Der Krieg sei fast überall vorbei. Allerdings würde die wirtschaftliche Lage die Menschen stark beschäftigen und Misstrauen in der Bevölkerung schüren.
    Quelle: Deutschlandfunk

  5. Automatisierte Aggression
    Die Bundeswehr testet autonom agierende Drohnen zur Absicherung von Luftlandeoperationen auf fremdem Territorium. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor. Demnach führte die Elektroniksystem- und Logistik-GmbH (ESG) auf einem Versuchsgelände des deutschen Militärs mehrere Probeflüge mit einem „Unbemannten Missionsausrüstungsträger“ durch, um „Landezonen“ für Hubschrauber in einem „unbekannten Gebiet“ zu erkunden. Die Flüge hätten Ende vergangenen Jahres stattgefunden und seien „teilweise außerhalb der Sichtweite des Steuerers“ erfolgt, heißt es. Die Aufgabenstellung korrespondiert mit den ebenfalls 2017 von der deutschen Heeresleitung in einem „Thesenpapier“ kodifizierten Forderungen. Darin werden unter anderem Kriegsszenarien entwickelt, in denen Drohnen „feindfreie Landezonen“ für den Aufmarsch deutscher Truppen auskundschaften – oder auch international geächtete Streubomben abwerfen.
    Quelle: German Foreign Policy
  6. Hohe Zahl erledigter Asylverfahren ist nur Scheinerfolg
    „Die hohe Zahl erledigter Asylverfahren ist keine Erfolgsbilanz. Die zahlreichen Mängel in den Asylbescheiden des BAMF, die auch mit politischen Vorgaben für eine restriktive Asylpolitik zu erklären sind, führen dazu, dass die Asylprüfung in großem Umfang den überlasteten Gerichten aufgebürdet wird. Das zeigt die von der LINKEN erfragte hohe Erfolgsquote von Geflüchteten bei den Gerichten. Hier werden Entscheidungen am Fließband produziert, die dem hohen Rechtsgut Asyl häufig nicht annähernd gerecht werden“, erklärt Ulla Jelpke, Innenpolitikerin der Fraktion DIE LINKE, anlässlich der heute von Bundesinnenminister Thomas de Maizière und BAMF-Chefin Jutta Cord vorgestellten Asylzahlen für das 4. Quartal 2017. Die Abgeordnete weiter:
    „Aktuell sorgen etwa 150.000 vorgezogene Widerrufsprüfungen infolge des fälschlich als Flüchtling aufgetretenen rechtsextremen Bundeswehroffiziers Franco A. für unnötige Mehrarbeit im BAMF, die von den eigentlichen Aufgaben ablenken: Qualitätsverbesserungen im Verfahren, interne Überprüfung ablehnender Bescheide und die Weiterqualifizierung des Personals. Die eigenen Zielsetzungen hat das BAMF klar verfehlt: den Abbau der Altverfahren bis Ende 2016 und schnelle Asylprüfungen innerhalb von längstens fünf Monaten. Über die durchschnittliche Asylverfahrensdauer im BAMF wird seitens des Innenministeriums nicht mehr gerne gesprochen. Das wundert nicht, denn im 3. Quartal 2017 lag diese immer noch bei zehn Monaten, zuzüglich einer Wartezeit bis zur Asylantragstellung von bis zu vier Monaten. Dabei gab es Anfang März 2016 eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Bundesinnenministerium und dem damaligen BAMF-Chef Frank-Jürgen Weise, die Asylverfahrensdauern noch im Jahr 2016 ab erster Registrierung im Durchschnitt auf fünf Monate zu senken. Das entsprach Vereinbarungen auf dem Flüchtlingsgipfel vom Herbst 2015, diese Zusage des Bundes gegenüber den Ländern wurde also gebrochen. Die Verantwortung dafür trägt der Innenminister.“
    Quelle: Linksfraktion

    dazu: Deutsche Asylpolitik: Abschreckung aus Prinzip
    Die Flüchtlingszahlen sinken, den Alarmisten in der deutschen Politik kommt nach und nach die Arbeitsgrundlage abhanden. Trotzdem sind schärfere Maßnahmen geplant als je zuvor.
    Die Zahl der Asylanträge ist deutlich gesunken, das Tempo bei der Erledigung von „Altfällen“ hat sich erhöht. Und beim Antragsstau wurden 2017 „Rückstände abgebaut“ – wer dem Bundesinnenminister am Dienstag bei der Präsentation der Asylzahlen zuhörte, konnte sich schon mal vorkommen wie in einer Werbesendung.
    Knapp 187 000 Asylsuchende wurden vergangenes Jahr in Deutschland registriert, ein Drittel weniger als 2016 und vier Fünftel weniger als 2015. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist die Zahl anhängiger Verfahren wieder auf dem Stand von 2013. Nein, für einen „Krisenmodus“ gebe es keinen Anlass mehr, aber es sei noch viel zu tun, fasste Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) die Lage zusammen.
    Man könnte es aber auch anders ausdrücken: Obwohl den Alarmisten und Angstmachern in der Flüchtlingspolitik nach und nach die Arbeitsgrundlage abhandenkommt, sind schärfere Maßnahmen zur Reduzierung der Asylbewerberzahlen geplant als je zuvor in Deutschland.
    So haben sich Union und SPD etwa auf den Bau neuer Ankunfts- und Rückführungszentren verständigt. Asylverfahren sollen dort künftig von Anfang bis Ende abgewickelt werden. Das geht schneller und ist effektiver, hoffen die Behörden. Menschen aus Maghreb-Staaten, die in Zukunft als sichere Herkunftsländer gelten sollen, will man beispielsweise in solchen Gewahrsamen bis zur Abschiebung festhalten.
    Kommt Zeit, kommt Idee
    Was aber, wenn ein Land wie Marokko sie nicht zurücknimmt? Was, wenn das Rückführungszentrum voll läuft? Dann müsse man die Dinger eben größer bauen, sagen die Befürworter solcher Einrichtungen. Was drinnen vorgeht in den geplanten Riesenkästen mag man sich lieber nicht zu genau vorstellen.
    Kommt Zeit, kommt Idee, ist da die Devise des Innenministers. Der Teufel, so räumte er am Dienstag ein, liege hier noch „im Detail“. Es darf aber auch gefragt werden, wie sichergestellt werden soll, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in solchen Einrichtungen künftig nicht unter die Räder kommen. Denn auch sie sollen in Rückführungszentren bleiben, bis ihre Identität festgestellt ist.
    Das Prinzip der Abschreckung hat sich durchgesetzt, auch in der SPD. In der Flüchtlingspolitik hat sie das Heft an die Union abgegeben.
    Quelle: Süddeutsche

  7. Bund zwingt Hamburg, gegen renommierte Privatbank vorzugehen
    Im größten deutschen Steuerskandal hat das Bundesfinanzministerium Ende vergangenen Jahres zu einer außergewöhnlichen Maßnahme gegriffen, um zu verhindern, dass dem Staat bis zu 190 Millionen Euro verloren gehen. Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR wies das Bundesfinanzministerium den Hamburger Fiskus an, gegen die dort ansässige Privatbank M. M. Warburg vorzugehen.
    Vorausgegangen war ein Treffen im Ministerium in Berlin mit einer Vertreterin des Hamburger Finanzamtes für Großunternehmen. Das Ministerium befürchtete, Forderungen gegen Warburg könnten verjähren. Der Hamburger Fiskus, der den Fall seit Langem untersucht, schickte erst nach der Weisung aus Berlin einen Steuerbescheid an die Privatbank. Zuvor war M. M. Warburg von Forderungen verschont geblieben.
    Warburg sei „eine der feinsten Adressen“ in der Hansestadt und dort „gut vernetzt“, sagt der Hamburger Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi von den Linken. Es sehe so aus, als ob der Hamburger Finanzsenat vielleicht „etwas Standortpflege“ betreibe. Warburg steht im Verdacht, zusammen mit Geschäftspartnern den Staat betrogen zu haben. Warburg und deren Partner sollen Aktiengeschäfte dazu genutzt haben, sich eine einmal an die Finanzbehörden gezahlte Steuer auf Dividendenerlöse mehrmals erstatten zu lassen.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung
  8. Politik bremste Steuerfahnder aus – jetzt wechseln sie die Seiten
    Die Steuerfahndung in Wuppertal hat dem Staat Milliarden Mehreinahmen beschert. Nun verliert die Behörde ihre Spitzenleute – offenbar versuchte die neue Landesregierung, sie in ihrem Arbeitseifer zu bremsen.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung unseres Lesers F.K.: Was macht Spiegel aus dieser Geschichte? Sturz der Landesregierung? Titelgeschichte? Oh, einen 22-Zeiler!

  9. Eklat in Diesel-Expertengruppe düpiert Bundesregierung
    • In den Expertengruppen zur Lösung der Luftprobleme in Deutschland ist ein heftiger Streit entbrannt.
    • Umweltschützer der Organisation BUND verweigerten die Zustimmung zu einem wichtigen Abschlusspapier und verfassten ein eigenes.
    • Der Streit düpiert auch die Bundesregierung. Sie wollte die EU-Kommission kürzlich unter Verweis auf die Ergebnisse der Gruppen dazu bringen, von Sanktionen gegen Deutschland abzusehen.

    Sie sollten eigentlich den Streit auf deutschen Straßen lösen: Nach dem Dieselgipfel im August hatte die Bundesregierung vier hochrangig besetzte Expertengruppen eingesetzt, die Alternativen zu drohenden Fahrverboten und eine Perspektive für die Branche entwickeln sollten. Stattdessen liefern die Expertenrunden aus Politik, Gewerkschaften, Forschung, Industrie und Umweltgruppen nun plötzlich selbst ein Beispiel für die völlig verfahrene Lage im Abgas-Skandal.
    Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung gibt es unter den Fachleuten Streit über die Zukunft von Mobilität und Autoindustrie in Deutschland. Die wichtige Expertengruppe IV, die Alternativen bei Antrieben und Kraftstoffen vorschlagen sollte und dem Bundeswirtschaftsministerium unterstellt ist, endete mit einem Eklat. Die Umweltorganisation BUND verweigerte die Zustimmung zu einem Abschlusspapier – und verfasste aus Protest ein eigenes. Auch aus den Bundesländern kommt heftige Kritik.
    Quelle: Süddeutsche

  10. US-Steuerreform – Apple vergoldet Auslandsgewinne
    Dank Trumps Steuergeschenken führt Apple hunderte Milliarden Dollar Auslandsgewinne in die USA zurück. Ein Großteil stammt aus Umsätzen in Deutschland und der EU. Apple macht den Sack zu und der deutsche Fiskus geht leer aus, weil die Bundesregierung die Gewinnverschiebung in Briefkastenfirmen in Irland und den Niederlanden über Jahre geduldet hat“, kommentiert Fabio De Masi, Steuer- und Finanzexperte der Fraktion DIE LINKE, die Ankündigung des US-Unternehmens Apple, infolge der US-Steuerreform Auslandsgewinne in die USA zurückzuführen und dort zu versteuern. De Masi weiter:
    „Trump heizt den internationalen Steuerwettbewerb weiter an und inspiriert damit bereits die Unionsparteien. Aber die US-Regierung geht mit der Hinzurechnung von Auslandsgewinnen und der Quellenbesteuerung abfließender Zahlungen an Auslandstöchter auch an die Gewinnverschiebung der US-Konzerne ran. Die Bundesregierung und die EU-Kommission sind vor Trump eingeknickt, statt die USA wegen der Blockade des internationalen Informationsaustauschs von Bankdaten sowie aufgrund von Schattenfinanzplätzen wie Delaware und Nevada auf die schwarze EU-Liste der Steueroasen zu setzen. Finanzflüsse in Steueroasen müssen mit Quellensteuern belegt werden, um Gewinnverschiebung zu unterbinden. Doppelbesteuerungsabkommen, die dies verhindern, müssen neu verhandelt oder notfalls gekündigt werden.“
    Quelle: Linksfraktion
  11. Kostenbremse: Siemens schließt Stellenabbau nicht aus
    Um seine Medizinsparte für die Börse attraktiv zu machen, will Siemens in dem hoch profitablen Bereich die Kosten jährlich um 240 Millionen Euro drücken. In der Region wachsen die Sorgen.
    Dies kündigte das Management gestern bei einer Investorenkonferenz in London an. Der Konzern schließt dabei auch Personaleinsparungen ausdrücklich nicht aus. Wie und an welchen Stellen, darüber gibt es offenbar noch keine konkreten Planungen. „Das ist noch nicht definiert“, sagte dazu ein Konzernsprecher. Klarheit könnte in dieser Frage nach Angaben des Sprechers bis Ende Februar geschaffen sein.
    Siemens hat seine Werbetour für einen der größten Börsengänge gestartet, den es je in Deutschland gab. Er könnte nach Insiderschätzungen rund zehn Milliarden Euro in die Konzernkassen spülen. Die Analysten taxieren den Wert der Healthineers auf rund 30 bis 45 Milliarden Euro. Siemens will Mehrheitsaktionär bleiben und nur rund 25 Prozent der Aktien über die Börse streuen, wie Insider vermuten.
    Quelle: Nordbayern.de

    Anmerkung JK: Wie geschrieben, ist die Medizintechniksparte des Siemenskonzerns hochprofitabel, aber das reicht den Börsenzockern und Spekulanten nicht, da muss noch mehr Rendite herausgequetscht werden. Bluten dürfen wieder einmal die Mitarbeiter, die das Geschäftsergebnis erarbeitet haben. Hier müssten endlich Regularien gefunden werden, die es einem profitablen Unternehmen untersagen, Arbeitsplätze abzubauen nur um die Renditeforderungen von „Investoren“ zu befriedigen. Es gilt auch nochmals den Blick auf große Investmentgesellschaften wie etwa Blackrock zu werfen und deren Einfluss auf derartige Entscheidungen. Dies wäre ein Thema von hoher politischer Relevanz. Davon hat man aber bei den Sondierungsgesprächen für eine erneute große Koalition nichts gehört.

    Hinweis: Lesen Sie dazu auch „Shareholder Value wird von einer noch schlimmeren Macht überlagert: dem speziellen Einfluss einiger großer Fonds mit kleinen Aktienpaketen“ und: „Die neuen Herren der Weltwirtschaft“.

  12. Das gefährdet die Zukunft unserer Industrie
    Mehr Lohn, flexiblere Arbeitszeiten und ein Extra-Entgelt bei Teilzeit: Für die IG Metall ist Schluss mit der Bescheidenheit. Was sagen eigentlich die Arbeitgeber dazu?
    SPIEGEL ONLINE: Die IG Metall fordert sechs Prozent mehr Lohn, die 28-Stunden-Woche für eine gewisse Zeit und einen finanziellen Teilzeitausgleich. Welche Forderung regt Sie am meisten auf?
    Stefan Wolf: Ich rege mich nicht über diese Forderungen auf. Ich bin über alle Forderungen nur gleichermaßen verwundert, weil sie die Zukunft unserer Industrie gefährden. Es ist Maßhalten angesagt. Wir haben wahnsinnige Herausforderungen zu bewältigen: Die Fahrzeug- und Zuliefererindustrie arbeitet an neuen Antriebskonzepten, Betriebe müssen an die Digitalisierung denken und Produktionen komplett umbauen. Das kostet viel Geld. Die Investitionen sind notwendig, um langfristig Arbeitsplätze zu sichern.
    SPIEGEL ONLINE: Der Wirtschaft geht es richtig gut, an die Aktionäre werden mehr als 18 Milliarden Euro ausgeschüttet. Sollten die Arbeitnehmer nicht auch davon profitieren?
    Wolf: Wir haben ja immer gesagt, dass die Arbeitnehmer angemessen am Erfolg der Unternehmen beteiligt werden.
    SPIEGEL ONLINE: Aber sechs Prozent halten Sie für unangemessen?
    Wolf: Ich halte das für deutlich zu viel. Unser Angebot von zwei Prozent erscheint uns angemessen. Wir haben schon sehr hohe Löhne. In Baden-Württemberg liegen sie durchschnittlich bei 64.000 Euro brutto. (…)
    SPIEGEL ONLINE: Sie haben den Fachkräftemangel angesprochen. Wäre es nicht ein gutes Zeichen, auf die Forderungen der IG Metall einzugehen, damit die Unternehmen so attraktiv wie möglich sind?
    Wolf: Wir sind heute schon sehr attraktiv, das sieht man daran, dass wir viele Bewerbungen haben – allein für Ausbildungsplätze in der Metall- und Elektroindustrie. Außerdem gibt es ja bereits viele Möglichkeiten, die Arbeitszeiten zu reduzieren und sehr flexibel zu gestalten.
    SPIEGEL ONLINE: Aber wenn so viele Menschen bei Ihnen arbeiten wollen, wieso machen Sie sich dann Sorgen um den Fachkräftemangel?
    Wolf: Weil es in Engpassberufen wenig Menschen am Arbeitsmarkt gibt, zum Beispiel in der Datenverarbeitung und EDV. Hier haben wir inzwischen viele offene Stellen, oft können wir diese mehr als ein halbes Jahr lang nicht besetzen.
    SPIEGEL ONLINE: Was ist mit denjenigen, die jetzt in Teilzeit arbeiten, aber gern wieder Vollzeit einsteigen möchten?
    Wolf: Das wird im Regelfall in den Betrieben schon gemacht. Aber es geht ja nicht allen Betrieben gut. Wenn jemand in Teilzeit arbeitet und in einem Betrieb ist, in dem keine Arbeit in dem Maße zur Verfügung steht, dann geht es manchmal nicht. Das sind aber Ausnahmen.
    SPIEGEL ONLINE: Von den Arbeitnehmern wird verlangt, so flexibel wie möglich zu sein. Es gibt Leiharbeit, es gibt befristete Verträge, aber die Arbeitgeber ihrerseits sträuben sich gegen mehr Flexibilität.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Doch mal ein interessantes Interview, daß die totale Widersprüchlichkeit der Arbeitgeberpositionen vor Augen führt: die Unternehmen brüsten sich mit Rekordgewinnen, fordern die Arbeitnehmer dennoch zum „Maßhalten“ auf, und schütten gleichzeitig Rekorddividenden von 18 Milliarden Euro aus – warum sollen die Aktionäre nicht mal „maßhalten“? Prozentuale Lohnerhöhungen sind nicht gewünscht, weil „wir […] schon sehr hohe Löhne [haben]“ – ein interessantes Argument (auch noch mit Phantasiedurchschnittslöhnen garniert), daß man gerne mal bei Managergehältern oder Gewinnausschüttungen sehen würde. Auch keine gute Antwort kommt auf die berechtigte Frage, „Von den Arbeitnehmern wird verlangt, so flexibel wie möglich zu sein. Es gibt Leiharbeit, es gibt befristete Verträge, aber die Arbeitgeber ihrerseits sträuben sich gegen mehr Flexibilität.“ — „Wir sind heute schon sehr attraktiv, das sieht man daran, dass wir viele Bewerbungen haben“ – viele Bewerbungen, aber gleichzeitig Fachkräftemangel? Das klingt etwas paradox… „Das gefährdet die Zukunft unserer Industrie“, wenn die Aktionäre, sagen wir, mal 10 oder 20 Prozent niedrigeres Dividenden erhalten und die Arbeitnehmer ein paar Prozent mehr? Ziemlich hohle Phrase…

  13. Tragödie in Großbritanniens Krankenhäusern
    Krebspatienten wird die Therapie gekürzt, der staatliche Gesundheitsdienst kollabiert. Die britische Einheitsversicherung liefert ein abschreckendes Beispiel für Deutschland.
    Als Notstandsgebiet der Medizin war Oxford bisher nicht bekannt. Umso mehr schreckt jetzt eine Nachricht aus einer renommierten Klinik in der englischen Universitätsstadt die Briten auf: Ein leitender Arzt hat dort angekündigt, Chemotherapie-Behandlungen für Krebspatienten müssten rationiert werden, weil das Krankenhaus zu wenige qualifizierte Pflegekräfte habe. „Ich weiß, viele von uns werden sich schwer tun, diese Änderungen zu akzeptieren, aber unterm Strich ist die derzeitige Situation mit beschränkten Mitarbeiterzahlen nicht nachhaltig“, heißt es in einer Mitteilung des Leiters der Onkologie-Abteilung.
    Horrorgeschichten aus dem chronisch überlasteten und unterfinanzierten staatlichen Gesundheitsdienstleister National Health Service (NHS) sind die Briten gewohnt. (…)
    Es hakt an allen Ecken und Enden
    Wenn es im NHS brennt, dann wird es für die Politiker in London brenzlig. Kein anderer Bereich des Staates steht so sehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit wie der Gesundheitsdienst. Der vor 70 Jahren gegründete und für Patienten „kostenlose“ NHS gilt Millionen von Briten trotz seiner Schwächen als die stolzeste Errungenschaft ihres Sozialstaates: Anders als in Deutschland wird der öffentliche Gesundheitssektor im Vereinigten Königreich nicht über Sozialversicherungsbeiträge der Bürger, sondern aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert. Doch es hakt an allen Ecken und Enden.
    Angesichts der Katastrophenmeldungen aus den Krankenhäusern hat eine Debatte über Reformen begonnen, die für Großbritannien geradezu revolutionär wären: die Einführung einer „NHS-Steuer“, mit deren Einnahmen ausschließlich das Gesundheitswesen finanziert werden soll. Faktisch wäre dies ein Systemwechsel – weg von der Steuerfinanzierung, hin in Richtung einer beitragsfinanzierten staatlichen Krankenversicherung.
    Quelle: Frankfurter Allgemeine

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Ein ganz bizarres Stück Propaganda gegen die Bürgerversicherung, oder so ähnlich; der Bezug wird nur künstlich herbeikonstruiert. Wie die FAZ selber schreibt (!), wird der NHS keineswegs aus Versicherungsbeiträgen finanziert, sondern aus Steuermitteln, und zwar chronisch und vorsätzlich unterfinanziert (die FAZ nennt 25 Prozent niedrigere Ausgaben als in Deutschland). Die Fachkräfte fehlen nicht, weil niemand Arzt oder Pfleger werden will, sondern weil “ aus Kostengründen zu wenig Fachkräfte ausgebildet wurden“. Der Artikel stellt vielmehr deutlich dar, wie schlimm es um ein aus ideologischen Gründen kaputtgespartes Gesundheitssystem steht – das ist allerdings ein sinnvoller Bezug zu Deutschlands kaputtgesparten Krankenhäusern und schlecht bezahlten Assistenzärzten und Krankenschwestern. Und ja, auch in Deutschland wird die Anzahl der Ärzte künstlich knapp gehalten, indem man trotz Ärztemangel nicht mehr Studienplätze schafft – schließlich braucht der Staat das Geld für satte Steuergeschenke an die Reichsten der Reichen. Genauso wie in Großbritannien.

  14. Trump ist nur ein Symptom – Die Mächte, die ihn ermöglichen, sind das Problem
    Kann ein Leitartikel, in dem Bilanz gezogen werden soll zu Donald Trumps erstem Jahr im Weißen Haus, genauso ausfallen wie zu anderen Themen? Nein, das geht nicht. Dieser Präsident ist so anders als alle Vorgänger, er sprengt alle Maßstäbe. Da muss auch die Bewertung anders ausfallen. Zum Beispiel so: Eigentlich hätten die amerikanischen Wähler schon bei George W. Bush erkennen können, dass es nicht egal ist, ob sie völlig ungeeignete Bewerber in das machtvollste politische Amt auf diesem Globus wählen. Das hat leider nicht funktioniert. Vielleicht musste es deswegen eine Katastrophe wie Trump geben, damit mehr Bürger diese Lektion endlich lernen. Bush junior hat völkerrechtswidrig einen Krieg im Irak begonnen. Es wurden Foltergefängnisse geschaffen, in denen kein Recht mehr existierte. Die Folgen dieser gewissenlosen Militärinvasion sind heute, 15 Jahre später, weltweit zu spüren. Es gäbe heute weder den Islamischen Staat (IS) noch über die halbe Welt verteilte Terrornetzwerke, hätte es den Irak-Krieg und die verheerende Statthalterpolitik dort nicht gegeben. Ginge es mit rechten Dingen zu, müssten sich Bush und noch einige weiteren Figuren vor einem internationalen Strafgerichtshof verantworten. Doch wer dachte, noch tiefer könnte die politische Führung der Weltmacht USA nicht sinken, sieht sich nun getäuscht. Viele kluge Zeitgenossen haben bereits staunend gestanden, sie hätten nie gedacht, dass sie sich je Bush zurückwünschen könnten. Trump hat das geschafft. […]
    Dieses System ist krank. Die USA sind eines der Musterländer der Demokratie. Doch die Art, wie letztlich eine Klasse der Superreichen entscheidet, wer unter ihnen Präsident werden darf, hat die demokratische Idee ad absurdum geführt. Diese Finanzelite hat sich die Welt untertan gemacht. Wer die Demokratie retten wollte, müsste hier ansetzen.
    Quelle: Nürnberger Nachrichten

    Anmerkung unseres Lesers G. G.: Eigentlich habe ich erwartet, dass zum einjährigen „Dienst-Jubiläum“ des US-Präsidenten Donald Trump nur personenbezogene Geschichtchen über den „schrägen Typen im Weißen Haus“ durch den Blätter-Wald rauschen und auch die übrigen Medien keine Analyse der ganzen Geschichte dieser Präsidentschaft zustande bringen. Also letztlich nur Halb-Wahrheiten – sind diese eigentlich nicht auch nur Fake News? – verbreiten. Aber dann diese Überraschung: Ein Leitartikel, der die ganze Geschichte erzählt und nichts anderes darstellt, als kritisch-hinterfragenden Journalismus, wie er eben für eine funktionierende Demokratie überlebensnotwendig ist. Absolut lesenswert!

  15. Show mer mal
    Die US-Amerikaner haben die Schnauze voll von ihrer politischen Kaste. Mindestens seit Richard Nixon halten sie ihre Polit-Eliten für korrupt und durchtrieben. Mit Anti-Elitarismus punktet man dort ganz sicher in jeder Runde. Manchmal auch bei Präsidentschaftswahlen, wie man 2016 gesehen hat. Dass Trump ins Amt gelangte, hat massiv mit seiner Haltung zu den Eliten zu tun, zu denen er zwar auch gehört, die er aber ablehnte und denen er den Kampf ansagte. Aus derselben Haltung heraus suchen nun auch die Demokraten jemanden, der unverdächtig daherkommt. Der sich noch nicht zu sehr in der Parteiendespotie verhedderte.
    Oprah ist die andere Seite dieser Haltung, die sich gegen die Eliten richtet. Sie ist als potenzielle Kandidatin das Produkt eines politisch-moralischen Niedergangs, den die Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten durchleben. Und sie ist das Erzeugnis einer Staatsform, die sich Demokratie nennt, aber eigentlich nur noch Postdemokratie ist. Und so soll es das Showbiz nun richten. Und das passt ja auch, denn postdemokratische Politik geht so: Hinter den Kulissen Lobbypolitik, auf der Bühne ein Entertainer, jemand der sympathisch durch den Abend führt.
    Bei uns hier in Deutschland übernehmen diesen Part noch die Parteiführungen selbst. Sie versuchen sich in Entertainment. Ziemlich sicher ist nur, dass sie irgendwann auch outsourcen und das Showbiz mit ins Boot holen werden. Bis dahin werden noch Wetten angenommen: Wird Helene Fischer Kandidatin der Union oder der Sozialdemokraten?
    Quelle: Heppenheimer Hiob


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