„Die total verrückte Lindner-Show“

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Der plötzliche Aufschwung der Piraten wird vielfach damit erklärt, dass diese neue Partei eine Projektionsfläche für viele Politikverdrossene biete, die mit den Strukturen und Inhalten der etablierten Parteien unzufrieden sind. Daneben geht völlig unter, dass es einen viel größeren „Scheinriesen“ gibt, nämlich Christian Lindner. Wie in dem Kinderbuch Jim Knopf ist es so, dass je näher man ihm kommt, der Riese umso kleiner wird. Während der Piratenpartei wenigstens die Rolle eines Hoffnungsträgers zukommt, ist Christian Lindner ausschließlich das Produkt eine Medienhypes und ein praktisches Beispiel dafür, wie eine kleine gesellschaftliche Interessengruppe mit großem Geld demokratische Wahlentscheidungen kaufen kann. Von Wolfgang Lieb

Dazu muss man sich nur die Schlagzeilen der letzten Tage vor Augen führen: „Die total verrückte Lindner-Show“, „NRW-FDP umjubelt Christian Lindner“, „Genscher: Lindner steht für ´neue, moderne, weltoffene FDP`“, „FDP macht Wahl wieder spannend“, „Alle Augen auf erstarkte FDP gerichtet“, „Lindner, Lindner und sonst nichts“. So oder so ähnlich lauten die Schlagzeilen schon seit Wochen. Es ist wie bei einer Werbekampagne für ein neu eingeführtes Produkt oder um einen Popstar zu lancieren, an Lindner kommt niemand mehr vorbei.

Nach Lindners Nominierung am 15. März dieses Jahres erhielt er innerhalb von vier Tagen 250 Medienanfragen, verkündete der FDP-Landessprecher voller Stolz. In wenigen Wochen schoss Lindners Partei in den Umfragen von aussichtslosen zwei Prozent auf fünf oder gar sechs Prozent empor. „Lindner ist ein versierter Redner, der in schweren Zeiten locker Legenden aus der Luft zaubern kann“, schreibt die FAZ in einem der wenigen kritischen Beiträge über das Phänomen Lindner und auch Heribert Prantl wahrt in der Süddeutschen als Einzelstimme wenigstens kritische Distanz, wenn er von der „aufblasbaren Attrappe“ spricht.

Ansonsten werden in den Medien ganz überwiegend kritiklos die von den Werbeagenturen ausgetesteten Legenden nachgeplappert. So wenn Lindner mit der glatten Lüge „Neue Wahlen statt neue Schulden“ hausieren geht und die Weigerung der FDP-Landtagsfraktion, den von der rot-grünen Minderheitsregierung vorgelegten Haushalt passieren zu lassen, als Ausweis finanzpolitischer Standhaftigkeit ausgibt. „Unsere Landtagsfraktion hat den Rücken gerade gemacht und diesen Schuldenhaushalt nicht unterschrieben. Dafür bin ich dankbar. Nur mit diesem Glaubwürdigkeitsvorsprung ist es mir jetzt möglich, in diese Wahlauseinandersetzung mit Aussicht auf Erfolg einzugreifen“ behauptet Lindner. Dabei weiß doch jeder einigermaßen Eingeweihte, dass sich die FDP nur „verzockt“ hatte, es waren ja nach der gescheiterten zweiten Lesung dieses Haushalts schon Gespräche der Regierung mit der FDP geplant, um den Haushalts schließlich doch noch mit ihrer Hilfe durchzubringen.

“Der Staat darf nicht schneller wachsen als die Wirtschaft”, wiederholt der angeblich so faktensichere Lindner in allen Interviews und niemand hält ihm entgegen, dass die Staatsquote in Deutschland verglichen mit anderen Ländern ausgesprochen gering ist und dass die Ausgaben des Staates gemessen am Bruttoinlandsprodukt in den letzten zehn Jahren ständig gesunken ist [PDF – 20 KB].

Lindner lässt sich zur Schau stellen, als verkörpere er eine „neue, moderne, weltoffene FDP“. Ein neues Grundsatzprogramm hat er aber nicht zustande gebracht. Andere als die alten wirtschaftsliberalen und konservativen Positionen (z.B. sein neben der Sache liegende Kampf fürs Gymnasium) sind bei ihm nicht zu erkennen. Abgeordnetenwatch.de hat sein Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag aufgelistet. Daraus ergibt sich, dass Lindner ständig mit seiner „alten“, in der Wählergunst abgesackten FDP gestimmt hat. Aber was schert Lindner schon sein Geschwätz von gestern. Weil er merkte, dass die von der FDP schon 2007 beschlossene und auch von seiner Partei vorangetriebene Senkung des Mehrwertsteuersatzes für die Hotelbranchedoch nicht so gut ankam, machte er den Salto rückwärts und redete davon, dass dies korrigiert werden müsse, weil der „ordnungspolitische Kompass der Koalition(!)“ (immer sind es natürlich die anderen) hier nicht richtig funktioniert habe. Als die „Mövenpick“- oder Hoteliersteuer beschlossen wurde, verkündete Lindner „die Erleichterung für Hotels und Gastronomie dienten der Unterstützung des Mittelstandes“.

Kaum einer unserer ach so kritischen Journalisten kommt auf die Idee, dem angeblich so tapferen Kämpfer gegen die Staatsverschuldung den Spiegel seiner privaten Biografie vorzuhalten. Da würde einem nämlich ein Prediger gegen die Staatsverschuldung entgegenblicken, der es durchaus verstanden hat, dem verschuldeten Staat seine privaten Schulden aufzupacken. Ein von Lindner mit einem Parteikumpanen gegründetes „Science Fiction“-Unternehmen kassierte (über einen Fonds) 1,4 Millionen von der staatlichen Förderbank kfw und meldete nach wenigen Monaten Insolvenz an. Die Staatsknete war futsch. Doch daran will Lindner nicht gern erinnert werden und flüchtet sich in die Ausrede, dass er rechtzeitig aus der Firma ausgestiegen ist. „Der Wahlslogan “Solide Finanzen statt teure Versprechen” könnte daher durchaus autobiografische Züge tragen. Und die Wähler wie die FDP-Mitglieder können nur hoffen, dass Lindner die nordrhein-westfälische FDP nicht nach demselben Trial-und-Error-Prinzip führt wie seinerzeit sein Unternehmen“, unkt der stern. Man vergleiche dagegen einmal die Jagdlust der Medien gegenüber dem zurückgetretenen Bundespräsidenten Wulff – dort ging es noch nicht einmal um einen Kredit aus Steuergeldern sondern nur um die Modalitäten eines privaten Darlehens.

Wie parteiisch die Medien Christian Lindner hoffieren, lässt sich mit einem anderen Vergleich ziemlich anschaulich belegen. Selbst nach 22 Jahren ist in nahezu sämtlichen Interviews oder in zahllosen Presseartikeln über Oskar Lafontaine – zuletzt noch im Wahlkampf im Saarland – dessen angebliche „Flucht“ aus dem Parteiamt geradezu gebetsmühlenartig ein Hauptvorwurf. Dass Lindner erst vor ein paar Monaten aus heiterem Himmel und ohne schlüssige Begründung den Posten des Generalsekretärs der FDP geschmissen hat, ist offenbar keiner Nachfrage wert.

Selbst wenn zwei aus dem Regierungslager das Gleiche sagen, hört sich das Medienecho völlig unterschiedlich an. Während über den CDU Herausforderer Norbert Röttgen Hohn und Spott ausgeschüttet wird, weil er die NRW-Wahl zu einer Abstimmung über den Kurs der schwarz-gelben Bundesregierung erklärt hat, kann Lindner Lob ernten, wenn er sagt „von Nordrhein-Westfalen muss ein Signal ausgehen, dass Deutschland weiter für einen Stabilitätskurs in Europa steht“. Natürlich ist es angesichts der schwachen Umfragewerte ein Eigentor, wenn Röttgen in NRW Merkels-Sparkurs zur Abstimmung stellen will, aber wenn Lindner das gleichfalls tut, dann wird das als Auftrieb für die FDP bewertet.

Lindners gesamte politische Leistung ist die eines Partei-Karrieristen. Mit 16 Jahren in die FDP eingetreten, mit 19 in den Landesvorstand dieser Partei, mit 21 in den NRW-Landtag gewählt, mit 25 zum Generalsekretär seiner Partei in NRW bestimmt, mit 30 von seiner Partei über die Landesliste in den Bundestag gehievt und von Westerwelle zum Generalsekretär der Bundes-FDP auserkoren, mit 33 Jahren dann Rücktritt von diesem Amt. Ein paar Monate später wurde er wieder zum Spitzenkandidat der NRW-FDP ausgerufen. Außer seinem Rednertalent und seiner medialen Dauerpräsenz ist kaum etwas an politischer Substanz die mit seiner Person verbunden werden könnte. Können Sie sich an irgendeinen politischen Akzent erinnern, der Spuren hinterlassen hätte. In seiner Amtszeit als Generalsekretär sackte die FDP zur Splitterpartei ab.

Aber daran erinnert in den Medien kaum jemand. Im Gegenteil, nur wenige Monate nachdem Lindner die Brücke des sinkenden Parteischiffes verlassen hatte, wird er erneut zum großen Hoffnungsträger für seine Partei stilisiert. Das kann wohl kaum an seinen politischen Verdiensten liegen, sondern wohl ausschließlich daran, dass es unter den Verlegern und Chefredakteuren und vor allem auch unter dem wohlhabenden Mittelstand starke Kräfte gibt, die – wie man an dem teuren NRW-Wahlkampf mit bezahlten Postwurfsendungen und einem unglaublichen Werbeaufwand erkennen kann – ihr Netzwerk und ihr Geld einsetzen, um die FDP als ihren Handlanger auf der politischen Bühne zu halten.

Die Auferstehung der FDP zuletzt in Schleswig-Holstein und vermutlich am Sonntag in NRW ist ein praktisches Beispiel dafür, wie eine kleine gesellschaftliche Interessengruppe mit großem Geld demokratische Wahlentscheidungen kaufen kann.

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