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Titel: Obamas Krieg – Obamas Niederlage

Datum: 29. Juli 2010 um 9:38 Uhr
Rubrik: Das kritische Tagebuch, Friedenspolitik, Militäreinsätze/Kriege
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„Obama sollte den Friedensnobelpreis zurückgeben“. Das habe ich auf den NachDenkSeiten schon gefordert, als der amerikanische Präsident wenige Tage vor der Verleihung des Friedensnobelpreises – Anfang Dezember letzten Jahres – in der Militärakademie West Point ankündigte, dass er 30.000 zusätzliche Soldaten in den Kampf nach Afghanistan schicken wolle.
Gestern hat nun der US-Kongress weitere 33 Milliarden Dollar für diese Truppenaufstockung bewilligt – über die 160 Milliarden Dollar hinaus, die der Krieg allein im laufenden Jahr verschlingt. Spätestens seit gestern ist der Afghanistan Krieg Obamas Krieg.
An meiner Kritik von damals brauche ich nichts zurückzunehmen. Im Gegenteil sie wird durch die jetzt öffentlich gewordenen „Afghanistan-Protokolle“ nur noch untermauert. Wolfgang Lieb

Obama ist der Oberbefehlshaber der US-amerikanischen Armee, er ist also verantwortlich dafür, dass täglich Zivilisten, angebliche Taliban-Verdächtige, aber auch im Kriegseinsatz befindliche Soldaten verwundet und getötet werden. Er hat zu verantworten, dass eine bislang geheim gehaltene „Task Force 373“ völkerrechtlich höchst fragwürdig Menschenjagd auf wie auch immer verdächtige Taliban-Kämpfer betreibt. In seiner kurzen Amtszeit hat Barack Obama doppelt so viele Einsätze von Drohnen außerhalb des engeren Kriegsschauplatzes in Afghanistan befohlen wie sein als kriegslüstern geltender Vorgänger George W. Bush.

Grafik von SPIEGEL Online
Quelle: SPIEGEL Online

Dabei wurden auch immer mehr Zivilisten Opfer des von Völkerrechtlern höchst umstrittenen Kriegs per Mausklick.

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Obama oder zumindest seine Militärberater kannten natürlich die zehntausende Geheimdokumente, die jetzt durch den Whistleblower Wikileaks öffentlich gemacht worden sind, schon vor seiner Entscheidung die US-Truppen um weitere 30.000 Soldaten aufzustocken – zusätzlich zu den 200.000 Einsatzkräften, die zusammen mit den Verbündeten einschließlich von Privatarmeen Afghanistan seit 9 Jahren besetzt halten.

Obama kannte also die sich aus den Dokumenten ergebende zunehmend bedrohlichere Sicherheitslage die immer mehr Leid und Tot abfordern wird. (Da es Militär- und Geheimdienstdokumente sind, wird die Lage sicherlich eher noch geschönt worden sein.)

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Er kannte die drastisch gestiegene Zahl von Anschlägen und den Vormarsch der Taliban-Kämpfer in der Fläche. Er weiß, dass afghanische Sicherheitskräfte abgeworben werden. Er weiß Bescheid über den unzuverlässigen und korrupten Karsai-Clan. Er hat zur Kenntnis nehmen müssen, dass der afghanische Präsident sich vor Stammesfürsten (darunter auch Taliban-Führer) von den Besatzungstruppen distanziert. Er weiß, dass 30.000 zusätzliche Soldaten keine Wende bringen können. Auch die „Mehr-hilft-noch-mehr“-Strategie wird scheitern. Dazu braucht man sich nur die Karte Afghanistans anzusehen, dann kann man erkennen, wie dünn der Besatz in der Fläche immer noch sein wird und dass mehr als zwei Drittel des Landes weder von der Regierung Karsai noch von den Besatzungstruppen kontrolliert werden.

Spätestens mit der Truppenaufstockung ist der Afghanistan-Einsatz nicht mehr der Krieg von George W. Bush sondern von Barack Hussein Obama. Und es ist Obama, der den Krieg verlieren wird.

Das merken inzwischen auch seine eigenen Parteifreunde. Unter den 114 Gegenstimmen gegen die Truppenaufstockung waren auch 102 Demokraten. Fast die Hälfte der 255 Demokraten im US-Kongress stimmte also gegen ihren eigenen Präsidenten.

Bei uns in Deutschland werden jedoch diejenigen politischen Kräfte, die für ein Ende des immer schmutziger werdenden Krieges eintreten, als politik- und koalitionsunfähig abgestempelt. Wenigstens Abgeordnete von SPD und Grünen sollten sich ein Beispiel an ihren Kollegen von den Demokraten im US-Kongress nehmen. Das würde sie von der Peinlichkeit schützen, an dem Afghanistan-Einsatz deutscher Soldaten festzuhalten, bis in absehbarer Zeit dessen Scheitern und die die Niederlage in diesem Krieg nicht nur in Geheimdokumenten sondern ganz offiziell eingestanden werden muss.

Abgeordnete können sich spätestens jetzt nicht mehr darauf berufen, dass sie etwa nichts davon nicht wissen konnten, dass auch die Lage der deutschen Truppen immer gefährlicher wird, dass viel mehr unbeteiligte Zivilisten von Bomben und Dronen getötet wurden, als bisher bekannt war, dass ein geheimes Killerkommandos in deutschen Lagern stationiert ist usw. Auch unsere Abgeordneten wissen jetzt mehr über die Aussichtslosigkeit des Mandats, dass sie deutschen Soldaten erteilt haben. Spätestens ab der Veröffentlichung der Geheimdokumente können sie sich nicht mehr herausreden: „davon habe ich nichts gewusst“. Sie sind nicht mehr außen vor, sondern ab jetzt voll verantwortlich für weiteres sinnloses Blutvergießen – bis zum Eingeständnis der Niederlage.


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