Die „Bundespräsidenten-Partei“ stellt auf dem DGB-Bundeskongress ihr Parteiprogramm vor

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Guido Westerwelle wurde nicht eingeladen, weil er die Gewerkschaften als „Plage“ beschimpft hat. Horst Köhler, im Hauptamt Bundespräsident, hat aber mit seinem auf dem Gewerkschaftskongress vorgetragenen „Parteiprogramm“ den FDP-Vorsitzenden mehr als gut vertreten. Köhler entwickelt sich zur einzigen öffentlich wahrgenommenen liberalen Oppositionspartei gegenüber der Großen Koalition. Dass sein Traum einer schwarz-gelben Bundesregierung am demokratischen Wählervotum gescheitert ist, hindert ihn nicht daran, sein liberales Programm weiter gegen die Regierung und gegen die Mehrheit im Parlament zu vertreten.

Hier das Parteiprogramm der „Bundespräsidenten-Partei“:

I. Präambel

Deutschland ist durch jahrzehntelange allseitige Versäumnisse in die heutige Lage geraten. Nun brauchen wir eine entsprechend große Gemeinschaftsanstrengung, um da wieder herauszukommen. Dafür gilt es die Weichen neu zu stellen, und dazu müssen alle ihren Beitrag leisten: der Staat, die Tarifpartner, jede und jeder von uns.

II. Vorfahrt für Arbeit

Was Arbeitsplätze nachhaltig sichert und schafft, das hat Vorrang vor allem anderen, und sei es noch so wünschenswert.

Erstens: die Lohnnebenkosten senken. Den Weg der Abkopplung der Sozialbeiträge vom Arbeitsverhältnis und einer stärkeren Steuerfinanzierung beschreiten. Abkopplung der Sozialbeiträge vom Arbeitsverhältnis durch eine stärkere Steuerfinanzierung.

Zweitens: Beweglichkeit sichert Arbeit. Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt, die den nötigen Wechsel und Wandel nicht behindern. (Kündigungsschutz abschaffen)

Drittens: Entbürokratisierung und Deregulierung.

Viertens: Bildung ist die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit.

III. Reformprozess fortsetzen

Der vor drei Jahren begonnene Reformprozess weist in die richtige Richtung. Es kommt darauf an, die Erneuerung Deutschlands entschlossen fortzusetzen.

Erstens: Einen neuen Sozialstaat schaffen

  • Der neue Sozialstaat muss bestmögliche Rahmenbedingungen für Wachstum und Beschäftigung setzen.
  • Der neue Sozialstaat muss vor allem in die Zukunft investieren
  • Der neue Sozialstaat darf sich nicht mehr ausnutzen lassen.
  • Der neue Sozialstaat darf nur noch zielgenau und zuverlässig denen helfen, die wirklich darauf angewiesen sind.

Zweitens: Der Staat muss sich auf seine Kernaufgaben besinnen. Deshalb ist die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte so wichtig.

Drittens: Tarifpolitischen Differenzierung fortsetzen. In den Flächentarifverträgen Spielräume für maßgeschneiderte betriebliche Lösungen schaffen.

Mäßigung und Lohnzurück­haltung.

Schaffen wir einen geordneten und transparenten Niedriglohnsektor.

Arbeitnehmern eine zweite Einkommensquelle erschließen, und zwar über den Zugang zu Produktivvermögen und Kapitaleinkommen.

Tarifverträge zur Zeitarbeit.

In Sachen Mitbestimmung gibt es Modernisierungsbedarf.

Tätigkeiten, wie die Familienarbeit und das bürgerschaftliche Engagement müssen einen guten Platz neben der Erwerbsarbeit finden.

Viertens: Lebenslanges Lernen

IV. Leitbild

Wir sind eine offene Gesellschaft, die durch Handel und Wandel gedeiht und die alle Möglichkeiten dafür bietet, die Menschen zu ertüchtigen und zu ermutigen: damit sie stets aufs Neue ihre Kräfte und Talente erproben – in Freiheit und in Solidarität.

Anmerkung: Bis auf winzige, keinesfalls sinnentstellende Satzumstellungen sind das wörtlich die Kernbotschaften der Rede, die Bundespräsident Köhler auf dem DGB-Bundeskongress am 22. Mai vorgetragen hat.
Diese Rede enthält alle Elemente des neoliberalen „Reformsprechs“ vom Reformstau bis zur Erhöhung der Dosis bei den Reformen.

Die Rede beschreibt nicht mehr und nicht weniger als die Reformagenda einer von Köhler erhofften schwarz-gelben Koalition. Schwarz-Gelb ist zwar vom Wähler verhindert worden, aber das hindert den Bundespräsidenten nicht im Geringsten, Partei zu ergreifen und dieses abgewählte Programm weiter zu propagieren. Vielleicht deshalb, weil Köhler meint, von einer schwarz-gelben Mehrheit in der Bundesversammlung gewählt worden zu sein.
Vielleicht meint er deshalb, dass er sich um das Wählervotum bei der Bundestagswahl und das dabei zustande gekommene politische Kräfteverhältnis im Parlament nicht zu kümmern braucht? Welche Rücksicht braucht überhaupt er auf die Stimmung in der Bevölkerung oder gar unter Gewerkschaftern zu nehmen?

Die „Bundespräsidenten-Partei“ steht eben über Volk und Parlament. Die „Bundespräsidenten-Partei“ hat das Recht, ihr Programm als überparteiliche Wahrheit ungehindert über alle Medien verbreitet zu bekommen.

Es gehört nicht zu unseren demokratischen Gepflogenheiten, den Bundespräsidenten, selbst wenn er als Partei auftritt, in einer offenen demokratischen Auseinandersetzung zu kritisieren. Selbst die Delegierten des DGB-Bundeskongresses durften dazu noch nicht einmal ihren Unmut äußern, sondern sogar noch (wenn auch mäßigen) Beifall klatschen, als ihnen der Repräsentant der „Bundespräsidenten-Partei“, Horst Köhler sein „Parteiprogramm“ vorhielt.

Köhler treibt mit seiner ungehemmten, ideologisch bestimmten Parteinahme in der konkreten politischen Auseinandersetzung ein gefährliches Spiel mit unserer Verfassung und mit der Akzeptanz des höchsten Staatsorgans.
Der Bundespräsident ist nach dem Grundgesetz das Staatsoberhaupt und damit Repräsentant aller Deutschen. Er hat alle Deutschen zu vertreten und nicht sein persönlich erwünschtes (partei-)politisches Programm.

Was kann eine sich im demokratischen Wählervotum ausdrückende Mehrheit der Deutschen tun, die sich in der Parteilichkeit ihres Repräsentanten nicht mehr repräsentiert fühlen kann?

Quelle: www.bundespraesident.de