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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “Mehr” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (WL)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Explosive Stimmung in Griechenland nach «Statthalter»-Vorschlag
  2. Der Arbeitsmarkt in Spanien stürzt ab
  3. Gerhard Bosch: Beim Heuern und Feuern behindert
  4. Unausgewogene Wirtschaftsstruktur
  5. Ergebnis der Bürgerbefragung in Dresden über den Verbleib der Krankenhäuser
  6. ÖPP: Der Wirtschaftstrojaner
  7. Kinder unter 15 und Kinder unter 15 in SGB II-Bedarfsgemeinschaften (Hartz IV)
  8. Tarifverdienste von Oktober 2010 bis Oktober 2011 um 2,1 % gestiegen
  9. Mythen der Arbeit: Fortschritt kostet Arbeitsplätze – stimmt’s?
  10. Arbeit macht zunehmend psychisch krank
  11. US-Börsenaufsicht ermittelt gegen Deutsche Bank
  12. Knapp 150.000 Privatpatienten zahlen keine Beiträge
  13. Tretmühle Telekom
  14. Verfassungsschutz
  15. Ohne EU kein Datenschutz
  16. Studie bestätigt Gegner der Vorratsdatenspeicherung
  17. Uwe Timm: Strammgestanden für den freien Markt
  18. Ungerechtigkeit als gesellschaftliches Prinzip
  19. Offener Brief der SPD-Mitglieder gegen S21
  20. Guttenberg oder der „Sieg der Wissenschaft“?
  21. ZDF-Mitarbeiter fordern: „Freiheit für das Zweite!“
  22. Das Massaker von Haditha bleibt straflos
  23. Meinungsfreiheit
  24. Der Sarkostaat: Was macht die Polizei?!
  25. Zu guter Letzt: Business

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Explosive Stimmung in Griechenland nach «Statthalter»-Vorschlag
    Für die Griechen haben Überlegungen, ihnen praktisch einen Vormund vor die Nase zu setzen, das Fass zum Überlaufen gebracht.
    Die Wirtschaft schrumpft, die Arbeitslosigkeit steigt immer weiter an, Armut und Zukunftsangst bestimmen zunehmend den Alltag – da hat der Vorschlag aus Berlin, eine Art «Statthalter»-Kommissar der EU in Athen einzusetzen, zu Empörung und in manchen Fällen auch zu Überreaktionen geführt.
    Selbst seriöse Blätter wie die Athener Sonntagszeitung «To Vima» reagierten scharf. «Das Dokument der Schande. Merkel fordert die bedingungslose Kapitulation der griechischen Finanzen», titelte die Zeitung. Kommentatoren im Fernsehen sprachen von einem «Gauleiter», den Berlin in Griechenland einsetzen wolle. Die Deutschen verlangten «volle Vormundschaft», giftete das Athener Boulevardblatt «Ethnos» auf seiner Internetseite.
    Quelle: Die Zeit

    Anmerkung WL: Nach der Stammtisch-Idee der Bundesregierung, soll Griechenland gezwungen werden, seine Budget-Hoheit aufzugeben. Es soll ein von der Euro-Gruppe bestellter „Budget-Kommissar“ ein zentrales Berichts- und Überwachungssystem aufbauen, das weite Teile des griechischen Budgets kontrolliert und der „Kommissar“ soll weiter ein Veto-Recht haben, wenn Entscheidungen der griechischen Regierung nicht auf der Linie der von der Troika vorgegebenen Budget-Zielen liegt und darüber hinaus soll er sicherstellen, dass alle staatlichen Einnahmen zuerst zur Schuldentilgung (also nicht für Investitionen zur Ankurbelung der Wirtschaft) verwendet werden.
    Wir werden auf den NachDenkSeiten auf diesen Vorschlag noch näher eingehen.
    Griechenland hat nach den schon erfolgten drastischen Sparmaßnahmen – wie wir schon mehrfach dargestellt haben – vor allem ein Einnahme- und ein Wachstumsproblem.
    Siehe das Dokument des deutschen Ultimatums an Griechenland „Assurance of Compliance in the 2nd GRC Programme“.

  2. Der Arbeitsmarkt in Spanien stürzt ab
    5,3 Millionen sind ohne Stelle und schon die Hälfte aller jungen Menschen ist arbeitslos.
    Dass der Arbeitsmarkt in Spanien abstürzt, hat die Nationale Statistikbehörde (INE) mit der Studie zur erwerbstätigen Bevölkerung (EPA) am Freitag deutlich aufgezeigt. Ende 2011 waren insgesamt fast 5,3 Millionen Menschen ohne Job, 300.000 mehr als Ende September 2011.
    INE gibt die Arbeitslosenquote mit 22,85 Prozent der aktiven Bevölkerung an. Die europäische Statistikbehörde Eurostat hatte die Quote schon für November mit 22,9 beziffert und die Arbeitslosigkeit ist im Dezember weiter gestiegen…
    Obwohl sich Rajoy als großer Sparer darstellt, ist auch ihm klar, dass jeder Haushalt von solchen Arbeitslosenzahlen gesprengt wird. Er versuchte vor dem EU-Gipfel am Montag Vorstellungen einer “Stabilitätsunion” von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu stärken, fordert im Gegenzug aber Hilfen.
    Quelle: Telepolis

    Anmerkung WL: Unsere Kanzlerin empfahl Rajoy bei seinem Besuch Hartz IV für Spanien.

  3. Gerhard Bosch: Beim Heuern und Feuern behindert
    Während andere Länder in der Finanzkrise massenhaft Beschäftigte entlassen haben, haben deutsche Unternehmen in enger Abstimmung mit Gewerkschaften und Betriebsräten auf Kündigungen verzichtet. Eigentlich sollte sich dieses Beschäftigungswunder in den Hitlisten zur Wettbewerbsfähigkeit widerspiegeln. Weit gefehlt! In seinem neuesten Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit stuft das Weltwirtschaftsforum den deutschen Arbeitsmarkt nur auf Platz 64 von 142 Ländern ein – weit abgeschlagen hinter Gambia, Kasachstan oder der Mongolei…
    Beim Kündigungsschutz und der Lohnfindung gehen die deutschen Werte richtig in den Keller. Die Manager sehen sich beim Heuern und Feuern durch Regulierungen stark behindert, was Deutschland auf Platz 132 bringt…
    Die guten Arbeitsmarktwerte der Diktaturen dieser Welt enthüllen ein zutiefst antidemokratisches Weltbild der Macher des Berichts. Grundrechte, wie die Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation zur Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie, gelten als Wettbewerbshindernis. Sichtbar wird das Leitbild einer Wirtschaft, in der man Arbeitsbedingungen ohne lästige Hindernisse festlegen kann und keine Steuern zahlen muss. Außerdem möchte man ohne Kündigungskosten seine Zelte in einem Land jederzeit abbrechen können. Das entspricht allenfalls den Interessen der heimatlosen Großkonzerne, die das Weltwirtschaftsforum finanzieren, nicht aber den Interessen von Staaten und ortsgebundener Unternehmen.
    Quelle: FR
  4. Unausgewogene Wirtschaftsstruktur
    Einige Überlegungen zur industriellen Exportorientierung Deutschlands von Hagen Krämer.
    Stärke der Industrie auf Faktoren beruht, die auf Dauer keinen Bestand haben können und die zudem an anderer Stelle „Kollateralschäden“ verursacht haben. Denn die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse der vergangenen Jahre basieren auch auf einer durchaus problematischen Lohnentwicklung. Die Lohnmoderation der vergangenen Jahre hat zwar die Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrien deutlich erhöht, hat aber im Verbund mit der hohen Arbeitslosigkeit eine Schwächung der Konsumnachfrage bewirkt und damit zur Stagnation der Binnenwirtschaft beigetragen. Die Tatsache, dass Deutschland seit dem Eintritt in die Europäische Währungsunion zu den Ländern mit den im Durchschnitt niedrigsten Wachstumsraten in der Europäischen Union gehört sowie die trotz der jüngsten positiven Entwicklungen immer noch unbefriedigende Beschäftigungslage, sind Ausdruck von Fehlentwicklungen der letzten Dekaden. Zu dieser Negativbilanz eines deutschen Geschäftsmodells, das primär auf Exportüberschüsse setzt, gehören auch die enormen deutschen Kapitalexporte, die zum Teil fehlinvestiert wurden und abgeschrieben werden müssen. Die seit geraumer Zeit zu beobachtende mangelnde inländische Absorption kann daher als Ausdruck eines nicht nachhaltigen wirtschaftpolitischen Konzepts angesehen werden; sie hat in diesem Sinne eine unausgewogene Wirtschaftsstruktur in Deutschland hervorgerufen, die in dieser übermäßigen Ausprägung langfristig keinen Bestand haben wird.
    …Da die derzeitigen Leistungsbilanzungleichgewichte nicht nachhaltig sind, bedeutet dies in der Konsequenz, dass mittelfristig entweder die Exporte aus Deutschland zu drosseln sind, unsere Importe zu steigen haben oder eine Kombination von beidem eintreten muss….
    Auf welchem Weg eine Rückführung des deutschen Exportüberschusses auch immer zustande kommt, klar ist, dass dies mittelfristig eine spürbare Restrukturierung der deutschen Wirtschaft herbeiführen wird. Zwei zentrale Argumente sprechen dafür, dass diese Umstrukturierung weg von der Industrie und hin zu den Dienstleistungen gehen würde. Erstens würde der Industriesektor, der durch die nicht nachhaltigen Exporterfolge in Deutschland unangemessen groß geworden ist, wahrscheinlich in Richtung eines international üblichen Anteilswertes schrumpfen. Basiert die Entwicklung auf einer Abkehr von der Lohnmoderation kann zweitens erwartet werden, dass aufgrund des Einkommensanstiegs die privaten Haushalte überproportional Dienstleistungen nachfragen werden, wie dies auch den Erfahrungen der Vergangenheit entspricht.
    Quelle: DGB Gegenblende
  5. Ergebnis der Bürgerbefragung in Dresden über den Verbleib der Krankenhäuser
    • Ja (für den Verbleib der Krankenhäuser in städtischer Hand): 84,24% (> 25% der Stimmberechtigten, also bindend)
    • Nein (für die Umwandlung in eine gGmbH): 15,76%

    Für die Beibehaltung der Krankenhäuser in städtischer Hand setzten sich die Linke und die SPD ein.
    Für eine Umwandlung in eine gGmbH waren CDU, FDP und Grüne.
    Quelle: Dresden.de

  6. ÖPP: Der Wirtschaftstrojaner
    Wie die Wirtschaft sich im Staat einnistet: das Märchen von der öffentlich-privaten Partnerschaft. Eine Firma, maßgeschneidert nach den Interessen der Industrie, berät die öffentliche Hand bei Aufträgen. Es geht um Milliarden. Berater und Banken entwickeln die Idee für eine scheinbar neutrale Beratungsgesellschaft, die ihnen staatliche Aufträge verschafft. Der Clou: Das Bundesfinanzministerium setzt sie um und bezahlt dafür.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Eigentlich ist schon alles gesagt, wenn man weiß, dass die Ursprungsidee von der Unternehmensberatung McKinsey stammt. Besonders schön die Einlassungen von Klaus Droste (13. Februar 2007), Topmanager der Deutschen Bank und bis 2000 McKinsey, in einem vertraulichen Strategiepapier: “Ein echter ,Deal Flow’ ist bislang trotz starken Interesses der Bauwirtschaft und Finanzindustrie nicht zustande gekommen. […] Das Image von PPP in der Öffentlichkeit ist eher negativ.” Doch er sieht jetzt die Chance, das zu ändern. Mit Hilfe von Politikern. “Insbesondere auch das derzeit durch die Führung insbesondere des BMF gegebene Momentum pro PPP könnte von der IFD (Initiative Finanzstandort Deutschland, Anm. d. Red.) dazu genutzt werden, eine völlig neue Initiative zu starten: die Schaffung einer von Privatwirtschaft und öffentlicher Hand getragenen Beratungsgesellschaft für PPP-Projekte – Arbeitstitel, Partnerschaften Deutschland GmBH (PDG)’ – mit maßgeschneidertem Auftrag und Struktur.”

  7. Kinder unter 15 und Kinder unter 15 in SGB II-Bedarfsgemeinschaften (Hartz IV): Ländervergleich
    Unter der Überschrift „Kinderarmut geht zurück“ berichtet die Süddeutsche Zeitung (Online) … über Ergebnisse einer „Analyse der Bundesagentur für Arbeit“. Die in diesem Artikel genannten Zahlen zur Veränderung der Zahl der Kinder im Alter von unter 15 Jahren, deren Eltern auf Arbeitslosengeld II (Hartz IV) angewiesen sind, bedürfen der Ergänzung:
    In dem Artikel fehlt jeglicher Hinweis auf die Entwicklung der Zahl der Kinder im Alter von unter 15 Jahren insgesamt. Bei Berücksichtigung der Zahl der Kinder stellen sich die Veränderungsraten im Ländervergleich deutlich anders dar als bei alleiniger Betrachtung der absoluten Zahl der „nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten“ (bis Ende 2009: nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige“) im Alter von unter 15 Jahren.
    Im Fünf-Jahreszeitraum von September 2006 bis September 2011 sank die Zahl der Kinder unter 15 in „SGB II-Bedarfsgemeinschaften“ um die von der Süddeutschen Zeitung berichteten 13,5 Prozent. Die Zahl der Kinder unter 15 ist in der Bundesrepublik Deutschland im Fünf-Jahreszeitraum von Ende 2005 bis Ende 2010 um 6,1 Prozent auf 10,941 Millionen gesunken. Dies bleibt in der Süddeutschen Zeitung unerwähnt. Die Hilfequote1 der Kinder im Alter von unter 15 Jahren sank von 16,3 Prozent auf 15,0 Prozent. Dies entspricht einer Veränderung der Hilfequote um -7,9 Prozent. (1,3 Prozentpunkte)
    Quelle: Bremer Institut für Arbeitsmarktforschungund Jugendberufshilfe e.V. (BIAJ) [PDF – 130 KB]
  8. Tarifverdienste von Oktober 2010 bis Oktober 2011 um 2,1 % gestiegen
    Die tariflichen Monatsverdienste der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland haben sich von Oktober 2010 bis Oktober 2011 durchschnittlich um 2,1 % erhöht. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, hat die Steigerungsrate der durchschnittlichen Tarifverdienste gegenüber dem jeweiligen Vorjahresmonat seit Januar 2011 beständig zugenommen (Januar 2011: 0,9 %, April 2011: 1,5 %, Juli 2011: 1,8 %). Im Oktober 2011 lag der Zuwachs der Tarifverdienste erstmals seit Januar 2010 wieder über der 2 %-Marke.
    Der Anstieg der Tarifverdienste kommt jedoch nicht allen Arbeitnehmern gleichermaßen zugute. In der Privatwirtschaft führte die wirtschaftliche Erholung in vielen Branchen zu vergleichsweise hohen Tarifabschlüssen, sodass die Tarifverdienste der Beschäftigten von Oktober 2010 bis Oktober 2011 überdurchschnittlich um 2,5 % stiegen. Im Bereich „Nichtmarktbestimmte Dienstleistungen“, zu dem unter anderem die Wirtschaftsbereiche Öffentliche Verwaltung, Erziehung und Unterricht sowie das Gesundheitswesen gehören, erhöhten sich die Tarifverdienste hingegen um 1,0 %.
    Quelle: Statistisches Bundesamt

    Anmerkung Orlando Pascheit: In welchem Film sind wir? Da sprechen die Politiker von einem Boom und dass wir in Europa Spitze sind. Nur angekommen ist davon bei den Arbeitnehmern nichts, denn eine Inflation von 2,3 Prozent hat davon nichts mehr an Kaufkraft übrig gelassen – im Gegenteil. In Wirklichkeit dürfte die Situation noch trister sein, denn nur die Hälfte der Beschäftigten arbeitet in tarifgebundenen Betrieben. – Irgendwie wird man nicht das Gefühl los, dass unsere Gewerkschaften den falschen Strategien aufsitzen. Sie müssten doch allmählich im Vorwege Techniken entwickelt haben, um nicht in der Abfolge Abschwung -Aufschwung- Abschwung- Aufschwung immer zu spät und dann gar nicht mehr zu kommen.

  9. Mythen der Arbeit: Fortschritt kostet Arbeitsplätze – stimmt’s?
    Werden Produktionsverfahren verbessert, so wird die Wertschöpfung pro Arbeitskraft gesteigert, das heißt: Die Produktivität der Arbeit steigt. Für die gleiche Menge an Gütern oder Diensten benötigt man weniger Arbeitseinsatz. Dies ist der Einspareffekt des technischen Fortschritts. Die Herstellungskosten pro Stück sinken, Güter oder Dienste können billiger angeboten werden. Darauf reagieren die Kunden: Der günstige Preis mobilisiert zusätzliche Nachfrage. Dies ist der Nachfrageeffekt. Ob der technische Fortschritt Arbeitsplätze kostet oder schafft, hängt davon ab, ob der Einspareffekt größer ist als der Nachfrageeffekt oder umgekehrt – beides ist möglich. Ganz anders bei neuen Produkten. Diese sind bei Markteinführung in der Regel zunächst einmal teuer, so dass nur wenige sie sich leisten können. Beispielsweise waren die ersten Laptops, die auf den Markt kamen, Luxusgüter. Mit dem technischen Fortschritt bei den Produzenten stieg deren Produktivität, die Preise sanken dramatisch. Das Produkt wurde für immer mehr Verbraucher erschwinglich und damit zum Massenprodukt. Da der Nachfrageeffekt den Einspareffekt klar überwiegt, werden im Herstellungsprozess weltweit insgesamt heute viel mehr Arbeitskräfte benötigt als zur Zeit der Markteinführung. – Für ein Land wie Deutschland, das im Weltmaßstab ein Hochlohnland ist, wäre es fatal, eine Verlangsamung des technischen Fortschritts anzustreben. Standardgüter, für die der Markt bei uns wie bei unseren Haupthandelspartnern weitgehend gesättigt ist, haben hier kaum eine Zukunft. Stattdessen wird es darum gehen, nicht nur auf effiziente Produktionsverfahren zu setzen, sondern auch auf innovative Produkte und Dienstleistungen. Dabei sollte man den Begriff “innovativ” nicht zu eng fassen. Auch alte Produkte lassen sich durch wesentliche Veränderungen in ihren Qualitätseigenschaften wie Energieverbrauch, Design oder Nutzerfreundlichkeit neu erfinden.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung Orlando Pascheit: Als Einführung in die Problematik ist der Artikel durchaus zu begrüßen, aber kein Weg führt an der Tatsache vorbei, dass der Anteil die Beschäftigten im produzierenden Gewerbe an der Gesamtbeschäftigung seit 1991 um fast zehn Prozentpunkte auf 18,7 Prozent 2011 zurückgegangen ist. Auch wenn ein Teil der verarbeitenden Industrie abgewandert bzw. durch ausländische Konkurrenz verdrängt wurde, dürfte z.B. der Rückgang der Beschäftigung in der Textil- und Bekleidungsindustrie von 185.195 (2000) auf 80.985 (2010) auch auf arbeitsplatzsparenden technischen Fortschritt zurückzuführen sein. Es stellen sich dann auch hochkomplexe Fragen wie z.B. die nach Arbeitszeitverkürzung.

  10. Arbeit macht zunehmend psychisch krank
    Glaubt man den Veröffentlichungen der Regierung und der Bundesagentur für Arbeit, dann müsste es den deutschen Arbeitnehmern so gut gehen wie schon lange nicht mehr. Nur 2,976 Millionen Menschen waren im vergangenen Jahr in Deutschland im Schnitt erwerbslos, das ist der niedrigste Stand seit 20 Jahren. „Das Jahr 2011 kann als das mit Abstand erfolgreichste Jahr für die Erwerbstätigen im wiedervereinigten Deutschland bezeichnet werden“, feiert[1] beispielsweise Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) die derzeitige Lage am Arbeitsmarkt. Doch ein Blick hinter diese Erfolgszahlen zeigt: Für die arbeitende Bevölkerung in Deutschland sind keinesfalls goldene Zeiten angebrochen.
    Quelle: Telepolis

    Anmerkung: Die offizielle Arbeitslosenzahl wird mit dem Satz “Nur 2,976 Millionen Menschen waren im vergangenen Jahr in Deutschland im Schnitt erwerbslos …” als Tatsache formuliert, was diesem Einleitungstext eine sehr naive Note gibt. Die danach gelieferten Daten und Fakten sind sehr beunruhigend, auch, wenn sie für NachDenkSeiten-Publikum nicht komplett neu sind.

  11. US-Börsenaufsicht ermittelt gegen Deutsche Bank
    Der Deutschen Bank droht Ärger in den USA: Nach SPIEGEL-Informationen ermitteln amerikanische Finanzaufseher gegen das Kreditinstitut. Hintergrund sind umstrittene Immobilien-Wertpapiergeschäfte vor der Finanzkrise. Die Untersuchung könnte das Geldhaus teuer zu stehen kommen.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung: In der Printausgabe des Spiegels werden folgende Klagen aufgelistet:
    Klagen der US-Regierung: Klage wegen erschlichener staatlicher Garantien mit einem Forderungsumfang von 1.000 Milliarden Dollar; Klage der Loreley-Gesellschaften (Töchter der IKB) wegen Verkaufs von CDOs durch die DB in betrügerischer Absicht mit Forderungen in Höhe von 439 Millionen Dollar; Klagen der US-Hausfinanzierungsbehörde (FHFA) wegen Betrugs beim Verkauf verbriefter Hypotheken (RMBS) an die Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac im Volumen von 5 Milliarden. Klagen des US-Lehrer-Pensionsfonds (TIAA) wegen Betrugs beim Verkauf verbriefter Hypotheken (RMBS) mit Forderungen in nicht bekannter Höhe. Zudem gebe es Ermittlungen der US-Wertpapieraufsicht SEC wegen das Vorwurfs der Manipulation von CDO-Geschäften zugunsten des Hedgefonds-Managers John Paulson.

  12. Private Krankenversicherungen: Knapp 150.000 Privatpatienten zahlen keine Beiträge
    Immer mehr Mitglieder der privaten Krankenversicherung zahlen keine Beiträge – und haben im Krankheitsfall trotzdem Anspruch auf Leistungen. „Es gab Ende September 2011 insgesamt 144.000 Nicht-Zahler in der privaten Krankenversicherung. Seit Einführung der allgemeinen Pflicht zur Versicherung können private Krankenversicherungen ihren Kunden wegen Zahlungsrückständen nicht mehr kündigen“, sagte Dirk Lullies, Sprecher beim Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV).
    Um das Problem der Nichtzahler einzudämmen, planen die privaten Krankenversicherungen nun spezielle Tarife, die nur noch eine Notfallversorgung abdecken. Die nötigen Gesetzesänderungen werden derzeit vom Bundesfinanz- und vom Bundesjustizministerium vorbereitet. Die Gesetzesentwürfe dafür sind weitgehend fertig.
    Insgesamt sind in der PKV 8,9 Millionen Menschen voll krankenversichert. Bei Einführung der Versicherungspflicht 2009 wechselten viele Kunden, die bis zum damaligen Zeitpunkt unversichert waren, in eine private Krankenkasse. Zudem lockten viele Privatkassen mit billigen Einstiegstarifen. Experten machen beide Entwicklungen für die hohe Zahl der Nichtzahler mitverantwortlich.
    In der gesetzlichen Krankenversicherung werden Beitragsrückstände noch nicht systematisch erfasst. Bekannt ist nach Auskunft des obersten Krankenkassenverbands nur, dass zwischen April 2007 und März 2009 bei den Krankenkassen Beitragsrückstände in einer Höhe von 630,3 Mio. Euro aufgelaufen sind.
    Quelle: Welt Online
  13. Tretmühle Telekom
    Die Deutsche Telekom beschreibt sich gern als soziales Unternehmen, familien- und frauenfreundlich. Dennoch verließen seit 1996 in Deutschland etwa 130.000 Männer und Frauen das Unternehmen, mehr oder weniger freiwillig. Permanente Umorganisationen und Standortverlagerungen machen viele „Telekomiker“, wie sie sich selbst nennen, mürbe. Hinzu kommt, dass die Arbeitsverdichtung und der Druck auf die Mitarbeiter/innen erheblich zunehmen.
    Die Meisten sprechen darüber nur hinter vorgehaltener Hand – die Angst den Arbeitsplatz zu verlieren ist groß. Feature-Autor Charly Kowalczyk hat nach langen Recherchen einen Einblick in die interne Telekom-Welt erhalten.
    Quelle: ARDradiofeature
  14. Verfassungsschutz
    1. Klaus Ernst Verfassungsschutz überwacht mehr als 40 Linken-Abgeordnete
      Die Linke im Bundestag wird offenbar in stärkerem Ausmaß vom Verfassungsschutz überwacht als bislang bekannt. Laut Klaus Ernst wurde mehr als die Hälfte der Fraktion überwacht. Es sind mindestens 42 Bundestagsabgeordnete unserer Partei im Visier des Verfassungsschutzes. Das ist mehr als die Hälfte der Fraktion“, sagte der Linken-Vorsitzende Klaus Ernst dem Tagesspiegel. Bislang ist bekannt, dass 27 Abgeordnete vom Bundesamt für Verfassungsschutz überwacht werden.
      Ernst verwies darauf, dass die Behörden in Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg eingestanden hätten, dass sie die Abgeordneten aus diesen Ländern ausforschen. Zu den Parlamentariern aus Bayern gehört auch Parteichef Ernst.
      Quelle: Tagesspiegel

      Dazu:

    2. Chronik einer Behörde Spitzel, Wanzen, Bomben
      Die Chronique scandaleuse des Verfassungsschutzes seit 1950 zeigt vor allem eins: Er ist überflüssig und gehört schleunigst abgeschafft.
      Diese Behörde – »this agency« – dürfe keine polizeilichen Befugnisse haben, schrieben die westalliierten Militärgouverneure in einem Brief vom April 1949 an den Parlamentarischen Rat in Bonn zu seinen Beratungen über das Grundgesetz. »This agency« – damit war eine Institution gemeint, welche die junge Republik gegen Gefahren aus dem kommunistischen Osten schützen sollte. So kam der Grundgesetz-Artikel 73 Ziffer 10 zustande, nach dem der Bundestag ein Gesetz beschließen konnte »zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz)«. 1950 wurde das Bundesverfassungsschutzgesetz beschlossen; es entstanden das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln und in jedem Bundesland ein entsprechendes Landesamt.
      Und sofort begannen die Affären.
      Quelle: Zeit

      Siehe auch:

    3. Heribert Prantl: Hilfe, der Verfassungsschutz!
      Quelle: SZ

      Jürgen Tomicek - Verfassungsschutz

      Quelle: Jürgen Tomicek

  15. Ohne EU kein Datenschutz
    Mit den Vorschlägen für eine grundlegende Reform des europäischen Datenschutzrechts soll den VerbraucherInnen und BürgerInnen ein einheitlicher EU-Standard für den effektiven Schutz ihrer Daten an die Hand gegeben werden. Neben besseren Informations- und Kontrollmöglichkeiten für die Einzelnen sieht die Reform auch hohe Geldstrafen für Missbrauch vor, etwa bei Verlust oder Weiterverkauf von NutzerInnendaten. In Anbetracht des Selbstbewusstseins, mit dem globale Datenkraken wie Facebook oder Google agieren, ist dies ein überfälliger Schritt. Doch der im Ansatz vernünftige Vorschlag der Kommission könnte an Konzernen und Sicherheitsbehörden scheitern, die ein Interesse an umfassenden Datensammlungen haben. Gerade die deutsche Politik und insbesondere die Bundesregierung sind daher jetzt gefragt. Leider aber sind die für den privaten Datenschutz zuständige Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) und mit ihr die schwarz-gelbe Bundesregierung mit inhaltlichen Forderungen zur Reform bislang kaum aufgefallen, obwohl diese in Brüssel bereits seit zwei Jahren diskutiert wird. Stattdessen profilierte sich Aigner mit einem medienwirksamen Facebook-Austritt, der den deutschen VerbraucherInnen aber wenig half.
    Quelle: taz
  16. Studie bestätigt Gegner der Vorratsdatenspeicherung
    Rechtzeitig zum Europäischen Datenschutztag am heutigen Samstag präsentierte das Bundesjustizministerium eine neue Studie zur Vorratsdatenspeicherung und belebte damit die Debatte um Nutzen und Gefahren des Ermittlungsinstruments – sowohl in der Koalition als auch bei Regierung und Opposition. Die Studie untersucht die Aufklärungsquoten von Delikten für den Zeitraum von 1987 bis 2010. In diesem Zeitraum war die Vorratsdatenspeicherung für etwas mehr als zwei Jahre in Kraft, von Januar 2008 bis März 2010. Die Studie bewertet den Nutzen der Vorratsdatenspeicherung sehr skeptisch. Im Vergleich zu den Jahren ohne Langzeitspeicherung sei keine Veränderung der Aufklärungsquote festzustellen. Bei all dem betonen die Autoren die unzureichende Datenlage. Es handelte sich um eine „Momentaufnahme“ auf „sehr unsicherer statischer Datengrundlage“.
    Ermittlungsbehörden, Regierung, Opposition und Netzaktivisten versuchen seit längerem, ihre Positionen zu unterfüttern. Die Ergebnisse fallen sehr unterschiedlich aus, wobei der größere Teil der Untersuchungen keinen oder nur einen geringen Nutzen der Vorratsdatenspeicherung sieht. Das Bundeskriminalamt selbst stellt in einer Studie von 2005 fest, dass die Aufklärungsquote durch die Vorratsdatenspeicherung nur sehr gering erhöht wird. Zu einem ähnlichen Schluss kommen, teilweise mit Bezug auf die BKA-Zahlen, auch zwei Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Sowohl in Deutschland als auch in anderen europäischen Ländern sei der Nutzen gering, so die Autoren.
    Quelle 1: Tagesspiegel
    Quelle 2: Max-Planck-Gesellschaft [PDF – 2.4 MB]
  17. Uwe Timm: Strammgestanden für den freien Markt
    Carl Zuckmayer (1896–1977) neu lesend, drängt sich dieser Vergleich auf: Die Universalität des damaligen militärischen Diskurses, der alle Lebensbereiche dominierte und letztendlich zur Selbstzerstörung führte, findet heute seine Entsprechung in dem alles bestimmenden ökonomischen Denken, nach der Logik, was sich rechnet und was sich nicht rechnet, was profitabel ist und was nicht. Es mehren sich die kritischen Stimmen, die heute vor einem substantiellen Demokratieverlust warnen. Von Post-Demokratie ist die Rede…
    Der Wettbewerb des freien Markts entfaltet aus seiner Logik heraus eine Autorität, die ähnlich wie früher die des Militärischen, alle Lebensbereiche umfasst und das politische Handeln und Denken bestimmt. Systemrelevant, Wettbewerb, Flexibilisierung, Wachstum, Modernisierung erscheinen in der Sprache als Ausdruck von Sachzwängen, zeigen diese Form der Wirtschaft quasi als Naturgesetz. Den freien Markt als das entscheidende Movens unserer Gesellschaft zu sanktionieren und ihn mit der politischen Freiheit gleichzusetzen, führt dazu, dass permanent Ungleichheit generiert wird…
    Die Verdrossenheit hat ihren wahren Grund in dem Wissen von der bestimmenden Macht der Ökonomie und des kapitalistischen Finanzsystems gegenüber den demokratischen Parteien und der gewählten Exekutive, die damit ihre Autonomie verloren haben. Jedoch:
    Die Paradigmen der Ökonomie sind keine Naturgesetze, wie es sich im Bewusstsein verfestigt hat, sondern sie sind bestimmbar und veränderbar. Hilfreich wäre, wenn all die klugen Ökonomen mit ihren computergestützten Modellen ihr Fach nicht nur als Optimierungswissenschaft verstehen würden, sondern mehr und weiter an alternativen Modellen arbeiten würden.
    Quelle: Tagesspiegel
  18. Ungerechtigkeit als gesellschaftliches Prinzip
    „Gerechtigkeit bezeichnet nach der Definition der philosophischen Enzyklopädie „einen idealen Zustand des sozialen Miteinanders, in dem es einen angemessenen, unparteilichen und einforderbaren Ausgleich der Interessen und der Verteilung von Gütern und Chancen zwischen beteiligten Personen oder Gruppen gibt“.
    Im Vorfeld fast aller großen Revolutionen und Aufstände der Weltgeschichte lassen sich mutwillige Verstöße gegen das Prinzip der Gerechtigkeit feststellen. Wann immer sich eine kleine Gruppe Privilegierter über die Mehrheit anderen erhoben, Recht und Gesetz nach ihren Bedürfnissen gebogen und Macht und Einfluss zur Mehrung ihres eigenen Vermögens missbraucht hat, dann dauerte es nicht allzu lange, bis sich die unzufriedene Mehrheit über die Herrscher erhob und ihnen die Privilegien entzog.
    Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, dass sich der jüngste UN-Bericht zur soziale Lage in Deutschland entsetzt von den hiesigen Verhältnissen zeigt und vor dem Verlust von politischer Stabilität und vor sozialen Unruhen warnt.
    Quelle: Jacob Jung Blog

    Siehe dazu:

    Verteilungsgerechtigkeit in Zeiten der Krise: OECD-Studie benennt Politikoptionen für Arbeit, Wachstum und sozialen Ausgleich
    Quelle: OECD

  19. Offener Brief der SPD-Mitglieder gegen S21
    an den stellvertretenden Ministerpräsidenten, Wirtschafts- und Finanzminister und Landesvorsitzenden der SPD in Baden-Württemberg
    Quelle: SPD-Mitglieder gegen S21 [PDF – 140 KB]
  20. Guttenberg oder der „Sieg der Wissenschaft“?
    Ein Jahr nach Beginn des schnellen Falls des Karl-Theodor zu Guttenberg schien es uns geboten, einen der größten Skandale der „Berliner Republik“ zu bilanzieren. War Guttenbergs Fall tatsächlich jener „Sieg der Wissenschaft“ über die Politik, als der er gefeiert wurde? Und wie sehen die Folgen und Konsequenzen im Feld der Wissenschaft wie der Politik heute aus? Auf Anregung der „Blätter“-Redaktion setzte sich derjenige mit dieser Frage auseinander, der mit seiner Rezension des Guttenbergschen Plagiats den Stein erst ins Rollen gebracht hatte, nämlich der Bremer Rechtswissenschaftler Andreas Fischer-Lescano.
    Rechtswissenschaft und rechtswissenschaftliche Qualifikationsarbeiten werden derzeit weniger durch die Auseinandersetzung mit der Rolle des Rechts in der Gesellschaft geprägt als durch das Bestreben, den herrschenden ökonomischen und politischen Verhältnissen zuzuarbeiten. Das führt zu einer problematischen Entfremdung von Recht und Gesellschaft.
    Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik

    Anmerkung WL: Sehr lesenswert.

  21. ZDF-Mitarbeiter fordern: „Freiheit für das Zweite!“
    Wie unlängst beim Österreichischen Rundfunk (ORF) scheint sich nun auch im ZDF eine sender-interne Protestbewegung zu formieren. Noch anonym, noch sehr klein, aber immerhin. Carta dokumentiert den Aufruf der Empörten.

    Liebe Kollegen,

    Schade, das ein solcher Protest beim ZDF nicht möglich ist. Wie sagte doch Nikolaus Brender im SPIEGEL: “Parteipolitische Methodik droht gerade den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu okkupieren” und “(es gibt ein) Spitzelsystem, das davon lebt, dass Redakteure den Parteien Senderinterna zutragen”.

    Die Verhältnisse, die beim ORF den Protest auslösten, lassen sich “eins zu eins” auf das ZDF übertragen. Auch hier gibt es politische Einflussnahme und eine übergroße Nähe mancher Journalisten zur Politik (allein zwei ZDFler wurden als Kandidaten für Sprecher-Posten in der Bundesregierung genannt – einer ist es ja dann geworden).

    Auch der Wechsel eines ehemaligen Staatskanzlei-Chefs auf einen Direktorenposten sowie die Spekulationen um einen erneuten Wechsel eines noch amtierenden Staatskanzlei-Chefs auf eine Verwaltungs-Position bleiben unkommentiert. Dies alles hat, wenn überhaupt, nur leisen Protest ausgelöst.

    Wir paar jungen Nachwuchs-ZDFler müssen leider anonym bleiben, um unsere (meist befristeten/wackligen) Verträge nicht zu gefährden. WIR möchten auch noch in ein paar Jahren in einem (nahezu) unabhängigen ZDF arbeiten. Wobei WIR niemals mehr so hohe Pensionsansprüche werden verjubeln können, wie es den Hierarchen, die ein Filz-System im Haus aufgebaut haben, möglich ist.

    Mit freundlichen Grüßen Das “Freiheit-für-das-Zweite”-Team

    Quelle: Carta

  22. Das Massaker von Haditha bleibt straflos
    Das Massaker von Haditha, das das Image der USA im Irakkrieg nachhaltig beschädigt hat, bleibt ungesühnt. Mehr als sechs Jahre nach den tödlichen Schüssen vom November 2005, denen 24 unbewaffnete Iraker zum Opfer fielen, entschied ein Militärgericht in Kalifornien am Dienstag gegen eine Haftstrafe für den letzten von insgesamt acht Angeklagten. Grundlage für das Urteil war eine Absprache mit der Anklage, in der der Beschuldigte Frank Wuterich sich der Pflichtverletzung für schuldig bekannte. Demnach wird der Unteroffizier nun nur im Dienstgrad zurückgestuft, muss aber nicht ins Gefängnis. Die Anklage hatte auf Totschlag in neun Fällen gelautet.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Wie meinte US-Präsident Obama noch in seiner Rede zur Nation: “Look to Iraq, where nearly 100,000 of our brave men and women have left with their heads held high … Thanks to our heroic troops and civilians.” Ermordet wurden in Haditha Frauen, Kinder, Alte – das jüngste Opfer war ein einjähriges Mädchen und das älteste ein 77-jähriger Großvater im Rollstuhl. – Natürlich führt jeder Krieg in die Barbarei und mündet in physische und vor allem auch seelische Verkrüppelungen der Soldaten. Diesem Umstand mögen Militärgerichte Rechnung tragen wollen, aber diese Untat als Dienstpflichtverletzung einzuordnen, ist an Zynismus nicht überbieten. Die Soldaten mögen durch den Krieg verroht sein, aber Ihre Vorgesetzten, die Generäle, das Militärgericht, der Staat bis hin zum Präsidenten, die diese Soldaten in die Deformation geschickt haben, dürfen solche Massaker nicht bagatellisieren – aus welchen Gründen auch immer. Angesichts der fast zeitgleichen präsidentialen, rattenfängerischen Rede vom heroischen Soldaten mag man nicht mehr argumentieren und bleibt stumm zurück: “Die Mauern stehn sprachlos und kalt, im Winde klirren die Fahnen” (Hölderlin)

  23. Meinungsfreiheit
    Im kalifornischen Oakland (USA) ist die Polizei am Sonnabend gewaltsam gegen eine zunächst friedliche Demonstration der »Occupy«-Bewegung vorgegangen. Über 200 Menschen wurden festgenommen, mehrere mussten ärztlich behandelt werden. Mit Tränengas und Schlagstöcken haben die Beamten auf einen Versuch der Demonstranten reagiert, das Kongresszentrum und das Rathaus zu besetzen. Diese schützten sich gegen das Vorgehen der Polizei mit Barrikaden, die sie aus ihren Transparenten errichteten (Foto). »Occupy muß aufhören, Oakland als Spielwiese zu benutzen«, wetterte Bürgermeisterin Jean Quan.
    Quelle: junge Welt
  24. Der Sarkostaat: Was macht die Polizei?!
    Frankreich darf sich glücklich schätzen, eine junge Generation von hochqualifizierten, kontaktfreudigen und durchaus auch «engagierten» Sozialforschern zu zählen, die das weite Themenfeld «Banlieue» in seinen vielfachen Furchen beackern. Ihre Publikationen, die die Nähe der Feldforschung mit der Distanz der wissenschaftlichen Perspektive verbinden, vermitteln ein Wissen, das sonst niemand hat – weder die Bewohner noch die Sozialarbeiter, lokalen Politiker oder Ordnungskräfte. Mir scheint, es wäre bei der Berichterstattung über die x-te Gewaltexplosion in einer sozial benachteiligten Vorstadt mindestens ebenso wichtig, sich mit solchen Arbeiten vertraut zu machen und das darin enthaltene Wissen dem breiten Publikum zu vermitteln, als vor Ort ein Bild zu knipsen, das meist bloß ein billiges Klischee ist.
    Das Verhältnis der Polizei zu den Banlieue-Bewohnern bildet den Kern- und Knotenpunkt der hiesigen Vorstadt-Problematik. Die jüngst veröffentlichte Studie «La Force de l’ordre» von Didier Fassin bietet Beobachtungen über die Arbeitsweise der hiesigen Vorstadt-Polizei, die in dieser Form noch nicht möglich waren und – zumindest so lang Sarkozy noch das Zepter schwingt – wohl auch nicht mehr möglich sein werden.
    Fassin kommt im Epilog seiner Studie zum Schluss, dass Frankreichs Polizei nicht im Dienste der Bevölkerung steht – der sie auch gar nicht ähnlich sieht –, sondern in jenem der Staatsmacht. Der Forscher sieht eine Kontinuität zwischen der Behandlung der Arbeiterklasse im 19. Jahrhundert sowie der eingewanderten Algerier um 1950 herum und der Art und Weise, wie heute mit den Banlieue-Bewohnern umgesprungen wird. Die Polizei sei nach wie vor das von den Regierenden bevorzugte – und unter Sarkozy sogar fast exklusiv bevorzugte – Instrument zur Regulierung sozialer Spannungen. Der Preis für die Art, wie die «Ordnungskräfte» heute in Frankreichs Problem-Vorstädten funktionieren (beziehungsweise disfunktionieren), sei freilich hoch. Zum einen sei erwiesen, dass die Patrouille-Arbeit, so wie sie im Allgemeinen praktiziert werde, im Allgemeinen auch ineffizient sei. Und dass ihre aggressive Spielart, welche den Aktivitäten der BAC entspricht, die marginalen Errungenschaften in Sachen Bekämpfung der Kleinkriminalität durch die perversen Auswirkungen des hervorgerufenen Ressentiments und der erzeugten Wirren zunichte mache: «Erbittert und verängstigt durch die Brutalität der Polizeiaktionen, die die Probleme, die sie lösen sollen, oft noch verschärfen, verlieren die Bewohner das Vertrauen in öffentliche Institutionen, von denen sie denken, dass sie ihnen nicht dienen, sondern im Gegenteil zu ihrer Stigmatisierung beitragen.»
    Quelle: NZZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Wieder einmal ein Beitrag von Marc Zitzmann, der einen Blick auf die erschreckende Verfasstheit des Sarkostaat ermöglicht. Zitzmann erachtet es für nötig, dass Journalisten auch wissenschaftliche Studien zu Rate ziehen sollten, er selbst geht mit gutem Beispiel voran, hier um über die Hintergründe der Gewaltexplosionen in den Banlieues zu berichten. Die Forderung, dass die allgemeine Berichterstattung sich generell mehr Hintergrundmaterial zu eigen machen sollte, statt Klischees zu bedienen, ist unbedingt zu unterstützen. Heute können über das Internet blitzschnell Nachrichten abgefragt werden, die traditionellen Zeitungen sollten Ihre Chance nutzen, mit gut ausgebildetem Personal seriöse Hintergrundanalysen zu liefern. – Man könnte noch einiges zu diesem Artikel sagen, der einen auch zwingt sich fragen, wie es bei uns aussieht oder vielleicht einmal aussehen könnte, aber lesen Sie selbst. Und denjenigen, die sowieso nicht schlafen können, empfehle ich den Kriminalroman “Einschlägig bekannt” (Bien connu des services de police) von Dominique Manotti. Manotti arbeitet mit den Mitteln der Fiktion die Polizeiarbeit in den Banlieues von Paris auf und herauskommt eine überwältigend düstere Reportage.

  25. Zu guter Letzt: Business
    Vater: Ich werde dich mit einem Mädchen meiner Wahl verheiraten!
    Sohn: Nein!
    Vater: Es ist die Tochter von Bill Gates!
    Sohn: Dann… Okay!
    Vater geht zu Bill Gates
    Vater: Ich will meinen Sohn mit deiner Tochter verheiraten!
    Bill Gates: Nein!
    Vater: Er ist der Geschäftsführer der World Bank!
    Bill Gates: Dann… Okay!
    Vater geht zur World Bank
    Vater: Ich will, dass Sie meinen Sohn als Geschäftsführer einstellen!
    World Bank: Nein!
    Vater: Er ist der zukünftige Schwiegersohn von Bill Gates!
    World Bank: Dann… Okay!

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