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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 18. Januar 2011 um 9:20 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante aktuelle Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen. Heute unter anderem zu folgenden Themen: Euro-Krise; was verdienen Ingenieurinnen und Ingenieure?; Leiharbeit: Die Kluft wächst; das Autorennen, der Vorbeuge-Spitzel; Quick Freeze Plus; Geburtenzahl in Deutschland wird dramatisch sinken; Studiengebühren in GB; „Alternativlos“ – das Unwort des Jahrzehnts; die SPD im Wahlkampf 1972; SS-Mann Barbie arbeitete für BND in Bolivien; Fiat-Arbeiter erpresst; eine Herzensbrecherin könnte Berlusconi das Genick brechen; über die Chancen der tunesischen Revolte; ArbeitsmigrantInnen in der malaysischen Elektronikindustrie; Langhans als Vordenker; Rezension: Ulrich Schneider, Armes Deutschland; das Letzte: ARD darf Maschmeyer nicht mehr zeigen. (KR/WL)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Euro-Krise
  2. Was verdienen Ingenieurinnen und Ingenieure?
  3. Leiharbeit: Die Kluft wächst
  4. Das Autorennen
  5. Der Vorbeuge-Spitzel
  6. Quick Freeze Plus
  7. Geburtenzahl in Deutschland wird dramatisch sinken
  8. Studiengebühren in GB: Die Büchse der Pandora
  9. „Alternativlos“ – das Unwort des Jahrzehnts
  10. Die SPD im Wahlkampf 1972
  11. SS-Mann Barbie arbeitete für BND in Bolivien
  12. Fiat-Arbeiter erpresst
  13. Eine Herzensbrecherin könnte Berlusconi das Genick brechen
  14. Über die Chancen der tunesischen Revolte
  15. Blue Elephants – ArbeitsmigrantInnen in der malaysischen Elektronikindustrie
  16. Langhans als Vordenker
  17. Rezension: Ulrich Schneider, Armes Deutschland
  18. Das Letzte: ARD darf Maschmeyer nicht mehr zeigen

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Euro-Krise
    1. Barry Eichengreen – Schluss mit dem Euro-Rettungsmurks
      Die Regierungen Europas verschließen die Augen vor einem der größten Probleme der europäischen Krise, was gefährlich ist…
      Beim Umgang mit dem Problem haben die EU-Politiker unter Führung Angela Merkels viel Beständigkeit an den Tag gelegt – beständig haben sie sich geweigert, seine Existenz anzuerkennen…Dieses unnachgiebige Leugnen mag beständig sein, schlüssig ist es nicht. Diese Haltung kann nur zu ungeordneten Staatspleiten, Banken in Not und einer Infizierung weiterer Länder führen. Wenn Deutschlands Entscheider meinen, die deutsche Wirtschaft könne in derart schwerer See eine Insel des Wohlstands bleiben, haben sie sich verrechnet…
      Es gibt zwei machbare Alternativen: Europas Führung kann Ländern wie Griechenland und Irland eine Teilabschreibung auf ihre bereits hohen Schulden erlauben. Sie können Ressourcen des EFSF zur Absicherung der neuen “Discountanleihen” nutzen, die die Regierungen von Griechenland und Irland den Anlegern im Austausch für bestehende Verbindlichkeiten anbieten werden. So werden die Schulden der Länder wieder tragbar, und die Staaten können sich an die neuen, verschärften Regeln halten, die 2013 in Kraft treten…
      Alternativ kann die EU darüber nachdenken, die Konditionen ihrer Hilfsmaßnahmen zu überdenken. Damit Griechenland und Irland eine Chance haben, könnte die EU die sechs Prozent Zinsen reduzieren, die sie für ihre IWF-EU-Kredite erhebt. Sie könnte den Umfang des Rettungsfonds verdreifachen, damit der EFSF Spanien zum gegebenen Zeitpunkt günstige und ausreichende finanzielle Hilfe leisten kann.
      Dasselbe Ziel könnte erreicht werden, wenn mit voller Unterstützung und Garantieleistung der EU-Mitgliedsstaaten E-Bonds ausgegeben würden und die Krisenländer ihre Altschulden bis zu einem gewissen Grad – beispielsweise 60 Prozent des BIPs – in diese neuen Anleihen umtauschen könnten.
      Die EU muss zudem die Regeln für Hilfsleistungen lockern, die geleistet werden…
      Quelle: FTD
    2. Sebastian Dullien: Knausrige Kanzlerin verschärft die Euro-Krise
      Doch selbst diese sogenannten Hilfspakete lösen das Problem nicht. Das zeigen Griechenland und Irland. Beide Länder sind zwar schon “gerettet” worden – trotzdem steuern sie munter auf neue Zahlungsschwierigkeiten zu. Denn die Sparpakete dort würgen das Wirtschaftswachstum ab. Die Folge: Die Steuereinnahmen brechen ein, trotz brutaler Ausgabenkürzung klafft im Staatshaushalt ein Riesenloch. Griechenlands Schuldenstand dürfte in den kommenden Jahren mehr als 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen, die Iren kommen auf etwas mehr als hundert Prozent…
      Die Gefahr wächst, dass angesichts solcher Schuldenberge nicht einmal die Hilfskredite zurückgezahlt werden könnten. Einen Plan B für diesen Fall gibt es nicht…
      Das Problem: Die Zinsen auf die Hilfskredite sind viel zu hoch. Ursache für die Schwierigkeiten vieler Krisenstaaten wie Irland oder Spanien ist nämlich nicht, dass deren Politiker schlecht gewirtschaftet hätten. Vielmehr hat die Finanzkrise 2008 und 2009 die Länder in Bedrängnis gebracht. Und die Finanzmärkte haben wie ein Brandbeschleuniger gewirkt.
      Um Irland – und bald wohl Portugal und Spanien – wirksam zu helfen, müsste man diesen Ländern also einen wirklich günstigen Kredit geben, mit einem Zinssatz, der nur leicht über jenem von Deutschland liegt. Gerade das aber passiert mit dem Euro-Rettungsfonds nicht.
      Die aktuelle Konstruktion des Euro-Hilfsfonds droht damit das Schuldenproblem in Europa nur zu verschleppen statt zu lösen. Kurzfristig mögen die Märkte mit ein paar weiteren hundert Milliarden beruhigt werden, mittelfristig werden die Investoren aber merken, dass die Hilfskredite zu Wucherzinsen keine Lösung sind. Und in der Zwischenzeit geraten immer neue Euroländer in den Strudel der Marktpanik.
      Das Traurige ist, dass im deutschen Kanzleramt wie im Finanzministerium kaum jemand diese Logik versteht. Immer wieder heißt es, man dürfe nicht zu großzügig mit den Krisenstaaten sein. Damit wird kategorisch ausgeschlossen, den Partnern Geld, das man selber für drei Prozent bekommt, für etwa vier Prozent zu verleihen…
      Das Argument der Deutschen: Die anderen haben gesündigt, die Maastrichter Schuldenregeln verletzt, und Strafe muss eben sein.
      Quelle: Spiegel Online
    3. Eine große und eine noch größere Schuldenkrise
      Aus irgendwelchen Gründen schauen alle nur auf die Staatsfinanzen in Europa. Dabei ist dort nur im Kleinen zu beobachten, was für ganz Amerika gilt. In etwas anderen Dimensionen, versteht sich. Laut OECD werden Griechenland, Italien, Spanien, Portugal, Irland und Belgien 2011 ein Staatsdefizit von 188 Mrd. Euro fabrizieren – oder von 5,3 Prozent ihres BIPs, das 38 Prozent des BIPs im Euro-Raum entspricht. Laut eigener VGR hat Amerika im dritten Quartal eine Budgetlücke von annualisierten 1537 Mrd. Dollar verzeichnet – oder von 10,4 Prozent des BIPs. Und wie der jüngste politische Handel zeigt, tut Amerika alles, um das Defizit ja nicht schrumpfen zu lassen. Die Fed, die im ersten Akt der quantitativen Lockerung Wertpapiere im Wert von 1700 Mrd. Dollar aufgekauft hatte und kürzlich ein Programm über 600 Mrd. Dollar nachgelegt hat, würde über den Finanzbedarf der Euro-Wackelkandidaten nur lachen.
      Nur lacht am besten, wer zuletzt lacht. Von den auch in Amerika heiklen Finanzen auf lokaler Ebene, riesigen Verbindlichkeiten des Privatsektors, aufgeblähten Finanzsystemen und regionalen Arbeitsmarktdifferenzen braucht man ebenso wenig zu reden wie von dem Staatsschuldenstand, der dort im Verhältnis zum BIP höher ist als im Euro-Raum – und nicht gerade beruhigend niedriger als im Aggregat der Euro-Sorgenkinder. Wichtiger ist, dass dem Euro-Raum laut IWF 2010 Bruttoersparnisse von 19,6 Prozent des BIPs zur Verfügung standen, um Investitionen zu finanzieren. In Amerika beläuft sich diese Kennziffer auf lausige 12,4 Prozent. Nach Abschreibungen ist die nationale Nettoersparnis laut US-VGR seit dem zweiten Quartal 2008 negativ, womit das Land aus eigener Kraft nicht mal den Kapitalstock erhalten könnte. – Im verarbeitenden Gewerbe arbeiten noch 11,7 Millionen Menschen. Allein in Deutschland sind es 7,3 Millionen. Die Welt hingegen bangt um den Euro – statt um das grüne Papier, das als Leitwährung dient.
      Quelle: FTD
    4. Kein Grund zur Euro-Euphorie
      Wie rasch sich die Stimmung an Finanzmärkten drehen kann, wurde in der letzten Woche wieder einmal deutlich. Auslöser waren vor allem als erfolgreich deklarierte Auktionen von Staatsanleihen durch Portugal und Spanien, ergänzt durch die Bereitschaft Chinas und Japans, Euro-Papiere zu erwerben. Der Euro machte einen kräftigen Sprung gegenüber dem Dollar und auch gegenüber dem Schweizerfranken, den viele Marktteilnehmer gegenwärtig als den wohl wichtigsten Indikator des Devisenmarktes ansehen. Doch ungeachtet der heftigen Reaktion des Devisenmarktes ist nach Ansicht vieler Marktkommentatoren Euphorie unangebracht. Die Krise ist keineswegs überwunden, im besten Fall gibt die zusätzliche Liquidität eine weitere Atempause. Nobelpreisträger Paul Krugman bezeichnete in seinem Blog die angeblich erfolgreiche portugiesische Auktion als Pyrrhussieg und erinnerte an die ruinöse Schuldendynamik eines Zinssatzes von «nur» 6,7% für zehnjährige Anleihen (weniger als die als kritisch erachtete Marke von 7%), wenn das Land eine mehrjährige Phase der Deflation durchlaufen müsse. – Als wirklich erfolgreich hätte man Portugals Auktion vielleicht bezeichnen können, wenn wie bisher ausländische Investoren den Grossteil der neuen Papiere erworben hätten. Aber wichtige Marktteilnehmer wie der Anlagefonds Pimco sind demonstrativ ferngeblieben. Co-Anlagechef Bill Gross bezeichnete Portugals Auktion als «pre-arranged sales», bei denen inländische Banken die neuen Papiere erwerben und diese dann der Zentralbank anbieten.
      Quelle 1: NZZ
      Quelle 2: Krugman-Blogs-NYtimes
      Quelle 3: NYtimes

      Harm Bengen 18/01/11

      Quelle 4: Harm Bengen

  2. Was verdienen Ingenieurinnen und Ingenieure?
    Das Bruttomonatseinkommen von Ingenieuren und Ingenieurinnen beträgt ohne Sonderzahlungen auf Basis einer 40-Stunden-Woche durchschnittlich 4.380 Euro. Je nach Fachrichtung variiert dieses Einkommen zwischen 4.836 € bei Elektronik- und Fernemeldeingenieur/innen und 3.709 € bei Bauingenieur/innen. Die höchsten Gehälter für Ingenieure werden in Frankfurt/Main gezahlt mit durchschnittlich 4.772 €, gefolgt von Düsseldorf mit 4.754 € und München mit 4.511 €. Zu diesem Ergebnis kommt eine Online-Umfrage der Internetseite Lohnspiegel.de, die vom WSI-Tarifarchiv der Hans-Böckler-Stiftung betreut wird und an der sich rund 11.000 Ingenieure und Ingenieurinnen beteiligt haben.

    Monatsverdienste - Ingenieure/innen

    Quelle: WSI

  3. Leiharbeit: Die Kluft wächst
    Die Bundesagentur für Arbeit ermittelt für Leiharbeiter ein mittleres Monatseinkommen von 1393 Euro. Das sind satte 900 Euro weniger als das, was Beschäftigte ohne Berufsabschluss bekommen.
    Über die Löhne von Leiharbeitern ist schon viel spekuliert worden. Jetzt hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) in einer großen Einkommens-Analyse eine harte Zahl vorgelegt: Das mittlere Einkommen einer Vollzeitkraft in der Zeitarbeit betrug 2009 gerade einmal 1393 Euro im Monat – brutto und inklusive aller Zuschläge und Jahresleistungen. Das ist erstaunlich wenig, wenn man bedenkt, dass viele Leihkräfte in der Industrie arbeiten, wo die mittleren Löhne der Stammkräfte mehr als doppelt so hoch sind…
    Quelle: FR
  4. Das Autorennen
    Auf der einen Seite arbeiten Regierung, Autofirmen und Atomindustrie. Auf der anderen tüftelt Karl Nestmeier, Hersteller des elektrischen Dreirads City EL.
    Karl Nestmeier ist ein christlich-ökologischer Rationalist. Er mag es, wenn etwas Sinn ergibt. Es geht in Autodingen aber nicht nur rational zu, in einem Land, in dem selbst Gerd Lottsiepen, der Fahrzeugexperte des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland, über den City EL sagt: “Unter einem Auto versteht man ja gemeinhin doch etwas anderes.” Auch Lottsiepen wünscht sich, dass “solche Fahrzeuge einen viel größeren Raum haben in unserer Verkehrswelt”. Gleichzeitig muss er feststellen: “Viele Leute haben Angst, sich in so ein Auto zu setzen – wenn sie umgeben sind von Panzern.”
    Quelle: TAZ
  5. Der Vorbeuge-Spitzel
    Baden-Württembergs Innenminister Rech rechtfertigt Ausspähung von Studenten: Der Einsatz eines getarnten LKA-Ermittlers sei schließlich gegen “konkrete Zielpersonen der anarchistischen Szene” gerichtet gewesen.
    Das Ministerium beruft sich damit auf die Paragrafen 22 und 24 des Polizeigesetzes, die einzige Möglichkeit, den Einsatz zu rechtfertigen. Rechtswidrig wäre der Einsatz indessen, träfe die Erklärung des Ermittlers selbst zu. Der hatte nach seiner Enttarnung, von mehreren Studenten zur Rede gestellt, eingeräumt, sein Einsatz richte sich allgemein gegen die Antifaschistische Initiative Heidelberg. So berichten Beteiligte von jenem Abend des 12. Dezember, der mit einem klärenden Gespräch in einer Kneipe endete und zugleich das letzte Mal markiert, dass „Simon Brenner“ in Heidelberg gesehen wurde.
    Quelle: FR
  6. Quick Freeze Plus
    Leser A.G. schreibt uns: „Nach dem folgenden Bericht ist Ministern Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) bei der Vorratsdatenspeicherung nunmehr doch eingeknickt. Sie möchte das sog. “Quick Freeze Plus”-Verfahren realisieren. Das “Quick Freeze”-Verfahren als solches ist relativ grundrechtsschonend, da Verbindungsdaten nur in “Echtzeit” gepuffert und für die Strafverfolgung und Gefahrenabwehr verwertet werden können, wenn ein ausreichender Verdacht vorliegt. “Quick Freeze Plus” bedeutet demgegenüber, dass für einen bestimmten Zeitraum erst einmal die Verkehrsdaten sämtlicher (Internet-) Kommunikationsvorgänge gespeichert werden und dann bei Bestehen eines Verdachts eine längere Vorhaltung der Daten angeordnet werden kann. Die Aussage der Ministerin, dieser Lösungsansatz vermeide eine “Speicherung der Verkehrsdaten aller Bürger”, ist schlicht irreführend. Denn für die Internetverkehrsdaten wird die Vorratsdatenspeicherung – wenn auch beschränkt auf eine Frist von 7 Tagen – nunmehr eingeführt. Die Provider sollen verpflichtet werden, für diesen Zeitraum die entsprechenden Verbindungsdaten pauschal, d.h. ohne die Notwendigkeit von Anhaltspunkten für rechtswidriges Verhalten zu speichern. Ein zentrales Versprechen aus dem FDP-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2009, mit welchem die Partei sehr erfolgreich mit Bürgerrechtsorganisationen “geflirtet” hatte, ist damit ad acta gelegt worden. Zur Erinnerung sei die entscheidende Stelle zitiert: “Die FDP lehnt daher die anlasslose Gefahrenabwehr ab. Die anlass- und verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung hat die FDP von Anfang an abgelehnt.”(siehe Seite 31 [PDF – 299 KB]). Das wertvolle rechtsstaatliche Dogma der Notwendigkeit eines konkreten Anlasses für eine Überwachung einzelner Personen in ihrer Kommunikation wird damit von der FDP für einen Teilbereich aufgegeben. Dabei sollte doch gelten: “This requirement of ex ante suspicion is all the more important since particularized suspicion keeps the government’s profound investigative power in check, preventing widespread surveillance and snooping into the lives and affairs of all citizens.” (Quelle: Data Retention: Privacy, Anonymity, and Accountability Online, Catherine Crump, Stanford Law Review, Vol. 56, No. 1 (Oct., 2003), pp. 191-229). Dieser Paradigmenwechsel muss überraschen, hatte die FDP-Bundestagsfraktion am 09.11.2010 doch noch beschlossen: „Der Rechtsgrundsatz, dass grundrechtsrelevante Maßnahmen im Rahmen der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr nur unter der Voraussetzung erfolgen, dass ein ausreichender Verdacht oder Anlass für diese Maßnahme gegeben ist, muss auch im digitalen Raum gelten. Wir lehnen daher die verdachts- und anlassunabhängige Speicherung personenbezogener Daten auf Vorrat ab.”

    Quelle: FDP-Fraktion [PDF – 95.5 KB], S. 7, Zeilen 21 – 25).
    Siehe dazu auch der Offene Brief des AK Vorratsdatenspeicherung [PDF – 89.5 KB].

  7. Geburtenzahl in Deutschland wird dramatisch sinken
    Das Statistische Bundesamt wirft einen Blick ins Jahr 2060. Das dramatische Ergebnis: Die Bevölkerung Deutschlands könnte auf 65 Millionen Einwohner schrumpfen…
    Wie wahrscheinlich das Eintreffen des Szenarios ist, ließ die Statistikerin offen. „Wahrscheinlichkeiten berechnen wir nicht“, erklärte sie.
    Quelle: Welt

    Anmerkung MB: Könnte …, die Statistiker gehen davon aus …, möglicherweise waren es aber auch nur …, bei den Prognosen werde unterstellt …
    Die Statistiker kennen noch nicht einmal genau die Zahlen der Geburten und Todesfälle für 2010 und unterstellen dabei mögliche Schwankungen von bis zu 25%, unterstellen im weiteren Verlauf immer noch eine Geburtenrate von 1,4 Kindern pro Frau. Als Nachdenkseiten-Leser/in können Sie sicher beurteilen, dass unter solchen Umständen eine Prognose über die nächsten 49 Jahre nicht seriös ist. Stellen Sie sich einfach vor, eine 49-Jahres-Prognose wäre 1900 gemacht worden, und zählen Sie die Weltkriege dazwischen, welche eine nicht unerhebliche Auswirkung auf die Demographie hatten. Oder wer hätte 1950 schon an die Baby-Boomer gedacht?
    Übrig bleibt hier nur die demographische Panik-Rethorik Marke Springer.
    S. dazu Gerd Bosbach: “Produktivität schlägt Alterung” aus den Hinweisen des Tages vom 17.01.2011.

  8. Studiengebühren in GB: Die Büchse der Pandora
    Die Erhöhung der Studiengebühren in Großbritannien könnte die Zukunft der Geisteswissenschaften und die Forschung gefährden.
    Ein massiver Schlag ins Kontor der Geistes- und Sozialwissenschaften ist der geplante vollständige Entzug öffentlicher Gelder für die Lehre. Die sogenannte «Browne Review», der Report eines ehemaligen BP-Topmanagers über die Zukunft der Universitäten, auf dessen Ergebnisse die Regierung sich bei ihren Beschlüssen beruft, empfiehlt das Zurückfahren aller direkten Regierungszuschüsse für die Lehre, außer bei einigen «prioritär» behandelten Universitätsfächern wie Naturwissenschaften, Technik, Krankenpflege, Medizin und bestimmten außereuropäischen Sprachen. Die Geisteswissenschaften sollen dabei leer ausgehen. In einem Brief an die «Times» vom 3. Dezember beschwerten sich 168 Professoren darüber, unter anderem mit dem Hinweis darauf, dass die Universitäten essenziell für eine lebendige Demokratie seien und die Mittel zum Streben nach kreativer und intellektueller Erfüllung bereitstellten.
    Helen Watanabe-O’Kelly betont, dass gerade heute die Geisteswissenschaften gebraucht würden. Selbst wenn wirtschaftlicher Wohlstand das Ziel der Nation wäre, lehrten die Geisteswissenschaften doch «transferable skills», «übertragbare Fähigkeiten», die nicht zuletzt für eine gesündere Geschäftskultur sorgten.
    Quelle: NZZ
  9. „Alternativlos“ – das Unwort des Jahrzehnts
    Am Dienstag wird das Unwort 2010 bekannt gegeben. Es gäbe aber sogar ein Unwort des Jahrzehnts: alternativlos. Es leugnet demokratische Vielfalt und die Chancen der freien Entscheidung. Und das schon seit vielen Jahren.
    Quelle: FR
  10. Die SPD im Wahlkampf 1972
    Der Wahlkampf, der ab dem Sommer 1972 entbrandte, ist in der Geschichte der BRD einzigartig. Die Auseinandersetzung war hart und intensiv und erreichte eine nie zuvor gekannte Politisierung und Polarisierung der Menschen. Es war praktisch unmöglich, dem Wahlkampf gleichgültig gegenüberzustehen. Die Wahlbeteiligung erreichte mit 91,1% einen bis heute ungeschlagenen Höchststand, und die SPD wurde mit 45,8% erstmals bis 1998 stärkste Fraktion und erreichte ihr bestes Ergebnis in über 100 Jahren Parteigeschichte. Was aber zeichnete den Wahlkampf aus, warum polarisierte er dermaßen, dass viele Leitmedien jener Tage sich besorgt über nie verheilende Gräben und Klüfte sorgten und die Junge Union ernsthaft die Ausrufung der Revolution für den Fall eines Brandt’schen Wahlsieges debattierte?
    Quelle: Geschichts-Blog
  11. SS-Mann Barbie arbeitete für BND in Bolivien
    Der ehemalige Nazi-Kriegsverbrecher Klaus Barbie hat für den deutschen Auslandsgeheimdienst BND und die US-amerikanische CIA 1966 in Bolivien gearbeitet. Das geht aus umfangreichen deutschen und US-amerikanischen Geheimdienst-Akten hervor, die der Mainzer Historiker Peter Hammerschmidt erstmals einsehen konnte und die amerika21 vorliegen.
    Quelle: amerika21
  12. Fiat-Arbeiter erpresst
    Geschäftsführer schmeißt Italiens größte Metallgewerkschaft aus dem Betrieb und erzwingt flexible Schichtpläne. Betriebsräte werden künftig von oben bestimmt. Die vier unterzeichnenden Gewerkschaften sind der Auffassung, sie hätten die “Zukunft von Fiat in Italien gesichert”. Doch ob den Fiat-Arbeitern das ihnen abgepresste Ja nützt, steht in den Sternen. Zum Beispiel die Überstunden: Kaum ist das Abkommen abgesegnet, werden die Mirafiori-Leute erst einmal fürs ganze nächste Jahr auf Kurzarbeit gesetzt. Fiat verkauft zu wenig – und deutlich schlechter als die Konkurrenz. Im letzten Jahr brachen die Autoverkäufe in Europa um knapp 5 Prozent ein – Fiat verlor zusammen mit den zum Konzern gehörenden Marken Alfa und Lancia 17 Prozent. Der Grund: Die von Marchionne noch vor einigen Jahren vollmundig versprochenen “20 neuen Modelle” blieben aus. Zudem fehlt dem Turiner Konzern die kritische Größe: Er kommt auf etwa zwei Millionen Autos pro Jahr, mit Chrysler zusammen erreicht er nicht einmal die 4-Millionen-Schwelle. Das ist zu wenig in dem hart umkämpften Markt, in dem Marchionne selbst die Latte fürs Überleben auf 6 Millionen gelegt hat. Daran wird auch der Krieg gegen Arbeitnehmer und unbotmäßige Gewerkschaften nichts ändern.
    Quelle: taz
  13. Eine Herzensbrecherin könnte Berlusconi das Genick brechen
    Verkehr mit einer minderjährigen Prostituierten sowie Nötigung unter Ausnutzung seines Amtes: Dies sind die neuen Vorwürfe, die die Mailänder Staatsanwaltschaft gegen Silvio Berlusconi erhebt. Der Regierungschef soll demnach im Frühjahr 2010 mehrmals mit der damals 17-jährigen Karima El Maroug alias “Ruby Rubacuori” (Ruby Herzensbrecherin) zusammengetroffen sein. Im Mai 2010 dann, als Ruby unter Diebstahlsverdacht und ohne Papiere festgenommen wurde, ließ Berlusconi im Mailänder Polizeipräsidium anrufen und erklären, das Mädchen sei “die Nichte des ägyptischen Präsidenten Mubarak” und erzwang ihre Freilassung. Seit das Immunitätsgesetz zugunsten des Regierungschefs in weiten Teilen außer Kraft gesetzt ist, schlagen die Staatsanwälte zu. Sie schickten Berlusconi eine Vorladung für eine Anhörung in den Tagen vom 21. bis zum 23. Januar. Und sie teilten mit, einen “unmittelbaren Prozess” für den 21. März ansetzen zu wollen. Auf Verkehr mit einer minderjährigen Prostituierten stehen sechs Monate bis drei Jahre Haft, auf Nötigung gar vier bis zwölf Jahre.
    Quelle 1: taz
    Quelle 2: Lastampa

    Anmerkung Orlando Pascheit: Es ist schon paradox. Da schafft es Berlusconi über fast zwei Jahrzehnte seine kriminellen Geschäftspraktiken einer Verurteilung zu entziehen, indem er eine Partei gründet und Mehrheiten erringt, mit denen er Gesetze zu seinem höchsteigenem Schutz durchbringt – und scheitert wahrscheinlich an einer gewöhnlichen Sexaffäre. Nicht die jahrelangen Bemühungen der Justiz, nicht die Opposition, schon gar nicht das Wahlvolk, sondern die eigene Hybris stürzt den “Cavaliere”.

  14. Über die Chancen der tunesischen Revolte
    Dem revoltierenden Tunesien fehlen die Verbündeten. Die einzelnen Solidaritätsdemonstrationen von Kairo bis Sanaa und von Algier über Amman bis Beirut bleiben symbolisch. Arabiens Regime haben weit machtvollere Demonstrationen ohne Schaden überstanden. Und die arabischen Potentaten werden jetzt alles tun, um jedwede Opposition mittels Geheimdienst, Polizei und brutaler Gewalt in die Schranken zu weisen. Die Flucht ihres geschätzten Kollegen Ben Ali ist ihnen Menetekel und Warnung genug.
    Und der Westen? Das salbungsvolle Geschwätz der europäischen und amerikanischen Politiker über die Etablierung von echter Demokratie, von Meinungs- und Pressefreiheit ist nichts als eine hohle Phrase. Weder in Algerien noch in Palästina hat der Westen demokratische Wahlergebnisse anerkannt, weil der Sieg an die Falschen ging. Und auch im finsteren Polizeistaat Tunesien hat sich die westliche Politik um demokratische Werte nicht gerade verdient gemacht. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Für die westliche Politik heißt das Zauberwort “Stabilität”. Wer sie garantiert, findet den Beifall des Westens.
    Quelle: taz

    Anmerkung unseres Lesers G.K.: Das “Zauberwort `Stabilität´” bedeutet in der politischen Tagespraxis zumeist: Jene politischen Kreise Arabiens werden unterstützt, welche die “geostrategischen Interessen” der westlichen “Eliten” (z.B. hinsichtlich Rohstoffen, Absatzmärkten) am tatkräftigsten bedienen, selbst wenn dies eindeutig den Bedürfnissen der arabischen Bevölkerung zuwiderläuft. So lange beispielsweise ein Sadam Hussein diesem Kriterium entsprach, konnte er straflos schwerste Verbrechen begehen. Erst als er diesen Interessen zuwider handelte, mutierte er zum arabischen “Dämon”. Diese Doppelzüngigkeit der westlichen “Eliten” dürfte der arabischen Bevölkerung auch wegen der Aktivitäten des Fernsehsenders Al Jazeera nicht gänzlich verborgen geblieben sein.

    Anmerkung WL: In Tunesien wären die europäischen Staaten oder die USA jetzt gefordert, beim Aufbau einer Demokratie Hilfestellung zu leisten. Aber stattdessen bekämpfen sie militärisch einen nicht greifbaren Terrorismus in Afghanistan oder sonstwo.

  15. Blue Elephants – ArbeitsmigrantInnen in der malaysischen Elektronikindustrie
    Der Film beschreibt die Arbeits- und Lebensbedingungen von Migranten und Migrantinnen in der malaysischen Elektronikindustrie – dem Silicon Valley Südostasiens. Die “Einwanderer auf Zeit” aus Ländern wie z.B. Indonesien, Nepal und Bangladesh müssen sich hoch verschulden, um die Vermittlungsgebühren in ihren Heimatländern zu zahlen. In Malaysia wird die Mehrheit über Leiharbeitsfirmen angestellt, die Löhne sind niedrig und die Arbeitszeiten lang. Sie erfahren eine doppelte Marginalisierung – als LeiharbeiterInnen und als MigrantInnen.
    Quelle: Weed Online
  16. Langhans als Vordenker
    Rainer Langhans zieht es in den Dschungel. Im Rahmen einer RTL-Sendung wird er dort mit anderen unbekannten Prominenten den Kasper der Nation geben. Im Vorfeld gab er einige Ansichten zu Protokoll, die zwar nichts Neues mit sich bringen, dafür aber nochmalig unterstreichen, dass Langhans und seine Kommunardenkollegen schon damals, schon 1968, zum wertlosen Beiwerk der Studentenbewegung gehörten.
    Quelle: ad sinistram
  17. Rezension: Ulrich Schneider, Armes Deutschland. Neue Perspektiven für einen anderen Wohlstand
    Armut ist so allgegenwärtig wie umstritten. Der Anspruch darüber aufzuklären, „was es mit der Armut in Deutschland tatsächlich auf sich hat“, ist deshalb mehr als nur ambitioniert. Um es vorwegzunehmen: Ulrich Schneider gelingt es in beeindruckender Weise, ihn einzulösen und ein eindringliches Plädoyer wider die Gleichgültigkeit zu formulieren.
    Sein Buch vereint die Lesbarkeit eines Essays mit analytischer Schärfe und wissenschaftlicher Sorgfalt in der Argumentation.
    Schneider weist in der daran anschließenden Analyse faktenreich nach, dass der deutsche Sozialstaat nicht einfach abgebaut, sondern im Interesse derer umgebaut wurde, die seiner eigentlich am wenigsten bedurften.
    Quelle: Der Paritätische 05/2010 S. 35
  18. Das Letzte: ARD darf Maschmeyer nicht mehr zeigen
    Eine Szene aus der ARD-Dokumentation “Der Drückerkönig und die Politik” über den Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer darf nach einem Gerichtsentscheid vorerst nicht mehr gesendet werden. Der NDR hat zwar angekündigt, gegen diese Entscheidung Widerspruch einzulegen, erwartet aber weitere Anträge Maschmeyers. Gerechnet wird mit einem generellen Verbot, Bilder von Carsten Maschmeyer zu zeigen. Die Vermutung, dass dies damit begründet werden könnte, sie seien geeignet, Skrupellosigkeit und Raffgier zu belegen, scheint hingegen polemisch beeinflusst zu sein. Zu erwarten ist vielmehr die Darstellung, dass Maschmeyer “keine Gelegenheit erhalten habe, angemessen zu gucken”.
    Quelle: SPIEGEL


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