Hinweise des Tages

Jens Berger
Ein Artikel von:

Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “Mehr” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (KR/WL/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Aufstand der Bundesbank nur vorerst verschoben?
  2. Der Euro war ein Rettungsprogramm für die deutsche Wirtschaft
  3. Der ökonomische Putsch – oder: Was hinter den Finanzkrisen steckt
  4. 1953 konnte Deutschland seine Schulden halbieren
  5. Steuerpolitik: Super-Reiche profitierten von Rot-Grün
  6. Unilever stellt sich auf neue Armut in Europa ein
  7. Bankgeheimnis – Ein riesiger Leerlauf
  8. Top Economists: Iceland Did It Right … And Everyone Else Is Doing It Wrong
  9. Schrumpfende Einkommen: Horror-Jahrzehnt für US-Mittelschicht
  10. One Man Against The Wall Street Lobby
  11. Armutsgefährdung von Menschen mit Migrationshintergrund
  12. Hartz IV ist ein absolutes Sorgenkind
  13. Sozialwohnungen sterben aus
  14. Nochmals: Ungenutztes Arbeitskräftepotenzial im Jahr 2011 bei 7,4 Millionen Menschen
  15. Verkaufte Patienten
  16. „Auswirkungen sinkender Börsenstrompreise auf die Verbraucherstrompreise“
  17. Ein Rahmenkonzept zur Bekämpfung der Rockerkriminalität
  18. Wir gratulieren Marie Marcks

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Aufstand der Bundesbank nur vorerst verschoben?
    Manchmal muss man selbst Geschichten in Medien wie verschrubelte Erklärungen von Notenbankern lesen. Die interessanten Stellen werden irgendwo am Ende versteckt, wenn die meisten Leser vermutlich schon lange ausgestiegen sind aus dem Artikel. In der aktuellen Ausgabe von „Der Spiegel“ kündigt die Titelgeschichte einen “Aufstand der Bundesbank” an. Doch im Text selber und im anschließenden Interview mit Jens Weidmann ist davon kaum noch etwas zu spüren.
    Wer weiß, vielleicht haben die Kollegen diese Informationen erst bekommen, als das Titelbild schon in den Druck gegangen war. Folgende Passagen wollen jedenfalls so gar nicht zu dem passen, womit das Magazin die Leser am Kiosk anlocken möchte. Auf Seite 72 berichten uns die Kollegen, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesbankchef Jens Weidmann sehr viel geredet haben in den vergangenen Wochen. „Das Resultat ist, dass sie vorerst eine Art Burgfrieden schließen.“
    Quelle: FTD Wirtschaftswunder
  2. Der Euro war ein Rettungsprogramm für die deutsche Wirtschaft
    Panos Panagiotou sieht Griechenland gefährlich nahe am Euro-Austritt. Für die Zukunft seiner Heimat trage Deutschland eine besondere Verantwortung, sagt der Finanzexperte. Schließlich sei es auf Kosten Südeuropas gerettet worden. Ein Gespräch über die Leidensfähigkeit der Griechen, Erfolge im Sparprogramm und unfaire Zins-Entscheidungen.
    Wenn sich die Situation allerdings noch weiter verschlimmert, erreichen wir das Stadium eines wirtschaftlichen Völkermordes. Dann könnten die bereits bestehenden sozialen Turbulenzen katastrophale Formen annehmen. Das muss um jeden Preis vermieden werden…
    Während einer Phase weltweiten Aufschwungs wurden die Zinsen der EZB auf einem historischen Rekordtief gehalten, um Deutschlands schwächelnde Exportwirtschaft zu stabilisieren. Als die Rezession begann, hob die EZB die Zinsen an. In den südeuropäischen Staaten führte diese Zinspolitik erst zu Aufschwungsblasen und danach zu finanzieller Erstickung. Als 2000 die Technologieblase platzte, folgte eine finanzwirtschaftliche Krise. Investitionskapital floss aus Deutschland ab, das Land rutschte in eine Rezession – auch die Wiedervereinigung war teuer. Auch die USA war in der Rezession, China noch in der ersten Phase des Imports von Gütern aus dem Westen. In den meisten europäischen Staaten außerhalb der Euro-Zone war die große Frage, wie die deutsche Wirtschaft sich wieder stabilisieren konnte…
    Um diese Krise zu überwinden, hat Deutschland zugelassen, dass in sehr kurzer Zeit so viele Staaten wie möglich in die Euro-Zone aufgenommen wurden. Die EZB hat die neuaufgenommen Länder mit billigem Geld vollgepumpt, so dass sie sich deutsche Produkte leisten konnten. Im Rahmen dieser Politik hat die EZB in den Jahren 2003 bis 2006 ihre Zinsen auf zwei Prozent abgesenkt, entgegen der makroökonomischen Bedürfnisse der Eurozone…
    1998, also vor dem Eintritt in den Euro hat Griechenland Waren im Wert von 7,7 Milliarden Euro, aus Deutschland importiert. Zehn Jahre später waren es Waren im Wert von 21,5 Milliarden Euro. Parallel haben die Importe Deutschlands aus Griechenland abgenommen: vor dem Eintritt in den Euro lagen sie bei 2,2 Milliarden Euro, im Jahr 2002 waren es bereits nur noch 1,7 Milliarden Euro. Die gestiegenen Importe deutscher Produkte hätten im Süden Europas vielleicht nicht so ein großes Problem verursacht, wenn Deutschland den Gefallen erwidert hätte. Aber Deutschland hat das Gegenteil gemacht, nämlich seinen Markt durch eine Politik der Desinflation geschützt…
    In Griechenland müssen aus humanitären Gründen Grenzen gezogen werden, die Umsetzung einiger Sparmaßnahmen muss zumindest für sozial Schwache auf Eis gelegt werden…
    Quelle: SZ

    passend dazu: Europas kleines schmutziges Geheimnis
    Das Unheil der europäischen Schuldenkrise nahm in Deutschland seinen Lauf: Die Niedrigzinspolitik der EZB nach dem Dotcom-Crash half vor einem Jahrzehnt vor allem der deutschen Wirtschaft – und stürzte Europas Peripherie ins Verderben
    Deutschland fand zu neuer Stärke, weil es die Handelsüberschüsse mit den anderen Euroländern massiv erhöhen konnte. Deutschland wurde in Europa wettbewerbsfähiger, weil die Peripheriestaaten als Folge der EZB-Politik wettbewerbsunfähiger wurden. Das ist das kleine schmutzige Geheimnis der heutigen Eurokrise.
    Quelle: Cicero

    Anmerkung WL: Die sinkenden Arbeitskosten (in Deutschland) waren allerdings sicherlich keine „direkte Konsequenz der divergierenden Inflationsraten, sondern der gezielten Lohnsenkungspolitik (Hartz-Reformen) geschuldet. Das Lob für diese Reformen in diesem Beitrag ist halt so daher geredet.

    Ergänzende Anmerkung JB: Der Autor vertauscht Ursache und Wirkung. Die niedrigere Inflation in Deutschland ist eine Folge der schlechten Lohnentwicklung und nicht deren Ursache.

  3. Der ökonomische Putsch – oder: Was hinter den Finanzkrisen steckt
    Gezielte Spekulationsattacken auf ganze Volkswirtschaften, Finanzagenturen, die Regierungen in die Knie zwingen, und ohnmächtige Politiker, die gebetsmühlenartig wiederholen, es gäbe keine Alternative: Europa befindet sich im Wirtschaftskrieg. Wie entstand dieses unumstößlich scheinende System?
    Das Experimentierfeld Lateinamerika und die Analysen des Philosophen Michel Foucault machen Dynamik und Reichweite der neoliberalen Umstrukturierungen unserer Gesellschaften deutlich und erhellen die heutigen Finanzkrisen. Zum Vorschein kommt dabei ein Machtergreifungsmodell, das Politik, Gesellschaft und Individuen seit Jahrzehnten formt und konditioniert, ein ökonomischer Putsch. Juristen sprechen von organisierter Kriminalität und von der Mittäterschaft der Politik.
    Quelle: wdr Dok5-Das Feature

    Anmerkung: Wiederholung der Sendung 27. August 2012, 20.05 Uhr. Interessant sind auch die Literaturhinweise und die Tondokumente.

  4. 1953 konnte Deutschland seine Schulden halbieren
    Die (nicht bezahlte) deutsche Vorkriegsschuld wird in der Währung DM auf 13,5 Milliarden geschätzt. Aufgrund der Aufgabe des Goldstandards und wegen des Falls des Dollars wird ihr Wert von der Konferenz zunächst auf 9,3 Milliarden und schließlich am Ende auf 7,3 Milliarden DM herabgesetzt, d.h. der Bundesrepublik wird ein Schulden-Nachlass von über 45% auf die deutschen Vorkriegs-Schulden gewährt.
    Die deutschen Nachkriegsschulden in Höhe von 15 – 16 Milliarden DM werden auf 7 Milliarden DM abgesenkt, d.h. der Bundesrepublik wird ein weiterer Schulden-Nachlass von über 50% gewährt.
    Quelle: Inhalte eines in der Pariser Tageszeitung Le Monde vom 20.8.2012 (S.2) erschienenen Artikels übertragen von Gerhard Kilper [PDF – 82,2 KB]

    Siehe auch den Ausgangsartikel in Le Temps

  5. Steuerpolitik: Super-Reiche profitierten von Rot-Grün
    Äußerungen des SPD-Finanzministers aus Rheinland-Pfalz werden als Einknicken gewertet.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Man möchte schon ganz gerne wissen, was Rheinland-Pfalz mit der Bundesregierung ausgekungelt hat. Anders ist die Aufweichung der bereits aufgeweichten SPD- Position durch den rheinland-pfälzischen Finanzministers Carsten Kühl, SPD- Koordinator in Sachen Steuerabkommen, nicht zu begreifen. Auf allen möglichen Feldern wird von mehr Europa gefaselt, aber wenn es darum geht, die EU-Kommission in der Frage eines automatischem Informationsaustausch in Steuersachen zu unterstützen, setzen CDU/FDP auf auch anders einzutreibende Nachzahlungen auf Schwarzgeld und eine künftige Abgeltungsteuer von 26 Prozent anonymer Steuerbürger und vergrätzen damit natürlich nicht ihre vermögende Klientel – und die SPD kuscht mehr oder weniger. Nachdem die USA das bisherige Schweizer Steuergeheimnis weitgehend ausgehoben haben, geben sich unsere staatstragenden Parteien mit viel weniger zufrieden. Dabei ist die Schweizer Wirtschaft weit mehr von der EU als von den USA abhängig.

  6. Unilever stellt sich auf neue Armut in Europa ein
    Die Krise zwingt den Konsumgüterkonzern Unilever zum radikalen Umdenken. Das Erfolgsmodell: günstig statt premium.
    Der Konsumgüterkonzern Unilever stemmt sich mit Strategien aus den Schwellenländern gegen die Krise im europäischen Markt. Das Unternehmen umwirbt aggressiv Konsumenten mit geringem Einkommen. “Die Armut kehrt nach Europa zurück”, sagte Europa-Chef Jan Zijderveld der FTD. “Wenn ein Spanier nur noch durchschnittlich 17 Euro pro Einkauf ausgibt, dann kann ich ihm kein Waschmittel für die Hälfte seines Budgets verkaufen.”
    Deshalb will der drittgrößte Konsumgüterhersteller der Welt nun Lehren aus dem Asien-Geschäft anwenden. “In Indonesien verkaufen wir Einzelpackungen Shampoo für 2 bis 3 Cent und verdienen trotzdem ordentliches Geld”, sagte Zijderveld. “Wir wissen, wie das geht, aber in Europa haben wir es in den Jahren vor der Krise verlernt.” Unilever ist für Marken wie etwa Knorr oder Langnese bekannt.
    Umsatz von Unilever in Westeuropa
    Das Beispiel zeigt, wie die Rezession in vielen Ländern Europas Konzerne zum radikalen Umdenken zwingt. Offensichtlich sieht Unilever die Wirtschaftskrise nicht als kurzfristige Phase. Bislang hatten Konsumgüterunternehmen versucht, Wachstum in den reifen westlichen Märkten etwa durch teurere Ökoprodukte oder Premiummarken zu erreichen – um sich von den günstigen Handelsmarken der Discounter abzuheben.
    Quelle: FTD
  7. Bankgeheimnis – Ein riesiger Leerlauf
    Im Moment machen gerade die Linkspolitiker unseres nördlichen Nachbarlandes Schlagzeilen, die das Vorzeigeabkommen für eine Abgeltungssteuer versenken wollen und ­damit die Absicht der Schweiz durchkreuzen, den gleichen oder einen ähnlichen Vertrag mit anderen Ländern auszuhandeln. Wieso sollen wir so etwas akzeptieren, fragen sich mit einer gewissen Logik die deutschen Politiker, wenn die Schweiz gegenüber den USA das Bankgeheimnis faktisch aufgegeben hat?
    Denn Schlagzeilen macht dieser Tage ja auch jener geheime Beschluss des Bundesrats, der es den Banken erlaubt, zur Wahrung ihrer Interessen das Bankgeheimnis zu ignorieren und gesetzeswidrig Kundendaten nach ­Washington zu liefern, wann immer es die US-Steuerbehörden wünschen. «Wieso soll uns nicht recht sein, was den Amerikanern billig ist?», fragen sich da halt die Deutschen. Und bald wohl die Franzosen, Italiener und andere.
    Überholtes Geschäftsmodell
    Nüchtern betrachtet, ist das Bankgeheimnis ein Geschäftsmodell, das überholt ist…
    Aus drei Gründen: Erstens ist die Schweiz zwar weiterhin ein erfolgreiches Land mit einer starken Wirtschaft. Diese kann aber nur bestehen, weil in der globalisierten Welt gewisse Regeln gelten, die der Schweiz nützen, die sie aber auch einzuhalten hat…
    Zweitens achten andere Länder wegen der Schuldenkrise stärker darauf, wo ihre Steuerhinterzieher ihr Geld verstecken…
    Drittens… Die Illoyalität in den Banken hat das Bankgeheimnis ganz entschieden geknackt.
    Quelle: Tages Woche
  8. Top Economists: Iceland Did It Right … And Everyone Else Is Doing It Wrong
    Unlike the US and several countries in the eurozone, Iceland allowed its banking system to fail in the global economic downturn and put the burden on the industry’s creditors rather than taxpayers.
    Quelle: Global Research
  9. Schrumpfende Einkommen: Horror-Jahrzehnt für US-Mittelschicht
    Der amerikanischen Mittelschicht ging es 2010 deutlich schlechter als zehn Jahre zuvor. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Pew. Laut der Studie fiel das mittlere Einkommen einer amerikanischen Mittelschichtfamilie von 72.956 Dollar im Jahr 2000 auf 69.487 Dollar im Jahr 2010 – ein Minus von fünf Prozent. Noch drastischer fiel der Rückgang beim Wohlstand aus, den das Institut als Vermögen abzüglich Schulden definiert. Hier ging der mittlere Wert sogar um 28 Prozent zurück – von 129.582 Dollar auf 93.150 Dollar. Hauptgrund für den Wohlstandsverlust ist die schwere Wirtschaftskrise seit 2007. In den drei Jahren bis 2010 fiel der Wohlstand um fast 40 Prozent. Bei den Einkommen ist der Trend weniger eindeutig, doch auch sie fielen vor allem seit 2007. “Der Glaube daran, dass der Lebensstandard der Mittelschicht ständig steigt, gehört zur amerikanischen Gründungsidee”, zitiert die “Financial Times” Pew-Vizepräsident Paul Taylor. “Mittlerweile hat die Mittelschicht ein kleineres Stück von einem kleineren Kuchen.”
    Quelle 1: Spiegel Online
    Quelle 2: pewsocialtrends

    Anmerkung Orlando Pascheit: Die in der Wahrheit versteckte Lüge ist die Aussage des Pew-Vizepräsident Paul Taylor: “Mittlerweile hat die Mittelschicht ein kleineres Stück von einem kleineren Kuchen.” Der Kuchen ist eben nicht kleiner geworden, das reale BIP der USA ist bis auf die Jahre 2008 und 2009 ständig gestiegen. Verändert hat sich die Einkommensverteilung: Im Jahr 1971 gehörten noch 61 Prozent der amerikanische Haushalte zur Mittelschicht, während es zuletzt nur noch 51 Prozent waren. (In der Studie gehören all jene Haushalte Mittelschicht, die zwei Drittel bis maximal das Doppelte des nationalen Durchschnitts verdienen) In der zur Studie gehörigen Umfrage kommt es zu den bei Umfragen üblichen Widersprüchlichkeiten: Während 43 Prozent der Befragten der Auffassung sind, dass ihre Kinder eine bessere Zukunft haben werden, als sie selbst, meinen nur 10 Prozent, dass das Land weiterhin wirtschaftlichen Erfolg haben wird.

  10. One Man Against The Wall Street Lobby
    […] On the other hand, there is a new powerful voice who knows how big banks really work and who is willing to tell the truth in great and convincing detail. Jeff Connaughton – a former senior political adviser who has worked both for and against powerful Wall Street interests over the years – has just published a page-turning memoir that is also a damning critique of how Wall Street operates, the political capture of Washington, and our collective failure to reform finance in the past four years. “The Payoff: Why Wall Street Always Wins,” is the perfect antidote to disinformation put about by global megabanks and their friends.
    Specifically, Mr. Harrison makes six related arguments regarding why we should not break up our largest banks. Each of these is clearly and directly refuted by Mr. Connaughton’s experience and the evidence he presents.
    Quelle: The Baseline Scenario
  11. Armutsgefährdung von Menschen mit Migrationshintergrund
    Altersarmut von Migrantinnen und Migranten – ein Thema, das in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird. Noch sind vergleichweise wenige Menschen mit Migrationshintergrund im Rentenalter. Aber wenn die stark besetzten mittleren Jahrgänge altern und die Migrantinnen und Migranten sich mit Beginn der Rente entscheiden, in Deutschland zu bleiben, dann lohnt schon heute ein Blick auf die Statistik. Besonders stark ist diese Bevölkerungsgruppe von Altersarmut betroffen: Knapp 29 % der Migrantinnen und Migranten ab 65 Jahren sind armutsgefährdet verglichen mit 11 % bei den Menschen ohne Migrationshintergrund. Auswertungen des Mikrozensus 2010 zeigen, dass viele Angehörige der ersten Gastarbeitergeneration als angelernte Arbeiterinnen und Arbeiter in der Industrie tätig waren. Jetzt beziehen sie niedrige Renten und sind häufiger auf Grundsicherung im Alter angewiesen (7 %) als die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund (weniger als 1 %).
    Das Armutsrisiko ist von vielen sozioökonomischen Faktoren abhängig. Die bei der Gesamtbevölkerung bekannten Muster – zum Beispiel überdurchschnittliche Armutsgefährdung von Alleinerziehenden, Schulabbrechern und Erwerbslosen – gelten auch für die Menschen mit Migrationshintergrund, allerdings auf höherem Niveau. Manche Phänomene treten bei der Bevölkerung mit Migrationshintergrund zudem besonders stark ausgeprägt auf: Sie sind zum Beispiel deutlich häufiger von Kinder- und Altersarmut betroffen. – Ziel des Aufsatzes ist es, die Armutsgefährdung von Menschen mit Migrationshintergrund differenziert darzustellen und Zusammenhänge aufzuzeigen, die dieses hohe Armutsrisiko verursachen oder verstärken können.
    Quelle: Wirtschaft und Statistik [PDF – 415 KB]
  12. Hartz IV ist ein absolutes Sorgenkind
    Michael Kanert, Richter am Berliner Sozialgericht, über die Klagewelle in der Hauptstadt und die Schwachstellen der Arbeitsmarktreform: “Früher hat das Verwaltungsgericht sich um die Sozialhilfe-Fälle gekümmert, und wir haben uns mit der Arbeitslosenhilfe befasst. Pro Jahr hatten beide Gerichte zusammen rund 6500 neue Fälle. Jetzt, mit Hartz IV, sind es mehr als viermal so viele Verfahren. Heute beschäftigen sich etwa 70 Richter am Sozialgericht mit diesem Bereich. … Es nützt niemandem, die vielen Klagen kleinzureden. Dass trotz der steigenden Zahlen die Erfolgsquote für die Kläger nicht gesunken ist, weist doch auch auf strukturelle Probleme hin. … Die [Erfolgsquote der Hartz-IV-Kläger] ist im Laufe der Jahre sogar gestiegen. Sie liegt hier in Berlin bei 55 Prozent. Nicht alles wird aber durch einen Urteilsspruch besiegelt, ein großer Teil wird auch während des Verfahrens gütlich beigelegt. … Ich hatte letztens einen Fall auf dem Tisch, bei dem 80 Cent Mahngebühren verlangt wurden. Da war es schon teurer, den Bescheid überhaupt zu erlassen. … Thilo Sarrazin mit seinen Tipps zum Verzehr von Bierschinken und der damalige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, der in einer offiziellen Broschüre über den Sozialstaat das Wort „Parasiten“ verwendete, haben gleich in der Anfangszeit von Hartz IV einen falschen Eindruck entstehen lassen. Das hat damals das Klima zwischen Bürgern und Jobcentern vergiftet, weil die Menschen sich nicht respektiert fühlten. Dabei ist es doch so: Wer Hartz IV bezieht, lebt am Existenzminimum, und das ist kein leichtes Leben. … [Clement sprach von Missbrauchsquoten von 20 Prozent] Das kann ich nicht bestätigen. Auch die offiziellen Statistiken der Jobcenter sprechen nur von zwei bis drei Prozent. … Hartz IV ist an manchen Punkten komplizierter als das Steuerrecht! … Manche Regeln gehen auch an der Realität vorbei. So wird ein erkrankter Arbeitnehmer, der gerade noch drei Stunden am Tag arbeiten kann, als erwerbsfähig eingestuft. Aber welche Firma stellt so jemanden ein? … Eine Kammer des Berliner Sozialgerichts hat im April das Bundesverfassungsgericht angerufen, weil sie auch die neue Regelung nicht als transparent erachtet. Zudem meint sie, es müssten 36 Euro mehr sein. … Ich glaube, dass allein die 36 Euro nicht das Problem von Hartz IV lösen können. Im Gesetz steht ausdrücklich, dass die Leistungsempfänger eine „ganzheitliche“ Betreuung bekommen sollen, also beispielsweise auch Schuldnerberatung, Suchtberatung oder eine psychosoziale Unterstützung. In den Fällen, die ich erlebe, kommt das oft zu kurz. Vielen dieser Menschen fehlt jede Zukunftsperspektive.”
    Quelle: Tagesspiegel
  13. Sozialwohnungen sterben aus
    Wer nur über ein geringes Einkommen verfügt, der findet auf den Wohnungsmärkten in den Ballungsgebieten immer schwerer eine Bleibe. In Deutschland fehlen rund 4 Millionen Sozialwohnungen, haben jetzt Sozialexperten in einer Studie des Pestel-Instituts in Hannover ausgerechnet. Derzeit sind bundesweit nur 1,6 Millionen Sozialwohnungen verfügbar. Den aktuellen Bedarf schätzt das Institut aber auf rund 5,6 Millionen Sozialwohnungen. Nur jeder fünfte finanzschwache Haushalt hat damit überhaupt eine Chance, derzeit eine Sozialmietwohnung zu bekommen, hieß es in der am Donnerstag in Berlin vorgestellten Studie. “In den vergangenen zehn Jahren sind im Schnitt 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr vom Markt verschwunden”, erklärte der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther. Dies sei eine “dramatische Entwicklung”. – Günther fordert den Bau von mindestens 130.000 Sozialwohnungen jährlich. Die Studie war von der “Wohnungsbau-Initiative” in Auftrag gegeben worden, der unter anderem auch der Deutsche Mieterbund und die IG BAU angehören. Die Förderung des Wohnungsbaus ist Angelegenheit der Länder. Es gibt zwar einen Zuschuss vom Bund – dessen Verlängerung über das Jahr 2013 hinaus ist aber nicht garantiert.
    Quelle: taz

    Hier die zugrundeliegende Wohnungsbau-Studie des Pestel-Instituts zum Download: Wohnungsbau – Studie
    Deutschland hat eine neue Wohnungsnot. Insbesondere in Großstädten, Ballungszentren und Universitätsstädten hat sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt deutlich zugespitzt.
    In den letzten Jahren ist eine Menge versäumt worden. Um gutes und bezahlbares Wohnen zu sichern, muss der Wohnungsneubau deutlich attraktiver gemacht werden. Hier komme es darauf an, die richtigen Anreize zu setzen. Der Bedarf an neuen Mietwohnungen, ist mit der derzeitigen staatlichen Wohnungsbauförderung nicht abzudecken. Effektiv ist insbesondere eine steuerliche Erleichterung für den Mietwohnungsbau. Eine Erhöhung des jährlichen Abschreibungssatzes von derzeit 2 auf 4 Prozent wäre wirkungsvoll. Bei einem Neubau haben viele Nutzteile eine Lebensdauer von nicht einmal 25 Jahren. Dazu gehören Heizkessel, Wärme- und Wasserpumpen oder Außen- und Innenanstrich. Hierfür wir eine höhere Abschreibung benötigt.
    Das Institut spricht sich hinzu für den Neubau von Sozialwohnungen aus, denn sonst wird das Wohnen für immer mehr Menschen unbezahlbar – insbesondere für Rentner, Familien und Beschäftigte mit geringem Einkommen.
    Quelle: Pestel Institut

  14. Nochmals: Ungenutztes Arbeitskräftepotenzial im Jahr 2011 bei 7,4 Millionen Menschen
    Im Jahr 2011 wünschten sich nach Ergebnissen der Arbeitskräfteerhebung rund 7,4 Millionen Menschen im Alter von 15 bis 74 Jahren Arbeit oder mehr Arbeitsstunden. Neben 2,5 Millionen Erwerbslosen setzte sich das ungenutzte Arbeitskräftepotenzial im Jahr 2011 aus knapp 2,0 Millionen Unterbeschäftigten in Teilzeit, 1,7 Millionen Unterbeschäftigten in Vollzeit und 1,2 Millionen Personen in der Stillen Reserve zusammen.
    Quelle: Statistisches Bundesamt

    Anmerkung Orlando Pascheit: Zu beachten ist, dass es in der Arbeitsmarktstatistik national wie auch international sowohl bei der Definition als auch bei der Datengewinnung Unterschiede gibt. Obige Erhebung richtet sich nach den Kriterien der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. So gehören laut ILO zu den Erwerbstätigen alle Personen im erwerbsfähigen Alter, die in einem einwöchigen Berichtszeitraum mindestens eine Stunde lang gegen Entgelt oder im Rahmen einer selbstständigen oder mithelfenden Tätigkeit gearbeitet haben. Bei der Stillen Reserve unterscheiden sich von der Definition der ILO die Konzeptionen des IAB, des SVR und des DIW. Zum Unterschied von ILO und IAB siehe den Artikel „Ungenutztes Arbeitskräftepotenzial in der Stillen Reserve – Ergebnisse für das Jahr 2010“ (S. 301f) [PDF – 523 KB] in Wirtschaft und Statistik, Heft 04/2012, in dem auch herausgearbeitet wird, welche Rolle Alter, Geschlecht, Ost-West-Verteilung, Familienstand, Kinder und Qualifikation spielen.

  15. Verkaufte Patienten
    Nach Informationen des ARD-Politikmagazins REPORT MAINZ werden Intensivpflegepatienten im häuslichen Bereich in einer Preisspanne von 40 bis 60.000 Euro zwischen Pflegediensten gehandelt. … Die Oberärztin Simone Rosseau von der Berliner Charité sieht durch solche Geschäfte eine große Gefahr für beatmete Intensivpatienten. “In letzter Konsequenz bedeutet das, dass die Patienten nicht die Behandlung bekommen, die sie eigentlich bedürfen, weil sie dann nicht mehr so viel Geld einbringen. Das wäre der Fall, wenn ein Patient nicht von der Beatmung entwöhnt wird”, sagte Rosseau gegenüber dem ARD Politikmagazin.
    Quelle: Report (SWR)

    passend dazu: Zuzahlen beim Arzt: Darf’s ein bisschen mehr sein
    Immer häufiger zahlen Kassenpatienten Behandlungen aus eigener Tasche. Krebsvorsorge beim Frauenarzt? Der Ultraschall kostet extra – mal 16 Euro, mal 50, je nach Arzt. Routine-Check beim Augenarzt? Dann bitte noch einmal 20 Euro für die Messung des Augeninnendrucks. Denn all das sind individuelle Gesundheitsleistungen, „Igel“, für die die Kassen nicht aufkommen. 380 dieser Angebote gibt es inzwischen auf dem Markt, schätzt der Medizinische Dienst der Krankenkassen. Das Spektrum reicht vom Sportattest bis zur Darmspülung. Gut 1,5 Milliarden Euro geben die Patienten jedes Jahr für „Igel“-Behandlungen aus, Tendenz steigend. Denn immer mehr Ärzte erkennen, dass sie mit den Extras gutes Geld verdienen können. Während sie Kassenleistungen nur nach einem strengen Punkteregime abrechnen können, sind bei den „Igel“ größere Sprünge drin. Weil die Kassenpatienten hier wie Privatversicherte behandelt werden, zahlen sie die teureren Sätze, die in der privaten Krankenversicherungswelt üblich sind. Einige Ärzte bescheiden sich mit dem 1,1fachen oder dem 2,3fachen Satz, „das kann aber bis zum 3,5fachen Satz gehen“, weiß Dörte Elß von der Verbraucherzentrale Berlin. So kommen die Preisunterschiede zustande. Was sie abrechnen können und wie sie die Patienten überzeugen, lernen die Mediziner auf Verkaufsseminaren. Bis vor kurzem wurden diese noch vom Staat unterstützt, nach Protesten der Kassen hat das Bundesamt für Wirtschaft seine Förderung jedoch inzwischen eingestellt. Dennoch beteiligt sich der Staat nach wie vor indirekt an der Verkaufsschulung: „Ärzte können die Kosten für Seminare über Igel-Leistungen steuerlich absetzen“, weiß Steuerberater Wolfgang Wawro.
    „Die Patienten können nicht erkennen, ob ihnen der Arzt eine Behandlung in ihrem oder in seinem Interesse empfiehlt“, kritisiert Ann Marini vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen. Gestützt werden die Bedenken durch den Medizinischen Dienst, der „Igel“-Leistungen peu à peu unter die Lupe nimmt. 26 Angebote sind inzwischen bewertet, das Ergebnis ist für die Ärzte verheerend: Nur drei sind nach Meinung der Gutachter „tendenziell positiv“, der Großteil bringt nichts oder schadet sogar. Auch der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Jens Spahn, ist alarmiert. „Es ist schon bemerkenswert, dass der Ärztetag selbst davor warnt, dass Igel-Leistungen wider die ärztliche Ethik zur Gewinnmaximierung genutzt werden könnten. Da muss man sicher aufpassen“, sagte Spahn dem Tagesspiegel.
    Quelle: Tagesspiegel

  16. „Auswirkungen sinkender Börsenstrompreise auf die Verbraucherstrompreise“
    Analyse und Bewertung der Strompreiserhöhungen von 2007 bis 2012 sowie der Ankündigungen für 2013.
    Kurzgutachten von Gunnar Harms im Auftrag der Fraktionsgeschäftsführung der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen.

    • Im letzten Jahr sind die Strompreise im Börsenhandel um 10 bis 20 % gesunken – je nach Marktsegment. Der Atomausstieg hat nicht zu den befürchteten Preissteigerungen geführt.
    • Insgesamt ausreichende Kapazitäten, weniger Stromverbrauch und eine erhöhte Einspeisung von Erneuerbaren Energien liegen dieser Entwicklung zugrunde.
    • Aus den stark gesunkenen Einkaufspreisen ergibt sich ein Entlastungspotential für die privaten Haushalte von 500 Millionen Euro für das Jahr 2013 gegenüber 2012.
    • Es ist aber fraglich, ob die diese Preissenkungen weitergegeben werden bzw. mit den preissteigernden Effekten bei den Netzentgelten und der EEG-Umlage verrechnet werden.
    • In den letzten 5 Jahren zeigt sich, dass gestiegene Einkaufspreise stets unverzüglich weitergegeben wurden, Preissenkungen hingegen nicht, zumindest nicht an das Kundensegment der Haushaltskunden.
    • Aktuell müsste der Strompreis 2 Cent die Kilowattstunde niedriger liegen, wenn die Versorger die gesunkenen Einkaufspreiseaus der Vergangenheit an die Verbraucher entsprechend weitergereicht hätten. Die Stromrechnung der privaten Haushalte ist damit in diesem Jahr immer noch um ca. 3 Milliarden Euro zu hoch.

    Anmerkung: Hier das Gutachten [PDF – 444 KB], das am Wochenende durch Medien lief, im Original.

  17. Ein Rahmenkonzept zur Bekämpfung der Rockerkriminalität
    Wird mithilfe der Medien das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung manipuliert und instrumentalisiert?
    Es ist auffällig, wie viele Einsätze deutsche Behörden derzeit gegen Rocker, vor allem gegen die Hells Angels, führen. Das Verhältnis zwischen Rockern und Behörden war schon immer schwierig – aktuell aber ist das Verhalten mancher Behörden so ungewöhnlich, dass auch in ausländischen Medien dies Phänomen nachgefragt wird: Razzien, Durchsuchungen und Verhaftungen gehen parallel zu Verboten und Selbstauflösungen von Hells Angels-Chartern (Ortsgruppen). …
    Auffällig ist vor allem der Beginn der Kette der Schließungen im April 2010. Ein Dokument könnte (mit) erklären, warum Polizeibehörden seit genau diesem Zeitpunkt so viele Einsätze gerade gegen die Hells Angels durchführen.
    Quelle: Telepolis
  18. Wir gratulieren Marie Marcks
    Sie ist am Samstag 90 Jahre alt geworden. Die Abendschau des SWR hat ihr ein paar Minuten gewidmet. Immerhin. Eigentlich gehört das ins Erste und Zweite, denn Marie Marcks hat sich mit ihrer intelligenten und charmanten Aufklärung viel mehr als die üblichen Talkshowgäste verdient gemacht ums Land – vor allem um die Frauen, die es wiederum verdient haben, dass diese großartige Frau bis heute ihre besondere Freundin geblieben ist. Danke. Albrecht Müller.

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