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Titel: Isst unsere Bundeskanzlerin Dollarnoten, amerikanische Staatspapiere und britische Pfund?

Datum: 25. März 2010 um 11:27 Uhr
Rubrik: Denkfehler Wirtschaftsdebatte, Lobbyismus und politische Korruption, Neoliberalismus und Monetarismus, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Angela Merkel ist stolz auf die deutschen Exportüberschüsse. Wir leben aber nicht von Exportüberschüssen und den dafür erhaltenen Dollarnoten, amerikanischen Staatspapieren und anderen Forderungen an ausländische Volkswirtschaften, die wir mit den Überschüssen unserer Leistungsbilanz erwerben. Der Stolz auf die Exportüberschüsse folgt aus einer einseitig monetären Betrachtung des Wirtschaftsgeschehens und führt in der aktuellen Situation, wo über die Zukunft der Eurozone entschieden wird, möglicherweise zu gravierenden Fehlentscheidungen. Albrecht Müller

Denken in real terms, das heißt: die güterwirtschaftliche Betrachtung, wäre angesagt

Populär übersetzt könnte man sagen: Wir essen Bananen und nicht Dollarnoten. – Mit ständigen Leistungsbilanzüberschüssen häufen wir Forderungen gegenüber anderen Völkerschaften an, wie fast im gesamten letzten Jahrzehnt geschehen. Wir leisten mehr, als wir selbst zur Verfügung haben. Wir leben unterhalb unserer Verhältnisse. Ob die angehäuften Forderungen dann irgendwann auch noch zum angemessenen Wert an uns zurückgezahlt werden, ist zudem oft fraglich. Wenn zum Beispiel der Dollar auf mittlere und lange Sicht an Wert verliert, dann haben wir zum Teil um sonst gearbeitet und geleistet.
Unabhängig von dieser sachlichen realen Betrachtung muss man feststellen, dass weite Teile der Meinungsführer in Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft dem monetären Denken und dem besonderen Glauben an die Bedeutung der Exportüberschüsse verfallen sind. Das ist schon etwas eigenartig, denn im normalen geschäftlichen Leben würden wir ja auch jemanden, der hohe und nicht unbedingt wertgesicherte Forderungen/Außenstände um sich herum aufbaut, nicht gerade für klug halten. Aber der Mythos der Exportüberschüsse ist so groß, dass sie zum Kriterium des Erfolgs der Wirtschaftspolitik eines Landes gemacht werden. Siehe dazu den als Anlage angefügten Artikel im Spiegel Online. Dort wird beschrieben, wie die Exportüberschüsse unseres Landes von Angela Merkel als Triumph benutzt werden. Und dies wird nicht ansatzweise kritisch kommentiert.
Auch die meisten deutschen Wissenschaftler haben offenbar nie in ihrer Ausbildung gelernt, in real terms zu denken. Ihnen sind offensichtlich die zugrundeliegenden Welfareeconomics fremd. Diese Erfahrung habe ich übrigens schon 1968 gemacht, als ich von einem Institut der Münchner Universität, wo Welfareconomics intensiv gelehrt und studiert wurden, zum Bundeswirtschaftsministerium in Bonn wechselte und dort auf den Grundsatzreferenten Hans Tietmeyer, den Staatssekretär Klaus von Dohnanyi, den Abteilungsleiter Schlecht und andere Berater des Bundeswirtschaftsministers Karl Schiller traf. Allen war damals schon das monetäre Denken eigen.

Den Erfolg einer Wirtschaftspolitik kann man an verschiedenen Größen messen. Man sollte ihn in jedem Fall auch an realen Werten messen.

Aus der einseitigen Orientierung an monetären Größen folgen heute Fehleinschätzungen des Erfolgs einer Wirtschaftspolitik. Angela Merkel und die deutsche Wirtschaftspolitik gelten bei Anlegern, Börsen und hin bis zu den Rating Agenturen als erfolgreich, obwohl sie dies bei näherer Betrachtung und insbesondere bei Betrachtung der realen Entwicklung nicht sind:

  • Bei der Bewertung der Entwicklung der Masseneinkommen, also der Lohneinkommen, der Renten usw. schneiden wir ausgesprochen schlecht ab. Die realen Lohneinkommen stagnieren praktisch seit 1993. Die Entwicklung der Lohnquote ist miserabel.
  • Bei der Entwicklung des pro Kopf Einkommens bzw. des Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist die Bilanz ebenfalls nicht gut. Unteres Ende im europäischen Vergleich.
  • Auch die Entwicklung der Arbeitsproduktivität ist in Deutschland nicht herausragend.
  • Die Staatsschulden nehmen zu, nicht ganz so sehr wie in Griechenland, aber jedenfalls sehr stark.
  • Die Bundesregierung hat für die Banken mit dem Rettungsschirm über 480 Milliarden überproportional hohe Verpflichtungen zu unseren Lasten übernommen. Und in den Bankbilanzen schlummern weiterhin extrem hohe Risiken, die uns alle treffen, wenn weiter gilt, was Frau Merkel behauptet, alle Banken seien systemrelevant.
  • Damit verbunden ist ein äußerst hohes Risiko für uns alle, das aus der Interessenverflechtung unserer Politik mit der Finanzindustrie folgt. Man kann dies an der Untätigkeit auf dem Feld der besseren Regulierung der Finanzmärkte sehen. Nichts wirklich Einschneidendes ist geschehen. Die Bankenabgabe ist ein Mäuschen. Die Steuerprivilegien der Hedgefonds und PrivateEquityGruppen gelten nach wie vor: Gewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen sind immer noch steuerfrei. Das heißt: bei uns können auch weiter Betriebe verscherbelt und damit viele Menschen steuerfrei hin und her geschoben werden.

Man kann also insgesamt nicht davon sprechen, dass Deutschland besonders erfolgreich gewesen sei. Wenn in dem Spiegel Online-Artikel mal wieder die Rede von den „Schweinestaaten“ ist, dann kann man das Deutschland der Angela Merkel und des Gerhard Schröder, des Wolfgang Schäuble, Peer Steinbrück, Hans Eichel und Wolfgang Clement ruhig zu den „Schweinestaaten“ rechnen. Vor allem ist hier mit den so genannten Reformen die soziale Sicherheit massiv zerstört worden, Millionen Menschen sind arbeitslos, oder in unsichere und unterbezahlte Arbeitsverhältnisse getrieben worden.

Es gibt jedenfalls keinen realen Grund dafür, dass sich Bundeskanzlerin Merkel bei den aktuellen Konferenzen auf europäischer Ebene als die harte Kanzlerin aufspielt. Dass sie das tut und vermutlich auch kann, ist wiederum ein deutlicher Beleg für die Rolle von Meinungsmache. Die hohe Verantwortung der deutschen Bundesregierungen für das Desaster ist erfolgreich weg manipuliert.

Anhang:

24. März 2010,
Griechenland-Poker in der EU
Merkel lässt “Club Med” abblitzen
Angela Merkel bleibt hart – und scheint sich durchzusetzen. Einen Nothilfeplan für Griechenland wird es auf dem EU-Gipfel nur zu den Bedingungen der Bundeskanzlerin geben. Vorstöße von klammen Mittelmeer-Anrainern laufen ins Leere: Deutschland will nicht länger Zahlmeister der EU sein.
Quelle: SPIEGEL Online


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