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Titel: „250 Professoren – 10 Thesen – 1 Meinung“. Der wirtschaftswissenschaftliche Mainstream lässt sich für eine Wahlwerbekampagne der „INSM“ zugunsten der Union und FDP einspannen

Datum: 12. September 2005 um 15:37 Uhr
Rubrik: INSM, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Wahlen
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Mit so schlichten und fragwürdigen Thesen wie „Hohe Arbeitskosten und Steuerlasten behindern Unternehmertum und verhindern Arbeitsplätze“ oder „Wer Märkte stört, mindert die gesamtwirtschaftliche Nachfrage“ oder „Die Konsolidierung der Staatsfinanzen erfordert weitreichende Einschnitte auch in die sogenannten Sozialsysteme“ lassen sich wenige Tage vor der Wahl Vertreter der herrschenden neoklassischen Ökonomie mit ihren Unterschriften und mit Porträtfotos für eine „Anzeigenstrecke“ der in dreistelliger Millionenhöhe von Arbeitgeberverbänden finanzierten „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ einspannen.

250 Vertreter der ach so hehr daher kommenden Wirtschaftswissenschaften sind sich nicht nur zu schade, plumpe Wahlkampfhilfe für die konservativen Parteien zu leisten, sondern sie demonstrieren damit gleichzeitig, wie eindimensional und uniform und vor allem wie offen ideologisch der ökonomische „Sachverstand“ in Deutschland ausgerichtet ist. Wir haben auf den NachDenkSeiten vielfach beklagt, dass sich in den deutschen Wirtschaftswissenschaften ein übermächtiger Mainstream für die neoklassische, angebotsorientierte und marktradikale Glaubenslehre etabliert hat. Wir haben in der Auseinandersetzung etwa mit den Positionen der Professoren Sinn (Ifo), Straubhaar (HWWI) oder Raffelhüschen und vielen anderen der Unterzeichner eines so genannten „Hamburger Appells“ häufiger und oft aufwändig argumentierend nachzuweisen versucht, dass sie eine eindimensionale orthodoxe wissenschaftliche Lehrmeinung propagieren und dass sie einseitig, ja sogar parteiisch ökonomische Interessen der Großwirtschaft vertreten.

„1 Meinung“:
Wir hätten uns nie träumen lassen, dass 250 Vertreter der neoliberalen Glaubenslehre auch noch öffentlich bekennen, dass sie eine einzige uniforme Meinung vertreten.

„10 Thesen“:
Wir hätten es nie zu behaupten gewagt, dass sich diese uniforme Lehre auf einen Katechismus von 10 schlichten Thesen eindampfen lässt.

„250 Professoren“:
Wir hätten keinen besseren Beweis führen können, dass es in der deutschen Zunft der Wirtschaftswissenschaftler eine herrschende und gleichausgerichtete Lehre gibt, als das durch die Unterschriften von 250 Professoren, die als „crème de la crème“ der deutschen Wirtschaftswissenschaftler gehandelt werden, unter den sog. „Hamburger Appell“ dokumentiert wird.

Vor allem hätten wir keinen glaubwürdigeren Nachweis bieten können, dass diese Wirtschaftswissenschaftler nicht nur Vertreter einer einseitigen ökonomischen Lehre sondern gleichzeitig auch Vertreter von mächtigen Wirtschaftsinteressen sind. Denn wer sich vor den Karren der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ spannen lässt, weiß – oder müsste es zumindest wissen -, dass es sich dabei um eine millionenschwer ausgestattete Propagandaagentur der Arbeitgeberverbände mit einem eindeutig belegbaren Interessensbezug handelt.

Und schließlich hätten wir argumentativ kaum deutlicher erhärten können, dass die Vertreter dieser neoklassischen Lehre einseitig Partei ergreifen für die politischen Kräfte, die diesen interessensgeleiteten Wirtschaftskurs politisch umsetzen wollen. Denn allen Unterzeichnern und schon gar allen, die mit ihren Porträts auf den Anzeigen posieren, musste klar sein, dass mit einer Anzeigenserie der „INSM“ wenige Tage vor der Bundestagswahl Wahlpropaganda für die wirtschaftspolitischen Positionen von CDU und FDP betrieben wird.
An dieser Anzeigenkampagne wird zudem wieder einmal sichtbar, wie naiv oder verblendet jene Sozialdemokraten waren und sind, die sich der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ als Kuratoriumsmitglieder oder als Botschafter zur Verfügung gestellt hatten und haben: Wolfgang Clement (inzwischen ausgeschieden) Siegmar Moosdorf, Florian Gerster, Rainer Wend, der verstorbene Peter Glotz und so weiter. Sie haben dieser Arbeitgeberlobby erst einmal Glaubwürdigkeit verliehen – sie wollten den Tiger reiten und werden jetzt verspeist oder sie hatten sich schon längst auf die Seite der Tiger geschlagen.

Zum „Hamburger Appell“, zu seinen Unterzeichnern, zu kritischen Reaktionen von Wirtschaftswissenschaftlern:

Quelle: Wortlaut des „Hamburger Appells“
Quelle: Anzeigenserie der INSM
Quelle: Liste der unterzeichnenden Professoren
Quelle: Gegenrede des Hattinger Kreises
Quelle: Kritische Reaktion von Ekkehart Schlicht auf den „Hamburger Appell“


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