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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 20. Juni 2011 um 8:08 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Heute unter anderem zu folgenden Themen: Eurokrise; Memorandum 2011; Mitschuld an Finanzkrise: US-Börsenaufsicht will Rating-Riesen verklagen; Hartz-IV-Empfänger erreichen häufig nur unsichere Jobs; Krankenversicherung – Die Privaten werden immer teurer; Gesetzliche Krankenversicherung erwirtschaftet Milliardenüberschuss; PKV Basistarife – Behinderte begrenzt versicherbar; Sicherheitsrisiko – Viele Lokführer übermüdet und schlecht ausgebildet; Teller statt Tank; Man unterstützt sich im Wahlkreis; Was verborgen bleibt; Großbritannien: Gewerkschaften drohen mit Jahrhundert-Streik; Mal eben ausgespäht; Verordnete Tristesse; Gegen alles, was links ist; Gabriels schwere Geburt; Ein Viertel aller Studierenden verlässt Uni ohne Abschluss; Pseudowissenschaften – Der akademische Geist; Die Twitter-Krieger von Jerusalem (MB/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Eurokrise
  2. Memorandum 2011
  3. Mitschuld an Finanzkrise: US-Börsenaufsicht will Rating-Riesen verklagen
  4. Hartz-IV-Empfänger erreichen häufig nur unsichere Jobs
  5. Krankenversicherung – Die Privaten werden immer teurer
  6. Gesetzliche Krankenversicherung erwirtschaftet Milliardenüberschuss
  7. PKV Basistarife – Behinderte begrenzt versicherbar
  8. Sicherheitsrisiko – Viele Lokführer übermüdet und schlecht ausgebildet
  9. Teller statt Tank
  10. Man unterstützt sich im Wahlkreis
  11. Was verborgen bleibt
  12. Großbritannien: Gewerkschaften drohen mit Jahrhundert-Streik
  13. Mal eben ausgespäht
  14. Verordnete Tristesse
  15. Gegen alles, was links ist
  16. Gabriels schwere Geburt
  17. Ein Viertel aller Studierenden verlässt Uni ohne Abschluss
  18. Pseudowissenschaften – Der akademische Geist
  19. Die Twitter-Krieger von Jerusalem

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Eurokrise
    1. 20 beliebte Irrtümer in der Schuldenkrise
      Es ist wieder soweit: Griechenland braucht neue Kredite, und in Europa streiten die Regierungen darüber, ob das nötig ist und wer das zahlen soll. In Deutschland herrscht vielfach die Meinung vor, Griechenland sei selbst schuld an seinem Elend: Erst habe sich das Land in die Euro-Zone gemogelt, dann habe die Regierung zu viel ausgegeben, die Regierten hätten zu wenig gearbeitet. Genährt werden solche latent nationalistischen Deutungsmuster von deutschen Politikern und den Medien, die entsprechende «Lösungen» der Krise vorschlagen: Die Griechen müssten mehr sparen, mehr arbeiten und ihr öffentliches Eigentum verkaufen – und wenn das alles nichts hilft, muss Griechenland eben raus aus der Euro-Zone bzw. bankrott machen. Das Dumme daran: Weder sind die genannten Ursachen der Krise zutreffend, noch die Auswege zielführend.
      Quelle: Rosa Luxemburg Stiftung [PDF – 480 KB]
    2. Heiner Flassbeck – “IWF sollte sich aus der Euro-Krise heraushalten”
      Wie weiter beim IWF nach Strauss-Kahn? UN-Chefökonom Heiner Flassbeck spricht sich im heute.de-Interview dafür aus, dass ein Nicht-Europäer den Währungsfonds in die Zukunft führt – und kritischer mit Hilfen für strauchelnde Euro-Länder umgeht.
      Quelle: ZDF heute
    3. Ein letztes Aufgebot in Athen
      Die neue Regierung muss die eigene Partei überzeugen, die Troika beeindrucken und die “Empörten” auf der Straße zumindest zum Zuhören bringen. Dass dies fast unmöglich ist, zeigen die Probleme bei der Besetzung des Finanzministeriums: Der alte “Sparkommissar” Papakonstantinou wurde geopfert, weil er für die Demonstranten ein rotes Tuch und für die Fraktion ein ständiges Ärgernis war; bei der Troika aber galt er als “verlässlicher” Partner. Den unmöglichen Job bekam Ex-Verteidigungsminister Venizelos, der als Rambo gilt. Und vielleicht als letzte Hoffnung für eine Regierung, deren Schicksal von den Steuereinnahmen abhängt. Denn das künstliche griechische Wirtschaftswunder bestand darin, auf Pump einen verfetteten Staatssektor zu finanzieren, ohne das Steuerparadies für die Begüterten abzuschaffen. Nur wenn es den Steuersündern an den Kragen – und an die Auslandskonten – geht, werden die “Empörten” glauben, dass nicht nur sie zur Kasse gebeten werden.
      Quelle: taz

      Anmerkung Orlando Pascheit: Natürlich ist dies eher eine psychologische bzw. moralische Argumentation, die darauf hinausläuft, dass wenn man schon sparen muss, auch die Reichen ihren Beitrag leisten müssen. So selbstverständlich diese Haltung unter Aspekten der Gerechtigkeit, nicht nur in Griechenland, sein sollte, ökonomisch gewinnt man in Griechenland dadurch wenig. Ulrike Herrmann hat letztlich darauf hingewiesen, dass die Wohlhabenden Griechenlands knapp 6 Milliarden Euro pro Jahr in die Staatskasse einbringen könnten, was aber gegenüber einer Verschuldung von 340 Milliarden relativ wenig ist. – Ökonomisch ist die Reduktion des Staatshaushalts um 10 Prozent schlichtweg Irrsinn und ein Volksverhetzer ist, wer den Griechen unterstellt, sie würden nicht genügend sparen.

    4. Wir brauchen die Währungsunion 2.0
      Aus “Angst vor den Stammtischen” gehe die Bundesregierung das Problem zu mutlos an, sagt Regierungsberater Peter Bofinger. Er plädiert für ein gemeinsames europäisches Schatzamt:
      “Wir stehen an einer Weggabelung. So wie die Währungsunion jetzt beschaffen ist, hat sie keine Zukunft. Entweder die europäischen Staaten kehren zurück zu ihren nationalen Währungen oder sie treiben die Integration voran. Auch ich habe früher unterschätzt, welches Maß an politischer Kooperation für das Funktionieren der Währungsunion offenbar notwendig ist. … Wir brauchen eine Währungsunion 2.0. Das heißt, wir sollten ein gemeinsames europäisches Schatzamt gründen, das Staatsanleihen für die gesamte Eurozone herausgibt. Im Gegenzug dazu benötigen wir eine stärkere Kontrolle über die nationalen Haushalte. Sie könnte beispielsweise darin bestehen, dass Länder, deren Verschuldung 80 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung übersteigt, was etwa dem aktuellen deutschen Niveau entspricht, ihren Haushalt vom EU-Parlament genehmigen lassen müssen. Verstößt ein Staat gegen die Sparauflagen des Parlaments, sollte er die Eurozone in letzter Konsequenz verlassen. … Bei den Eurobonds der Mitgliedsländer gäbe es keinen Unterschied mehr zwischen griechischen, italienischen oder auch deutschen Papieren. Die Investoren auf den Kapitalmärkten könnten nicht mehr unterscheiden, wem sie ihr Geld leihen. Damit wäre ihnen auch die Möglichkeit genommen, die Zinsen einzelner Länder in die Höhe zu treiben und gegen sie zu spekulieren. Auf diese Weise würde die Politik dafür sorgen, dass sie den Märkten gegenüber wieder das Heft das Handelns übernimmt. Insbesondere könnte man auf diese Weise verhindern, dass nicht bald auch noch Länder wie Spanien und Italien in den Strudel der Schuldenkrise geraten.”
      Quelle 1: taz

      Anmerkung Orlando Pascheit: Es ist schon bemerkenswert, dass Peter Bofinger, ein Eurobefürworter der ersten Stunde, einräumt, er habe unterschätzt, „welches Maß an politischer Kooperation für das Funktionieren der Währungsunion offenbar notwendig“ sei. Er setzt sich damit von der “Grundsteintheorie” ab und nähert sich der sog. Krönungstheorie, Positionen, die seit dem ersten Plan einer gemeinsamen Währung von Pierre Werner in den frühen 70ern gegeneinanderstehen. Die “Grundsteintheorie” oder „Motortheorie“ postuliert, dass die frühe Einführung einer Gemeinschaftswährung zu einer Stärkung der politischen Integration führe. Diese entwickle eine enorme Schubkraft im wirtschaftspolitischen Abstimmungsprozess und zöge eine weitere Flexibilisierung der Märkte nach sich, die dazu beitrage, die nationalen Entwicklungsunterschiede ohne Beschäftigungseinbußen in den peripheren Gebieten des neuen Währungsraumes abzubauen. Die Krönungstheorie hingegen geht davon aus, dass eine tiefere politische und ökonomische Integration Europas Voraussetzung einer Währungsunion sei. Nur eine einheitliche Wirtschafts- und Fiskalpolitik könne eine gemeinsame Geldpolitik gewährleisten. Andernfalls würden die schwächeren Volkswirtschaften einem zu harten Anpassungsdruck ausgesetzt, dessen Kosten Transferzahlungen nach sich zögen und so die politische Zustimmung zur gemeinsamen Währung und letztlich die Stabilität des neuen Geldes selbst aufweiche. In der Konsequenz wäre selbst dann nur eine kleine Währungsunion sich sehr ähnlicher Volkswirtschaften denkbar, denn auch eine gemeinsame Wirtschafts- und Fiskalpolitik ist in einem Währungsraum mit einem großen Entwicklungsgefälle nicht vorstellbar – ohne einen substantiellen Finanzausgleich. Beispiel: Deutsche Währungsunion.
      Bofingers Vorschlag einer Auflage von Eurobonds ist nicht neu und hat in der Tat den Charme, die Spekulation gegen die Anleihen einzelner Staaten zu unterbinden. Der Preis von deutscher Seite wäre, dass Deutschland für Eurobonds wahrscheinlich höhere Zinsen zahlen müsste als für deutsche Anleihen allein. Soweit so gut. Die weiteren Vorschläge Bofingers laufen allerdings auf eine Verschärfung des Maastricht- Regimes hinaus, nämlich auf die Möglichkeit eines Hinauswurfs aus dem Euro, nur dass letzten Endes das europäische Parlament über Verschuldung und Sparbemühungen einzelner Mitgliedstaaten urteilen würde. Nun ist die Genehmigung eines Haushalts durchaus eine der wichtigsten Aufgaben eines Parlaments, aber des Europäischen Parlaments? Das europäische Parlament ist in seinen Befugnissen nicht im geringsten mit den nationalen Parlamenten der Mitgliedstaaten der EU zu vergleichen. Voraussetzung eines Parlaments mit solchen Befugnissen ist die politische Union Europas, das heißt die Wahl europäischer Parteien in ein europäisches Parlament, welches dann eine europäische Regierung stellt.
      Bei der von Bofinger angedachten Überschreitung einer Staatsverschuldung von 80 Prozent als Kriterium für das Eingreifen des Parlaments, wären heute nicht nur Griechenland, Irland und Portugal, sondern auch Italien und Belgien einer verschärften Kontrolle unterworfen. Statt sich zu überlegen, wie die Not leidenden Volkswirtschaften realwirtschaftlich wieder auf die Beine kommen, entpuppt sich Bofinger leider als ein weiterer Kontrollfreak von Sparbemühungen. Ähnlich hat sich der Chef der Europäischen Zentralbank, Jean- Claude Trichet, letztlich bei der Verleihung des Karlspreises geäußert, nur dass hier ein europäisches Finanzministerium das Recht bekommen sollte, direkt in einem Mitgliedstaat einzugreifen („Durchgriff auf die Wirtschaftspolitik der Länder“), wenn dieser seine Haushalts- und Wirtschaftsprobleme nicht mehr aus eigener Kraft bewältigen könne. Trichet und Bofinger wollen Institutionen stärken und negieren in der Praxis eine echte Koordinierung der Wirtschaftspolitik, in dem sie diese auf die Vergabe von Sanktionen beschränken. – Im Übrigen ist das Loblied Trichets auf die Erfolge der Eurozone nur schwer nachvollziehbar: „Die Wirtschafts- und Währungsunion hat Wachstum gebracht“. Nach Angaben der Kommission ist die ursprüngliche Währungsunion von 2001 bis 2010 auf ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 1, 1 Prozent gekommen. Die jährliche Zunahme der Beschäftigten um 0,6 Prozent kann ebenso gut den statistischen Tricksereien der Mitgliedsländer zugeschrieben werden, wie wir sie bei uns beobachten können. Die durchschnittliche Arbeitslosigkeit ist jedenfalls mit 8,6 Prozent genauso hoch wie in den 80ern, bevor sie durch die Vorbereitung auf die Währungsunion in den 90ern noch höher getrieben wurde. 2011 wird die Arbeitslosenrate wahrscheinlich bei 10 Prozent liegen. Und ob die niedrige Inflationsrate wirklich der Währungsunion zu verdanken ist, ist angesichts der globalen moderaten Preissteigerungen im letzten Jahrzehnt zu bezweifeln. Auch ohne Euro-Krise, die Trichet leugnet, ein Erfog der Währungsunion sieht anders aus.

      Quelle 2: www.france-allemagne.fr [PDF – 400 KB]

      besser lesbar:

      Quelle 3: Handelblatt

  2. Memorandum 2011
    Interwiew mit Heinz-J. Bontrup:
    Seit über 30 Jahren gibt die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik jeweils zum 1. Mai ihre wirtschaftspolitischen Memoranden heraus. Sie figurieren mittlerweile völlig zu Recht als Gegenentwurf zum Jahresgutachten des so genannten Sachverständigenrates.
    Im ersten Teil unseres Interviews mit dem Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Heinz-J. Bontrup, geht es um die nationale Ökonomie. Schwerpunkte hierbei sind die Fragen nach der Stabilität der gegenwärtigen Konjunktur und nach dem Zustand des Arbeitsmarktes.
    Quelle: Trotzfunk
  3. Mitschuld an Finanzkrise: US-Börsenaufsicht will Rating-Riesen verklagen
    Sie ist bei Banken gefürchtet – und legt sich nun mit den mächtigen Analysten an: Die US-Börsenaufsicht SEC erwägt laut einem Zeitungsbericht Betrugsklagen gegen die großen Rating-Agenturen. Ihre Fehlbewertungen hatten die Finanzkrise maßgeblich mitverursacht.
    Quelle: SPIEGEL Online

    Anmerkung Orlando Pascheit: Man kann manches an den USA kritisieren, in der juristische Aufarbeitung der Finanzkrise sind sie uns weit voraus.

  4. Hartz-IV-Empfänger erreichen häufig nur unsichere Jobs
    Im Jahr 2008 haben über eine Million Hartz-IV-Empfänger eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen. Nur 55 Prozent dieser Jobs dauerten länger als sechs Monate. Fast die Hälfte der Beschäftigten musste zusätzlich Hartz-IV-Leistungen beziehen, weil ihr Verdienst ihren Lebensunterhalt nicht decken konnte. Das zeigt eine am Dienstag veröffentlichte Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
    Quelle 1: Informationsdienst Wissenschaft
    Quelle 2: IAB-Studie [PDF – 500 KB]
  5. Krankenversicherung – Die Privaten werden immer teurer
    Die private Krankenversicherung wird jedes Jahr teurer. Und die Beitragssteigerungen fallen immer höher aus. In den vergangenen zehn Jahren erhöhten die Versicherungen die Tarife für Männer um jährlich 5,67 Prozent, bei Frauen um 4,29 Prozent. Im schlimmsten Fall kletterten die Preise im Durchschnitt um fast 13 Prozent im Jahr
    Quelle: FAZ
  6. Gesetzliche Krankenversicherung erwirtschaftet Milliardenüberschuss
    Die Finanzentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verläuft deutlich besser als im vergangenen Jahr. Das teilte das Bundesgesundheits­ministerium (BMG) heute mit.
    Demnach nahmen die Krankenkassen im ersten Quartal 2011 rund 45,85 Milliarden Euro ein und gaben etwa 44,38 Milliarden Euro aus. Daraus ergibt sich ein Überschuss von knapp 1,47 Milliarden Euro. Im Vergleichs­zeitraum des Vorjahres hatten die Kassen lediglich ein Plus von 235 Millionen Euro erwirtschaftet.
    Quelle: Ärzteblatt
  7. PKV Basistarife – Behinderte begrenzt versicherbar
    In ihrem aktuellen Aktionsplan zur Integration Behinderter wertet es die Bundesregierung als Erfolg, dass mit dem Basistarif der Privaten Krankenversicherungen ein Angebot geschaffen wurde, welches allen Behinderten offen steht. Doch die Basistarife sind für Behinderte eher ungeeignet. […]
    Mit den Basistarifen werden von der Bundesregierung nun ausgerechnet jene Angebote erwähnt, die von den privaten Versicherungen selbst als lästiges Übel betrachtet werden – und von denen sie sich schnellstmöglich wieder befreien wollen. Denn als die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die privaten Anbieter im Jahre 2009 verpflichtete, einen Tarif anzubieten, der – unabhängig von Vorerkrankungen und Risikoprüfung – allen Versicherten offen steht, zog die Assekuranz bis vor das Bundesverfassungsgericht und wollte die Einführung verhindern. Die Basistarife: sie sind das ungeliebte Stiefkind der privaten Versicherer.
    Ein wesentlicher Grund für die ablehnende Haltung besteht darin, dass die Versicherungen befürchten, besonders viele alte und kranke Menschen würden den neuen Tarif in Anspruch nehmen. Da die private Assekuranz mit den Beitragszahlungen ihrer Mitglieder Altersrückstellungen ansparen muss, sieht man mit den Basistarifen einen entscheidenden Grundsatz der Beitragsberechnung gefährdet: wer als Teil einer Risikogruppe rein statistisch höhere Kosten verursachen könnte, soll gefälligst auch mehr für seinen Vertrag zahlen. Hier werden Erinnerungen an den alten Witz wach, dass nur gesunde und junge Menschen in der PKV Versicherungsschutz genießen. Entsprechend sind auch viele Basistarife gestaltet. So mancher Vertrag leistet nicht viel – und für Behinderte noch weniger.
    Quelle: Versicherungsbote
  8. Sicherheitsrisiko – Viele Lokführer übermüdet und schlecht ausgebildet
    Vor allem bei privaten Güterbahnen herrschen haarsträubende Zustände. Den Führerschein gibt es auf dem Schwarzmarkt. […]
    In der Theorie gibt es zwar seitenlange Vorschriften für jeden Lokomotivtypen. So ist für zahlreiche deutsche Bahnhöfe, die aufgrund ihrer Lage schwer anzusteuern sind, eine „Richtlinie Standort“ hinterlegt. Die muss ein Lokführer gründlich lesen, dann muss er mit einem erfahrenen Kollegen die Einfahrt in den schwierigen Bahnhof üben. Das aber, sagt Lokführer Bernhard „wird so gut wie nie überprüft.“ […]
    Immerhin kontrolliert das EBA Ausbildungsschulen für Lokführer – so effizient, wie das eine Bundesbehörde eben kann, bei der jedes Jahr weitere Stellen abgebaut werden. „Wir beschränken uns auf Stichproben“, gesteht ein Beamter. Zwei Lokfahrschulen hat das EBA im vergangenen Jahr die Zulassung entzogen. „Das Hauptproblem ist doch, dass die Bahnunternehmen am Ende selbst bestimmen, wer die Prüfung besteht oder nicht“, sagt der Chef der Lokführergewerkschaft, Claus Weselsky. Die Anbieter seien wirtschaftlichen Zwängen unterworfen. „Die Bewertungskriterien, wer bestanden hat oder nicht, können daher nicht objektiv sein. Wir brauchen eine Zertifizierung der Firmen.“ […]
    Bislang ist der politische Wille, an dem System etwas zu ändern, nicht besonders ausgeprägt. Vielleicht ist es das schlechte Gewissen. Denn die mangelnde Überprüfung der Lokführer und ihrer Ausbildung verweist auf einen grundsätzlichen Misstand, den es seit der Liberalisierung des Bahnverkehrs in Deutschland gibt.
    Quelle: WELT
  9. Teller statt Tank
    Die Weltmarktpreise für Getreide und andere Lebensmittel haben aktuell wieder das Niveau der Lebensmittelkrise im Sommer 2008 erreicht. Viele afrikanische Länder verzeichnen im Vergleich zum vergangenen Jahr Anstiege von 50 bis 60 Prozent – für viele Menschen werden Mais oder Reis damit wieder unbezahlbar. Es könnte eine Frage der Zeit sein, bis es erneut zu Hungerrevolten kommt. Dies dürften die Agrarminister der G-20-Staaten im Blick haben, wenn sie am 22. und 23. Juni in Paris zusammenkommen, um über Strategien für mehr Ernährungssicherheit zu beraten. Es ist ein Thema, das eigentlich ganz oben auf der Agenda stehen müßte, denn Hunger und Durst treiben jedes Jahr Millionen Menschen zur Flucht in die Industrieländer. Doch bislang wird von seiten der Politik wenig unternommen, um die Situtation in den Entwicklungsländern zu entschärfen.
    So hat die massive Förderung der Agrarkraftstoffproduktion maßgeblich zur Verknappung und damit Verteuerung von Getreide, insbesondere Mais, aber auch von Ölpflanzen und Zucker auf dem Weltmarkt beigetragen. Doch der Trend wird anhalten, wenn es keinen scharfen Kurswechsel in den Industrie- und Schwellenländern der G 20 gibt. Nach einer am Freitag von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) veröffentlichten Schätzung werden im Jahr 2020 bei Getreide 13, bei Pflanzenöl 15 und bei Zucker sogar 30 Prozent der Weltproduktion für die »Biosprit«-Erzeugung verwendet. Marita Wiggerthale, Agrar- und Handelsexpertin bei der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam Deutschland, findet es in diesem Zusammenhang »erstaunlich«, daß in der gleichen Prognose davon ausgegangen wird, daß die Lebensmittelpreise bis 2020 wieder zurückgehen. Dagegen gehen Experten, die Oxfam mit einer Prognose beauftragt hat, davon aus, daß die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel bis 2030 im Vergleich zu 2010 um 120 bis 180 Prozent steigen werden, wenn die Folgen des Klimawandels berücksichtigt werden.
    Quelle: Junge Welt
  10. Man unterstützt sich im Wahlkreis
    Das hessische CDU-Sozialministerium kümmert sich um die Sorgen einer Privatklinik. Eine Klinik, die zufällig großzügig an die CDU gespendet hat.
    Quelle: taz
  11. Was verborgen bleibt
    Dass Politiker Spenden annehmen, ist demokratisch. Trotzdem bleibt der Öffentlichkeit vieles verborgen. Die 13 wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema Parteispenden.
    Quelle: taz
  12. Großbritannien: Gewerkschaften drohen mit Jahrhundert-Streik
    Im Streit um den Sparkurs der britischen Regierung droht dem Land eine Streikwelle. Sollte die Regierung ihre Pläne zur Reform des öffentlichen Dienstes nicht anpassen, werde Großbritannien den größten Arbeitskampf seit dem Generalstreik 1926 erleben, drohte der Generalsekretär der Gewerkschaft Unison, Dave Prentis, am Samstag in einem Interview mit der Zeitung “Guardian”.
    Quelle 1: Der Standard
    Quelle 2: Guardian – Biggest strike for 100 years – union chief

    dazu passend: Pennys zählen – so wie Poormum es tut
    Die britische Regierung streicht und kürzt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Machen die Bürger das mit?
    Quelle: ZEIT

  13. Mal eben ausgespäht
    Die Technik ist da, die Polizei hat sie genutzt: Bei Protesten gegen Neonazis wurden in Dresden zehntausende Handydaten erfasst. Betroffene erwägen nun, dagegen zu klagen.
    Die Dresdner Polizei hat bei den Antinaziprotesten im Februar dieses Jahres die Handyverbindungen von tausenden Demonstranten, Anwohnern, Journalisten, Anwälten und Politikern ausgespäht. Wie die Staatsanwaltschaft Dresden der taz bestätigte, wurde am 19. Februar weiträumig eine sogenannte Funkzellenauswertung (FZA) durchgeführt.
    Dabei erfasste die Polizei über einen Zeitraum von mindestens viereinhalb Stunden sämtliche Anrufe und SMS-Nachrichten, die bei allen Personen ein- oder ausgingen, die sich in der Südvorstadt aufhielten. Gespeichert wurden auch die exakten Positionen der Telefonnutzer. 12.000 Menschen wohnen in dem überwachten Gebiet, hinzu kamen an diesem Tag tausende Demonstranten, etliche Journalisten, Anwälte und Politiker.
    Quelle: taz
  14. Verordnete Tristesse
    Schimmel, Schikane und die Tücken der Flüchlingswährung »Gutschein« – das ist die Realität der Migranten im Lager Zella-Mehlis in Thüringen. Nur arbeiten dürfen sie nicht. Der UN-Sozialausschuß hat Ende Mai Deutschland wegen des Umgangs mit Asylsuchenden gerügt: Sie lebten in überfüllten Unterkünften, erhielten ungenügende Sozialleistungen, hätten keinen Zugang zum Arbeitsmarkt, lediglich medizinische Notfallversorgung werde gewährt – doch die Hardliner im Landratsamt Schmalkalden-Meiningen ficht das nicht an: Das Heim will man nicht schließen, einzig Familien mit langem Aufenthalt in der Gemeinschaftsunterkunft »zum Teil« in Einzelwohnungen unterbringen. Für alle anderen hält man die schimmlige und feuchte Unterkunft offenbar zumutbar.
    Quelle: Junge Welt

    Anmerkung Orlando Pascheit: Eine Reportage kann natürlich so konzipiert sein, dass sie einfach den Augenschein und die geführten Gespräche wiedergibt und dazu die Einlassungen der verantwortlichen Behörde setzt. Aber interessieren würde schon, ob es tatsächlich stimmt, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entsprechend geschulten Asylanten den Dienst in der Bundeswehr anbietet.

  15. Gegen alles, was links ist
    Sozialdemokraten stehen bei der ab Dienstag tagenden Innenministerkonferenz als Partner für Law-and-Order-Politik bereit
    Bei ihrer Frühjahrskonferenz am Dienstag und Mittwoch in Frankfurt/M. wollen sich die Innenminister von Bund und Ländern wieder einmal mit einem etwaigen Verbotsverfahren gegen die NPD befassen oder zumindest Möglichkeiten prüfen, wie man die Neonazis von der staatlichen Parteienfinanzierung ausschließen könnte. Es ist zu befürchten, daß bei den Beratungen wie schon in der Vergangenheit wieder einmal nichts herauskommen wird. Nun rächt sich, daß im Bundestag immer wieder die von der Linken geforderte Antifaschismusklausel im Grundgesetz abgelehnt worden ist; eine solche Verfassungsbestimmung würde es den Behörden erleichtern, gegen den rechten Rand vorzugehen.
    Quelle: Junge Welt
  16. Gabriels schwere Geburt
    Nach mehr als einem Jahr steht nun das Abgaben- und Steuerkonzept der SPD. Die Projektgruppe will für Einkommen zwischen 53.000 und 100.000 Euro eine dritte Progressionszone einführen – mit einem Steuersatz von 49 Prozent.
    Seit mehr als einem Jahr haben sie gerechnet, jetzt haben die 25 Mitglieder der SPD-Projektgruppe für ein Abgaben- und Steuerkonzept ihre Arbeit beendet. Am Montag will SPD-Chef Sigmar Gabriel nach Informationen der FR im engsten Kreis über die Konsequenzen beraten. Zu diesem Kreis gehören Gabriels vier Stellvertreter und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück. Die Erwartungen sind groß: „Das Steuerkonzept muss ein großer Wurf werden“, sagt ein Mitglied der Parteispitze.
    Ob das gelingt, ist zumindest fraglich. […] Die Projektgruppe unter Leitung von SPD-Fraktionsvize Joachim Poß macht nach FR-Informationen einen klaren Vorschlag für den Verlauf der Tarifkurve: Bis zu einem zu versteuernden Einkommen von knapp 53.000 Euro im Jahr (Alleinstehende) soll sich bei der Einkommensteuer nichts ändern. Ab dieser Summe greift heute der Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Die SPD-Experten möchten von 53.000 bis 100.000 Euro nun eine dritte Progressionszone einführen. […] Gabriel befindet sich in der Zwickmühle: Gerne möchte er aus Marketing-Gründen das Steuerkonzept von Ex-Finanzminister Steinbrück präsentieren lassen. Doch für ein reines Steuererhöhungsprojekt steht dieser nicht zur Verfügung.
    Quelle: Frankfurter Rundschau

    Anmerkung Jens Berger: Herr Steinbrück steht also für ein „reines Steuererhöhungsprojekt“ nicht zur Verfügung? Warum überrascht das NachDenkSeiten-Leser nicht?

  17. Ein Viertel aller Studierenden verlässt Uni ohne Abschluss
    Rund 24 Prozent aller Studierenden, die ihr Studium im Jahr 2000 aufgenommen haben, hatten dieses im Jahr 2009 noch nicht oder nur ohne Abschluss beendet. Wie das Statistische Bundesamt am 16. Juni in Wiesbaden vermeldete, liegt die niedrigste Erfolgsquote mit 66 Prozent in den Fächern Mathematik und Naturwissenschaften. Schuld daran ist nach Ansicht der SPD-Bundestagsfraktion die Qualität der Lehre. Um Anreize für deren Verbesserung zu schaffen, will die SPD einen Abschluss-Bonus einführen.
    Quelle: ZWD
  18. Pseudowissenschaften – Der akademische Geist
    Esoteriker unterwandern die deutschen Hochschulen. Der Unterschied zwischen Wissenschaft und Unsinn verwischt. […]
    Irrationale Lehren findet man mittlerweile selbst an unverdächtigen Institutionen. Auch in Behörden, Bildungsstätten und Unternehmen hält die Esoterik Einzug. Oft wird der Hokuspokus dabei mit Steuergeldern gefördert.
    Das Land Nordrhein-Westfalen etwa bezuschusst Fortbildungen im pseudopsychologischen Familienaufstellen zu 50 Prozent aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Die Bundesagentur für Arbeit unterstützt mit Bildungsgutscheinen Erwerbslose, die sich zum Astrologen weiterbilden möchten. Ein Problem sieht die Bundesagentur darin nicht: Die Astrologie sei »sicher keine wissenschaftlich anerkannte« Disziplin, erklärt ein Sprecher, aber eine, für die es einen Arbeitsmarkt gebe. Im Klartext: In den Amtsstuben glaubt man nicht unbedingt an die Sternendeuterei, aber solange es genug andere tun, ist sie förderwürdig.
    Manche Unternehmen wählen ihr Personal nach Schädelform und Sternzeichen aus. Die Gewerkschaften mischen ebenfalls mit. Ver.di beschäftigt in Hamburg eine Seminarleiterin, die »energetische Psychotherapie« praktiziert und ihren Kursteilnehmern empfiehlt, unliebsame Gefühle durch Klopfen auf bestimmte Körperpunkte zu lindern.
    Am anfälligsten für die Unterwanderung durch Esoteriker sind ausgerechnet die Universitäten. Das Internetprojekt esowatch.com zählt deutschlandweit 17 Hochschulen mit pseudowissenschaftlichen Lehr- und Forschungsangeboten. Besonders deutlich zu beobachten ist der Einzug des Hokuspokus in der Medizin.
    Quelle: ZEIT
  19. Die Twitter-Krieger von Jerusalem
    Israels Armee hat aus früheren PR-Desastern gelernt: Eigene Blogger sollen die Meinungsbildung im Internet prägen. […]
    Der nächste Ernstfall für die Armee und damit für die “Neue-Medien-Krieger” – wie sie Ex-Armeesprecher Avi Benajahu nennt – dürfte kurz bevorstehen. Die nächste Solidaritätsflotte steht schon bereit, um von der Türkei in den abgeriegelten Gazastreifen zu fahren. Die Stürmung der letzten Flottille, bei der im vergangenen Jahr neun türkische Aktivisten getötet wurden, führte zu einem weltweiten Aufschrei. Dass Israel in der Folge gezwungen war, seine Blockadepolitik gegen Gaza erheblich aufzuweichen, führen die Armeestrategen vor allem auf die verlorene PR-Schlacht um den Zwischenfall im Internet zurück. Seitdem gilt es als noch wichtiger, die Meinungshoheit über den Cyberspace zu gewinnen.
    Quelle: FTD

    Anmerkung Jens Berger: Damit reiht sich Israel in eine Reihe mit China, Nigeria, Weißrussland und dem Sudan ein – alle diese Länder haben mehr oder weniger offizielle „Staatsblogger“, deren Job es ist, die öffentliche Meinung im Netz zu manipulieren. In den meisten westlichen Staaten übernehmen Think-Tanks diesen Job.


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