Replik auf Konrad Adams Kritik am Buch „Die Reformlüge“ in der WELT

Ein Artikel von:

Von Kai Ruhsert, 31.01.2005 für NachDenkSeiten.

Auch als Kritiker pflegt Konrad Adam seinen eigenen Stil. Er vergeudet keine Zeit mit einleitenden Worten zum Inhalt des Buches, sondern kommt gleich zur abschließenden Bewertung:

(…) der Verfasser (…) hat sich etwas ausgedacht. Er hat einen Roman geschrieben, der uns glauben machen will, die Bäume könnten oder sollten in den Himmel wachsen.

Dann wird der Ton etwas rüde:

Zunächst wird ihm der Leser freilich auf den Leim gehen, denn Albrecht Müller unternimmt einiges, um den Sachbuchcharakter vorzutäuschen. Sein Text ist durchsetzt mit Schaubildern und Tabellen, sogar ein paar Anmerkungen hat er sich einfallen lassen.

„Die Reformlüge“ hinterfragt weit verbreitete und von vielen für wahr gehaltene Mythen (z.B. „Der Generationenvertrag trägt nicht mehr“) durch Gegenüberstellung mit Fakten; darauf aufbauend werden volkswirtschaftliche Zusammenhänge erläutert und Vorschläge für eine bessere Politik gemacht. Durch die abfällige Wortwahl („… durchsetzt mit …“, „… hat er sich einfallen lassen …“) kündigt Konrad Adam an, diese Analysen, die den größten Teil des Buches ausmachen, von vornherein aus seiner Betrachtung auszublenden.
Details und Argumente interessieren ihn nicht:

Wenn er (…) über die Machtlosigkeit der Gewerkschaften klagt, wird man sich wundern; wenn er sie für die Erfolge lobt, die sie im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit erzielt haben, dürfte man misstrauisch werden; wenn er dann schließlich aber noch die DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer als die Florence Nightingale des deutschen Sozialwesens vorstellt, wird man mit einiger Erleichterung feststellen, dass man sich im Genre geirrt hat. Man hat kein Sachbuch in der Hand, sondern Fantasy. Den Rest des insgesamt 400 Seiten starken Buches wird man danach mit mehr Gelassenheit und weniger Verwunderung zur Kenntnis nehmen.

Was genau meint Konrad Adam mit „zur Kenntnis nehmen“? Nichts deutet darauf hin, dass er mehr getan hat, als mit spitzen Fingern ein wenig im Buch zu blättern. So bleibt ihm kaum etwas anderes übrig, als von einer Kapitelüberschrift zur nächsten zu huschen. Auf Albrecht Müllers Begründungen für seine Thesen geht Adam an keiner einzigen Stelle ein.

Dass ein Rezept, das vor 30 Jahren wirksam gewesen sein mag, mit der Zeit seine Zauberkraft verloren haben könnte und die Vernunft von gestern zum Unfug von heute geworden ist, will ihm nicht in den Kopf.

Ein „Rezept“ mit „Zauberkraft“, das dennoch einst für „Vernunft“ stand?! Von den Gesetzen der Logik wollte Konrad Adam sich offensichtlich nicht bremsen lassen.

Adam will nicht nur an dieser Stelle Müllers Forderung nach einer antizyklischen Ausgabenpolitik des Staates ins Lächerliche ziehen. Er verschweigt dem Leser, dass Albrecht Müller auch diese Frage ausführlich erörtert und seine Vorschläge mit Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung sowie Zitaten aus Gutachten von Wirtschaftsforschungsinstituten gut begründet hat.
Davon lässt Konrad Adam sich in keiner Weise irritieren; seine Meinung steht unverrückbar fest. Inhaltliche Gegenargumente kann er aber nicht formulieren, also greift er zu einem bildhaften Vergleich, der ihm dann allerdings ziemlich missrät. Die widersprüchliche Semantik nimmt er zugunsten der Anschaulichkeit notgedrungen in Kauf.

Müller macht es wie alle falschen Propheten, er sagt die Zukunft aus der Vergangenheit voraus, indem er die Linien weiterzieht und ins Unendliche verlängert.

Am Beispiel der USA und Frankreich zeigt Müller auf, welche Effekte mit einer pragmatischeren Wirtschaftspolitik in jüngster Zeit erst erzielt werden konnten. Hat Konrad Adam das beim Durchblättern der Seiten übersehen?

Die deutsche Wirtschaft war schon immer stark, also wird sie auch weiterhin stark bleiben; der Sozialstaat hat bislang überlebt, also wird er in alle Zukunft überleben; die Produktivität ist bisher stets gewachsen, also wird sie auch weiter wachsen. Ein Thema – und keine Variationen.

Adam versucht wohl zu sagen, dass keineswegs das Thema, sondern die Antworten von Müller auf Fragen zu den verschiedenen Themen immer die gleichen seien. Zwei kurze Abschnitte aus „Die Reformlüge“ beweisen das Gegenteil:

Aus Denkfehler 15:

Sinnvoll wäre die pragmatische Optimierung der verschiedenen Instrumente der Wirtschaftspolitik. (…) Konjunkturprogramme sind keine Strohfeuer, wenn sie zur richtigen Zeit eingesetzt werden. Sie sind aber auch nicht alleinseligmachend. Der Kampf der ökonomischen Schulen – hier Angebotsökonomen, dort Keynesianer – ist eine sinnlose Konfrontation, weil sie den Blick auf die notwendigen Maßnahmen verstellt. Sie hat unser Land in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten schon sehr viel gekostet. Es ist höchste Zeit, dass wir Schluss machen mit gegenseitigen Schuldzuweisungen und zu einer Optimierung der Wirtschaftspolitik kommen. Optimierung heißt dabei, zu gegebener Zeit aus dem großen Arsenal der wirtschaftspolitischen Instrumente die Mischung auszuwählen, die der aktuellen Sachlage angemessen ist. Optimierung heißt dann auch, dass man in guten Zeiten weniger ausgibt als man einnimmt und Schulden abbaut.

Und aus Kapitel 9:

(…) dass der wirtschaftliche Kern Europas dringend zurückfinden muss zu einer guten Balance von Förderung der Wettbewerbsfähigkeit einerseits und der Verstärkung der Binnennachfrage in den europäischen Ländern andererseits, also zu einer Synthese aus Angebotsökonomie und Keynes. Die beiden zuständigen Bundesminister müssten gegenüber Brüssel und gegenüber der Europäischen Zentralbank … darauf pochen, dass in Europa eine ähnlich intelligente und differenzierte Geld- und Finanzpolitik gemacht wird wie in den USA in den Neunzigern.

Leser des Buches wundern sich nicht mehr, dass Konrad Adam keinen einzigen seiner Vorwürfe mit Zitaten belegt.

Der Kritiker eilt unterdessen dem intellektuellen Höhepunkt seiner Rezension entgegen:

Müller hat eine Tochter (…) Leider hat er versäumt, das Wachstum dieser Tochter aufmerksam zu verfolgen und aus dem Vorgang seine Schlüsse zu ziehen. Denn wenn man seiner Logik folgen will, müsste sie längst zu einer Riesin emporgeschossen sein. Die Rechnung ist einfach und geht so: wenn jemand zwischen dem fünften und dem zwölften Lebensjahr seine Körpergröße verdoppelt, dann muss er mit 19 Jahren dreimal so groß und noch einmal sieben Jahre später viermal so groß sein wie als fünfjähriges Kindergartenkind. Wie gut, dass die Natur weiser ist als die Ökonomen und anders rechnet als sie!

Der Chefkorrespondent einer überregionalen Tageszeitung halluziniert sich eine finale, obere Schranke für das Bruttosozialprodukt herbei, über die hinaus es kein weiteres Wachstum mehr geben kann! Wenn Konrad Adam wirklich an eine solche Analogie zwischen Biologie und Ökonomie glaubt, offenbart er damit einen Abgrund an schlichter Unwissenheit. Bei einem Journalisten, der neben Alten Sprachen auch Geschichte und Philosophie studiert hat, ist diese Annahme freilich wenig plausibel. Viel wahrscheinlicher ist, dass ihm als Entgegnung halt nichts Besseres einfallen wollte und er nun auf die Dummheit seiner Leser hofft.
Leider bleibt es nicht bei dieser argumentativen Fehlleistung. Die Aversion gegen den Autor läßt Konrad Adam beinahe jegliche Zurückhaltung verlieren. Als besondere Spitze scheut er sich nicht, dem Vater Albrecht Müller mangelnde Aufmerksamkeit für seine Tocher zu unterstellen. Der Einsatz solcher rhetorischen Mittel hinterläßt den Eindruck journalistischen Rowdytums.

Wenn etwas ohne Ende wächst, nennt man das Wucherung und sucht es zu vermeiden wie zum Beispiel Krebs. Das lernt man in der Biologie; aber Müller ist eben kein Biologe, sondern Ökonom, (…)

Dieser Abschnitt steht repräsentativ für die Qualität des restlichen Textes.

Was mag der wirkliche Grund für die tiefe Antipathie gegen Albrecht Müller und seine Thesen sein? Konrad Adam hat sich mit dem Buch kaum befasst und zum Inhalt nichts zu sagen, also muss es dafür eine andere Erklärung geben. Wenden wir uns daher dem Kritiker und seinen eigenen Werken zu. Zu den Themen in „Die Reformlüge“ hatte Adam in der WELT vor Jahren schon (lange vor Erscheinen des Buches) eindeutig Stellung bezogen:

  • „Die Flucht der Jungen aus dem Land der grauen Köpfe“ (19.4.2001)
  • „Rettung für ein sterbendes Volk“ (30.6.2001)
  • „Genieße jetzt und lass die andern zahlen“ (26.8.2001)
  • „Räume ohne Volk“ (22.7.2002)
  • „Der Generationenbruch“ (26.10.2002)

Quelle: Alle Daten aus www.single-generation.de.

Konrad Adam zählt zu den Autoren, die weniger auf Argumentation als vielmehr auf die Lust an der Hysterie setzen. Ein Beispiel dafür ist der Generationenvertrag: Über die gesellschaftlichen Folgen der veränderten Altersstruktur der deutschen Bevölkerung mag er etwas zu sagen haben; die ökonomischen Konsequenzen kann er jedoch nicht bewerten. Einem Volkswirt wie Albrecht Müller, der unter Verweis auf kompensierende Effekte zumindest teilweise Entwarnung gibt, hat er argumentativ nichts entgegenzusetzen. Müller kann seine Thesen noch so sorgfältig begründen; Konrad Adam wird sie nie akzeptieren. Den eigenen Standpunkt noch einmal zu überdenken, entspricht einfach nicht dem polternden Naturell, das in seinen Artikeln immer wieder um Ausdruck ringt. So hat er wohl auch seine Kritik im Affekt geschrieben.

In ihren Anstrengungen, sich einen Ruf als Qualitätsblatt zurückzuerobern, hat die WELT mit dieser Rezension einen Rückschlag erlitten.

Quelle: Rezension in der WELT

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