Unsere Eliten: Mittelmaß, aber perfekt in der Manipulation und in der Wahrnehmung der eigenen Interessen

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Jetzt liegen einige Monate intensiver Arbeit an einem neuen Buch (nach der „Reformlüge“) hinter mir. Das Ergebnis erscheint am 21.3. bei Droemer unter dem Titel „Machtwahn. Wie eine mittelmäßige Führungselite uns zugrunde richtet.“ (Ich werde Sie in den nächsten Tagen mit der Inhaltsübersicht bekannt machen.)
Manchmal kamen mir während der Arbeit Zweifel, ob es erlaubt ist, anderen Mittelmäßigkeit und Korruptheit zuzuschreiben. Aber die Beweislage ist erdrückend. Ich will ihnen das an Hand von Beispielen und Artikeln zeigen, die von Lesern der NachDenkSeiten allein in der letzten vier Tagen an unsere Redaktion geschickt worden sind. Ich nenne die Links und kommentiere kurz.

1. Zur Makropolitik

In „Machtwahn” frage ich, warum wir so erfolglos beim Kampf gegen Stagnation und Arbeitslosigkeit sind. Die gängigen Antworten lauten: Reformstau, Blockade, übertriebener Sozialstaat. Liegt es vielleicht daran, dass wir besonders schlechte Eliten haben? In den gestrigen Hinweisen des Tages haben wir auf einen Beitrag mit der Überschrift „Steinbrücks Traktat des Grauens“ hingewiesen. Dort heißt es:

Ernüchterung nach der Zeitungslektüre zum Haushaltsbudget für dieses und nächstes Jahr. Alles, was man über die Kabinettssitzung vergangenen Mittwoch und die Staatsfinanzen lesen konnte, lässt nur einen Schluss zu: Auch Peer Steinbrück hat nichts von Makroökonomie und der kapitalistischen Dynamik verstanden.

So ist es.

Auch ein unverdächtiger Wissenschaftler, Professor Ullrich Heilemann vom konservativen Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Die gesamte Wirtschaftspolitik mit Sparversuchen und Mehrwertsteuererhöhung ist fachlich miserabel angelegt. Siehe dazu einen interessanten Beitrag aus der TAZ von Ahmia Tarik. Dort heißt es:

Der Aufschwung – abwärts

Die Politik von Schwarz-Rot ist kontraproduktiv: Sie wird Arbeitsplätze und Wachstum kosten, glauben Konjunkturexperten aus allen politischen Lagern.

Zu einem ähnlichen Schluss komme ich in „Machtwahn“. Keinem dieser Autoren (und auch mir nicht ) macht es Spaß, den Niedergang der Fähigkeit, eine ordentliche Makropolitik zu machen, zu beschreiben. Es ist bedrückend, weil das Schicksal so vieler Menschen davon abhängt, dass endlich wieder Belebung in die wirtschaftliche Entwicklung kommt, damit Arbeitnehmer wieder eine Alternative haben und auch einmal nein sagen können. Was heute diskutiert und geplant wird wie zum Beispiel Mindestlohn und Kombilohn sind Ersatzhandlungen. Wenn eine kompetente Makropolitik zur Ankurbelung der Konjunktur betrieben würde, wären viele der Probleme gelöst, die man heute mit immer wieder scheiternden Arbeitsmarktreformen zu lösen versucht.

2. Ministerpräsident Althaus fordert 42-Stundenwoche

In Bild am Sonntag vom 5.3., dann wiederholt in der Tagesschau, fordert Thüringens Regierungschef Althaus eine Anhebung der Arbeitszeit für Angestellte auf 42 Stunden gefordert.

“Aus Sicht der neuen Länder, wo schon immer 40 Stunden gearbeitet wurde, wirkt das zähe Festhalten an den 38,5 Stunden im Westen geradezu lächerlich”, schrieb er für die “Bild am Sonntag”.

Auch forderte Althaus einen Personalabbau im öffentlichen Dienst: “Wir brauchen mehr Arbeitsplätze in der freien Wirtschaft”, schrieb er. Freie Stellen sollten nicht wieder besetzt werden.“

Kommentar: Und dies bei über 5 Millionen Arbeitslosen und angesichts der Tatsache, dass im öffentlichen Dienst in den letzten 10 Jahren 700.000 Stellen gestrichen wurden. Das kann man ja prinzipiell für sinnvoll halten, aber in der jetzigen gesamtwirtschaftlichen Lage dies zu tun, ist Wahnsinn.

3. Kopfschütteln über Müntefering

HANDELSBLATT, Montag, 06. März 2006

Bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg reibt man sich verwundert die Augen angesichts dessen, was sich Bundesarbeitsminister Franz Müntefering ausgedacht hat, um die Job-Chancen Älterer zu verbessern. Viele seiner Vorschläge sind nämlich längst Realität – und funktionieren nicht.

Nahezu alle bisherigen Reformen haben die Erwartungen nicht erfüllt. Unsere Eliten nehmen das nicht wahr und machen einfach so weiter.

4. Das gilt auch für die Förderalismusreform

Da kommt es offenbar schon lange nicht mehr auf den Erfolg an sondern nur noch darauf, Dynamik und Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Siehe dazu unsere Hinweise vom 6.3. und speziell die beiden Links:
Quelle 1: taz
Quelle 2: FR

Kommentar: Eliten, die nicht mehr an der Sache, und das meint: an unserem Wohl, interessiert sind, sondern nur noch an ihrem Image in der Öffentlichkeit und an ihrem politischen Überleben.

5. Privatisierung öffentlicher Einrichtungen und Betriebe

Siehe dazu auch den gesonderten Eintrag vom 7.3.. Die Privatisierung ist eine der Methoden, mit denen einzelne Personen schnell zu viel Geld gekommen sind: Verdient haben die übernehmenden Unternehmen und die bei der Transaktion beteiligten Berater, Politiker, PR-Agenturen. Es ist ein einziger Sumpf. Zahlen werden die betroffenen Bürgerinnen und Bürger, die für die ehedem kommunalen Leistungen an die neuen Eigentümer steigende Gebühren werden zahlen müssen.

6. Übertreibung der demographischen Entwicklung

Im Handelsblatt vom 3.3.2006 lese ich einen Bericht über einen Wahlkampfauftritt von Vizekanzler Franz Müntefering in Mainz und Ludwigshafen. Er wird wörtlich mitfolgender Aussage zitiert: „Von zwei Mädchen, die heute geboren werden, wird eines mindestens 100 Jahre.“ Das Handelsblatt schreibt weiter. ‚Müntefering hat sich mit Fakten und Zahlen bewaffnet. Mucksmäuschen still ist es im Saal, als er über steigende Lebenserwartung und sinkende Arbeitszeit spricht, die Entwicklung des Rentnerquotienten nachzeichnet und die schrumpfende Gesellschaft beschreibt. „Das geht nicht auf“, resümiert er schließlich: „Um das zu erkennen, muss man kein Professor sein. Da reicht Volksschule Sauerland.“’

Die Aussage Münteferings über die Lebenserwartung der heute geborenen Mädchen kann nicht stimmen. Die durchschnittliche Lebenserwartung der heute geborenen Mädchen liegt nach Schätzung des Statistischen Bundesamtes bei 81,55 Jahren. Wie dann jedes zweite über 100 Jahre alt werden soll, erschließt sich mir nicht. Ich habe im Ministerium von Vizekanzler Müntefering um Aufklärung gebeten und werde über das Ergebnis in den NachDenkSeiten berichten. (Ich verweise auch auf den Tagebucheintrag vom 04.03.2006 SPD-Werbebroschüre für die Rente mit 67: Statt Fakten und Argumente mal wieder Mythen und falsche Behauptungen.)

Aus heutiger Sicht kann ich nur sagen: Volksschule Sauerland reicht offenbar zur professionellen politischen Irreführung. Die zitierte Übertreibung soll dazu dienen, die Erhöhung des Renteneintrittsalters schlüssig erscheinen zu lassen. Wenn der Bericht des Handelsblattes richtig ist, dann verfängt diese Methode. Die Zuhörerinnen und Zuhörer sind beeindruckt.

Um so wichtiger ist, dass Sie, unsere Nutzer, aufklärend gegenhalten. Wir dürfen unseren Eliten ihre Mittelmäßigkeit in der Sache und ihre Professionalität bei der Manipulation nicht mehr durchgehen lassen.

Übrigens: In „Machtwahn“ zeichne ich auch genau nach, welche Interessen hinter der Kampagne Demographie stecken. Die SPD hat sich dieser Kampagne offenbar völlig verschrieben. Die anderen Parteien machen mit. Die Wissenschaft sowieso – auch das wird ausführlich beschrieben.

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