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Titel: „Der Spiegel“ rechnet mit Schwarz-Gelb ab – bemerkenswert aber nicht sonderlich glaubwürdig.

Datum: 29. Juni 2011 um 19:42 Uhr
Rubrik: Bundesregierung, Medien und Medienanalyse, Steuern und Abgaben
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Man könnte sich ja darüber freuen. Aber die Abrechnung – hier das Inhaltsverzeichnis von Heft 26/2011 – bleibt an der Oberfläche. Der Spiegel mäkelt an der Regierungsfähigkeit herum. Kritik kommt eher von rechts. Außerdem wäre dieser Titel schon vor gut einem Jahr fällig gewesen. Albrecht Müller.

Die Titelgeschichte beginnt mit der folgenden Überschrift und Aufmacher: „Die Nicht-Regierung. Angela Merkel bekommt ihre Kanzlerschaft nicht in den Griff. Wieder gibt es Streit, diesmal über die Steuern. Aber es fehlt auch an Handwerk, an einer seriösen Grundhaltung zur Politik, an einer konsequenten Führung und an einer gemeinsamen Idee.“

Anmerkungen zu einzelnen Passagen:

  1. Es fehle eine „seriöse Grundhaltung zum Regieren“, es gehe dieser Koalition darum, dass die Parteien CDU, CSU und FDP auf „ihre Kosten kommen“. – Die Forderung nach einer seriösen Grundhaltung ist berechtigt. Aber dass es an dieser Grundhaltung fehlt und dass stattdessen die Klientel der Koalitisons-Parteien bedient werden sollten, war schon zu Beginn dieser Koalition, schon in der Koalitionsvereinbarung erkennbar. Spätestens die Bedienung der Spender der FDP unter den Hoteliers durch den öffentlichen Steuernachlass hätte einen Spiegeltitel wie jetzt herausgefordert.
  2. Wie sehr der Spiegel an der Oberfläche bleibt, erkennt man an der Klage über die handwerkliche Unfähigkeit und den Streit in der Koalition und den Mangel an konsequenter Führung. „Es wird nicht regiert, sondern gedealt.“ Das ist die Kritik am Mangel an Sekundärtugenden. Dass diese Regierung meistens inhaltlich falsch liegt und sich nach wie vor von neoliberalen Ideologien leiten lässt, beklagt die Spiegelredaktion nicht.
  3. Auch dass der schwarz-gelben Koalition eine Idee, eine gemeinsame Idee, fehlt, ist nicht neu. Wenn man diesen Mangel beklagt, dann wäre es zumindest hilfreich gewesen, der Spiegel hätte wenigstens angedeutet, welche Idee dies sein könnte. Den Redakteuren des Spiegel kann dazu nichts einfallen, weil sie dazu auch keine Idee haben; sie sind in gleicher Weise geprägt von der herrschenden Ideologie wie Frau Merkel auch.
  4. Kritisiert wird von rechts. So beklagt der Spiegel die Enthaltung im UNO-Sicherheitsrat zum Thema Libyen als einer der großen Fehlentscheidungen. Wenn die Bundesregierung diese Entscheidung konsequent durchgehalten hätte, wäre es keine Fehlentscheidung gewesen. Aber ein NATO-geprägtes Medienorgan muss das anders sehen. Die Enthaltung beim Libyen-Einsatz ist der einzige Beleg für die Botschaft des Spiegel, „Schwarz-Gelb hat auch das Ansehen Deutschlands in dieser Welt nahezu ruiniert.” – Um die Kritik an der Enthaltung zur Militärintervention in Libyen glaubwürdiger zu machen und zu belegen, wird übrigens in die Titelgeschichte des Spiegel noch ein Interview mit Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe eingebaut.
  5. Die Titelgeschichte enthält zwar harte Urteile über Angela Merkel und ihre Regierung, aber sie ist so geschrieben, dass man ihr als Leser oder als Redakteur leicht verzeihen kann, wenn sie sich aus der Sicht der Schreiber verbessert. „Merkel ist aus dem Tritt geraten. Ihr fehlt die Sicherheit, und das strahlt sie auch aus. Unsicher, unglaubwürdig, weit gehend allein – sie ist nicht die Kanzlerin, bei der sich Deutschland gerade gut aufgehoben fühlen kann.“ Das ist darauf angelegt, Angela Merkel demnächst wieder gut zu finden. Darauf deutet auch hin, dass wichtige Botschaften zum Überleben dieser Kanzlerin in der Titelgeschichte integriert sind: Unserem Land gehe es ökonomisch gut. Die Konjunktur brumme gerade. Usw.

Spiegel online begleitet die vom gedruckten Spiegel überbrachte Botschaft mit eigenen Artikeln. Am 28. Juni 2011 erschien dort eine Geschichte mit dem Titel: „Regierungsdämmerung. Schwarz-gelbe Misere ohne Ende.“

Aber dann geht es gleich weiter mit den wichtigen Botschaften für die Zeit unmittelbar vor der nächsten Bundestagswahl: „Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosenzahlen sinken. (…)“

Also, der Titel des Spiegel in dieser Woche sollte tunlichst nicht als Zeichen dafür gewertet werden, dass in der Redaktion dieses Blattes Einsicht und Einkehr eingezogen ist. Es ist ein Titel, mit dem man ein bisschen Glaubwürdigkeit dafür gewinnen will, die Agitation gegen jede wirkliche politische Alternative links von Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün fortzuführen.


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