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Titel: Das Expertengeflecht um Merkel sagt viel – Von wegen Sozialdemokratisierung der Union (Teil III)

Datum: 3. März 2010 um 16:37 Uhr
Rubrik: CDU/CSU, Medien und Medienanalyse, Strategien der Meinungsmache
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Als die SPD noch sozialdemokratisch war, hat sie in die deutsche Politik das Bewusstsein eingeführt, dass es Aufgabe des Staates ist, eine aktive Beschäftigungspolitik zu machen und in jedem Fall antizyklisch und nicht prozyklisch zu handeln. In sozialdemokratischen Zeiten der SPD war es auch üblich, sich nicht völlig von den großen Interessen umgarnen zu lassen. Benutzt man den Begriff „sozialdemokratisch“ in diesem Sinn, dann kann man sich nur wundern, wenn andere Zeitgenossen bei Angela Merkel derartige Charakterzüge entdecken. Beide Kriterien können am Beispiel eines Interviews mit Otmar Issing im Deutschlandradio Kultur sichtbar gemacht werden. Albrecht Müller

Wir sind damit bei einem Teil III der kleinen Serie „Von wegen Sozialdemokratisierung der Union“.

Am 2. März brachte dradio.de dieses Interview mit Otmar Issing. Dort heißt es: “Man muss den Griechen auf die Finger schauen”. „Finanzexperte hält öffentlichen Sektor der Hellenen für aufgebläht.“
Mich interessiert an dieser Geschichte nicht, ob der öffentliche Sektor in Griechenland aufgebläht ist. Das interessiert mich schon deshalb nicht in diesem Zusammenhang, weil das nicht die Hauptursache der Schwierigkeiten ist. (Siehe bisherige Einlassungen und Beiträge zu Griechenland.) Außerdem maßen wir uns hier ein Urteil an, das angesichts der Tatsache, dass die jetzige Bundeskanzlerin mit dem Bankenrettungsschirm von 480 Milliarden Minimum eine nutzlose Aufblähung betrieben hat, die sich gewaschen hat, aber noch nicht voll sichtbar ist. (Siehe dazu übrigens auch das interessante Interview, auf das wir schon am 1. März hingewiesen haben, mit dem Schweizer Finanzkriminalisten Leo Müller. Dort heißt es zum Beispiel: „Wir erleben in Deutschland ein Komplettversagen der Finanzpolitik und eine sträfliche Inkompetenz.“)

Im Kontext mit dem Interview mit Otmar Issing interessieren zwei Dinge:

Erstens: Issing ist nicht nur Finanzexperte, wie es bei Deutschland Radio heißt. Er ist auch Berater von Goldman Sachs, was Deutschland Radio leider verschweigt. Wenn den Hörern dies mitgeteilt würde, dann würden sie sich vielleicht wundern, dass ein solcher Interessenvertreter gleichzeitig der Leiter der von der Bundesregierung eingesetzten Expertengruppe „Neue Finanzmarktarchitektur“ und Berater von Bundeskanzlerin Merkel ist. Im Kontext mit einer Reihe anderer Taten und Entscheidungen von Angela Merkel – die Rettung der HRE, die ausgiebige Nutzung des Begriffs systemrelevant, die Verbundenheit mit dem Finanzstaatssekretär Asmussen (SPD), das große Reden über neue Regeln und Transparenz für die Finanzmärkte bei gleichzeitigem Nichtstun und Verzögern – wird überdeutlich, wie eng die Bundeskanzlerin mit der Finanzindustrie verwoben ist. Das wirkt sich aus auf die praktische Politik der Kanzlerin und der Bundesregierung. Mit sozialdemokratischer Politik im guten Sinne des Wortes hat diese Nähe nichts zu tun.

Zweitens: Das Interview zeigt an einer eingespielten Äußerung von Angela Merkel wie auch in den Antworten des Merkel-Beraters Issing, dass unsere Bundeskanzlerin die Mehrdimensionalität der Krise im Euroraum nicht sieht oder nicht sehen will. Bei Merkel und bei Issing ist das hohe griechische Defizit die Wurzel allen Übels. Dort soll gespart werden. Das ist die Lösung. Das heißt: Auch nach Sichtbarwerden der Finanzkrise und anhaltender Wirtschaftskrise mit all den Problemen für die Betriebe und die Arbeitnehmer setzt die Bundeskanzlerin wie auch ihr Berater Issing auf eine prozyklische Politik. Das ist rundum gefährlich und hat mit sozialdemokratischer Einsicht nicht das mindeste zu tun.

Zusammenfassend: Merkel ist die Bundeskanzlerin des Großen Geldes und ohne Sinn für die Notwendigkeit einer aktiven Beschäftigungspolitik zu Gunsten der Mehrheit unseres Volkes und Europas. Von wegen Sozialdemokratisierung.

P.S.: Offenbar halten es auch einige unserer Leser für wichtig, dass man im Zusammenhang mit Griechenland auf die gravierenden Fehler Griechenlands hinweist. Ich zitiere eine Mail:

„Die wesentlichen Ursachen des Defizits sind zunächst einmal:

  • Durch und durch Korrupter Staatsapparat
  • Jahrzehnte staatlich neoliberal sanktionierter Steuerunehrlichkeit und Vermeidung
  • Frisierte Statistiken
  • Betrügerisches erschleichen des EUR Beitritts (obwohl es alle wussten)
  • usw.

Alles von der EU geförderte neoliberale Machenschaften, die zwar auch auf andere Länder zutreffen und ähnliche Ergebnisse zur Folge haben, ohne aber dieses Ausmaß erreicht zu haben.“

Dazu ist anzumerken: wenn die NachDenkSeiten nicht gebetsmühlenartig auf diese negativen Erscheinungen in Griechenland hinweisen, dann heißt das doch nicht, dass wir das nicht sehen. Es heißt nur, dass es vielleicht angesichts der Konzentration der Angriffe auf Griechenland wegen seines Staatsdefizits angebracht ist, darauf zu verweisen, dass dieses nicht die Hauptursache und auch nicht die wesentliche Ursache der jetzigen Misere ist.


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