Occupy und die Rechtspopulisten

Jens Berger
Ein Artikel von:

Bislang haben die NachDenkSeiten die Occupy-Bewegung stets konstruktiv begleitet und als neue Form des Protests gesehen, der ohne eine klare politische Agenda daherkommt und seine Richtung erst noch finden muss. Wohin die Reise geht, war und ist vollkommen offen. Leider mehren sich in den letzten Tagen die Zeichen, dass die Occupy-Bewegung ihre Inhalte und Ziele dadurch kompromittiert, dass sie rechten Rattenfängern wie Hans Olaf Henkel hinterherläuft und Kritik an diesem Kurs mit Zensur belegt. Von Jens Berger

Kritik am Finanzsystem wird von nahezu allen politischen Kräften geübt und ist ohne konkrete Alternativvorschläge wohlfeil. Auch wenn eine „solidarischere Gesellschaft“, die sich die Occupy-Bewegung auf ihre Fahnen geschrieben hat, per definitionem nur über eine fortschrittliche Politik zu erreichen ist, gibt sich Occupy jedoch reflexhaft antiideologisch und lehnt jedwede Kategorisierung anhand der politischen „Gesäßgeographie“ strikt ab. Occupy Deutschland will weder links noch rechts sein. Mehr noch: Man vertritt sogar die Ansicht, dass es heute gar keine linke oder rechte Politik mehr gäbe (bzw. geben könne), die alten Grabenkämpfe Scheingefechte eines längt vergangenen Zeitalters seien und die heutigen Gräben nicht mehr zwischen rechts und links, sondern zwischen oben und unten verlaufen würden. Dass es Gräben zwischen oben und unten gibt, ist unbestreitbar. Umstritten ist jedoch, ob rechte Politik, die immer auch antiegalitär sein muss, überhaupt dazu geeignet sein kann, diese Gräben zu überwinden. Auch wenn man diese Frage dezidiert verneinen muss, ist diese Erkenntnis jedoch nutzlos, wenn der Adressat sich weigert, überhaupt einen Unterschied zwischen rechter und linker Politik wahrzunehmen.

Wer ohne Kompass im Nebel auf Sicht fährt, ist jedoch allerlei Gefahren ausgesetzt. Ist es beispielsweise mit den – wenn auch vagen – inhaltlichen Ansprüchen der Occupy-Bewegung zu vereinbaren, den Rechtspopulisten Hans Olaf Henkel zu „interviewen“ und dazu auf Facebook einen wohlwollenden, komplett kritiklosen Artikel zu schreiben, der jedem Leser den Eindruck vermittelt, die Ziele von Henkel seien mit denen von Occupy Deutschland deckungsgleich? Ist es mit den demokratischen Ansprüchen der Occupy-Bewegung zu vereinbaren, wenn Kritik an diesem Henkel-Artikel rigoros gelöscht wird und die Kritiker aus der Facebook-Gruppe verbannt werden? Exakt dies ist am Dienstag geschehen, die Kritikerin ist eine gute Bekannte und Mitstreiterin der NachDenkSeiten. Besonders traurig ist diesem Zusammenhang auch, dass bei Facebook gepostete Links zu Beiträgen der NachDenkSeiten zur Person Hans Olaf Henkels und seinen inhaltlichen Positionen von der Administration gelöscht wurden, während jeder rechte oder verschwörungstheoretische Unfug dort nicht beanstandet wird. Offensichtlich sind die NachDenkSeiten für die Administration von Occupy Deutschland keine zitierbare Quelle. Eine Beschwerde eines unserer Leser wurde kommentarlos mit dem Profil unserer Herausgeber „beantwortet“, denen man qua Parteizugehörigkeit in der SPD offenbar ad personam jegliche Satisfaktionsfähigkeit abspricht, ohne sich mit deren Artikeln überhaupt jemals auseinandergesetzt zu haben. Wenn man im Gegenzug einen bekennenden Rechtspopulisten wie Henkel, dessen politische Heimat die FDP war und der nun den noch konservativeren „Freien Wählern“ auf die Beine helfen will nicht nur für satisfaktionsfähig hält, sondern auch jede fundierte Kritik an seinen inhaltlichen Positionen zensiert, so ist dies höchst bedenklich. Dazu sollte sich jedoch jeder NachDenkSeiten-Leser sein eigenes Urteil bilden.

Natürlich ist es möglich, dass die Occupy-Bewegung im Kern Positionen innehat, die mit denen der NachDenkSeiten größtenteils deckungsgleich sind und nur die Administration des Forums schlichtweg intellektuell überfordert ist. Wenn man seine eigene Internetpräsenz jedoch nicht unter Kontrolle hat, besteht Handlungsbedarf – vor allem bei einer Organisation, die sich primär auf das Internet als Kommunikationskanal fokussiert. Es ist freilich auch möglich, dass die Henkel-Verehrung seitens einiger Occupy-Aktivisten nur eine Ausnahme ist und nicht die Mehrheitsmeinung der Bewegung repräsentiert. Wenn dem so sein sollte, ist allerdings die Mehrheit gefragt, hier für Klarheit zu sorgen – vor allem bei einer Organisation, die sich primär basisdemokratischen Entscheidungsstrukturen bzw. den Methoden der „Liquid Democracy“ verschrieben hat. Es ist auch keinesfalls auszuschließen, dass die verantwortlichen Occupy-Aktivisten nicht das Gemeinwohl, die 99%, im Sinn, sondern die Bewegung für ganz andere Zwecke geentert haben. Wer von sich behauptet, er wolle „mehr Solidarität in der Gesellschaft schaffen“, sollte sich aber ganz ernsthaft fragen, ob dies mit den nationalchauvinistischen Populisten am rechten Rand umsetzbar sein kann. Wir von den NachDenkSeiten sind da offensichtlich dezidiert anderer Meinung als Teile der Occupy-Bewegung. Wir meinen überdies, dass eine Bewegung, die nun immerhin bereits mehrere Monate Zeit hatte, ihre Positionen auszuloten, so langsam ihren Welpenschutz verloren hat und sich auch der Kritik stellen muss.

Hintergrundartikel zu Hans Olaf Henkel (die Artikel, die Occupy Deutschland auf Facebook zensiert):

Und noch ein lesenswerter Artikel zur Occupy-Bewegung:

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