Auch Amazon im Einflussbereich von Bertelsmann?

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

In den letzten Tagen wurde ich von Nutzern der NachDenkSeiten darauf aufmerksam gemacht, die offizielle Rezension meines neuen Buches „Machtwahn“ „Aus der Amazon.de-Redaktion“ sei außergewöhnlich unfreundlich. Das Ergebnis meiner Recherchen: Die Rezension wurde von einem Doktor der Philosophie/Politologie und Journalisten, Andreas Vierecke, geschrieben, der über sein Unternehmen cpw Medien- und Publikationsdienste Auftragnehmer von Bertelsmann ist und außerdem seit einem Jahrzehnt im Einflussbereich von Professor Weidenfeld am Geschwister-Scholl-Institut der Universität München arbeitet. Weidenfeld ist wiederum seit Jahren einflussreiches Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung. Dass Amazon gerade diesen Rezensenten Vierecke mit der Rezension eines Buches beauftragt, das ausführlich die fragwürdige Rolle der Bertelsmann Stiftung und ihrer Ableger im Netzwerk der neoliberalen Bewegung beschreibt, ist schon beachtlich.

Das folgende nur für am Detail Interessierte:

Weil dieser Vorgang symptomatisch für die Gängelung des Meinungsbildungsprozesses durch das neoliberale Netzwerk ist, folgen Informationen

  • zu einer kleinen Vorgeschichte und Verortung des Rezensenten,
  • zu anderen Rezensionen Viereckes bei Amazon
  • und zu dessen Rezension von „Machtwahn“.

A. Zur Vorgeschichte.

Ich muss mit einer kleinen Vorgeschichte beginnen, weil sie die Breite und Intensität der Einflussarbeit Bertelsmanns erkennen lässt: Am 17.1.2005 erschien in der Zeitung des Deutschen Bundestages „Das Parlament“ eine Rezension meines Buches „Die Reformlüge“, die dadurch auffiel, dass sie sich mit der Sache und meinen Analysen nicht auseinander setzte und statt dessen nachbetete, was bis dahin an ablehnenden, jedoch inhaltlich fragwürdigen Kommentaren, zum Beispiel von Peter Glotz, in die Welt gesetzt worden war. Ich habe damals die Hintergründe dieser eigenartigen Rezension recherchiert: Autor war Jürgen Turek. Dieser ist nicht ein etwa unabhängiger Zeitgenosse sondern Geschäftsführer der Bertelsmann Forschungsgruppe Politik am Zentrum für angewandte Politikforschung (CAP) der Ludwig-Maximilians-Universität, München. Da Bertelsmann und seine Einrichtungen schon in der „Reformlüge“ Gegenstand meiner kritischen Analyse ist, konnte man sich nur wundern, dass die Redaktion des „Parlament“ einen Betroffenen mit der Rezension beauftragte.

B. Zur Verortung des Autors Vierecke:

Andreas Vierecke ist seit 1996 Mitarbeiter am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dort ist auch das Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) verortet. Ein Organisationsplan aus früherer Zeit weist ihn als unmittelbaren Nachbarn des CAP und damit von Professor Weidenfeld, dem Leiter der Bertelsmann-Forschungsgruppe und zugleich Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung, aus. Ein von Weidenfeld herausgegebenes Handbuch hat Vierecke für die Amazon Redaktion besprochen und gelobt. Siehe Anlage 2.
Neben seiner Tätigkeit als Mitarbeiter am Geschwister-Scholl-Institut ist Vierecke Mitbegründer und Mitarbeiter der cpw Medien- und Publikationsdienste. Dieses Unternehmen arbeitet laut Referenzliste auch für zwei Bertelsmann-Unternehmen – für Wissen.de und Bertelsmann Lexikonverlage.

C. Nebenbei:

Unabhängig von dem konkreten Fall wird mir bei diesen Recherchen noch etwas klar, was ich bei der Beschreibung der Netzwerke in „Machtwahn“ noch nicht ausführlich genug beschrieben habe: die Verfilzung zwischen privaten Gruppen und Unternehmen, die der neoliberalen Ideologie nahe stehen, einerseits und staatlichen Einrichtungen andererseits. Dass das Zentrum für angewandte Politikforschung (CAP) der Bertelsmann-Stiftung Teil eines staatlichen Universitätsinstituts, noch dazu mit dem ehrenwerten Namen Geschwister-Scholl-Institut, ist und sein kann, fällt uns als Skandal schon gar nicht mehr auf. Obwohl es für eine Universität, die der Freiheit der Wissenschaft verpflichtet ist, eigentlich ein Skandal ist. Hier wird sichtbar – ganz ähnlich wie beim Projekt Selbstständige Schule in Nordrhein-Westfalen und der Erarbeitung der Agenda 2010, bei der Kampagne für die Einführung für Studiengebühren und bei der Ausarbeitung kompletter Hochschulgesetzentwürfe wie in NRW -, wie weit die Krake Bertelsmann in staatliche Einrichtungen und Finanztöpfe hineinreicht.
Wir sollten diese Fälle in den NachDenkSeiten einmal dokumentieren. Wenn Sie einschlägige und belegte Fälle von Verfilzung privater Interessen und staatlichen Einrichtungen und Finanzquellen im Blick haben, dann sollten Sie uns darauf aufmerksam – bitte möglichst dokumentiert.

D. Zur inhaltlichen Seite der Rezension von Machtwahn durch Andreas Vierecke:

Die von Amazon eingestellte Redaktions-Rezension (Siehe unten Anlage 1) fällt z.B. im Vergleich zur aktuellen Rezension zu Schirrmachers Buch „Minimum“ und im Vergleich mit anderen Rezensionen des Autors Vierecke durch einen bösartigen Unterton, durch Unkenntnis und Ignoranz auf. (Anlage 2 enthält eine Auswahl von Rezensionen)

Der Autor Andreas Vierecke bestätigt in seiner Rezension meine kritischen Anmerkungen in „Machtwahn“ gleich in mehrerer Hinsicht:

  1. Unsere Meinungsmacher leben von „geliehenen Gedanken“ – das belege ich in Machtwahn an vielen Beispielen. Und Vierecke bestätigt dies. So gibt er zum Beispiel zur Charakterisierung des „Planungsstabs“ (tatsächlich hieß die Abteilung, die ich von 1973 bis 1982 leitete, Planungsabteilung) im Kanzleramt zu Zeiten von Willy Brandt und Helmut Schmidt das wieder, was andere vor ihm geschrieben haben. Die von ihm gebrauchte Charakterisierung („Abteilung Glaube, Liebe, Hoffnung“) geht auf die vom Chef des Bundeskanzleramtes Horst Ehmke und dem Leiter der Planungsabteilung Reimut Jochimsen zwischen 1969 und 1972 gemachten Versuche einer EDV-gestützten Feinplanung der Regierungsarbeit zurück. Weil ich diesen Versuch für hoffnungslos und der harten Realität der Regierungsarbeit in einer Koalition nicht angemessen hielt, habe ich nach Übernahme der Leitung der Planungsabteilung im Februar 1973 die Akzente unserer Arbeit anders gesetzt. Die Planungsabteilung hat zum Beispiel schon 1973 als Antwort auf die erste Ölpreis-Explosion Vorschläge für ein Energiesparprogramm gemacht, die dann auch in hohem Maße realisiert wurden. – Die Planungsabteilung hatte in den siebziger Jahren auch einen wesentlichen Anteil daran, dass in den Energieprogrammen der Bundesregierung die unsinnige direkte Bindung/Korrelation der Energiebedarfsprognosen an die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts gelockert wurde. – Ein weiteres Beispiel für unsere konkrete Arbeit wird in „Machtwahn“ im Kapitel über die Kommerzialisierung des Fernsehens und unseren damaligen Versuch, mit Hilfe von Bundeskanzler Helmut Schmidt diesen Wahnsinn zu vermeiden, geschildert (S. 157ff). Das schmeckte dem Bertelsmann-Konzern wegen seiner handfesten Interessen an einer Kommerzialisierung des Fernsehens und Hörfunks schon damals nicht. – Auch an einer Reihe von anderen konkreten Arbeiten der Planungsabteilung wird die Veränderung zu Zeiten von Ehmke und Jochimsen sichtbar.
    Ich habe gegen das falsche, aus Ehmkes und Jochimsens Zeit stammende Image damals nichts unternommen, weil für uns anderes wichtiger war als die Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache. Außerdem sah ich keinen Sinn darin, meinen Vorgänger Reimut Jochimsen, den ich ansonsten sehr schätzte, grundsätzlich zu kritisieren. Wenn ich allerdings gewusst hätte, dass sich der Unsinn, der vor nunmehr 30 Jahre in die Welt gesetzt wurde, später immer noch in Rezensionen der Amazon.de-redaktion niederschlagen könnte, dann hätte ich mich wohl auch um dieses unsinnige Image kümmern müssen.

    Im Übrigen belegt der Vorgang auch, wie schlicht unsere heutige politische Wissenschaft angelegt ist. Von einem studierten und promovierten Politologen wie Vierecke sollte man erwarten können, dass er die Realität der jüngeren Zeitgeschichte wahrnimmt und nicht einfach nur nachplappert, was andere vor ihm geschrieben haben.

  2. Auch an einem anderen Punkt bestätigt der Autor Vierecke die Analysen in „Machtwahn“. Ich berichte dort von einer eigenartigen immer wieder bestätigten Beobachtung: Sozialwissenschaftler wie Politologen, Soziologen und Historiker haben in der Regel von gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen keine große Ahnung, was man ihnen nicht vorwerfen kann, vorwerfen muss man ihnen aber, dass sie zugleich ein um so festeres Vorurteil darüber haben. Vierecke hat meine Anmerkungen zu Staatsverschuldung und Generationengerechtigkeit zum Beispiel nicht kapiert (oder er will sie nicht kapieren), gibt dafür aber sein angelerntes Wissen und die gängigen Schlagworte ohne weiteres Nachdenken zum Besten.
    An dieser Stelle wird auch sichtbar, dass er das Buch, das er für Amazon rezensiert hat, eigentlich gar nicht gelesen haben kann. Sonst müssten ihm zumindest ein paar Zweifel über die Ursachen und den Charakter der Staatsverschuldung und über die gängigen Parolen zur Generationengerechtigkeit gekommen sein.
    Natürlich hat er sich auch keine Mühe gemacht, sich mit den von mir zitierten einschlägigen Analysen des Professors für Sozialpolitik, Richard Hauser auseinander zu setzen. Vierecke gibt wieder, was er bei unseren mittelmäßigen Eliten aufliest. Hätte der Rezensent das Buch gelesen, dann wäre er zum Beispiel auf folgende einschlägige Stelle gestoßen:

    „Der Frankfurter Sozialpolitiker Richard Hauser hat in einem Festschriftbeitrag darauf hingewiesen, dass die ältere Generation der jüngeren auch noch die Investitionen in das Humankapital vererbt. Anders gesagt: Die heutigen Rentner, die man für so bevorzugt hält, haben in ihrer Jugend und Ausbildungszeit auch nicht annähernd so viel »geschenkt« bekommen, wie sie dann in ihrer aktiven und Elternzeit in die heute Jungen und Arbeitenden investiert haben. Professor Hauser hat näherungsweise Berechnungen darüber angestellt und kommt zu dem Schluss:

    »Unter Berücksichtigung dieser akkumulierten Bildungsausgaben dürfte das Generationenerbe, das die heute alte Generation hinterlassen wird, ein größeres Vielfaches des Bruttoinlandsproduktes ausmachen als jenes, das sie selbst erhalten hat.«

    All diese Fakten ergeben ein völlig anderes Bild als das, was uns ständig entgegengehalten wird. Wenn man den Dingen auf den Grund geht, müsste man den begonnenen Generationenkonflikt sofort einstellen, statt ihn anzuheizen.“

  3. Der Autor Vierecke bestätigt im Übrigen meine Befürchtungen zu Macht und Einfluss der Bertelsmann Stiftung, die wie eine Krake die Meinungsbildung in Deutschland umschlingt und in ihrem Sinne einengt. Im konkreten Fall leider auch die von Amazon.de.

E. Anlagen

Anlage 1

Machtwahn
Von Albrecht Müller
Rezensionen
Aus der Amazon.de-Redaktion
Albrecht Müller hat sein ganz persönliches Wort des Jahres 2006 schon im Februar gekürt: Es lautet Mittelmäßigkeit und ist, auch wenn es zunächst recht harmlos klingt, in der Sprache des Autors eines der derbsten verfügbaren Schimpfwörter. Diese Mittelmäßigkeit vor allem der politischen, der Wirtschafts-, aber auch der Medien-“Elite” wird nach Müllers Darstellung eigentlich nur noch von dem in ihren Reihen grassierenden Machtwahn übertroffen, den der Autor neben der mangelnden Intelligenz vor allem für die wirtschaftliche Misere der Gegenwart verantwortlich macht.
Als der 1938 geborene Nationalökonom Albrecht Müller noch Redenschreiber des damaligen Wirtschaftsministers Karl Schiller und später Leiter des im Volksmund auch “Abteilung Glaube, Liebe, Hoffnung” genannten Planungsstabs im Kanzleramt von Willy Brandt und Helmut Schmidt war, da muss die Welt noch in Ordnung gewesen sein. Wir stellen uns das in etwa so vor: Leute von Müllers Schlag waren damals mit ihren wohldurchdachten Konzepten dabei, das Land einer rosigen Zukunft entgegen zu führen. Doch dann übernahmen die Ideologen des Neoliberalismus in breiter Front und in allen Parteien das Ruder und steuern uns seither zielstrebig und in völliger Verkennung der Tatsachen auf unseren Untergang zu.
Schade, dass der Autor seine Leser durch seine wütende, von jedem Zweifel an der eigenen Exzellenz unbeleckten Polterei von den vielen richtigen Argumenten seiner Klageschrift gegen den Neoliberalismus ablenkt. Denn in vielen Punkten seiner Diagnose wäre man gerne bereit, ihm ohne Wenn und Aber zuzustimmen. In manchen Punkten freilich wird sich kaum noch jemand finden, der der Müllerschen Argumentation zu folgen bereit ist. Geradezu abenteuerlich etwa mutet seine These an, aus Dummheit (und natürlich niederen Motiven) würde derzeit die Problematik von Staatsverschuldung und Generationengerechtigkeit völlig übertrieben beziehungsweise grundfalsch dargestellt. Weder befänden wir uns in einer Überschuldungsfalle, noch würden durch den ständig wachsenden Schuldenberg die Rechte zukünftiger Generationen gefährdet. Die würden schließlich nicht nur die Schulden, sondern auch die tolle Infrastruktur erben, die wir damit geschaffen haben. — Andreas Vierecke

Anlage 2:

Rezensionen anderer Bücher von Andreas Vierecke für die Amazon.de-Redaktion:

Vorbemerkungen:

  • Markante Lobeshymnen sind gefettet
  • Bemerkenswert ist die geradezu euphorische Rezension von Schirrmachers Methusalem Komplott. Das beginnt mit dem Satz, Schirrmacher sei der Panikmache unverdächtig. In der „Reformlüge“ habe ich Schirrmacher schon belegt nachgewiesen, dass Schirrmachers Behauptungen über die Bevölkerungsentwicklung bodenlos falsch sind und nichts als Panikmache.
  • Bemerkenswert ist auch das Lob für das Buch von van Suntum. Der Rezensent erwähnt natürlich nicht, dass der Autor in die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft eingebunden ist.
  • Auch Jean Ziegler kommt relativ gut weg, obwohl er mindestens eine so harsche Tonlage pflegt wie ich. Ziegler hatte das Glück, dass sein Buch bei Bertelsmann erschienen ist.
  • Auch Günther Lachmanns „Tödliche Toleranz Die Muslime und unsere offene Gesellschaft“ wird ohne Differenzierung gelobt, geradezu gefeiert. Zu diesem Buch gäbe es auch Kritisches anzumerken, zum Beispiel: Lachmanns Vorstellungen zur demographischen Entwicklung sind gewohnt abenteuerlich. „Ohne die Muslime, ohne Zuwanderung würden die deutschen Sozialsysteme in den kommenden Jahrzehnten kollabieren.“ – so einen Unsinn lässt der Rezensent ohne Anmerkung durchgehen. Und zur bei uns herrschenden Toleranz hat Vierecke vermutlich (siehe Rezension) noch blauäugigere Vorstellungen als der Buchautor Lachmann. Aus aktuellem Anlass hierzu ein Link zu SPIEGEL ONLINE – 31. März 2006, 15:35

    „Rassismus
    Der Wahnsinn liegt auf dem Platz
    Von Eva Lodde
    Jedes zweite Spiel ist ein Martyrium: Der Leipziger Stürmer Adebowale Ogungbure wird angespuckt, als “Nigger” beschimpft, Zuschauer imitieren Affenlaute. Dann riss ihm einmal der Geduldsfaden, er hob den Arm zum Hitlergruß. Bei SPIEGEL ONLINE spricht er über Fußball im Feindesland.“

Hier die Vierecke-Rezensionen bei Amazon:

  1. Das Methusalem-Komplott
    von Frank Schirrmacher
    Rezensionen
    Aus der Amazon.de-Redaktion
    Frank Schirrmacher ist der Panikmache unverdächtig. Was er aber für sein Buch Das Methusalem-Komplott an erschütternden Fakten über das Altwerden zusammengetragen hat, könnte zarte Gemüter, wenn sie völlig unvorbereitet damit konfrontiert werden, durchaus in Panik versetzen. Dies zumal, wenn sie gerade einmal wieder eine der kritischen Wegmarken (wie den 40. oder 50. Geburtstag) vor oder hinter sich haben. Und das Schlimmste: Die Panik ist berechtigt!
    Die demografische Katastrophe, auf die wir unweigerlich zusteuern, ist nicht nur das versicherungsmathematische Problem, dessen man gegenwärtig verzweifelt Herr zu werden versucht. Alter ist von jeher mit vielen weiteren, nicht minder existenziellen Nöten und Sorgen behaftet als nur mit denen um die so genannte “Alterssicherung”. Das Nachlassen der körperlichen und geistigen Kräfte, Krankheit, Angst und Tod werden mit zunehmendem Alter immer bestimmendere Lebensthemen. Als sei dies für das Individuum nicht schon schlimm genug, kommt eben diese Lebensproblematik mit vielfacher Wucht nun zusätzlich noch auf die Gesellschaft als ganze zu. Die nämlich hat längst begonnen, in einem in jeder Hinsicht beängstigenden Maße zu “überaltern”.
    “Am Horizont der Zukunft”, schreibt Schirrmacher zu Beginn, “baut sich eine der erbittertsten Streitmächte gegen die Alten auf, die es je gegeben hat. Sie marschiert auf uns zu, die wir heute 20, 30 oder 60 Jahre sind, denn wenn der Krieg beginnt, werden wir die Älteren sein. Und die Gesellschaft, die wir geschaffen haben, nimmt den Alternden alles: das Selbstbewusstsein, den Arbeitsplatz, die Biographie. Unsere Lebensentscheidungen basieren auf Grundrissen und Daten eines vergangenen Jahrhunderts. Gingen wir mit dem Raum so um wie mit unserer Lebenszeit, würden wir in Postkutschen reisen.”
    Das alles klingt gewiss alles andere als ermutigend. Trotzdem ist Schirrmachers Buch letztendlich genau dies: eine ganz entschiedene Ermutigung. Woraus nämlich allein Rettung erwachsen kann, ist eine grundstürzende und grundlegende Revolution des Bildes, das wir uns von unserem Leben und unserem Alter machen. Die Aufgabe ist keine geringe. “Die Frage ist, wie wir den Steinzeitmenschen in uns an eine fast verfünffachte Lebenserwartung gewöhnen können.” Wenn wir diese Aufgabe ernst nehmen, können wir das Blatt zum Guten wenden, so könnte man das Fazit des Buches auf einen kurzen Nenner bringen. “Wir müssen verlernen, was unsere Kultur und unsere Biologie uns über das Alter eingaben. Sie haben, um es trivial auszudrücken, nicht mehr Recht. Es ist vorbei mit der unbestrittenen Herrschaft der Jugend über das Alter.” Daraus gilt es, Konsequenzen zu ziehen. Und genau dafür bietet Schirrmacher viele interessante Anknüpfungspunkte. — Ein Buch, das man lesen muss! –Andreas Vierecke —
  2. Handbuch zur deutschen Einheit. 1949 – 1989 – 1999.
    von Werner Weidenfeld, Karl-Rudolf Korte
    Aus der Amazon.de-Redaktion
    Handbuch zur deutschen Einheit 1949 – 1989 – 1999
    Die vollkommen aktualisierte und erheblich erweiterte Neuausgabe des von Werner Weidenfeld und Karl-Rudolf Korte herausgegebenen und von Andreas Kießling sorgfältig redigierten Standardwerks beleuchtet in 71 Einzelbeiträgen gewohnt zuverlässig und umfassend sämtliche nationalen und internationalen Aspekte der Geschichte und Politik der deutschen Einheit sowie ihrer Folgen und Begleiterscheinungen.
    Die Geschichte des nunmehr bereits in seiner vierten Ausgabe aufgelegten Handbuchs ist zugleich ein Spiegel seines Gegenstands: In der 1992 unter dem Titel Handwörterbuch zur deutschen Einheit erschienenen Erstausgabe dominierte die historische Dokumentation der deutschen Frage, ergänzt durch eine Betrachtung der unmittelbar noch nachwirkenden deutschen Vereinigung. Bereits 1993 erschien die zweite Ausgabe und rückte die Epochenwende von 1989 schon in eine geschichtliche Perspektive. Während dann die Ausgabe von 1996 systematisch die Lage der Nation in den Mittelpunkt stellte, folgt das nun vorliegende Handbuch zur deutschen Einheit 1949 -1989 -1999 den Leitthemen zehn Jahre nach dem Fall der Mauer. In den Vordergrund rücken nun die zeitgeschichtlichen Aspekte der fünfzigjährigen Geschichte der Bundesrepublik, zu der die vierzig Jahre Teilung ebenso gehören, wie der nunmehr zehn Jahre währende Einigungsprozeß. –Andreas Vierecke —
  3. Masterplan Deutschland. Mit dem Prinzip Einfachheit zurück zum Erfolg
    von Ulrich van Suntum
    Aus der Amazon.de-Redaktion
    Keine Frage: An der Komplexität unserer politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit kann man bisweilen tatsächlich verzweifeln. Dabei könnte doch alles so einfach sein und obendrein auch noch besser. Das jedenfalls ist die ebenso schlichte wie feste Überzeugung des Münsteraner Volkswirtschaftsprofessors Ulrich von Suntum, der uns mit seinem Masterplan Deutschland, wie freilich unzählige Autoren vor ihm, zeigen will, wie wir unser Land wieder auf Erfolgskurs bringen. Nämlich — ganz einfach — mit einer beherzten Reduktion der Komplexität unserer politisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit.
    Zum Basishandwerkszeug jeden wissenschaftlichen Bemühens, das eine oder andere Rätsel der Welt zu entschlüsseln, gehört es, zunächst aus der Gesamterscheinung eines Phänomens dasjenige zu isolieren, das für sein Verständnis und gegebenenfalls seine gezielte Manipulation wesentlich ist. In der Politik indes, die zwar auch eine Wissenschaft ist, in der Praxis aber vor allem eine Kunst (nämlich aus der unendlichen Fülle von Handlungsmöglichkeiten einzelne im rechten Maß zu wählen und durchzusetzen), gerät die Reduktion von Komplexität schnell in den Ruch der Ideologie. Denn: So einfach, wie wir es gerne hätten, ist die wirkliche Welt leider in den wenigsten Fällen. Trotzdem glaubt der Autor, dass unsere vor allem wirtschaftliche Malaise mit seinem radikalen Komplexitätsreduktionsrezept tatsächlich zu heilen wäre. Auf keinen Fall dürften wir uns länger von all den ökonomischen “Quacksalbern”, die uns Sonntag für Sonntag aus den Sabine Christiansens Sesseln Sand in die Augen streuen, auf falsche Fährten locken lassen.
    Die Baustellen, auf denen von Suntum mit seinem “Prinzip Einfachheit” aufräumen möchte, sind uns alle wohl bekannt. Seit Jahren geht es dort, wenn überhaupt, nur langsam voran: Bürokratieabbau, Föderalismusreform und Länderfinanzausgleich, Steuerreform, Umbau des Sozialversicherungs-, Renten und Gesundheitssystems und nicht zuletzt der überregelte Arbeitsmarkt. Für den neoliberalen Ökonomen Suntum alles eigentlich ganz einfach zu lösende Aufgaben. Eine “Große Koalition der Vernunft” könnte die wichtigsten Schritte dazu in einer Legislaturperiode machen. Und dies sei auch nötig. Man muss van Suntums Argumenten gewiss nicht unbedingt folgen. Sich mit seinen Thesen auseinander setzen sollte man aber auf jeden Fall! Die Zeiten nämlich, als man sich um derlei Debatten herumdrücken konnte, neigen sich dem Ende zu. Van Suntum ist nicht allein! — Andreas Vierecke —
  4. Tödliche Toleranz Die Muslime und unsere offene Gesellschaft
    von Günther Lachmann, Ayaan Hirsi Ali
    Aus der Amazon.de-Redaktion
    “Dieses Buch richtet sich nicht gegen Ausländer. Ebenso wenig ist es eine Anklageschrift gegen Muslime oder den Islam schlechthin.” Dass Günther Lachmanns Vorwort zu seinem unbedingt lesenswerten Buch über unsere von ihm diagnostizierte Tödliche Toleranz mit dieser Klarstellung beginnt, hat seinen guten Grund. Denn tatsächlich geht Lachmann, wie schon der Untertitel “Die Muslime und unsere offene Gesellschaft” andeutet, hart ins Gericht mit dem Islamismus, der sich mitten unter uns bei den hierzulande lebenden Muslimen in den letzten Jahren hat etablieren können. Nach den Anschlägen von New York am 11. September 2001 und Madrid am 11. März 2004 beginnen wir nur langsam zu begreifen, dass sich die Toleranz, die wir uns zugute halten, beginnt gegen uns zu wenden, weil wir selbst der fundamentalistischen Intoleranz gegenüber viel zu lange blind oder anerzogen nachsichtig gewesen sind.
    “Zu den unbegreiflichsten Vorstellungen seit dem 11. September 2001 und den Terror-Anschlägen von Madrid zählt jene”, schreibt Lachmann an einer Stelle, “dass die mutmaßlichen Täter dieser Anschläge unter uns lebten und wir ihre Absichten nicht erkannt haben. Und uns quält die Sorge, dass wir potentielle neue Täter in Spanien, Frankreich, Italien oder Deutschland ebenfalls nicht erkennen werden.” Und tatsächlich ist dies eine äußerst reale Gefahr. Auch im Hamburger Umfeld Mohammed Attas, einem der Todespiloten von New York, wäre niemand auf die Idee gekommen, in diesem zurückhaltenden jungen Muslim könne eine gefährliche Bombe ticken.
    Nicht nur die Al-Kaida-Anschläge auf das World Trade Center führten die Fahnder nach Deutschland. Hier wurde auch ein — glücklicherweise vereitelter — Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt geplant. Und hierhin führten Spuren auch von den Attentaten von Djerba und Bali. “Warum?”, fragt Günther Lachmann und gibt darauf eine alarmierende Antwort: “Weil hier während der vergangenen zwei Jahrzehnte durch falsch verstandene Toleranz der Mehrheitsgesellschaft in den muslimischen Gettos eine islamische Radikalisierung stattfand, die so in keinem arabischen Land möglich gewesen wäre.” — Wem der Erhalt der unserem Gesellschaftsentwurf wesentlichen Toleranz am Herzen liegt, muss sich diesem Problem stellen. Eine glänzend recherchierte Analyse! — Andreas Vierecke —

    Über den Autor
    Günther Lachmann, geboren 1961 in Papenburg, war vier Jahre lang in der politischen Redaktion von BILD, ehe er 2001 als stellvertretender Leiter der Parlamentsredaktion zur WELT AM SONNTAG ging . Er hat sich in seiner Arbeit dort auf das Thema des Islamismus und der Muslime in Deutschland konzentriert.

  5. Das Imperium der Schande. Der Kampf gegen Armut und Unterdrückung
    von Jean Ziegler, Dieter Hornig (Übersetzer)
    Aus der Amazon.de-Redaktion
    Jean Ziegler will unsere Aufmerksamkeit einmal auf ein anderes Imperium lenken, als das, welches die USA derzeit aufzurichten versuchen, nämlich auf das, welches nach seinem Dafürhalten die Welt nach seiner Überzeugung schon längst nach seinen alleinigen Regeln beherrscht: das Imperium der großen, transnationalen Konzerne. Und eben die macht er deshalb auch verantwortlich für die Unterdrückung, die Armut und den Hunger in der Welt.
    Der Autor geißelt dieses Imperium der Schande in dem unvergleichlich harschen Ton, den wir von ihm schon aus seinen vorherigen Veröffentlichungen wie Wie kommt der Hunger in die Welt oder Die neuen Herrscher der Welt kennen. Auch diesmal wird man schwerlich einen Zwischenton finden: Gut oder böse – allein in diese Kategorien sortiert Ziegler die global agierenden Wirtschaftslenker ein. Das heißt: Eigentlich sind sie alle böse, weil in dem Weltmarkt, der nach den Spielregeln funktioniert, wie sie heute nun mal zu gelten scheinen, wohl nur die Bösen zum Zuge kommen. Und die sind getrieben von nichts als ihrer Gier: “Der einzige Antrieb dieser neuen Feudalherren ist die Anhäufung größtmöglicher Profite in möglichst kurzer Zeit, die kontinuierliche Ausdehnung ihrer Macht und die Beseitigung jedes sozialen Hindernisses, das sich ihren Dekreten widersetzt.”
    Ziegler, immerhin Sonderbeauftragte der UNO für das Recht auf Nahrung, ist ein honoriger Mann, auch wenn man ihn in der Schweiz wegen seiner in Die Schweiz wäschst weißer erhobenen Vorwürfe auch schon mal wegen Landesverrats ins Gefängnis stecken wollte. Was bereits für seine ätzende Generalkritik am Schweizer Finanzsystem galt, gilt auch für Das Imperium der Schande: Trotz aller Vorbehalte, die man gegenüber der Art und Weise haben mag, wie Ziegler seine Kritik vorträgt — in der Grundsubstanz ist sie leider nicht ganz unberechtigt. Auseinandersetzen sollte man sich mit ihr deshalb allemal! — Andreas Vierecke —