Steinbrück bespricht Sarrazin und entlarvt seine eigene verblendete Sichtweise

Ein Artikel von Heiner Flassbeck

Auf FAZ online rezensiert Peer Steinbrück das neue Buch von Thilo Sarrazin. In zwei kleinen Absätzen wird dort, besser als in allen anderen Papieren, die ich kenne, dokumentiert, worunter die deutsche Politik im Allgemeinen und die SPD im Besonderen leiden. Steinbrück bespricht Sarrazin und entlarvt seine eigene Sichtweise auf den Euro als genauso falsch wie die desjenigen, dessen Buch er bespricht. Von Heiner Flassbeck.

Steinbrück schreibt:

“Sarrazins These, dass Deutschland den Euro nicht brauche, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, ist einmal mehr eine seiner lustvollen Zuspitzungen, die zu nichts führen. Klar könnte Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit auch ohne Euro sichern. Aber der Euro erleichtert dies und hat das seit seiner Einführung auch nachweislich getan. Ein so exportgetriebenes Wachstum- und Wirtschaftsmodell wie Deutschland, das um 40 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung über Exportaktivitäten generiert, profitiert enorm davon, dass die Währungsunion den Binnenhandel verstärkt hat, dass Wechselkursrisiken und Kurssicherungsgeschäfte wegfallen, dass sich der grenzüberschreitende Zahlungsverkehr verbilligt, dass für Produzenten und Konsumenten Preistransparenz besteht und sich integrierte Kapitalmärkte positiv auf die Unternehmensfinanzierung auswirken.

Grotesk mutet die Verharmlosung von Aufwertungen an, denen eine D-Mark unter seinerzeitigem Verzicht auf die Währungsunion oder nun bei ihrer Abschaffung ausgesetzt wäre. Ohne den Euro müsste Deutschland wohl den Weg der Schweiz bestreiten. Die mussten ihren Franken allerdings um mehr als zwanzig Prozent gegenüber dem Euro trotz massiver Intervention ihrer Zentralbank aufwerten. Demnach müsste Deutschlands Exportsektor ohne Währungsunion diese zwanzig Prozent bei den Stückkosten ausschwitzen, um seine Außenwirtschaftsposition zu halten. Für den Fall, dass Deutschland den Euro-Raum verlassen wollte, gehen Fachleute von einer Aufwertung der neuen D-Mark um vierzig Prozent (!) aus und in der Folge von einem Handelsrückgang um zwanzig Prozent plus einer massiven Abwertung der Aktiva deutscher Banken. Vor diesem Hintergrund erscheint Sarrazins These als grober ökonomischer Unfug.”

Beide verstehen offenbar nicht, dass ein Land alleine niemals seine „Wettbewerbsfähigkeit sichern“ kann. Will auch Deutschland (wie die Schweiz oder China) mit Interventionen in den Devisenmärkten der ganzen Welt verhindern, dass die eigene Währung aufwertet? Wie verhindert dann Deutschland als die zweitgrößte Exportnation der Welt, dass andere Länder protektionistische Maßnahmen wie Zölle ergreifen, um ihre Auslandsverschuldung zu begrenzen? Mit der Bundeswehr?

Steinbrück hat Recht, dass der Euro die Verbesserung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit in einer historisch einmaligen Weise erlaubt hat. Nur, das ist genau das Problem, unter dem der Euro heute leidet! Es wurde eben nicht nur der Binnenhandel verstärkt und der Zahlungsverkehr erleichtert, wie Steinbrück meint. Deutschland hat mit seinem Lohndumping, das wirklich von fast niemandem (außer ein paar Verteidigern der rot-grünen Agenda Politik wie Franz Müntefering und Frank Walter Steinmeier) mehr bestritten wird, die Nachbarn systematisch in Leistungsbilanzdefizite getrieben und deren Wettbewerbsfähigkeit in einem Maße verschlechtert, das historisch einmalig ist. Das kann heute, wenn Deutschland bei seiner Linie geringer Lohnsteigerungen bleibt (was nach den letzten Abschlüssen wahrscheinlich ist) nur noch mit extremen Maßnahmen wie absoluter Lohnsenkung in den Defizitländern bekämpft werden, was aber dramatisch negative Auswirkungen auf den dortigen Binnenmarkt hat mit explodierenden Arbeitslosenzahlen und extremen politischen Verwerfungen. Will man das verhindern, gibt es nur den Weg der allmählichen Verschlechterung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit über Lohnerhöhungen jenseits der deutschen Produktivität plus der gemeinsam festgelegten Inflationsrate von 2 % im Euroraum. Die Logik erfordert, dass Deutschland seine Leistungsbilanzüberschüsse abbauen muss, wenn die anderen Länder in der Lage sein sollen, ihre Auslandsschulden nicht weiter zu erhöhen, sondern sogar zu vermindern, ganz gleich auf welchem Wege. Mögliche Aufwertungen zu verharmlosen ist deswegen genauso wenig sinnvoll wie die Aussage, man müsse ohne den Euro 20 % Aufwertung bei den Lohnstückkosten „ausschwitzen“, um seine Wettbewerbsposition zu halten.

Deutschland muss seine Wettbewerbsposition mit oder ohne Euro räumen (AM: mindern), daran geht kein Weg vorbei. Nur der ist ein guter, weil nicht gegen die Logik verstossender Politiker, der das erkennt und Strategien entwickelt, wie das ohne katastrophale Zuspitzungen zu erreichen ist. Lohnerhöhungen stehen dabei wegen ihres Gewichts für den Binnenmarkt mit großem Abstand an erster Stelle. Wenn die SPD nicht begreift, dass man ohne eine moderne Sicht auf die Rolle der Lohnpolitik niemals eine andere und schon gar keine genuin sozialdemokratische wirtschaftspolitische Konzeption anbieten kann, wird sie weiter strampeln müssen, um als Juniorpartner an den Fleischtrögen der Macht Platz nehmen zu dürfen. Wenn sie diesen Platz verliert, weil er über kurz oder lang zusammen mit den Fleischtrögen in die Luft fliegt, ist es für eine sinnvolle Konzeption zu spät.

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