Bayerns Finanzminister: Werft die Nehmerländer aus dem Finanzausgleich aus dem Euro

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„Das, was die Griechen leisten müssen, können auch Bremen und Berlin schaffen“, meinte der bayerische Finanzminister unlängst in einem Focus-Interview. Die gleichen Sanktionen, die jetzt für europäische Staaten gelten, sollten auch auf die Regionen angewendet werden, die unsolide wirtschaften. Am besten sollte dann wohl die Troika aus EZB, IWF und EU-Kommission den Stadtstaaten Berlin und Bremen und sämtlichen ostdeutschen Länder, die ja die hauptsächlichen Nehmerländer sind, einen Sparkatalog oktroyieren und wenn es sein muss eine Technokratenregierung aufzwingen. Und wenn sie nicht spuren, dann müssen sie Strafe bezahlen oder eben wie Griechenland den Euro aufgeben, den europäischen Währungsraum verlassen und die D-Mark-Ost einführen.
Mit solchen populistischen Parolen begründet die bayerische Staatsregierung ihre Klage gegen den Länderfinanzausgleich vor dem Bundesverfassungsgericht. Schaut man genauer hin, ist das Getöse nicht mehr als der vorgezogene Wahlkampf einer immer nervöser werdenden CSU und eines immer unkalkulierbareren Ministerpräsidenten Horst Seehofer.
Von Wolfgang Lieb.

Von 1950 bis 1986 und zuletzt noch einmal 1992 war der bis dahin eher ländlich und agrarisch strukturierte Freistaat Bayern Nehmerland im mit der Finanzverfassungsreform 1969 geregelten Länderfinanzausgleich. Bis zur deutschen Vereinigung war das Transfervolumen zwischen den westlichen Ländern mit 1,8 Milliarden Euro eher klein. Erst mit dem Beitritt der ostdeutschen Länder stieg dieses Volumen deutlich an und erreichte im vergangenen Jahr 7,3 Milliarden Euro. Davon kamen rund 80% den ostdeutschen Ländern und dabei vor allem auch Berlin zugute.

Bayerns Anteil an den Ausgleichszahlungen wuchs ab Mitte der 90er Jahre immer stärker an und 2011 hatte der Freistaat mit 3,663 Milliarden Euro mehr als die Hälfte des Gesamtvolumens im Länderfinanzausgleich aufzubringen. (Siehe die Volumina und die Entwicklung der Ausgleichszahlungen seit 1950 unter „Finanzvolumen“ und siehe auch die Einnahmen und Ausgaben der Länder im Saldo seit 1950). Hessen und Baden-Württemberg zahlten im letzten Jahr je 1,8 Milliarden Euro ein und Hamburg 62 Millionen.

Seit Mitte der 90er-Jahre sind diese Ausgleichszahlungen Bayern natürlich ein Dorn im Auge und man konnte darauf setzen, dass immer, wenn die bayerische Landesregierung und damit die regierende CSU in politische Schwierigkeiten gerieten, der jeweilige Ministerpräsident den Länderfinanzausgleich in Frage stellte. So jetzt auch wieder vor der 2013 anstehenden Landtagswahl, bei der der „naturgesetzliche“ Regierungsanspruch der seit 1954 regierenden CSU erstmals wieder bedroht erscheint.

Also zieht man mal wieder das Aufregerthema Länderfinanzausgleich aus der Schublade. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, der wegen seiner politischen Bocksprünge in der Bevölkerung immer weniger ernst genommen wird, will dagegen im Herbst eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht einreichen. Selbst die bayerische Staatskanzlei rechnet zwar nicht mit einer Entscheidung des Gerichts vor der Landtagswahl und der Bundestagswahl im Herbst 2013, doch bis dahin kann man den Streit jedenfalls am Kochen halten. Und dass man jetzt eine Klage ankündigt, die man erst im Herbst einreichen will, hat mit Sicherheit vor allem damit zu tun, dass man das Sommerloch mit einem Reizthema füllen will. Können doch damit zwei Botschaften transportiert werden: Erstens, dass Bayern das finanzstärkste Bundesland ist. Zweitens: Steuern sind immer ein Aufreger für die Wählerinnen und Wähler und mit den den Bayern entgehenden Steuermilliarden lässt sich ganz gut das ohnehin ausgeprägte bayerische Nationalgefühl ansprechen. So wirft etwa der als Wadenbeißer fungierende CSU-Generalsekretär Dobrindt den Kritikern dieses Vorstoßes vor „SPD und Grünen verraten die bayerischen Interessen.“

Dementsprechend wird das Thema durch die Scharfmacher innerhalb der CSU emotional aufgeheizt: „Das, was die Griechen leisten müssen, können auch Bremen und Berlin schaffen“, meinte der bayerische Finanzminister unlängst in einem Focus-Interview. Die gleichen Sanktionen, die jetzt für europäische Staaten gelten, sollten auch auf die Regionen angewendet werden, die „unsolide wirtschaften“, drohte er an.

Am besten sollte nach Söder wohl die Troika aus EZB, IWF und EU-Kommission den Stadtstaaten Berlin und Bremen und sämtlichen ostdeutschen Länder, die ja die hauptsächlichen Nehmerländer sind, einen Sparkatalog oktroyieren und wenn es sein muss eine Technokratenregierung aufzwingen. Und wenn sie nicht spuren, dann müssen sie Strafe bezahlen oder womöglich – wie Griechenland – den Euro aufgeben, den europäischen Währungsraum verlassen und die D-Mark-Ost wieder einführen.

Das Thema eignet sich besonders gut für populistische Stimmungsmache. Der Länderfinanzausgleich regelt im System der bundesstaatlichen Finanz- und Steuerbeziehungen eine Ausgleichsleistung, deren Regeln kaum jemand versteht.
So kann Bayerns Finanzminister Söder demagogisch behaupten: „Wer in Deutschland unsolide wirtschaftet, soll weniger aus dem Länderfinanzausgleich bekommen.“

Zumindest ein Finanzminister müsste allerdings wissen, dass der Länderfinanzausgleich nicht auf die Schulden eines Landes abstellt, also nicht das Schuldenmachen belohnt, sondern dass die Ausgleichszahlungen nach der Steuerkraft der Länder berechnet werden, also danach, was die Länder einnehmen und nicht danach wie viel Geld die Länder ausgeben. Nordrhein-Westfalens Finanzminister Norbert Walter-Borjans nennt die Vorwürfe aus Bayern deshalb zu Recht „eine arglistige Täuschung“.

Um was geht es eigentlich beim Länderfinanzausgleich:

Grundsätzlich speist sich der Gedanke eines finanziellen Ausgleichs aus dem in Art. 72 des Grundgesetzes verankerten Ziel der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“. Darüber hinaus ergibt sich aus Art. 107 Abs. 2 GG eine Art Solidarprinzip zwischen den Ländern: „Durch das Gesetz ist sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird; hierbei sind die Finanzkraft und der Finanzbedarf der Gemeinden (Gemeindeverbände) zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen für die Ausgleichsansprüche der ausgleichsberechtigten Länder und für die Ausgleichsverbindlichkeiten der ausgleichspflichtigen Länder sowie die Maßstäbe für die Höhe der Ausgleichsleistungen sind in dem Gesetz zu bestimmen.“

Dieser Ausgleich, der nicht mit Gleichmacherei zu verwechseln ist, soll in der bestehenden Finanzverfassung einmal durch die Aufteilung der Steuererträge zwischen Bund und Ländern gewährleistet werden. (Darüber hinaus kann der Bund aus seinen Mitteln leistungsschwachen Ländern Ergänzungszuweisungen zuteilen.)

Zum anderen soll es auch noch einen horizontalen Finanzausgleich (Art. 107 GG) zwischen den Ländern geben.

Nach der letzten Novellierung des Finanzausgleichsgesetze im Jahr 2001 auf der Basis eines Verfassungsgerichtsurteil aus dem Jahr 1999, die der damalige bayerische Ministerpräsident Stoiber wesentlich mitbestimmt hat und der der damalige Bundestagsabgeordnete Seehofer zugestimmt hat, wird in einem ziemlich komplizierten Verfahren die Finanzkraft der einzelnen Länder je Einwohner ermittelt. Die so festgestellte Finanzkraft bildet die Grundlage für den Finanzausgleich unter den Ländern. Grundsätzlich sind Länder, deren Finanzkraft unter dem Durchschnitt liegt ausgleichsberechtigt, diejenigen, deren Finanzkraft darüber liegt, sind ausgleichspflichtig.
Nach einem weiteren ziemlich komplizierten mathematischen Berechnungsverfahren, „das dem Grundsatz folgt, Finanzkraft nahe am Durchschnitt nur gering abzuschöpfen oder aufzufüllen und Finanzkraft weiter vom Durchschnitt entfernt stärker abzuschöpfen oder aufzufüllen“ sollen die Finanzkraftunterschiede unter den Länder keineswegs ausgeglichen aber wenigstens abgemildert werden.

Es ist wohl jedermann einsichtig, dass stark ländlich geprägte Länder mit wenig Industrie und geringerem Einkommen der Einwohner, wie etwa Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern eine erheblich geringere Finanzkraft haben, als stark industrialisierte Länder, wie etwa eben Bayern oder Baden-Württemberg oder der Finanzplatz Hessen. Und es ist offensichtlich, dass z.B. Berlin oder Bremen durch bundesgesetzliche Belastungen etwa mit Hartz IV und Sozialhilfe erheblich stärker belastet werden, als die prosperierenden südlichen Länder mit geringerer Arbeitslosigkeit. Die Finanzkraft der ostdeutschen Länder leidet darüber hinaus durch die Abwanderung der jungen Leute nach Westen. Es liegt auf der Hand, dass diese Länder aufgrund der niedrigeren Steuereinnahmen bei gleichzeitig bundesgesetzlich auferlegten Soziallasten ohne Ausgleichszahlungen in einen Teufelskreis gerieten, dem sie sich aus eigener Kraft nicht mehr entziehen könnten.

Dass die ostdeutschen Länder oder Berlin und Bremen hoch verschuldet sind, hat also keineswegs vor allem damit etwas zu tun, dass diese Länder „unsolide wirtschaften“, wie die CSU behauptet, sondern zum größten Teil damit, dass diese Länder etwa durch den Vollzug von Bundesgesetzen (Sozialgesetzgebung) und der verfassungsrechtlich gebotenen Erfüllung von Landesaufgaben (z.B. Schule, Polizei etwa in Berlin) besonders belastet sind. Berlin fährt seit vielen Jahren einen rigiden Konsolidierungskurs, z.B. mit einer Halbierung des Personals im öffentlichen Dienst in den letzten zwei Dekaden, dennoch ist der Stadtstadt noch immer mit 63 Milliarden Euro verschuldet.

Wenn Bayern nun die bis 2019 geltende Regelung des Finanzausgleichs in Frage stellt, begibt sie sich die Landesregierung auf dünnes Eis. So hat Nordrhein-Westfalen schon angedroht, dass damit auch andere Ausgleichsvereinbarungen zwischen den Ländern zur Disposition gestellt werden könnten.

Dieser Ausgleich zwischen den Ländern hat nämlich auch noch eine andere Ebene als die Finanzkraft pro Kopf, nämlich den Umsatzsteuerausgleich. Die Umsatzsteuer macht mit 573.352 Milliarden Euro (2011) rund ein Drittel der gesamten Steuereinnahmen [PDF – 8.3 KB]. Die Umsatzsteuer geht je zur Hälfte an den Bund und an die Länder bzw. Kommunen.

Der Umsatzsteuerausgleich zwischen den Ländern ist dem Länderfinanzausgleich vorgeschaltet. Maximal 25 % des Umsatzsteueranteils der Länder werden vorab dazu verwendet die Finanzkraft der finanzschwächeren Länder der durchschnittlichen Finanzkraft aller Länder anzunähern. Das Volumen des Umsatzsteuerausgleichs lag 2011 bei 7,3 Milliarden Euro und ist damit annähernd so groß wie die Gesamtsumme, die über den Länderfinanzausgleich umverteilt wird.

Aufgrund der Größe des Landes zahlte etwa Nordrhein-Westfalen 2011 mit 2,4 Milliarden weit mehr als Bayern, das 1,4 Milliarden in diesen Verteilungstopf einbringen musste. NRW erhielt jedoch mit gerade mal 200 Millionen erheblich weniger aus dem Länderfinanzausgleich als es über den Umsatzsteuerausgleich an andere Länder abgeben musste.

Mit dem gleichen Recht, mit dem sich Bayern über die Belastung im Länderfinanzausgleich beklagt, könnte sich Nordrhein-Westfalen über den vorgezogenen Umsatzsteuerausgleich beklagen. Der NRW-Finanzminister droht deshalb den Bayern an, die gesamten Bund-Länder-Finanzbeziehungen in Frage zu stellen, auch etwa die üppigen Subventionen des Bundes für die bayerische Forschung.

Ob das Bundesverfassungsgericht die derzeitige Regelung für verfassungswidrig erklären wird, ist eine völlig offene Frage. Deshalb setzen Geberländer wie Hessen und Baden-Württemberg auch auf eine Verhandlungslösung. Eine Neuregelung steht 2019 ohnehin an.

Selbst Bayern geht nicht davon aus, dass die Karlsruher Richter vor 2013 ein Urteil fällen werden. Keinesfalls darf Bayern erwarten, dass die derzeitige Regelung sofort kassiert wird. Wenn das Gericht überhaupt zu einer Beanstandung kommen sollte, dann dürfte es mit Sicherheit – angesichts der Komplexität der Materie – eine lange Übergangsfrist zur Erfüllung eventueller richterlicher Vorgaben einräumen. Das Maximum was Bayern mit seiner Klage erreichen könnte, wäre also eine Neuregelung der Länderfinanzbeziehungen ein oder höchstens zwei Jahre vor dem Auslaufen der geltenden Regelung im Jahre 2019. Und ob dann Bayern wesentlich weniger in den Länderfinanzausgleich einbringen müsste, das steht in den Sternen.

Das wissen auch die Bayern und deshalb ist die gestrige Klageankündigung nichts anderes als vorgezogenes Wahlkampfgetöse. Es zeigt nur, wie nervös die CSU inzwischen vor der kommenden Wahlauseinandersetzung ist.

Wie lächerlich das Lamento der Bayern über die Belastung durch den Länderfinanzausgleich ist, zeigt sich auch daran, dass der bayerische Oberste Rechnungshof (ORH) in seinem Jahresbericht im Jahre 2012 den Vorwurf gemacht hat, dass der Freistaat seine jährliche Steuereinnahmen spürbar erhöhen könnte, wenn er mehr Steuerprüfer einstellen würde. Damit könnten die knapp 3,7 Milliarden Euro Solidarleistungen an finanzschwächere Länder zu einem guten Teil wieder ausgeglichen werden.

Genau diesen Betrag von 3,7 Milliarden Euro musste der Freistaat übrigens in seine Landesbank pumpen um das Milliardengrab Hypo Alpe Adria (HGAA) zu verdauen und mit weiteren 10 Milliarden musste Bayern dieser Bank im Jahr 2008 unter die Arme greifen.
Aber diese Skandale überdeckt die in diese Skandale tief verfilzte bayerische Landesregierung lieber mit Attacken gegen das Solidaritätsprinzip gegenüber anderen Ländern. Wenn es drinnen stinkt, lenkt man den Blick nach draußen.

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