Winfried Schmähl in den VDI-nachrichten: Wirtschaftliche Interessen beherrschen die Rentendebatte

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Die Sozialversicherungsbeiträge könnten von derzeit 42 % auf 35 % eines Monatslohns sinken, wenn die Fehlfinanzierung in den Sozialversicherungen beendet würde, erklärt der Bremer Ökonom Winfried Schmähl. Er hält die Förderung der privaten Altersvorsorge aus Steuermitteln für problematisch. Dieses Geld sollte besser für Qualifizierung eingesetzt werden. Sagt Schmähl in einem Interview mit den VDI-Nachrichten.
Professor Schmähl, Mitglied der von der früheren Bundesregierung eingesetzten Kommission für den 5. Altenbericht, widerlegt einmal mehr die Argumente der Propagandisten für die private Altersvorsorge und deren Angstkampagne gegen die gesetzliche Rente. Anders als die Raffelhüschens und die Rürups wird er allerdings von der Versicherungswirtschaft zu sog. „Informationsveranstaltungen“ nicht eingeladen. Warum wohl?

Schmähl meint, die Entscheidung für ein höheres Rentenalter sollte konkret an Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt gekoppelt werden. Wenn sich die Beschäftigungssituation nicht bessert, ist es nichts als eine weitere Reduzierung des Leistungsniveaus – zusätzlich zu allen sowieso schon beschlossenen Maßnahmen.

Nach den bisher beschlossenen und noch vorgesehenen „Reformen“ werde die Rente 2030 für einen Großteil der Versicherten mit relativ langer Versicherungsdauer und mit nicht besonders hohen Löhnen nur noch eine Rente erhalten, die kaum über der Sozialhilfe liege.

Die beitragsfreie Entgeltumwandlung bei der Teile des Arbeitsentgelts zum Aufbau eines Anspruchs in der betrieblichen Altersversorgung verwendet werden, gehöre mit zu den bewussten politischen Strategien, dass die private Vorsorge die gesetzliche ersetzen solle.

Die demografische Entwicklung spiele bei den aktuellen Problemen der Rentenversicherung keine Rolle, die Schwierigkeiten kämen vom Arbeitsmarkt.

Auch die kapitalgedeckten Vorsorgesysteme seien politischen, ökonomischen oder demografischen Risiken ausgesetzt, wenn aber in einer konzertierten Aktion von Parteien, Verbänden und Ökonomen immer das gleiche Lied von der Überlegenheit der privaten Alterssicherung gesungen werde, dann glaubten die Menschen das und das Vertrauen in die gesetzliche Rente werde weiter untergraben. Das Argument der hohen Lohnebenkosten sei eher ein Vehikel für die Transformation der Alterssicherung, aber ökonomisch nicht überzeugend. Eine Beitragserhöhung über einen derart langen Zeitraum ließe sich mit einer minimalen Zurückhaltung bei der Erhöhung der Bruttolöhne leicht kompensieren.

Es gebe bei der gesetzlichen Rentenversicherung einen großen Brocken, der falsch finanziert werde, nämlich die Hinterbliebenenversorgung. Sie macht rund 3,5 Prozentpunkte aus. Damit könnten die Rentenbeiträge von 19,5 % auf 16 % gesenkt werden. Das Entlastungspotential durch die Umfinanzierung von rentenversicherungsfremden Leistungen läge bei 7 bis 8 Beitragspunkten. Über den Holzweg auf den die „Rentenreformen“ die Altersvorsorge geführt hat und welche Alternativen man hätte, vgl. auch NachDenkSeiten – „Der Weg zurück ins 19. Jahrhundert ist falsch.“

Von der früheren Bundesregierung eingesetzte Kommission für den 5. Altenbericht

Zentrums für Sozialpolitik an der Universität Bremen