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Titel: Hinweise des Tages (2)

Datum: 28. Januar 2011 um 17:05 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich:

Heute unter anderem zu folgenden Themen: Offener Brief der Stammbesatzung der Gorch Fock; Die Enttarnung der Schuldigen; „Ich wäre glücklich, könnte ich mehr Steuern zahlen“; Die Finanzkrise scheint vergessen; Michael Dauderstädt: Staatsgläubigerpanik ist keine Eurokrise!; Griechenland prüft cleveren Trick zur Entschuldung; Fünf Millionen für geschassten Manager; Den letzten beißen die Hunde: Der neue Trend der Lohndrücker; „Monopolisierung“ oder „Kooperation“; Individuelle Zusatzversicherung krankt; Missverständnis um Milliarden; Agrartreibstoffe gefährden Recht auf Nahrung; Bald noch mehr Gift im Essen? Aigners toxischer Gesetzentwurf; Zivil-militärische Aufstandsbekämpfung; Aufstände in Nordafrika; Bundestag verlängert deutschen Einsatz in Afghanistan; Israel gefährdet sich selbst; Großes Abkassieren vor dem Abzug; Und sonst so?; „Schavans Erfolgsmeldungen sind Etikettenschwindel“ (JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Offener Brief der Stammbesatzung der Gorch Fock
  2. Die Enttarnung der Schuldigen
  3. „Ich wäre glücklich, könnte ich mehr Steuern zahlen“
  4. Die Finanzkrise scheint vergessen
  5. Michael Dauderstädt: Staatsgläubigerpanik ist keine Eurokrise!
  6. Griechenland prüft cleveren Trick zur Entschuldung
  7. Fünf Millionen für geschassten Manager
  8. Den letzten beißen die Hunde: Der neue Trend der Lohndrücker
  9. „Monopolisierung“ oder „Kooperation“
  10. Individuelle Zusatzversicherung krankt
  11. Missverständnis um Milliarden
  12. Agrartreibstoffe gefährden Recht auf Nahrung
  13. Bald noch mehr Gift im Essen? Aigners toxischer Gesetzentwurf
  14. Zivil-militärische Aufstandsbekämpfung
  15. Aufstände in Nordafrika
  16. Bundestag verlängert deutschen Einsatz in Afghanistan
  17. Israel gefährdet sich selbst
  18. Großes Abkassieren vor dem Abzug
  19. Und sonst so?
  20. „Schavans Erfolgsmeldungen sind Etikettenschwindel“

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Offener Brief der Stammbesatzung der Gorch Fock
    Sehr geehrter Herr Minister,
    mit diesem Brief möchten wir uns als Stammbesatzung zu den Behauptungen, die in der Presse kursieren, äußern. Des Weiteren soll dieser Brief Ausdruck und Zeichen sein, wie sehr die Stammbesatzung hinter ihrem Kommandanten steht. […] In Salvador war eine Besatzungsfeier auf der Pier geplant. Diese wurde natürlich abgesagt. Vielmehr hat der Offizierslehrgang am letzten Tag in Salvador für die Besatzung und die Ausbilder ein Bier ausgegeben, um gemeinsam die Geschehnisse zu besprechen und die gute/richtige Reaktion der Schiffsführung auf diesen Unfall zu würdigen. Dies alles geschah im Gedenken an unsere verstorbene Kameradin und war vom Lehrgang gewünscht und initiiert. Das in der Presse veröffentlichte Bild entspricht somit nicht den Tatsachen! […] Wie oben ersichtlich, wurden nach dem Unfall in Salvador einige neue Voraussetzungen festgelegt, um die Sicherheit der Soldaten bei Arbeiten/Ausbildungen in der Takelage zu erhöhen. Auch hier hat die […] Zu keiner Zeit wurde hier an Bord ein Soldat von einem anderen angefasst oder gar sexuell belästigt. […]
    Der Name GORCH FOCK ist nach diesen Vorfällen nur noch sehr schwer reinzuwaschen. Dies bedauern wir und – wie wir denken – auch ein Großteil der deutschen Bevölkerung, die immer stolz auf ihre „Weiße Lady“ war, zutiefst! Wie viele Empfänge und Reisen wurden mit diesem Schiff durchgeführt. Überall, wo es auftauchte, freuten sich die Menschen über das Schiff und unser Land.
    Natürlich haben sich Politiker jeder Parteizugehörigkeit und übergeordnete Instanzen sehr gerne im Schein dieses Schiffes gefeiert. Genau diejenigen, die uns jetzt fallengelassen haben.
    Ich hoffe, sehr geehrter Herr Minister zu Guttenberg, Sie verstehen nun auch die Sicht der Stammbesatzung, die immer ihr Bestes gegeben hat, um sicher und qualitativ hochwertig Kadetten an Bord auszubilden. Wir werden nun in der Presse als schlechte Menschen, ja gar als Unmenschen dargestellt. Dies macht uns und unseren Familien sehr zu schaffen.
    Wir, die Stammbesatzung der Gorch Fock, fühlen uns sehr alleine gelassen – hier am Ende der Welt.
    Quelle: Spiegelfechter

    Anmerkung Jens Berger: Man kann zu den Riten und der Ausbildungspraxis auf der Gorch Fock durchaus geteilter Meinung sein. Es ist jedoch Grundlage eines fairen Journalismus, bei solchen Geschehnissen immer beide Seiten zu hören. Diese Grundregel wird bei der Berichterstattung über die Gorch Fock jedoch kategorisch verletzt. Während die Ankläger in der Presse herumgereicht werden, haben die Verteidiger einen Maulkorb bekommen und müssen vom anderen Ende der Welt tatenlos mit ansehen, wie aus Gerüchten plötzlich vermeintliche Fakten werden. Diese Art der Berichterstattung ist unfair, hat aber System. Während der anscheinend systematische Bruch der Grundrechte im Zusammenhang mit der Öffnung der Feldpost ganz leise zu einem Randthema wird, sind die vermeintlichen Skandale an Bord des Segelschulschiffs Thema Nummer Eins. Herrn zu Guttenberg dürfte das sehr gelegen kommen. Die Gegendarstellung der Stammmannschaft dürfte ihm hingegen überhaupt nicht in den Kram passen, denn Herr zu Guttenberg kannte auch diese Version der Geschehnisse bevor(!) er zur BILD-Zeitung ging und Kapitän Schatz öffenlichkeitswirksam über das Messer springen ließ.

  2. Die Enttarnung der Schuldigen
    Missmanagement, rücksichtsloses Gewinnstreben, schwere Fehler bei der Marktregulierung. Eine US-Untersuchungskommission deckt die Gründe für die Finanzkrise schonungslos auf – und nennt die die Verantwortlichen beim Namen.
    Schwerwiegende Fehler bei der Regulierung der Märkte, Missmanagement und rücksichtsloses Gewinnstreben an der Wall Street haben in den USA die weltweite Finanzkrise ausgelöst. Das ist die Quintessenz des Berichtes, den die Untersuchungskommission der US-Regierung vorgelegt hat. Das 576 Seiten dicke Gutachten wurde in den USA und weit darüber hinaus mit Spannung erwartet. Denn die zehnköpfige Gruppe, die Ursachen und Folgen der Finanzkrise untersucht hat, benennt konkrete Personen und Institutionen, die wesentlich für das Ausmaß der Krise verantwortlich sind. „Die Finanzkrise ist das Ergebnis menschlichen Handelns, sie ist weder naturgegeben noch auf fehlerhafte Computerprogramme zurückzuführen.“ So hätten etwa die US-Notenbank und weitere Regulierungsbehörden die Entwicklung eines „katastrophalen Finanzcocktails“ zugelassen, der mit wackeligen Hypotheken, faulen Krediten und riskanten Finanzpaketen zum Zusammenbruch des Systems geführt habe. „Wir haben geerntet, was wir gesät haben.“ Die kostspielige Krise ist aus Sicht der Kommission vermeidbar gewesen: „Der größte Fehler wäre es, in den allgemeinen Chor einzustimmen, dass niemand die Krise vorhersehen konnte und niemand etwas dagegen hätte unternehmen können. Wenn wir das akzeptieren, wird so etwas wieder passieren.“
    Den Regulierungsbehörden hätte es an politischem Willen gefehlt, die Institutionen zu überwachen und in die Pflicht zu nehmen, kritisieren die Autoren. Der US-Börsenaufsicht SEC wirft die Gruppe vor, bei der Regulierung der Großbanken versagt zu haben. So hätten die fünf größten Banken des Landes Rücklagen in Höhe von einer Milliarde Dollar gehabt, denen Verlusten von 40 Milliarden Dollar gegenüberstanden. Die Kommission weist darauf hin, dass zwischen 1998 und 2008 Spenden in Höhe von rund 2,7 Milliarden Dollar von Lobbygruppen des Finanzsektors nach Washington geflossen seien.
    Quelle: Frankfurter Rundschau

    Anmerkung unseres Lesers B.B.: USA du hast es besser. Da ist unsere Regierung noch weit davon entfernt – die betreiben lieber “Linken-Bashing”, damit alle kritischen Fragen schon gar nicht “auf`s Tapet kommen”. So ist in den USA die Regierung wegen der Mehrheiten im Repräsentantenhaus wohl nicht handlungsfähig etwas “Entscheidendes” gegen die Finanzmarktkrise zu unternehmen – aber sie wollen es wenigstens genau wissen. Schon einmal eine gute Voraussetzung für Weiteres!

  3. „Ich wäre glücklich, könnte ich mehr Steuern zahlen“
    Die britische Gesundheitsforscherin Kate Pickett hat ein altes Dogma der Ökonomen geknackt. Sie wies nach, dass zu viel Ungleichheit nicht anspornt zu mehr Leistung, sondern allen schadet – auch den Reichen.
    Quelle: Frankfurter Rundschau
  4. Die Finanzkrise scheint vergessen
    An der Wall Street hat die schönste Zeit des Jahres begonnen. Jedenfalls für die Finanzprofis der Investmentbanken, die in diesen Tagen ihre Bonuszahlungen erhalten. Die offizielle Statistik, die der New Yorker Rechnungshof alljährlich erstellt, ist noch nicht veröffentlicht. Nach dem, was Brancheninsider erzählen, kassieren die Banker schon wieder, als ob in den vergangenen Jahren nichts geschehen wäre. Die Boni steigen wieder, 2010 war für Investmentbanker besser als das Vorjahr“, sagt etwa Jeanne E. Branthover, die als Headhunterin der Personalberatung Boyden auf die Vermittlung von Kapitalmarktexperten spezialisiert ist. „Die Branche ist wieder da.“
    Quelle: Frankfurter Rundschau
  5. Michael Dauderstädt: Staatsgläubigerpanik ist keine Eurokrise!
    Es gibt keine Eurokrise, sondern nur ein Versagen der Finanzmärkte angesichts hoher Schulden einiger Staatshaushalte in der Eurozone. Die Außenhandelsungleichgewichte innerhalb der Eurozone hängen mit der Staatsschuldenproblematik nur wenig und indirekt zusammen. Ein Zerbrechen der Währungsunion oder Austritte aus ihr sind weder absehbar noch eine sinnvolle Lösung der Schuldenprobleme. Die europäische Integration erfordert vielmehr eine politische Transferunion, also ein langfristiges Stabilitätsengagement aller Eurostaaten und der EZB, um die Gläubiger zur Vernunft zu bringen.
    Quelle: FES [PDF – 120 KB]

    Anmerkung Orlando Pascheit: Michael Dauderstädt klärt u.a. darüber auf, dass die Schulden eines Landes nicht gleich denjenigen eines Staatshaushalts seien. Ein Staatshaushalt kann verschuldet sein, “ohne dass es das Land ist (wie z. B. in Deutschland oder in viel größerem Maße Japan), wenn seine Unternehmen und/oder Haushalte mehr sparen als der Staat mittels Neuverdürften schuldung absorbiert. Umgekehrt kann sich ein Land verschulden, ohne dass es sein Staat tut, wie es etwa in Spanien oder Irland für einige Jahre vor der Krise der Fall war, als deren Haushalte und Unternehmen sich munter im Ausland verschuldeten, der jeweilige Staat jedoch Überschüsse erzielte, weil der Ausgabenrausch des Landes seine Einnahmen kräftig wachsen ließ. Oft gibt es auch Fälle, wo beides im Gleichklang geschieht, also Staatshaushalt und Land gemeinsam Defizite (z.B. Griechenland oder – im gigantischen Maßstab die USA) bzw. Überschüsse (z. B. Luxemburg oder China 2007) aufweisen.”
    Dauderstädt hält einen Austritt einer Volkswirtschaft mit hoher Staatsverschuldung aus der Eurozone für sehr unwahrscheinlich, kommt aber in seiner Analyse auf die bisher nicht bedachte, interessante Überlegung, dass für diese Länder der (temporäre) Ausstieg aus dem Binnenmarkt durch Wiedereinführung von Zöllen eine Option darstellen könnte: „Importe würden verteuert und somit gesenkt, wodurch das Leistungsbilanzdefizit abnähme; die Staatseinnahmen würden steigen, womit das Haushaltsdefizit zurückginge. Durch eine entsprechende Zollstruktur könnte sichergestellt werden, dass notwendige Inputs für die Exportproduktion weniger belastet würden als etwa Güter des Luxuskonsums. Auch diese Option hätte erhebliche ökonomische und politische Kosten. Aber eine Bevölkerung, der immer mehr Opfer zur Bedienung überwiegend ausländischer Gläubiger zugemutet werden, wird bald nach Auswegen suchen und eventuell Politiker/innen wählen, die solche im Mantel nationalpopulistischer Rhetorik anbieten.“

  6. Griechenland prüft cleveren Trick zur Entschuldung
    Wenige Tage vor dem EU-Gipfel mehren sich die Rufe nach einem flexibleren Euro-Rettungsschirm. Die französische Finanzministerin Christine Lagarde nannte den Ankauf von Staatsanleihen hoch verschuldeter Staaten durch den Rettungsfonds EFSF am Freitag eine Option. „Wir sollten das Pro und Contra abwägen und entscheiden, was am wirksamsten ist“, sagte Lagarde. In der Euro-Zone wird derzeit darüber diskutiert, wie der Fonds gestärkt werden kann. Auch EZB-Chef Jean-Claude Trichet hält Bondkäufe durch den Fonds für ein probates Mittel. Das von EU und Internationalem Währungsfonds vor der Pleite bewahrte Griechenland denkt derweil laut darüber nach, wie ein freiwilliger Forderungsverzicht von Gläubigern seine drückende Schuldenlast künftig lindern könnte.
    Die Regierung in Athen erwägt konkret den Rückkauf von Staatsanleihen mit einem Abschlag zum Nennwert. „Das ist eine Idee, die diskussionswürdig ist“, sagte der Finanzminister Giorgos Papakonstantinou in Davos. „Dafür braucht man Geld.“ Sein Regierungschef Giorgos Papandreou hatte jüngst eine Zahlungsunfähigkeit ebenso wie eine Umschuldung des Landes ausgeschlossen. Angesichts des hohen Schuldenbergs wird am Markt dennoch daran gezweifelt, dass Griechenland seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Gläubigern nachkommen kann. Deshalb halten sich hartnäckig Gerüchte, wonach die Euro-Länder der Regierung in Athen aus Mitteln des EFSF einen Kredit gewähren könnten, mit dem das Land eigene Anleihen zum Marktpreis aufkaufen könnte. Dieser liegt teilweise um 30 Prozent unter dem Nennwert, weshalb dieses Verfahren auf einen freiwilligen Forderungsverzicht der Gläubiger hinausliefe.
    Quelle: WELT
  7. Fünf Millionen für geschassten Manager
    Frank Roth hat einen Vertrag mit der HSH Nordbank – eigentlich bis Juni 2011. Doch das Krisen-Institut hat ihn entlassen – zu Unrecht. Jetzt muss die Bank laut Medienberichten zahlen.
    Die HSH Nordbank zahlt dem zu Unrecht entlassenen Vorstand Frank Roth nach Angaben aus Kreisen etwa fünf Millionen Euro. Das krisengeschüttelte Institut habe sich mit dem Anwalt des früheren IT- und Personalvorstands darauf geeinigt, ihm die Ansprüche aus seinem bis Juni 2011 laufenden Vertrag, Pensionsansprüche und eine Entschädigung in dieser Höhe zu zahlen, sagte eine mit den Verhandlungen vertraute Person am Freitag. Das Gesamtpaket solle in mehreren Schritte ausgezahlt werden. Die Bank wollte sich nicht dazu äußern. Auch die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete am Freitag darüber. Damit erhält der 51-Manager etwa doppelt soviel wie der wegen riskanter Finanzgeschäfte und Spitzelaffären in Ungnade gefallene Bankchef Dirk Jens Nonnenmacher. Der Vorstandschef, der auf Druck der beiden Haupteigner Hamburg und Schleswig-Holstein Ende März seinen Hut nehmen muss, erhält nach früheren Informationen aus seinem bis Ende 2012 laufende Vertrag sowie Pensionsansprüchen Zahlungen in Höhe von rund zwei Millionen Euro. Als Nachfolger Nonnenmachers wurde der Investmentbanker Paul Lerbinger berufen. Der einstige Citigroup-Banker soll Anfang März bei der HSH anfangen und einen Monat später an die Spitze der staatlich gestützten Bank aufrücken.
    Quelle: Frankfurter Rundschau
  8. Den letzten beißen die Hunde: Der neue Trend der Lohndrücker
    Viele der freundlichen Paketboten, die an unseren Türen klingeln, führen täglich einen verzweifelten Kampf ums Überleben. Bezahlt nach Stückkosten, unterwegs auf eigenes Risiko, fahren sie gegen die Uhr, ohne Alterssicherung, oft ohne Krankenversicherung, ohne Geld für notwendige Fahrzeug-Reparaturen. Ihre Auftraggeber können sich geschickt aus der Verantwortung stehlen – mit einem perfiden System aus Sub und Sub-Subunternehmen. Monitor hat wochenlang in der Szene recherchiert und fand ein Modell, das Schule macht und das zu einer echten Bedrohung für die Sozialkassen geworden ist.
    Quelle: Monitor
  9. „Monopolisierung“ oder „Kooperation“
    Mitglieder der Initiative Notruf 113 fordern auch Vorsicht bei der Einrichtung von weiteren Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) durch private Klinikbetreiber oder deren Tochterfirmen.
    Seit 2004 erlaubt der Gesetzgeber die Einrichtung von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) zur ambulanten Versorgung von Patienten. Die Idee: Beliebig viele zugelassene Ärzte arbeiten fachübergreifend zusammen. Im Unterschied zu einer Gemeinschaftspraxis sind sie angestellt beim Träger des MVZ. Das Ziel ist die Konzentration der ambulanten Krankenversorgung auf wenige, aber effektive und kostengünstige Zentren. Inzwischen existieren mehr als 1.000 MVZ in Deutschland. […]
    Die Initiative „Notruf 113“ befürchtet eine „Monopolisierung der gesamten Gesundheitsversorgung“ in der Region. „Ein privater Krankenhausbetreiber sollte aus grundsätzlichen Erwägungen ein MVZ nicht betreiben dürfen“, sagt etwa Dr. Ulrike Kretschmann mit Blick auf das Rhön-Klinikum. Sie will das Argument der Kostenreduzierung nicht gelten lassen: Das ökonomische Interesse eines privaten Klinikbetreibers, seine Betten auszulasten und seine Fallzahlen zu steigern, berge die Gefahr, dass Patienten zwischen den ambulanten Medizinischen Versorgungszentren und dem börsennotierten Krankenhausbetreiber hin- und hergeschoben werden.
    Mit dieser Befürchtung steht „Notruf 113“ nicht allein: Dr. Thomas Spies etwa teilt die Sorge von Kretschmann, sagte er der OP. Spies fordert eine gesetzliche Neuregelung, die ausschließt, dass ambulante und stationäre Versorgung durch die Krankenkassen wie bisher getrennt abgerechnet werden. Er plädiert außerdem dafür, dass MVZ etwa durch Ärztekooperativen oder aber auch durch den Landkreis geführt werden sollten.
    Quelle: Oberhessische Presse
  10. Individuelle Zusatzversicherung krankt
    Die Reform kommt zwar erst im Herbst, aber die Union stellt schon jetzt die Weichen – und rückt von einem Kernstück der im Koalitionsvertrag vereinbarten Pflegezusatzversicherung ab. Damit verärgert sie ihren Koalitionspartner.
    Gleichzeitig verhindert sie größeres Unheil, denn die geplante Pflegereform ist in ihrer jetzigen Form zu bürokratisch und obendrein unnötig. Sollte Deutschland tatsächlich ein kapitalgedeckte, individuelle Pflegezusatzversicherung einführen, wie es Schwarz-Gelb ursprünglich vorhatte, würde dieser Schritt viel Bürokratie erforderlich machen.
    Die individuelle Kapitaldeckung krankt aber noch an einem weiteren Problem: Wenn die Versicherten kleine Beträge ansparen, kann sich das zwar jeder leisten, am Ende aber reicht das Geld nicht aus, um im Alter teure Pflegemaßnahmen zu bezahlen. Größere Sparbeträge – die Arme überfordern – wiederum würden einen Sozialausgleich erfordern, der zusätzlichen Aufwand bedeutet. Es ist höchste Zeit dass sich die Koalition von dieser Idee verabschiedet. Noch besser wäre es gewesen, sie hätte die Pflegezusatzversicherung gar nicht erst in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Denn entgegen vielen Unkenrufen ist die gesetzliche Pflegeversicherung recht solide finanziert. Das bestehende Umlageverfahren funktioniert.
    Quelle: FTD
  11. Missverständnis um Milliarden
    Gefälschte Unterschriften, fiktive Abrechnungen: Die Bekämpfung von Aids in Mauretanien ist offenbar ein Tummelplatz für Korruption. Von knapp 6,2 Millionen US-Dollar, die das Land vom “Globalen Fonds der Vereinten Nationen zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose” zur Aidsbekämpfung erhalten hat, seien 4,1 Millionen, also zwei Drittel, “verlorengegangen”, heißt es in einem internen Prüfbericht des UN-Fonds vom Oktober 2010. Mauretaniens Regierung habe zwar 1,7 Millionen zurückgezahlt, aber 2,4 Millionen stünden noch aus. […]
    Wegen dieser Vorfälle hat Deutschland diese Woche seine Finanzierung für den UN-Fonds vorläufig ausgesetzt. “Ich nehme die Vorwürfe von Korruption und Untreue gegen den Globalen Fonds in den Medien sehr ernst”, erklärte Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) am Dienstag. “Alle weiteren Auszahlungen an den Fonds habe ich bis zur vollständigen Aufklärung gestoppt.” Nächsten Montag soll es ein klärendes Gespräch beim Bundesentwicklungsministerium (BMZ) in Bonn geben.
    Der UN-Fonds, wichtigstes internationales Programm zur Bekämpfung der drei tödlichsten Seuchen der Welt, ist über diese Vorgehensweise irritiert. Als Ergebnis einer Überprüfung der Fondsprogramme in 33 Ländern in Höhe von 2,4 Milliarden Dollar seien erhebliche Unregelmäßigkeiten in vier Ländern festgestellt worden, sagt Fondssprecher Andrew Hurst in Genf: Dschibuti, Mali, Mauretanien und Sambia. Als Ergebnis würden jetzt 34 Millionen Dollar zurückgefordert – “0,3 Prozent aller Gelder, die der Fonds ausgezahlt hat”, heißt es in einer Erklärung. Die betroffenen Projekte seien eingefroren, strafrechtliche Ermittlungen im Gange.
    Wieso also zieht Deutschland die Notbremse, drei Monate nachdem der UN-Fonds selbst aktiv geworden ist, was in Berlin durchaus bekannt war? Grund ist offenbar eine Meldung der Nachrichtenagentur AP (dt: DAPD) vom Montag: “Bis zu zwei Drittel der Hilfsgelder des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria werden einem Bericht zufolge von der Korruption in den Empfängerländern aufgefressen … So sei bei einer internen Untersuchung aufgedeckt worden, dass 67 Prozent der Summen für ein Anti-Aids-Programm in Mauretanien fehlgeleitet wurden.”
    Quelle: taz
  12. Agrartreibstoffe gefährden Recht auf Nahrung
    Anlässlich der Markteinführung des neuen Benzins E 10, welches zu zehn Prozent Ethanol enthält, hat FIAN Deutschland an die schwerwiegenden sozialen Folgen der Produktion von Agrartreibstoffen erinnert und gefordert, dass die Nutzung erneuerbarer Energien nicht zu Verletzungen des Menschenrechts auf Nahrung führen darf. Die EU Richtlinie 2009/30/EG verpflichtet alle Mitgliedstaaten, ab 2011 Kraftstoff mit der Beimischung von zehn Prozent Ethanol auf den Markt zu bringen. […]
    Laut einer Studie des Londoner Instituts für europäische Umweltpolitik (IEEP) müssten bis 2020 bis zu 69.000 Quadratkilometer Ackerland für den Anbau von sogenannten Energiepflanzen zur Verfügung gestellt werden. “Dieses Ackerland dient bisher der Nahrungsmittelgewinnung oder müsste gänzlich neu erschlossen werden – durch Waldrodung”, kritisierte Pieper. “Die Produktion von Agrartreibstoffen bedroht daher auf dreierlei Art das Recht auf Nahrung: Erstens werden Wälder abgeholzt, welche vielen indigenen Gruppen als Nahrungsquelle dienen, zweitens treibt der Anbau von Pflanzen für die Agrartreibstoffgewinnung die Preise für Grundnahrungsmittel in die Höhe, da diese nun mit Energiepflanzen auf dem Weltmarkt in Konkurrenz treten, und drittens kommt es durch das gestiegene Interesse an Land nicht selten zur gewaltsamen Vertreibung von KleinbäuerInnen.”
    Quelle: epo
  13. Bald noch mehr Gift im Essen? Aigners toxischer Gesetzentwurf
    Bislang war Deutschland im Umgang mit Pestiziden eher streng – der angeblich verbraucherschützenden Ministerin Ilse Aigner offenbar zu streng. Das zumindest legt ein Gesetzentwurf aus Aigners Ministerium nahe, der MONITOR exklusiv vorliegt. Umweltschützer warnen vor einer “Katastrophe”. Sie befürchten, dass künftig ausgehend von den EU-Nachbarstaaten eine Giftwelle nach Deutschland schwappt. Denn laut Gesetzentwurf soll das Umweltbundesamt sein Vetorecht bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln verlieren, wenn das entsprechende Präparat schon eine Zulassung in einem anderen EU-Land hat. Das UBA hatte in der Vergangenheit für Deutschland mehrfach die Zulassung von besonders problematischen Pestiziden verhindert, auch gegen den Willen des Landwirtschaftsministeriums. Umwelt- und Verbraucherschützer werfen Ministerin Aigner daher vor, gegenüber der Chemie- und Agrarlobby einzuknicken.
    Quelle: Monitor

    Anmerkung M.B.: Auch, wenn letztes Jahr die Mittel bei der Absetzung von Peter Sawicki Andere waren – es erinnert doch an die Entmachtung des Pharma-Prüfinstituts IQWIG. Und sollten wir tatsächlich sicher sein, dass dieser Gesetzentwurf aus Aigners Ministerium stammt und nicht von der Chemischen Industrie ?!?

  14. Zivil-militärische Aufstandsbekämpfung
    Über die Nato und über die International Security Assistance Force (ISAF) in Afghanistan ist Deutschland strategisch und operativ in die Umsetzung der Doktrin integrierter zivil-militärischer Aufstandsbekämpfung (COIN) eingebunden. COIN ist mehr als eine Militärdoktrin; sie versteht sich als ein umfassendes Konzept für den Einsatz militärischer, politischer, wirtschaftlicher und propagandistischer Mittel in einem asymmetrischen kriegerischen Konflikt, in dem Regierung und Aufständische um die Kontrolle über die Bevölkerung konkurrieren. In der Studie wird die idealtypisch rekonstruierte COIN-Doktrin im Hinblick auf die Plausibilität der ihr zugrundeliegenden Annahmen und die sie stützende Evidenz analysiert und bewertet. Es geht dabei nicht darum, zu beurteilen, inwieweit die Doktrin gegenwärtig in Afghanistan umgesetzt wird. Beabsichtigt ist auch nicht, konkrete politische Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Vielmehr soll durch eine Konzept-Evaluation eine überfällige breitere Debatte über die COIN-Doktrin in Deutschland angestoßen werden. Scheitert der Ansatz in Afghanistan, so werden die Befürworter dies darauf zurückführen, dass der lange Atem, die politische Unterstützung und ein effektiver ziviler Beitrag fehlten. Vielfach wird es heißen: Die COIN-Doktrin sei an sich richtig, wurde bislang aber nirgendwo wirklich umgesetzt. Doch – und das ist die Kernthese dieser Arbeit – die Doktrin selbst ist problematisch. Sicher sind manche Elemente auf operativer und taktischer Ebene zweckmäßig; das erklärt ihre Attraktivität für militärische Organisationen und die Tendenz, die COIN-Doktrin zu dogmatisieren. Als eine die Komplexität reduzierende »Theorie« hat sie indes fundamentale Schwachpunkte.
    Quelle: SWP [PDF – 180 KB]

    Anmerkung Orlando Pascheit: Selbst wenn man dem Afghanistaneinsatz grundsätzlich ablehnend gegenüber steht, ob nun aus pazifistischen Motiven oder weil man speziell diesen Krieg für unsinnig und unverantwortlich hält, ist es sinnvoll, sich mit den Strategien des Einsatzes zu beschäftigen – auch wenn m. E. im Falle Afghanistans eher eine Strategielosigkeit vorherrschte und diese dann oft nachgereicht wurde, ohne dass auch nur im Ansatz eine Diskussion erkennbar war. Dennoch, oft wird schon durch die Analyse der angewandten Strategien klar, wie unhaltbar bestimmte Einsätze sind.
    So kommt denn auch der Autor, Peter Rudolf, in der Analyse des Konzeptes zivil-militärischer Aufstandsbekämpfung (COIN: Counterinsurgency) zu dem Schluss: “Gerade in Afghanistan zeigt sich insofern, wie sehr COIN als politisches Denksystem, das in den Erfahrungen und Interessen militärischer Organisationen wurzelt und der strategisch notwendigen Reduzierung von Komplexität dient, einen weit über das Militärische hinausgehenden Gestaltungsanspruch hat. Doch dieser dürfte nicht nur in der afghanischen Realität jede politische Steuerungsfähigkeit auf das Äußerste strapazieren, wenn nicht gar völlig überfordern. COIN ist – das sollte die Analyse der fragwürdigen Prämissen und der strategischen Dilemmata sowie der Blick auf die empirische Evidenz deutlich gemacht haben – ein überaus problematisches politisches Konzept.” – Das verheerende Urteil über COIN muss uns vor allen auch deshalb zutiefst beunruhigen, da diese Doktrin “im Rahmen der Nato sozialisierend auf die Streitkräfte auch jener Mitgliedstaaten [wirkt], denen der COIN-Ansatz bislang fremd war.”

  15. Aufstände in Nordafrika
    1. Ägypten vor verstärkter Protestwelle
      Der Machtapparat des ägyptischen Präsidenten Mubarak hat am frühen Freitagmorgen ein hartes Vorgehen gegen die erwartete nächste Protestwelle eingeleitet. Sondereinheiten der Polizei bezogen an strategisch wichtigen Plätzen Kairos Stellung. Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter haben eine wichtige Rolle bei Information und Koordination der Proteste gegen Mubarak gespielt – ähnlich wie in Tunesien, wo Präsident Ben Ali nach 23 Jahren autoritärer Herrschaft am 14. Januar vor einer Volksbewegung ins Exil floh. Am Donnerstagabend fielen in Ägypten die Verbindungen zu Facebook und Twitter aus, auch die SMS-Dienste für Mobiltelefone und Blackberry-Messenger-Dienste waren unterbrochen. Dann fiel nach Mitternacht das gesamte Internet aus.
      Als entscheidender Test gilt nun, inwiefern die Protestbewegung nach dem Freitagsgebet Rückhalt bei den Millionen von Gläubigen bekommt, die sich in und vor den Moscheen versammeln. Die Kundgebungen am Freitag werden nach allgemeiner Erwartung die bisher grössten werden.
      Quelle: NZZ

      Anmerkung Orlando Pascheit: Auffällig ist, dass altbewährte Oppositionspolitiker aber auch frühere IAEA-Chef Baradei bei den größtenteils jugendlichen Demonstranten nicht gut ankommen. Vollkommen offen ist, wer was wie unternehmen soll, denn programmatisch wie auch personell konzentrieren sich zurzeit die meisten Aussagen auf die Formel: Aufräumen mit dem alten Regime. Nicht auszuschließen ist, dass es der Regierung gelingt, liberale Ägypter auf ihre Seite zu ziehen, weil diese befürchten, dass die Muslimbruderschaft, die für eine Islamisierung des Staates steht, auf den fahrenden Protestzug aufspringt und letztlich vereinnahmt. – Dass der ägyptische Protest eine andere Dimension hat als der algerische oder tunesische. zeigt sich u.a. auch daran, dass der Leitindex EGX 30 seit Jahresbeginn um 21% eingebrochen ist. Vor allem das Ausland baut seine Portfolios ab. Das ägyptische Pfund fiel gegenüber dem Dollar auf den tiefsten Stand seit sechs Jahren.

      dazu: Ägypten: Das Leben ist unmöglich geworden
      Trotz der Verhaftungen, trotz der Brutalität der Polizei: Die Demonstrationen gehen weiter. “Entweder nimmt Gott Mubarak zu sich oder uns. Wir können einfach nicht mehr”
      Quelle: taz

    2. Es geht um Brot und Arbeit, nicht um die Scharia
      Es geht um eine Perspektive für das Leben, es geht um die Zukunft und nicht um islamistische Ideen: Die Demonstrationen in Ägypten lassen das Entstehen einer neuen politischen Kraft erahnen. […]
      Aber nicht nur die US-Regierung hält ihrem Verbündeten, dem seit fast 30 Jahren autoritär regierenden Hosni Mubarak, weiterhin die Stange. Auch die Sozialistische Internationale, deren Mitglied Mubaraks Nationaldemokratische Partei (NDP) ist, zeigt bisher keinerlei Interesse, die autoritäre Kleptokratenpartei auszuschließen. Vermutlich wird die Regimepartei also, wie schon zuvor Ben Alis RCD in Tunesien, erst ausgeschlossen, wenn Mubarak von der eigenen Bevölkerung ins Exil befördert sein wird.
      Dabei entsteht in Ägypten derzeit eine wirklich soziale und demokratische Bewegung, die gegen die Schwesterpartei der SPÖ und für demokratische Rechte und eine andere soziale und ökonomische Ordnung kämpft. Bei aller Heterogenität der Protestierenden, die sich aus den verschiedensten Bevölkerungsteilen zusammensetzen, eint sie die Wut über die immer katastrophaleren Lebens- und Arbeitsbedingungen und das lähmende, korrupte und autoritäre Regime eines greisen Diktators, der nun auch noch versucht, sein Amt an seinen Sohn weiterzuvererben.
      Quelle: Der Standard
    3. Freiheit unter Vorbehalt
      Hosni Mubarak ist Barack Obamas wichtigster Verbündeter im Nahen Osten. Deshalb fordern die USA nur halbherzig Reformen – sie brauchen Mubarak als Bastion gegen die Islamisten. Aus US-Sicht droht sonst ein Albtraum.
      Als hätten die USA nicht schon genug Scherereien im Nahen Osten. Zwischen Israelis und Palästinensern geht so erschreckend wenig, dass Barack Obama den einst mit Macht geforderten Friedensschluss in seiner Rede am Dienstagabend im Kongress nicht mit einem Wort erwähnte. In Tunesien waren die Amerikaner so vom Sturz des Diktators überrascht, dass es ihnen erst einmal die Sprache verschlug. Und im Libanon wurde ein Freund Washingtons an der Regierungsspitze von einem pro-syrischen Premier abgelöst. Jetzt also auch noch Ägypten.
      Aus US-Sicht könnte sich die Lage zum Albtraum entwickeln, wenn sich die in Ägypten – im Gegensatz etwa zu Tunesien – so starken Islamisten die Unruhe zunutze machen und an die Regierung kommen. “Das würde eine fundamentale Verschiebung der Machtstruktur in der Region zur Folge haben, die eine weit größere Bedrohung für US-Interessen darstellen würde als die iranische Revolution”, heißt es in einer Studie des renommierten Council on Foreign Relations.
      Tatsächlich stellen die Massenproteste auf Kairos Straßen die US-Regierung vor ein Dilemma. Auf der einen Seite ist es erklärte Politik Obamas, Meinungsfreiheit und Menschenrechte weltweit zu stützen. Auf der anderen Seite ist Hosni Mubaraks Regierung Amerikas wichtigster Verbündeter in der Region. Seit Jahrzehnten hat Kairo verlässlich die US-Interessen vertreten. Nur nach Afghanistan, Israel und in den Irak fließen mehr US-Hilfsgelder. Allein Ägyptens Armee wird jährlich mit 1,3 Milliarden Dollar gepäppelt, eine Armee, die offenkundig nicht nur der Landesverteidigung dient, sondern auch dem Schutz des Regimes im Inneren. Am Mittwoch tauchten erste Gerüchte auf, dass in der Hafenstadt Suez Soldaten eingesetzt wurden, um die Demonstranten in Schach zu halten – mutmaßlich mit Waffen und Geräten, die von den USA finanziert wurden.
      Quelle: Süddeutsche Zeitung
    4. Gärstoffe der Revolte
      Es ist kein Zufall, dass der Aufstand ausgerechnet in Tunesien begann. Eine kleine Archäologie der Revolution
      Quelle: Der Freitag
    5. Wichtige tunesische Ministerposten mit Unabhängigen besetzt
      Der tunesische Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi hat wichtige Vertreter der alten Garde in seinem Kabinett mit unabhängigen Ministern ersetzt. Damit kommt er der Forderung der Opposition nach. Ob der am Donnerstag bekannt gegebene Schritt die Kritiker beruhigt, ist unklar, denn Ghannouchi selbst ist ein Mann des alten Regimes und seit 1999 im Amt. Ausgetauscht wurden der Aussen-, der Innen- und der Verteidigungsminister. Das neue Übergangskabinett ist das zweite in nur zehn Tagen. Insgesamt tauschte Gannouchi zwölf Minister aus, neun gehörten schon der ersten Übergangsregierung an. Nun sind ausser dem Ministerpräsidenten nur noch drei Minister in der Regierung vertreten, die Verbindungen zu Ben Alis Partei RCD hatten. Zuvor waren es noch zehn.
      Quelle: NZZ

      Anmerkung Orlando Pascheit: Noch weiß man nicht, wie weit die alten Eliten grundlegende Veränderungen akzeptieren wollen, kluge Wendehälse sind sie allemal – und auch diese braucht man.

    6. Das Internet als Katalysator des Protests
      Die Gedanken sind frei – vor allem im Internet. Während das tunesische Regime noch Bilder der Unruhen zensierte, verbreiteten sie sich bereits im Netz – und der Funke griff auf andere Staaten über. Welche Rolle spielt das Internet bei Protesten in Nordafrika und im Nahen Osten? ARD-Korrespondenten geben Einblicke.
      Quelle: Tagesschau
  16. Bundestag verlängert deutschen Einsatz in Afghanistan
    Die Bundeswehr bleibt mindestens ein weiteres Jahr in Afghanistan. Der Bundestag stimmte mit breiter Mehrheit zu und ebnete den Weg für einen Abzug ab Ende dieses Jahres – falls die Lage es zulässt.
    Neun Jahre nach dem Beginn des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan hat der Bundestag die Weichen für einen Abzug gestellt. Das Parlament stimmte am Freitag mit großer Mehrheit für eine Verlängerung des Einsatzes, allerdings war es mit 72,5 Prozent etwas weniger Zustimmung als vor einem Jahr mit 73,2 Porzent. Der Abzug der Soldaten soll schon Ende dieses Jahres beginnen – aber nur, wenn die Sicherheitslage dies auch erlaubt. 419 von 578 Abgeordneten sprachen sich in der namentlichen Abstimmung für das neue Mandat aus, 116 waren dagegen und 43 enthielten sich. Die Linke kündigte zuvor in der teils emotionalen Debatte an, dagegen zu stimmen.
    Die Grünen wollten sich mit Mehrheit enthalten oder Nein sagen, die SPD wollte mehrheitlich zustimmen. Vor einem Jahr hatten 429 von 586 Parlamentariern für das damalige Mandat gestimmt, 111 Abgeordnete waren dagegen, 46 enthielten sich.
    Quelle: Tagesspiegel

    dazu: Die Kriegskinder
    Die meisten Grünen werden sich wieder enthalten. Nicht so Christian Ströbele und Omid Nouripour. Ströbele und Nouripour sind die Pole der Partei. Wenn es um die Grünen und den Krieg geht, hört man in der Öffentlichkeit vor allem die beiden. Ströbele spricht immer von einem sofortigen Ende des Kampfeinsatzes, Nouripour immer davon, was möglich ist, ohne die Afghanen im Stich zu lassen. Die Probeabstimmung nach der Aussprache endet mit einem eindeutigen Ergebnis: Die Mehrheit wird der Empfehlung der Fraktionsführung folgen und sich bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Frithjof Schmidt begründet das damit, dass es im neuen Mandat “eine ganze Reihe von unklaren Punkten und Widersprüchen” gebe. Grundsätzlich sei ein “Stabilisierungseinsatz” für Afghanistan aber auch aus Sicht der Grünen weiterhin sinnvoll.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Die Abstimmung ist wie erwartet gelaufen. Statt ihre Gespaltenheit offen zu machen, haben sich die Grünen wieder einmal vorbeigemogelt. Nach außen kann man so tun, als ob man dagegen wäre. Das Mandat sei schwammig, es sei unklar, wie lange Soldaten und Aufbauhelfer “in äußerster Gefahr” ihren Kopf hinhalten müssten, so Trittin. In diesem wichtigen Wahljahr, sollten wir uns klar machen und auch darauf reagieren, dass die Grünen sich inhaltlich bewusst bedeckt und vage halten, in Wirklichkeit aber durchaus fragwürdige Positionen vertreten (z.B. Rente 67). Im Falle Afghanistans sollten uns klar sein: Die Grünen sind mehrheitlich für den “Stabilisierungseinsatz” in Afghanistan, dabei pfeifen es inzwischen die Spatzen von den Dächern, egal wie lange wir bleiben, danach wird ein ähnliches Chaos herrschen wie im Irak nach den Abzug der USA.

    dazu: Krieg muss tabu sein
    Am Freitag stimmt der Bundestag über die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes ab. Wolfgang Börnsen ist einer von zwei Unions-Abgeordneten, die “Nein” sagen werden. Warum?
    Quelle: Stern

  17. Israel gefährdet sich selbst
    Israel paktiert mit Europas Rassisten – und wird so zu einer Gefahr für sich selbst. Die israelische Ghettomentalität und der Glaube, sich hinter Mauern abschotten zu müssen, könnte dadurch verstärkt werden.
    Vor einigen Wochen sangen sie im Gush-Katif-Museum in Jerusalem, das die „Vertreibung“ der Siedler aus Gaza dokumentiert, aus vollen Kehlen ein altes jüdisches Gebet: „Gesegnet seiest Du, Herr, unser Gott, König der Welt …“ Einer der vielen anwesenden Politiker aus Europa hatte einen besonders pietätvollen Gesichtsausdruck aufgelegt. Blaue Augen, großgewachsen, das Haar sorgfältig unter der Kippa gescheitelt: Heinz-Christian Strache, Chef der rechten FPÖ. Der Österreicher Strache, früher Mitglied einer neonazistischen Jugendbewegung und heute Verwalter des Erbes von Jörg Haider, hatte bei den Wahlen in Wien mit dem Ruf „Mehr Mut für unser Wiener Blut“ ein historisches Rekordergebnis für seine Partei erreicht.
    Wieso priesen Rabbiner und ein israelischer Vizeminister Gottes wundersame Taten in der Gegenwart jenes Mannes, den seine Anhänger zärtlich „Heinzi“ nennen? Die Antwort liegt in dem Prinzip, dass der Gegner meines Gegners mein Freund ist. Wenn Person A (europäischer Populist) den Koran mit „Mein Kampf“ gleichsetzt, wird er zwangsläufig von Person B (israelischer Populist) herzlich empfangen. Dieses Prinzip lässt führende israelische Politiker – vor allem die auf der nationalistischen Rechten – ihre Arme für eine bunte Mischung europäischer Ausländerfeinde, Ex-Faschisten und Fanatiker öffnen: Lasst sie zu uns kommen, solange Noam Chomsky und die übrigen radikalen Israel-Kritiker nicht rein dürfen.
    Quelle: Tagesspiegel
  18. Großes Abkassieren vor dem Abzug
    Neun Jahre Krieg in Afghanistan und kein Ende in Sicht. Jedes Jahr wird dieser wahnwitzige Krieg blutiger. Tausende Soldaten, Aufbauhelfer und Zivilisten bezahlten mit ihren Leben für das Afghanistan-Engagement. Tendenz jährlich steigend. Über 100 Milliarden Dollar kostete das Unternehmen Afghanistan bislang die Steuerzahler aus 45 Nationen. Das deutsche Wirtschaftsinstitut (DIW) berechnete den deutschen Anteil mit jährlich drei Milliarden Euro, bis zum Abzug könnten es 36 Milliarden Euro werden.
    Quelle: Stern
  19. Und sonst so?
    Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller möchte Bundesverfassungsrichter werden. Offenbar stehen seine Chancen gut, im ziemlich undurchsichtigen, längst dem parteipolitischen Proporzdenken anheimgefallenen Auswahlverfahren zum Zuge zu kommen. Immerhin hat Müller schon seinen Rückzug aus der Politik angekündigt. Er dementiert auch nicht, die Stelle ins Auge gefasst zu haben.
    Der Job am Bundesverfassungsgericht ist sicher so was wie ein juristischer Olymp. Schon von der Natur der Sache her sollten, ja müssen dort erstklassige Juristen sitzen. Gehört Peter Müller dazu? Die Zeit hat nach die Spuren von Müllers juristischer Karriere gesucht und ist auf nichts gestoßen, was man spektakulär nennen könnte. […]
    Laut Wikipedia errang Müller im Jahr 1990 ein Landtagsmandat und ist seitdem vom Justizdienst beurlaubt. Für die letzten 20 Jahre finden sich in der Wikipedia auch keine Hinweise auf eine Tätigkeit mit juristischem Bezug. Stattdessen war Müller offenbar in den letzten 20 Jahren Berufspolitiker und CDU-Parteisoldat. Aber vielleicht ist es ja gerade das, was ihn in den Augen der Entscheidungsträger für das Richteramt qualifiziert.
    Quelle: Lawblog
  20. „Schavans Erfolgsmeldungen sind Etikettenschwindel“
    Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hat eine positive Zwischenbilanz des Hochschulpaktes gezogen und den bisherigen Ausbau der Studienplätze als „vollen Erfolg“ bezeichnet. Bund und Länder hatten vereinbart, zwischen 2006 und 2010 rund 90.000 zusätzliche Studienplätze zu schaffen. Jetzt seien es doppelt so viele Plätze geworden, freute sich die Ministerin am 25. Januar in Berlin. Dazu kämen in den nächsten fünf Jahren weitere 275.000 Plätze. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wollte nicht in den Jubel mit einstimmen. Sie fürchtet, dass der Hochschulpakt unterfinanziert ist und das Geld schon vor 2015 ausgehen könnte.
    Die Bilanz des Bildungsministeriums sei lediglich ein Etikettenschwindel, so der Vorwurf des GEW-Hochschulexperten Andreas Keller. Er wies darauf hin, dass die bisherigen Kalkulationen weder die geplante Aussetzung der Wehrpflicht noch eine höhere Bildungsbeteiligung unter den Studienberechtigten eines Jahrgangs berücksichtigten. Deshalb forderte Keller Ministerin Schavan auf, den Hochschulpakt deutlich aufzustocken und sich für einen nachhaltigen Ausbau der Hochschulen über das Jahr 2015 einzusetzen.
    Keller machte zudem auf den Personalbedarf der Universitäten und Fachhochschulen aufmerksam. Dozentinnen und Dozenten, die jetzt eingestellt würden, dürften nicht nach kurzer Zeit wieder auf die Straße gesetzt werden. Keller bezog sich auf eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin. Darin geht die Autorin Silke Gülker von 30.000 zusätzlichen Stellen aus, welche die Hochschulen bis 2025 finanzieren müssen, um ihre wachsenden Aufgaben zu bewältigen.
    Quelle: zwd


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