Die PIRATEN: Richtige Fragen, unausgegorene Antworten

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Was will die Piratenpartei? Die Bewegung ist in Deutschland quasi aus dem Stand zu einer ernstzunehmenden politischen Kraft geworden. Rund neun Prozent, so eine Emnid-Umfrage im Auftrag der Bild am Sonntag, sagen, sie würden, wenn heute Bundestagswahl wäre, die PIRATEN wählen. Doch wofür steht diese Partei jenseits ihrer Forderungen nach einem möglichst freien Internet und einem bedingungslosen Grundeinkommen? Einblick in die Gedankenwelt der Piraten gibt das Buch von Wätzold Plaum, „Die Wiki-Revolution. Absturz und Neustart der westlichen Demokratie“, das in diesen Tagen im Rotbuch-Verlag erschienen ist. Doch auch wenn man jedem Beitrag zur Debatte über unser politisches System mit Sympathie begegnen sollte, so erstaunt doch die Naivität, mit der versucht wird, Teilaspekte des Internet auf die gesamte Gesellschaft zu übertragen. Von Erika Fuchs.

Der Autor Wätzold Plaum dürfte aufgrund seiner Sozialisation ein typisches Mitglied der Piratenpartei sein. Der 1975 geborene promovierte Mathematiker und Doktorand der Philosophie arbeitet im Bereich Softwareentwicklung. In seinem Buch versucht er den großen Rundumschlag: von der Analyse der politischen Situation bis zur Lösung unserer ökonomischen wie sozialen Probleme.

Die Ausgangspunkte seiner Überlegungen: Wikileaks und Wikipedia. Die Internetplattform zur Veröffentlichung bislang geheimer Daten und das Internet-Lexikon, an dessen Herstellung sich jedermann beteiligen kann, sind für ihn die Kronzeugen für den angeblichen Wandel unserer Gesellschaft hin zu mehr Transparenz und Offenheit – zu einer „freien“ Gesellschaft, die durch die Teilhabe aller via Internet lebt. Bedroht wird diese Weiterentwicklung durch die Kräfte der Beharrung in der von Plaum so genannten „Konzernrepublik“:

„Der Parteienproporz repräsentiert schon lange nicht mehr das Meinungsbild der Bevölkerung. Die etablierten Parteien sind von Teilhabern am politischen Meinungsbildungsprozess zu einem Kartell der erlaubten Überzeugungen geworden.“

Worthülsen wie „alternativlos“ und „Sachzwang“ verschleierten den „despotischen“ Charakter der „Konzernrepublik“, in der „die Korruption unerträglich geworden“ sei. Die Politik befinde sich in der Abhängigkeit der großen Konzerne und mehr noch: „Die Konzernrepublik gleicht einem Kartell, in dem sich alle Beteiligten – etablierte Parteien, Medien, Wirtschaft, Wissenschaft – gegenseitig die Bälle zuspielen. Die allgemeine Erstarrung wird kaschiert mit gesteigertem Aktionismus.“

PR, politischer Konformismus, Glaube an Einheitslösungen, Sicherheitswahn, Niedergang des Journalismus, eine undemokratische EU, Auflösung der Mittelschicht, ein heruntergewirtschaftetes Bildungswesen, „Diskriminierung des Faktors Arbeit“ – die Analyse der derzeitigen politischen Zustände und Probleme ist nicht grundsätzlich falsch. Und doch bekommt selbst der geneigte Leser relativ schnell Bauchschmerzen.

Das liegt zum einen an der angeblichen Unausweichlichkeit der zukünftigen Entwicklungen, mit der der Autor argumentiert. Ein Beispiel: „Es wird der Tag kommen, an dem die bisherige Finanzwirtschaft derart heftig erschüttert wird, dass sie unmöglich unverändert weiter funktionieren kann. Das ist eine zwingende mathematische Konsequenz unserer auf Zins und Verschuldung basierenden Geldordnung.“ Mit Verlaub: das sind eher die Konsequenzen aus den verschwurbelten Ideen des emeritierten Volkswirtes und Freizeitesoterikers Bernd Senf. Plaum übersieht in seinen seitenlangen „Analysen“ zur Wirtschaftspolitik, die schon in sich fragwürdig bis unsinnig sind, völlig, dass die „Krise des Kapitalismus“, die er konstatiert, von Menschen gemacht wurde und nicht ursächlich die zwingende Folge eines (Geld-)Systemfehlers ist.

Zum anderen erscheint es mehr als fraglich, dass nun das Internet die allein-seligmachende Quelle zum Aufbau einer neuen Welt sein soll. Plaum leitet aus der Tatsache, dass es gelungen ist auf freiwilliger Basis ein nichtkommerzielles Betriebssystem wie Linux zu entwickeln, große gesellschaftliche Umwälzungen ab:

„Das Besondere der Bewegung der freien Software besteht (…) darin, dass es in einer Kultur der Freiwilligkeit tatsächlich möglich ist, Produkte hervorzubringen, die denen kommerzieller Anbieter in nichts nachstehen. Das ist so unglaublich wie herausfordernd. Wäre es nicht ein Glück, wenn dies auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen möglich wäre?“

Plaums Folgerungen für unser politisches System: eine Mischung von direkter und indirekter Demokratie. Eine Vorwahl der Abgeordneten, Stimmrecht des Bürgers in den Ausschüssen, die Bestimmung der politischen Agenda durch Meinungsumfragen, die Möglichkeit für den Bürger, seine Wahlstimme nach Sachgebieten zu splitten – Plaum glaubt, dass direkter Parlamentarismus ein „wirksames Mittel gegen den überhand nehmenden Lobbyismus“ sei. Gerade so, als ob Lobbyismus und PR sich nur auf die Hinterzimmer der Macht beschränken würde und nicht die Mittel hätte sich auch im Netz breit zu machen! Und als ob Populismus keine Gefahr für die Demokratie wäre! Genauso fragwürdig und nicht zu Ende gedacht: Einerseits sollen sich Abgeordnete permanent öffentlich für ihr Abstimmungsverhalten gegenüber dem Bürger rechtfertigen, gleichzeitig sollen sie „dem Gewissen verpflichtet“ bleiben. Mit den Parteien alten Stils und mit Großideologien sei es vorbei, meint Plaum – und ersetzt dies alles mit der Ideologie des Internet: „Warum sollte nicht wenigstens einmal versucht werden, einen Gesetzesentwurf nach dem Wikipedia-Prinzip zu verfassen?“ Gerade so, als ob das „Große Geld“ sich nicht auch des Internet bemächtigen könnte.

Dies alles wäre vielleicht nicht der Rede wert, wenn es nicht so viele Anhänger einer neuen, freien, schönen Internet-basierten Welt gäbe, in der Mehrzahl junge, gut ausgebildete (männliche) Akademiker, die ihre Hoffnungen auf solch ein, sorry, verschwurbeltes Weltbild setzen. Als wäre nicht längst offenbar geworden, dass beispielsweise Wikileaks durch das Machtstreben und die Egozentrik seines Gründers Assange beinahe ruiniert ist. Natürlich kann man fragen: „Gibt es andere Formen der Demokratie als die durch Parteien konstruierte?“ Natürlich lässt sich nicht leugnen, dass die politische Meinungsbildung oder auch die Teilhabe an der Politik eines grundlegenden Wandels bedarf. Aber zu glauben, dass die Welt nun eine bessere werde, weil es theoretisch nun möglich ist, dass jeder zu allem seinen Senf geben kann, das ist doch ziemlich naiv. Noch naiver der Glaube, ein Höchstmaß an Transparenz allein werde Machtstreben verhindern und letztlich zu einer gerechteren Welt führen. Einer der Hauptwidersprüche der Piratenpartei liegt ja schon darin, dass einerseits der „gläserne Staat“ gefordert wird, zum anderen aber der Einzelne das Recht auf Verschlüsselung seiner Daten haben müsse gegen den Zugriff des Staates. Dahinter steckt die Ideologie, dass alles, was nicht öffentlich ist, potentiell gefährlich ist. Wo da die Grenze zwischen „dem Einzelnen“ und dem Funktionsträger oder dem (privaten) Interessenträger beispielsweise gezogen werden soll, ist unklar.

Zudem: wer glaubt, das Internet werde die Öffentlichkeit politisieren und zu mehr Teilhabe bewegen, zeigt nur, dass er nur den Ausschnitt der Realität wahrnimmt, die im Netz stattfindet.

„Die Blogosphäre ist in ihrer Gesamtheit längst wichtiger für die politische Meinungsbildung als die „Tagesschau“, schreibt Plaum. Das dürfte für die Anhänger der Piratenpartei der Fall sein, nicht aber jedoch für den überwiegenden Teil der Bevölkerung. Eine wirkliche Gegenöffentlichkeit jenseits der Mainstreammedien, wer wüsste das besser als die Macher der Nachdenkseiten, ist immer noch ein schöner Traum. Aber vielleicht ist es ja immerhin schon ein Fortschritt, wenn jemand über den Aufbau einer demokratischeren Öffentlichkeit nachdenkt.

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