Fortsetzung Briefwechsel BILD-Herausgeber Diekmann vs. Norbert Blüm in Sachen Rente

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Wir dokumentieren zwei weitere Briefe. Siehe Anhang 1 “Brief von Kai Diekmann vom 18. Mai” und Anhang 2 “Brief von Norbert Blüm vom 23. Mai”. Interessant ist die Art der Argumentation bei Diekmann. Der Herausgeber von BILD bestätigt unsere Analysen über die herrschende Ideologie und die Gedankenlosigkeit unserer Eliten.

Wenn ihnen die Argumente fehlen, dann behaupten sie, ihre Aussage sei „unumstritten“. Siehe Satz 3, Absatz 3. Und sie berufen sich quasi im Kreisverkehr aufeinander, so Diekmann auf Müntefering und auf das HWWA und auf Miegel!!. Sie nennen diese Zeugen aus ihren eigenen Reihen dann „Experten“. Dazu passt der rote Faden der „Reformlüge“:

Und wenn alle anderen die von der Partei verbreitete Lüge glaubten – wenn alle Aufzeichnungen gleich lauteten –, dann ging die Lüge in die Geschichte ein und wurde Wahrheit.


George Orwell, 1984

Genau dies im Urteil über die gesetzliche Rente zu bewirken, die Lüge als Wahrheit erscheinen zu lassen, ist das Ziel der Kampagne gegen die gesetzliche Rente. Sie wird von der Bild-Zeitung in Kooperation mit der Allianz AG betrieben. Die in den NachDenkSeiten, in „Machtwahn“ und jetzt auch von Norbert Blüm beschriebene und kritisierte Kampagne zur so genannten Schrumpfrente hat das Ziel, das Vertrauen in die gesetzliche Rente zu zerstören.
In unseren Texten haben wir immer wieder beschrieben, wie Propaganda hier mit politischen Taten und Entscheidungen zusammenwirken. Die Propaganda von der Schrumpfrente und von der hohen Belastung künftiger Generationen durch die Rentner wird dadurch besonders glaubwürdig,

  • dass zum Beispiel das Renteneintrittsalter hoch gesetzt und damit de facto eine Absenkung des Rentenniveaus betrieben wurde,
  • und dass den Sozialkassen einschließlich der Rentenkassen die sozialen Kosten der deutschen Einheit aufgedrückt wurden. Diese versicherungsfremden Leistungen werden durch den Bundeszuschuss ein Stück weit ausgeglichen. Insofern ist die Polemik von Kai Diekmann gegen diese Zuschüsse nicht angebracht.

Dass Norbert Blüm sich heute so vehement in diese Debatte einschaltet, ist auch ein Zeichen dafür, dass er einsieht, wie problematisch es war, die sozialen Kosten der Vereinigung wie auch des Aussiedlerzuzugs den Beitragszahlern aufzudrücken. Das ist zu Zeiten von Kohls und seiner Regierungszeit leider geschehen.

Anhang 1: Brief Herausgeber BILD Kai Diekmann vom 18.5. an Norbert Blüm:

Sehr geehrter Herr Dr. Blüm,

vielen Dank für Ihren Brief. Er zeigt in seiner wortreichen Zappeligkeit, mit seinen tausend Unterstellungen, Mutmaßungen und Pöbeleien, wie sehr Sie Grund haben, die Diskussion um Ihr trostloses politisches Lebenswerk zu fürchten.

Ansonsten will ich es kurz halten: Im Kern geht es allein um eine Frage: Ist die Rente, wie Sie einst behaupteten, sicher, und war diese Aussage 1986 für Sie als Lüge erkennbar?

Daß die Rente einen auskömmlichen Lebensabend nicht mehr sichert, ist unumstritten. Andernfalls wären die jüngsten Äußerungen von Herrn Müntefering ebenso unverständlich wie die Einführung der Riester-Rente oder des demographischen Faktors. Auch das HWWA geht davon aus, daß spätestens 2030 die Rente unterhalb von 40% des Durchschnittsgehaltes und damit in vielen Fällen unterhalb des Existenzminimums liegen wird. Ohne kreditfinanzierte Staatszuschüsse in Milliardenhöhe, also ohne skandalöse Verlagerung der Kosten auf kommende Generationen, wäre die Rentenkasse schon heute pleite. Und dennoch sollen die Rentenbeiträge weiterhin steigen.

Dies alles war bereits zur Zeit Ihrer Aussage klar erkennbar. Leute wie Professor Miegel, aber auch viele andere Experten haben eindringlich vor der demographischen Entwicklung und den Folgen für die Rentenversicherung gewarnt. Auch viele Zeitungen haben Sie schon damals für Ihre Aussage scharf kritisiert. Damit aber beantwortet sich auch der zweite Teil der hier im Raum stehenden Frage, ob Sie bewußt gelogen haben.

Mit freundlichen Grüßen

Kai Diekmann.

Anhang 2: Brief Norbert Blüm an Kai Diekmann vom 23.5.:

Herrn Chefredakteur
Kai Diekmann
BILD-Zeitung
Axel-Springer-Platz 1

20350 Hamburg
Fax: 040 / 347 – 22134

Sehr geehrter Herr Diekmann,

vielen Dank für Ihren Brief 18.05.2006, den ich gestern erhalten habe. Er ist ein wertvolles Dokument argumentativer Verlegenheit.

Zum schweren Vorwurf der Manipulation kommt von Ihnen kein Wort, in der BILD die Entwicklung der gesetzlichen Rente mit der privaten Rente in den nächsten 30 Jahren verglichen und dabei für die gesetzliche eine Preissteigerung von jährlich 2 Prozent, für die private aber im gleichen Zeitraum überhaupt keine Preissteigerung in Rechnung gestellt hat.

Ihr wortreicher Brief ist eine misslungene Ablenkung von der Peinlichkeit versuchter Volksverdummung durch BILD.

Ich rate Ihnen, mit dem Begriff „Rentenlüge“ sparsam umzugehen. Sie geraten in Gefahr, Ihrer ersten juristischen Blamage eine zweite hinzuzufügen.

In Erwartung weiterer so aufschlussreicher Briefe, um die ich Sie höflich bitte,
verbleibe ich

mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr
Norbert Blüm

Anhang 3: Auszug aus Albrecht Müller: Die Reformlüge, Seiten 38f

Nachplapperei statt Analyse

Die gängigen Diagnosen und Therapien der Reformer beziehen ihre Glaubwürdigkeit vor allem aus der Tatsache, dass viele von denen, die die öffentliche Meinung prägen, das gleiche sagen: die Opposition und Teile der Bundesregierung genauso wie Zeitschriften, Zeitungen und Fernsehsender, gleichgültig ob öffentlich-rechtlich oder privat, ob intellektuell oder populär, ob rechts oder links. Einer sagt: »Mit dem Umlageverfahren ist die Altersversorgung nicht mehr zu finanzieren« – und alle einflussreichen Multiplikatoren sagen es nach. Der Spiegel sagt: »Wir leben in ­einem Gewerkschaftsstaat« – und Hunderte Spiegel-Leser und ­Intellektuelle sagen es nach. Die Neoliberalen sagen: »Keynes ist out« – und von Abertausenden schallt es genauso zurück. Einer sagt: »Wir brauchen endlich einen Niedriglohnsektor« – und ­Legionen wiederholen es. Meinhard Miegel, ein unermüdlicher Trommler für die Umstellung auf Privatversicherung fürs Alter,14 sagt: »Der Generationenvertrag trägt nicht mehr« – und fast alle sagen es nach. Die OECD sagt, die PISA-Studie habe gezeigt, dass unser Bildungssystem marode ist – und nahezu alle sagen es nach, ohne zu überprüfen, ob es stimmen kann, dass unsere Schüler schlechter seien als beispielsweise die in den USA. Dadurch, dass viele eine solche Behauptung nachsagen, verselbständigt sie sich und entwickelt ihre eigene »Reformdynamik«. Schließlich ruft ein großer vieltausendstimmiger Chor: Alles ist neu. Die ­Globalisierung ist neu! Das demographische Problem ist neu! Das Normalarbeitsverhältnis ist ein Auslaufmodell! Der Verteilungsstaat ist am Ende! Um Reformen als notwendig und dringlich erscheinen zu lassen, muss behauptet werden, wir stünden vor völlig neuen Herausforderungen. Dadurch, dass viele das gleiche wiederholen, wird die Lüge zur Wahrheit, wie schon George Orwell diagnostizierte.

Einer sagt: »Reformen alleine genügen nicht mehr, wir brauchen den Systemwechsel« – und immer mehr reden genauso, ­reden in den gleichen Worten, treffen die gleichen Feststellungen; nur Gedanken machen sie sich nicht, denn es sind nur geliehene Gedanken. Wenn uns, nein: wenn unsere Eliten heute eines nachhaltig verbindet, dann ist es der lockere Gebrauch geliehener ­Gedanken. Solche Gedanken nachzusagen hat einen großen Vorteil: Man ist nie alleine, und man ist nur selten in der Verlegenheit, das, was man behauptet, begründen zu müssen. Auch ökonomisch ungebildete Leute können durch den Gebrauch der üb­lichen Schlagworte nachweisen, dass sie dazugehören, dass sie wissen, »wo es langgeht«.

In der öffentlichen Debatte verwenden die Modernisierer die immer gleichen Eingangsformeln, um ihren nachgeplapperten Behauptungen die Weihe der Allgemeingültigkeit zu verleihen: »Wie wir alle wissen …«, »wie allgemein bekannt ist …«, »es ist ­unbestritten, dass …« Achten Sie mal darauf.

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!