Bemerkungen zur Wahl in Berlin und zu den Analysen

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Was auffällt. Albrecht Müller.

  1. Der Erfolg der Piratenpartei wird in den Kommentaren am Wahlabend und in der Nacht nicht sehr ernst genommen, obwohl eine derartige Sammlung von jungen Wähler/innen und Protestwähler/innen große Folgen haben kann – für Koalitionsoptionen, für den Charakter solcher Bündnisse, für die innere Entwicklung der anderen Parteien.
    Bei Spiegel Online erklärt Christian Stöcker den Piraten-Erfolg in Berlin so:

    „Arroganz der Etablierten – Der Wahlerfolg der Piraten in Berlin ist eine Ohrfeige für Deutschlands etablierte Parteien. Ein Teil der jungen Geisteselite fühlt sich von der Politik nicht mehr vertreten – weil sie die digitale Revolution schlicht verschlafen hat. …“

    Na ja, so einfach kann man es sehen.

  2. Eine der Koalitionsoptionen der SPD wird in den Nachwahlbetrachtungen einfach geschlabbert: Rot-Grün-Rot. Vielleicht rechne ich falsch, dachte ich schon. Tue ich aber nicht. Wir erleben die Fortsetzung des Versuchs, die Linke aus der Regierungsverantwortung draußen zu halten, vermutlich mehr noch: sie vergessen zu machen. Damit werden einigermaßen linke Koalitionen immer unwahrscheinlicher. Selbst in Berlin verfügt Rot-Grün nur über eine Einstimmenmehrheit. Dennoch wird die Erweiterung der Mehrheit durch Addition der Linkspartei-Mandate schlicht unterlassen. – Übrigens wieder ein Beleg für die Gleichschaltungsbereitschaft der meisten Medien, der kommentierenden Politiker sowieso.
  3. Mit diesen Anmerkungen soll nicht schön geredet werden, dass die Berliner Linke viele ihrer Wähler/innen enttäuscht hat, indem sie sowohl den Privatisierungs- als auch den Sparkurs über weite Strecken mitgetragen hat. Das schlechte Abschneiden der Linken wird von außerhalb und innerhalb der Linken hingegen vornehmlich an den inneren Querelen und dem angeblichen Versagen der Parteispitze festgemacht werden.
    Die Linke hat bisher keine Strategie gegen die Stigmatisierung und die erkennbar gut arrangierte Missachtung ihrer Existenz.
  4. Kommentare orientieren sich wesentlich an dem, was vorher geschrieben und gesendet worden ist.
    • Z.B. die Grünen bleiben hinter ihren Erwartungen. Typisch dafür der Kommentar des Jan Fleischhauer „Die Revolution frisst die Grünen“
    • Z.B. „Wowereit enttäuscht.“ Seine Chancen wurden kurz vor der Wahl nochmals kräftig hochgejubelt. Man könnte annehmen, das Hochjubeln einschließlich der damit eintretenden Enttäuschung sei geplant, um Wowereit aus dem Rennen der SPD-Kanzlerkandidaten zu werfen.
  5. Das Ergebnis für die SPD ist wirklich enttäuschend – wie auch bei den meisten anderen Landtagswahlen. Über die enttäuschenden Wahlergebnisse täuscht die Übernahmen bzw. Fortsetzung von Regierungsverantwortung hinweg. So in BW, in Rheinland-Pfalz, in NRW, …
  6. Die Analysen zum schlechten Abschneiden der FDP (Streit in der Führung, rechtspopulistische Sprüche von Rösler und Brüderle usw.) enthalten wichtige Elemente. Anderes Entscheidendes kommt darin nicht vor. Allerdings schreibe ich darüber ungern, weil ich die Konsequenzen dieser Analyse-Komponente vermeiden möchte: die Ablösung Röslers. Also: Jeder Fachmann für politische Werbung (und für Werbung insgesamt) weiß, dass Emotionen und der Auftritt eines Politikers wichtig sind. Man muss sich vergegenwärtigen, dass alle Parteien, gerade auch die FDP, nicht mehr über einen großen Stamm von unerschütterlichen Stammwählern verfügen. Wenn die Menschen ohne feste Bindung über die Vergabe ihrer Stimme entscheiden, dann spielen emotionale Eindrücke eine beachtliche Rolle für das Ja oder das Nein zu einer Partei. Im konkreten Fall des Parteivorsitzenden Rösler sprechen gleich mehrere Elemente dagegen, dass ihm viele Wählerinnen und Wähler ihre Stimme geben: Er ist das Gegenteil eines „gstandenes Mannsbild“, so ein dünnes Bübchen kann man sich eigentlich weder als Vorsitzenden einer Partei noch als Bundeswirtschaftsminister vorstellen. Und schon gar nicht als Vizekanzler. Hinzu kommt erschwerend hinzu, dass Rösler wie ein Ausländer erscheint. Das reicht in ausreichend vielen Fällen zur Entscheidung gegen die FDP. – Mit diesem analytischen Hinweis ist selbstverständlich nicht gerechtfertigt, dass Abneigung gegen Fremdes eine Rolle spielen darf. Ich will nur erklären, wie der so totale Absturz der FDP zur erklären ist.

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