EZB-Personalwechsel: Zwischen Skylla und Charybdis

Jens Berger
Ein Artikel von:

Mit Jürgen Stark räumt ein monetaristischer Überzeugungstäter seinen Schreibtisch in der EZB. Das wäre eigentlich ein Grund zur Freude, wenn die europäischen Institutionen auch nur im Ansatz die Demokratie leben würden. Da es bei der Besetzung des EZB-Direktoriums aber ungeschriebene Gesetze gibt, kann die deutsche Regierung de facto Starks Nachfolger bestimmen. Dass sich Angela Merkel und Wolfgang Schäuble jedoch ausgerechnet für Staatssekretär Jörg Asmussen entschieden haben, ist ein schwerer Schlag für die EZB und die Bevölkerung der Eurozone. Von Jens Berger

Die spanische Zeitung El Pais beschrieb Jürgen Stark einmal als finanzpolitischen „Taliban“ und traf damit den Nagel auf den Kopf. Stark, der in verschiedenen hochrangigen Positionen seit den 80ern Finanzpolitik betreibt, ist ein monetaristischer Überzeugungstäter. Ökonomen wie Stark sehen unter jedem Kieselstein eine drohende Inflationsgefahr und in der Preiswertstabilität die einzige Aufgabe einer Zentralbank. In seinem Denken ist Stark immer der angebotsorientierten Wirtschaftstheorie eines Milton Friedman verhaftet geblieben. Albrecht Müller zählt ihn daher auch zu Recht zu den deutschen Chicago Boys.

In seiner fünfjährigen Karriere im Direktorium der EZB galt Stark stets als Falke, der jeden noch so geringen Wachstumsimpuls aus Angst vor Inflation durch höhere Zinsraten abwürgen wollte. Die verhängnisvollen Leitzinserhöhungen von 2006 bis 2008, die als verstärkender Faktor für das Überspringen der Finanzkrise in die Eurozone gelten können, tragen seine Handschrift. Den Gipfel an finanzpolitischer Inkompetenz stellte Stark jedoch im Juli 2008 unter Beweis, als er sehendes Auges im Vorfeld der Finanzkrise Inflations-Alarm schlug und für eine fatale Zinserhöhung sorgte.

Deutschland und die Eurozone haben unzählige volkswirtschaftliche Baustellen, wie das Auseinanderdriften der Lohnstückkosten, Außenhandelsüberschüsse und –defizite und Arbeitslosigkeit – die Inflation gehört jedoch ganz sicher nicht dazu. Die irrationale Angst vor jedem Hauch von Inflation ist sicherlich eine deutsche Besonderheit, die auf die Hyperinflation der 1920er zurückzuführen ist. Es gibt jedoch heute keine Parallelen zu dieser Zeit und Europa hat viel zu lang mit verdrehten Augen diesen „deutschen Tick“ und die daraus resultierenden negativen Folgen dulden müssen.

Ein Zentralbanker, der seine Aufgabe einzig und alleine in der Inflationsabwehr sieht, ist kein „Hüter der Stabilität“, wie es deutsche Medien in zahlreichen Nachrufen behaupten, sondern ein destabilisierender Faktor. Der Abgang Starks wäre somit eigentlich ein Grund zu jubeln – umso unverständlicher mutet in diesem Zusammenhang das Heldenepos vom tapferen Stabilitätsgaranten an, das in den Medien an diesem Wochenende gesponnen wurde.

Die EZB-Verträge sehen es eigentlich vor, dass die Finanz- und Wirtschaftsminister der Euroländer ihre Favoriten für die Nachfolge eines scheidenden Direktoriumsmitglieds nominieren und die Kandidaten nach einer Abstimmung des Europaparlaments vom Europäischen Rat (also dem Gremium der Staats- und Regierungschefs) mit qualifizierter Mehrheit bestimmt werden. Starks Nachfolger als „Chefvolkswirt“ müsste wiederum laut der Verträge eigentlich vom EZB-Direktorium gewählt werden. Doch alle diese demokratischen Prozesse sind in der Realität Makulatur. Anstatt die Personalie auf europäischer Ebene durch verschiedene mehr oder weniger demokratisch legitimierte Gremien laufen zu lassen, entscheiden Angela Merkel und Wolfgang Schäuble im Hinterzimmer über den Nachfolger von Jürgen Stark und die Gremien haben diese Entscheidung dann nur noch abzunicken. Wer wundert sich da noch über die Europamüdigkeit der Bevölkerung?

Es war somit von vornherein klar, dass auf Stark nicht etwa ein fähiger Ökonom folgen würde, sondern vielmehr die verlängerte Hand der deutschen Regierung. Wenn deutsche Hardliner beinahe im gleichen Atemzug die „verlorene Unabhängigkeit der EZB“ bejammern, so ist dies schlichtweg geheuchelt. Warum die Politik sich in Zeiten der andauernden Wirtschafts- und Finanzkrisen überhaupt ein so mächtiges Werkzeug wie die EZB durch eine vermeintliche Unabhängigkeit aus der Hand nehmen lassen will, ist ohnehin unverständlich. Die Unabhängigkeit der EZB war vielmehr eine deutsche Bedingung, mit der man die Ideologie des Monetarismus vor der Gefahr andersgepolter politischer Mehrheiten beschützen wollte.

Die Personalie Jörg Asmussen als designierter Stark-Nachfolger ist jedoch ein Schlag ins Kontor jedes informierten Betrachters. Asmussen ist der Mann der Banken in Berlin, ein mittelmäßiger Ökonom, dessen Vita sich wie eine moderne Tragödie des Versagens liest. Über Asmussen haben die NachDenkSeiten bereits mehrfach ausführlich berichtet. Für die Leser, denen der Name Asmussen nichts sagt, zitiere ich an dieser Stelle einige Passagen aus meinem Artikel „Schattenmann unter Beschuss“, der im Juli 2009 geschrieben wurde:

Als der damalige Finanzminister Oskar Lafontaine seinen Staatssekretär Heiner Flassbeck einmal fragte, wer denn eigentlich der Kerl sei, der immer um ihn herumwusele, beschrieb Flassbeck seinen damaligen Referenten, eine Hinterlassenschaft aus der Ära Theo Waigel, als “mittelmäßigen Ökonomen” – aber zum Koffertragen sei er gerade recht. Lafontaine verließ das Ministerium kurze Zeit später, Flassbeck wurde zur UNCTAD weggelobt und der Kofferträger legte einen sagenhaften Aufstieg hin und bekleidet heute Flassbecks Position. Allerdings sind dem “mittelmäßigen Ökonomen” durch die Finanzkrise Kompetenzen an die Hand gegeben worden, von denen Flassbeck damals bestenfalls träumen konnte. […]
Asmussen, Eichel und Weber wollten Deutschland damals fit für die Wall Street machen. Dafür mussten Regulierungsschranken abgebaut und dem deutschen Finanzmarkt der Zugang zu strukturierten Produkten, wie verbrieften Kreditforderungen, Asset Backed Securities (ABS), freigemacht werden.
Hinter den Kulissen zog damals schon Jörg Asmussen die Fäden. Mit der True Sale International GmbH setzte er sich im Verbund mit den Banken für den Handel mit ABS-Papieren ein und schrieb munter Aufsätze, die heute wie die Anleitung zur Brandstiftung klingen. […]
In der Zeit, als Asmussen für die True Sale International GmbH als Handlungsreisender in Sachen Deregulierung des Handels mit Asset Backed Securities (ABS) durch die Republik tourte,saß er auch als Vertreter des Staats im Aufsichtsrat der IKB. Über was genau Asmussen dort überhaupt die Aufsicht führte, ist unbekannt. Es ist unerklärlich, wie einem “Experten” entgehen konnte, dass eine Bank, die satzungsgemäß den deutschen Mittelstand mit Krediten versorgen sollte, mit einem Drittel ihres Finanzvolumens über Offshore-Zweckgesellschaften mit hochriskanten ABS-Papieren gezockt hat. […]

Um Unklarheiten und Ungereimtheiten im Zusammenhang mit der “Rettung” der HRE aufzuklären, wurde vom Bundestag ein Untersuchungsausschuss eingesetzt. Nach den ersten Anhörungen geriet dort vor allem ein Mann ins Visier: Jörg Asmussen, damals Abteilungsleiter Finanzmarktpolitik im Finanzministerium. Neue Dokumente und Zeugenaussagen im Untersuchungsausschuss zeigen, dass Asmussen viel früher, als bislang öffentlich bekannt war, von der dramatischen Schieflage des Münchner Bankhauses unterrichtet wurde.

Die Entwicklung nach dem Sommer 2009 ist schnell zusammengefasst. Asmussen überlebte nicht nur den HRE-Untersuchungsausschuss, sondern durfte als Staatssekretär seit dem Wechsel seines Freundes Jens Weidmann an die Spitze der Bundesbank auch noch seine Machtfülle um die Aufgaben des „Sherpas“ bei internationalen Gipfeln erweitern. Die unterlassenen Regulierungen auf den Finanzmärkten, die nun zur Eurokrise geführt haben, sind somit zu einem signifikanten Teil auch Jörg Asmussen zuzuschreiben.

Was die Personalie Asmussen für die EZB bedeutet, ist schwer vorherzusagen. Asmussen ist kein monetaristischer Taliban wie sein Amtsvorgänger Stark, aber dennoch ein Falke, der die „Frankfurter Schule“ in der EZB fortführen wird. Das eigentliche Problem an Jörg Asmussen ist jedoch dessen mangelnder volkswirtschaftlicher Sachverstand. Noch nie hat sich Asmussen in einer Art und Weise öffentlich geäußert, die auch nur einen Hauch von Verständnis für gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge vermuten ließe. Ausnahmslos alle Entscheidungen, die Asmussen bislang getroffen hat, lesen sich vielmehr so, als seien sie ihm von der Finanzwirtschaft diktiert worden.

Ein Bankenlobbyist als Chefvolkswirt der EZB ist jedoch so ziemlich das Letzte, was die Eurozone in diesem Moment gebrauchen kann. Mit der Nominierung Asmussens hat sich die Politik zwar noch nicht ihr eigenes Grab geschaufelt – der Aushub wird jedoch von Tag zu Tag größer.

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