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Titel: Schavan: “Eindrucksvoller Beleg für die Bildungsrendite”

Datum: 23. März 2010 um 8:55 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft
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Eine neue Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft rechnet vor, dass Investitionen in ein Studium gut angelegtes Geld sind. Der Jubel der Bildungsministerin über die „Bildungsrendite“ erscheint auf den ersten Blick wie eine Werbung für höhere Bildung. Schaut man jedoch genauer hin, so geht es nicht um Bildungswerbung, sondern darum die Privatisierung von Bildungskosten voranzutreiben. Insoweit handelt es sich bei der Studie um eine politische Auftragsarbeit. Wolfgang Lieb

Zunächst ein Zitat aus der Pressemitteilung des Bundesbildungsministeriums:

Neue IW-Studie rechnet vor, wie gut das Geld im Studium angelegt ist

Bildung lohnt sich. Denn wer gut ausgebildet ist, verdient in der Regel deutlich mehr als jemand mit einem niedrigen Bildungsabschluss. Doch wie groß sind die Unterschiede? Oder mit anderen Worten: Wie hoch ist die Bildungsrendite genau? Das haben Ökonomen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts ausgerechnet [PDF – 1 MB] – und ihre Studie “Bildungsrenditen in Deutschland – Einflussfaktoren, politische Optionen und volkswirtschaftliche Effekte” am Montag veröffentlicht. Der zentrale Befund der Autoren: Absolviert ein junger Mensch Abitur und Studium, statt eine unqualifizierte Arbeit anzunehmen, so bringt ihm das eine jährliche Rendite von durchschnittlich 7,5 Prozent ein. Unter Bildungsrendite verstehen die Forscher dabei den Prozentsatz, mit dem sich das während der Ausbildung entgangene Einkommen durch höhere Verdienste nach der Ausbildung verzinst. Mit steigender Bildung nehmen ferner die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen, die sportliche Betätigung, das ehrenamtliche Engagement und das Interesse an Politik zu – letztendlich auch die Lebenszufriedenheit und die Gesundheit. Und auch für den Staatshaushalt lohnt sich eine höhere Bildung, da etwa die Ausgaben für Hochschulen durch Rückflüsse in Form von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen deutlich übertroffen werden.

“Diese Zahlen zeigen eindrucksvoll: Bildung zahlt sich aus. Investitionen in Bildung machen Wohlstand möglich – für den Einzelnen und für die Gesellschaft. Mehr Bildungsgerechtigkeit für alle führt auch zu mehr Wohlstand”, kommentierte Bundesbildungsministerin Annette Schavan am Montag die Studie. “Das ist ein deutliches Signal an alle Eltern: Investieren Sie in die Bildung Ihrer Kinder – von Anfang an und ein Leben lang. Es lohnt sich mit Sicherheit.” Diesen Aspekt hat die Studie ebenfalls berücksichtigt. Hintergrund: Akademiker und beruflich Qualifizierte verdienen im Berufsleben mehr als Ungelernte und sind zudem seltener arbeitslos als gering Qualifizierte.

Die Studie zeigt auch, wie Bildungs- und Familienpolitik die Bildungsrendite noch weiter steigern können. So kann der Staat zum Beispiel die Voraussetzungen dafür erleichtern, überhaupt ein Studium beginnen zu können. Die Autoren nennen in diesem Zusammenhang Stipendien, BAföG und Kredite. Studiengebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester erhöhen die Bildungsrendite, sofern die Einnahmen ausschließlich für bessere Studienbedingungen verwendet werden. Vorteilhaft für die Bildungsrendite ist es auch, wenn Absolventen einer Berufsausbildung die Möglichkeit bekommen, auch ohne Abitur zu studieren, oder wenn bessere Betreuungsmöglichkeiten für Kinder bestehen.“

So bejubelt also die Bundesbildungsministerin in einer Pressemitteilung die von ihr in Auftrag gegebene Studie beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

Das IW hat mehrere Berechnungsmethoden angewandt:

  • Nach der Mincer-Einkommensfunktionen auf der Basis des Sozioökonomischen Panels (SOEP) ergebe sich für jedes weitere Bildungsjahr eine Bildungsrendite von 9,9 (West) bzw. 9,6 Prozent (Ost).
  • Aus der Berechnung mittels der sog. „Lohnprämie“, also den durchschnittlichen Lohnabstand zwischen verschiedenen Qualifikationsgruppen, weise ein Hochschulabsolvent einen im Durchschnitt 78 Prozent höheren Bruttostundenlohn auf als eine Person, die keinen Abschluss der Sekundarstufe II (Abitur oder beruflicher Abschluss) erreicht hat. (Warum muss man eigentlich gerade die höchste Qualifikation mit der niedrigsten vergleichen? WL)
  • Die Bildungsrenditen von Männern und Frauen wiesen nur geringe Unterschiede auf. Insgesamt seien die Lohnprämien von Migranten mit einem akademischen Abschluss deutlich niedriger als bei Nicht-Migranten.
  • Zwischen den Fächern gebe es erhebliche Unterschiede bei den Lohnprämien. So seien die Lohnprämien von Berufen im Rechtswesen und Berufen der Unternehmensleitung sehr hoch.
    Auch MINT-Akademiker (also mathematisch-naturwissenschaftliche Absolventen) hätten eine sehr hohe Lohnprämie und verdienten pro Stunde etwa 91Prozent mehr als eine Person ohne abgeschlossene Berufsausbildung und mehr als der durchschnittliche Akademiker (Lohnprämie: 78 Prozent).
  • Die Renditekennzahlen unter Einbeziehung der entgangenen Einkommen ergeben eine jährliche Ertragsrate (interne Rendite) für einen berufsbildenden Ausbildungsgang von 10,2 und für eine hochschulische Ausbildung von 7,5 Prozent. Die höheren Renditen für die berufliche Ausbildung könnten damit erklärt werden, dass für eine berufliche Ausbildung weniger Opportunitätskosten anfielen als für eine Hochschulausbildung, da eine Berufsausbildung in einer kürzeren Zeit absolviert und außerdem zumindest im Rahmen einer betrieblichen Ausbildung ein Lehrlingsgehalt bezogen werden könne. Der Kapitalwert (Vermögensgewinn zum Zeitpunkt der Investition), dem bei Bildungsentscheidungen eine zentrale Rolle zukomme, sei bei der akademischen Bildung (66.800 Euro) ungefähr dreimal so hoch wie bei der beruflichen Bildung (23.700 Euro). Gemessen im Alter von 65 Jahren betrage der Vermögensendwert bei der akademischen Ausbildung bei einem Zinssatz von 4 Prozent rund 456.500 Euro, bei der beruflichen Ausbildung 162.300 Euro. Daher führe die Entscheidung für eine akademische Ausbildung zu höheren Vermögen als die Entscheidung für eine Berufsausbildung. Beide Ausbildungsgänge seien jedoch verglichen mit alternativen Anlageformen attraktive Ausbildungswege.

In der Studie werden auch die gesamtwirtschaftlichen Effekte staatlicher Bildungsinvestitionen dargestellt.
Durch Senkung der Abbruchswahrscheinlichkeit und kürzeren Ausbildungsdauern, durch Anreize zur Fort- und Weiterbildung, durch eine Erhöhung der Durchlässigkeit im Bildungssystem oder durch Kinderbetreuungsangebote könnten auch hohe gesamtwirtschaftliche Effekte erzielt werden.
Investitionen des Staates in Maßnahmen, die zu einer Erhöhung der privaten Bildungsrendite führten, ergeben folglich auch über die steigende Produktivität und Wertschöpfung erhöhte Steuerzahlungen und Sozialversicherungsbeiträge.

  • Pro Studierenden, der seine Hochschulreife im dualen System erworben hab, betrage der Kapitalwert zwischen 20.600 und 77.000 Euro. Bei 30.000 Studierenden insgesamt ergebe sich damit ein Vermögensgewinn beim Staat von 0,6 bis 2,3 Milliarden Euro. Die fiskalische Rendite betrage zwischen 5,6 und 9,1 Prozent.
  • Pro zusätzlichen von der KITA bis zur Ganztagsgrundschule betreutem Kind entstehe im Basisszenario ein Kapitalwert zwischen 6.800 und 26.400 Euro. Bei 137.500 zusätzlichen Plätzen (35-Prozent-Ziel) ergebe sich damit ein Vermögensgewinn beim Staat von 0,45 bis 3,6 Milliarden Euro.
  • Pro zusätzlicher Aufstiegsfortbildung ergebe sich ein Kapitalwert zwischen 31.400 und 51.800 Euro. Bei 30.000 zusätzlichen Aufstiegsfortbildungen ergibt sich damit ein Vermögensgewinn beim Staat von 0,9 bis 1,6 Milliarden Euro.

Schließlich empfiehlt die Studie – der Linie des Instituts der deutschen Wirtschaft entsprechend – „sozialverträgliche“ Studiengebühren einzuführen. (Siehe dazu: Kann es überhaupt „sozialverträgliche“ Studiengebühren geben?)

Begründung:

  • Führten die Studiengebühren zu einer besseren Qualität der Hochschulausbildung, so könnten auch Studierende aus dem Ausland für ein Studium gewonnen werden.
  • Hohe Studiengebühren plus ein ausgebautes Studienfinanzierungsmodell mit Krediten hätten gegenüber einem staatlichen vollfinanzierten Modell mit höheren Steuern den Vorteil, dass der Studierende auch dann eine Rückzahlung an das in die Hochschulausbildung investierende Land vornehmen müsse, wenn der Hochschulabsolvent in einem anderen Land Steuern zahle.
  • Bei gegebener Lohnprämie bestehe in Staaten ohne Gebühren und mit hohen Steuern ein Abwanderungsanreiz nach dem Studium in Volkswirtschaften mit niedrigen Steuern und hohen Studiengebühren.
  • Ein Absolvent aus einem Land mit hohen Gebühren und niedrigen Steuern habe bei einem ausgebauten Studienfinanzierungsmodell einen Schuldenstand aus den Krediten zu begleichen.
    Eine Auswanderung in ein Land mit hohen Steuern (aber ohne Studiengebühren) sei für diesen Absolventen nicht attraktiv.

Es sind also keinerlei soziale Gründe oder Argumente der Verbesserung der Chancengleichheit, die das IW für Studiengebühren plädieren lassen, sondern rein Vermarktungs- und finanzpolitische An- oder Abwerbungsaspekte. Bildung wird also rein unter ökonomischen Verwertungsinteressen betrachtet.

Kritische Anmerkung:

Das Bundesbildungsministerium und das Institut der deutschen Wirtschaft haben mit dieser Studie keineswegs das an für sich begrüßenswerte Ziel, dafür zu werben, dass sich „Bildung lohnt“, sie fördern damit vielmehr, den Leitgedanken, dass Bildung vor allem eine private Investition in das persönliche „Humankapital“ ist und dass die als privatnützig verengte Ausbildung dann eben auch ihren „Preis“ kosten darf. Das ist das klassische „ökonomistische“ Paradigma der Studiengebührenbefürworter. („Humankapital“ wurde übrigens 2004 zum „Unwort des Jahres“ gewählt.)

Eine möglichst hohe wissenschaftliche Qualifizierung eines möglichst großen Teils der Arbeitsbevölkerung wird – anders als in den 1960er und 1970er Jahren – nicht mehr überwiegend als Fundament für die technologische Innovation und Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft und als Element des wissenschaftlichen Fortschritts und der demokratischen Teilhabe und der kulturellen Entwicklung der Gesellschaft verstanden, sondern als eine private Investition in das persönliche „Humankapital“, die zukünftig durch eine höheres berufliches Einkommen eine private „Bildungsrendite“, einen höheren „return on investment“ abwirft.

Bis in die 1990er Jahre bestand ein gesellschaftlicher Konsens, Bildung als „Bürgerrecht“ (Ralf Dahrendorf) und als gemeinnütziges „Kollektivgut“ zu betrachten. Danach machte sich ein Denken breit, wonach Bildung eine private Investition in das persönliche „Humankapital“ sei.

Schavan und dem IW geht es bei dieser Studie nicht vornehmlich um Bildungswerbung, sondern darum die Privatisierung von Bildungskosten voranzutreiben. Insoweit handelt es sich um eine politische Auftragsarbeit.

Auf der makroökonomischen Ebene kann man aus der Humankapitaltheorie durchaus gute Argumente für mehr staatliche Bildungsinvestitionen ableiten. Bildung als ökonomischer Faktor galt als wichtige Triebkraft für die Bildungsexpansion der 1960er und 1970er Jahre. Die Ermittlung von Bildungsrenditen hatte zusammen mit der „Humankapitaltheorie“ aber seit Mitte der 1990er Jahre vor allem die politische Funktion die Forderung nach stärkerer „Eigenverantwortung“ auf den Bildungsbereich zu legitimieren. Das Prinzip „jeder ist seine Glückes Schmied“ wurde so auch auf den Bildungsbereich übertragen. Es war dann nur folgerichtig, dass für den individuellen Nutzen auch privat bezahlt werden muss.

„Bildungsentscheidungen aufgrund von sozialer Herkunft, Interesse oder Unsicherheit spielen in diesem Modell genauso wenig eine Rolle wie eine Veränderung der Arbeitswelt oder der gesellschaftliche Nutzen von Bildung. Die Annahmen der neoliberalen Verengung des Humankapitalansatzes auf die Bildungsrendite sind aus der Perspektive der empirischen Bildungsforschung schlicht und ergreifend als grober Unfug zu betrachten. Denn sicher spielt das mögliche Einkommen eine gewisse Rolle bei der Entscheidung für oder auch gegen die weitere Bildungsbeteiligung, dieser Aspekt wird allerdings von sozialstrukturellen und biografischen Einflussfaktoren in erheblicher Weise überlagert. Somit ist ein Versuch der Legitimation von Studiengebühren über die (mikroökonomische) Humankapitaltheorie zwar theoretisch möglich, aber nur unter weitgehender Ausblendung der ursprünglichen Erkenntnisse der (makroökonomischen) Wachstumstheorie in Bezug auf den überindividuellen Effekt von Bildungsprozessen. Die Unterstellung einer reinen Orientierung am individuellen ökonomischen Nutzen von Bildungsprozessen bedeutet also nicht nur eine vollständige Ignoranz der bestehenden Unsicherheit hinsichtlich zukünftiger Wandlungsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch eine zwar theoretisch denkbare, aber empirisch unplausible, Herauslösung des Individuums aus seinem sozialen Kontext.“ (Ulf Banscherus, www.studis-online.de).

Über den Zusammenhang des Humankapitalansatzes und der Umdefinition von Bildung in einen funktionales und pragmatisches „Kompetenz“-Begriff, siehe noch „Kompetenzen als Humankapital“.


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